Entscheidungsstichwort (Thema)
Aktenherausgabe an parlamentarischen Untersuchungsausschuß
Leitsatz (NV)
Die Herausgabe von Steuerakten an einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß kommt nur in Betracht, wenn zwischen dem vom Parlament bestimmten Untersuchungsauftrag des Ausschusses und den angeforderten Steuerakten ein sachlicher Zusammenhang besteht.
Normenkette
FGO § 114; ZPO § 920 Abs. 2; AO 1977 § 30; GG Art.44; Saarländische Verfassung Art.79
Tatbestand
Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) hatte bis zum Jahre 1990 ihren Wohnsitz im Saarland. Sie wurde mit ihrem damaligen Ehemann beim Finanzamt X zur Einkommensteuer veranlagt. Die Antragstellerin wendet sich unter Berufung auf das Steuergeheimnis gegen eine vom Untersuchungsausschuß des Landtags des Saarlandes beabsichtigte Beiziehung ihrer Steuerakten. Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzministerium) will, wie er der Antragstellerin mitgeteilt hat, dem Verlangen des Untersuchungsausschusses auf Herausgabe der Akten entsprechen.
Der Landtag des Saarlandes hat am 27. November 1991 gemäß Art.79 der Verfassung des Saarlandes (SVerf) einen Untersuchungsausschuß ,,Steuervollzug im Saarland" eingesetzt. Gegenstand dessen Untersuchung sind folgende Fragen:
1. Ob und inwieweit Unternehmen im Saarland Steuerstundungen, Steuernachlässe und/oder Steuerbefreiungen gewährt wurden und gewährt werden, die das in anderen Bundesländern übliche Maß überschreiten?
2. Ob bei der Gewährung von Steuerstundungen, Steuernachlässen und/oder Steuerbefreiungen der Gleichheitsgrundsatz oder die Bindung der vollziehenden Gewalt an das Gesetz beachtet wurden und werden?
3. Ob und in welchem Umfang die Gewährung von Steuerstundungen, Steuernachlässen und/oder Steuerbefreiungen durch die politische Führung der Finanzverwaltung beeinflußt wurden?
4. Ob und in welchem Umfang Unternehmen über Möglichkeiten von Steuerstundungen, Steuerbefreiungen und Steuernachlässen beraten und verbindliche Auskünfte erteilt wurden, die das in anderen Bundesländern übliche Maß überstiegen?
5. Ob bei der Erteilung von Auskünften die üblichen Zuständigkeiten eingehalten wurden?
6. Ob und inwieweit im Zusammenhang mit der Verlegung des Sitzes einzelner Unternehmen in das Saarland Steuervorteile, Steuerbefreiungen oder eine bestimmte steuerliche Behandlung gewährt oder zugesagt wurden?
7. Ob diese steuerliche Behandlung von der bisherigen steuerlichen Behandlung dieser Unternehmen und der gängigen Verwaltungspraxis anderer Bundesländer abweicht?
8. Ob Steuererstattungen an diese Unternehmen erfolgten und wer die damit verbundenen Aufwendungen getragen hat bzw. trägt?
9. Ob und inwieweit im Zusammenhang mit der Verlegung des Sitzes einzelner Unternehmen in das Saarland sonstige Beihilfen, Bürgschaften oder andere staatliche Leistungen gewährt wurden?
10. Wer auf die Gewährung dieser Leistungen Einfluß genommen hat?
11. Ob und inwieweit Mitglieder der Landesregierung oder einzelne Mitarbeiter/innen der Steuerverwaltung zugleich im Interesse von Unternehmen, die eine Sitzverlegung in das Saarland betreiben oder betrieben haben, tätig waren?12. Ob finanzielle Leistungen oder sonstige Vorteile an Mitglieder der Landesregierung oder Landesbedienstete gewährt wurden?
13. Ob finanzielle Leistungen oder sonstige Vorteile mit Wissen bzw. im Interesse der Landesregierung an Dritte gewährt wurden?
14. Ob und inwieweit Mitgliedern der Landesregierung sonstige persönliche Vorteile durch Unternehmen im o.g. Sinne gewährt wurden?
15. Ob und inwieweit Vorteile an Parteien des Landes flossen und ob die Gewährung dieser Vorteile im Zusammenhang mit bestimmten steuerlichen Behandlungen oder der Gewährung sonstiger staatlicher Leistungen für die o.g. Unternehmen standen?
16. Ob und inwieweit Familienangehörige einzelner Regierungsmitglieder oder frühere Mitarbeiter/innen der Landesverwaltung bei Unternehmen im o.g. Sinne beschäftigt waren bzw. sind oder sonstige Vorteile erhalten haben?
17. Ob Mitglieder der Landesregierung oder führende Ministerialbeamte an Unternehmen im o.g. Sinne oder deren Tochtergesellschaften beteiligt sind?
Die Antragstellerin beantragte beim Verwaltungsgericht, dem Finanzministerium im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, die Herausgabe ihrer Steuerakten des Finanzamts X an den Untersuchungsausschuß ,,Steuervollzug im Saarland" des Landtags des Saarlandes zu unterlassen.
Sie machte geltend, die beabsichtigte Herausgabe ihrer Steuerakten stelle einen Eingriff in ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar und verletze das Steuergeheimnis. Die Voraussetzungen, unter denen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) die Übermittlung von Steuerdaten an parlamentarische Untersuchungsausschüsse zulässig seien, lägen nicht vor. Insbesondere handele der Untersuchungsausschuß nicht in Ausübung politischer Parlamentskontrolle, weil ein Untersuchungsauftrag, der wie hier die globale Klärung der gesamten Steuerpraxis der Regierung beinhalte, nicht dem Bestimmtheitsgebot des § 39 des Gesetzes über den Landtag des Saarlandes entspreche. Das Verlangen auf Aktenvorlage stehe auch nicht in sachlichem Zusammenhang mit dem Kontrollauftrag des Untersuchungsausschusses. Von einem solchen sachlichen Zusammenhang könne nur ausgegangen werden, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorlägen, daß in den herauszugebenden Akten Material enthalten sei, das Informationen über eine unzulässige Handhabung des Steuervollzugs im Falle der Antragstellerin durch die zuständigen Finanzbehörden ergeben könnte. Ein derartiger Anfangsverdacht bzw. eine solche Beweiserheblichkeit des Akteninhalts fehle völlig und sei vom Untersuchungsausschuß auch nicht dargetan worden. Dem Finanzministerium obliege es aber, eine Vorprüfung der Steuerakten dahingehend vorzunehmen, ob sie Informationen enthielten, die für die Tätigkeit des Untersuchungsausschusses relevant werden könnten.
Nachdem das Verwaltungsgericht den zu ihm beschrittenen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Finanzgericht (FG) verwiesen hatte, lehnte das FG es ab, die beantragte einstweilige Anordnung zu erlassen.
Das FG führte im wesentlichen aus, es sei zwar ein Anordnungsgrund gegeben, weil im Falle der vom Finanzministerium beabsichtigten Aktenvorlage an den Untersuchungsausschuß die von der Antragstellerin behaupteten Persönlichkeitsrechte berührt würden
und ihr Geheimhaltungsinteresse dann unwiederbringlich verloren wäre. Der Antragstellerin stehe aber kein Anordnungsanspruch zu, der die beantragte einstweilige Maßnahme rechtfertigen könnte. Die Aktenanforderung des Untersuchungsausschusses in der Steuerangelegenheit der Antragstellerin halte sich im Rahmen der verfassungsrechtlich gebotenen Abwägung zwischen den Individualinteressen der Antragstellerin und dem parlamentarischen Untersuchungsauftrag des Ausschusses. Im Streitfall seien die Voraussetzungen, unter denen das BVerfG das Beweiserhebungsrecht und das Recht auf Aktenvorlage eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses bejaht habe (BVerfG-Urteil vom 17. Juli 1984 2 BvE 11, 15/83, BVerfGE 67, 100, BStBl II 1984, 634), erfüllt. Der Anspruch der Antragstellerin auf Wahrung des Steuergeheimnisses (§ 30 der Abgabenordnung - AO 1977 -) als Ausprägung ihres verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechts auf informationelle Selbstbestimmung sei durch die Tätigkeit des Untersuchungsausschusses in verfassungsrechtlich zulässiger Weise eingeschränkt (Hinweis auf BVerfG-Urteil vom 15. Dezember 1983 1 BvR 209, 269, 362, 420, 440 und 484/83, BVerfGE 65, 1, 41 ff.).
Nach Art.79 Abs. 1 SVerf habe der Landtag das Recht und auf Antrag von einem Viertel der Abgeordneten die Pflicht, Untersuchungsausschüsse einzusetzen. Diesen seien die Akten der Behörden auf Verlangen vorzulegen (Art.79 Abs. 3 SVerf). Der Einwand der Antragstellerin, dem Untersuchungsauftrag des Ausschusses fehle es an der erforderlichen Bestimmtheit, sei nicht begründet.
Nach § 39 Abs. 1 des Gesetzes über den Landtag des Saarlandes werde ein Untersuchungsausschuß jeweils für einen bestimmten Untersuchungsauftrag eingesetzt. Dieser werde vorliegend mit ,,Steuervollzug im Saarland" bezeichnet. Der Untersuchungsgegenstand müsse in dem Einsetzungsantrag ,,hinreichend umschrieben" sein (§ 39 Abs. 4 Satz 1 des Gesetzes über den Landtag). Im vorliegenden Fall sei der Gegenstand der Untersuchung in 17 Fragen festgelegt, die sich schwerpunktmäßig auf die steuerliche Behandlung von im Saarland ansässigen oder ansiedlungswilligen Unternehmen bezögen, die Einhaltung der üblichen Zuständigkeiten und die Einflußnahme durch die politische Führung der Finanzverwaltung beträfen. Damit sei der Untersuchungsgegenstand im wesentlichen noch hinreichend umschrieben. Im Interesse einer wirksamen parlamentarischen Kontrolle der vollziehenden Gewalt durch die Legislative dürften an die Festlegung des Untersuchungsgegenstandes eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses keine überhöhten Anforderungen gestellt werden.
Auf das dem Untersuchungsausschuß nach Art.79 Abs. 2 Satz 1 SVerf zustehende Beweiserhebungsrecht fänden nach Art.79 Abs. 4 SVerf die Vorschriften der Strafprozeßordnung (StPO) sinngemäße Anwendung. Diese Bestimmung erfasse über § 96 StPO auch das Steuergeheimnis nach § 30 AO 1977. Da das Recht des Untersuchungsausschusses auf Aktenvorlage Verfassungsrang habe, habe die Regierung die verfassungsrechtliche Pflicht, die Ausübung des Kontrollrechts des Parlaments in geeigneter Weise zu unterstützen.
Dabei könne es aber keinem Zweifel unterliegen, daß der Aktenherausgabeanspruch des Untersuchungsausschusses nicht eingreifen könne, wenn die angeforderten Akten in keinem sachlichen Zusammenhang mit dem vom Landtag formulierten Untersuchungsauftrag stünden.
Stehe die vom Untersuchungsausschuß verlangte Aktenvorlage jedoch mit in der Öffentlichkeit verbreiteten Zweifeln an der Lauterkeit und Unbestechlichkeit der Exekutive im Zusammenhang, denen der Ausschuß nachgehe und die auch die Steuermoral der Bürger nachhaltig erschüttern könnten, so sei davon auszugehen, daß der Ausschuß in Ausübung politischer Parlamentskontrolle handele. Insoweit sei zu berück- sichtigen, daß § 30 Abs. 4 Nr.5 Buchst. c AO 1977 für derartige Fälle eine Offenbarung von Daten, die dem Steuergeheimnis unterliegen, zulasse, wenn die Offenbarung zur Richtigstellung in der Öffentlichkeit verbreiteter unwahrer Tatsachen erforderlich sei, die geeignet seien, das Vertrauen in die Verwaltung zu erschüttern. Dieser Ausnahmetatbestand gelte in verfassungskonformer Auslegung auch für den Fall des Aktenherausgabeverlangens eines Untersuchungsausschusses, mit dem der Landtag in der Öffentlichkeit verbreitete Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit der Exekutive nachgehe (BVerfG in BStBl II 1984, 634, 648).
Der Senat folge nicht der Auffassung der Antragstellerin, wonach die Aktenvorlage an den Untersuchungsausschuß nur zulässig sei, wenn ein sog. Anfangsverdacht - im konkreten Fall auf unzulässige Handhabung des Steuervollzugs - i.S. des § 152 Abs. 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 4 SVerf gegeben sei. Diese Meinung verkenne, daß im Strafverfahren gleichermaßen belastende wie entlastende Beweise zu erheben seien. Wäre die von der Antragstellerin vertretene Auffassung zutreffend, könnte ein Untersuchungsausschuß sich keine Akten vorlegen lassen, die die Exekutive entlasteten, so daß auch die in § 30 Abs. 4 Nr.5 Buchst. c AO 1977 gesetzlich ausdrücklich vorgesehene Richtigstellung unwahrer Tatsachen vor einem Untersuchungsausschuß grundsätzlich nicht durch Urkundenbeweis belegbar sei. Der Antragstellerin stehe somit gegenüber dem Finanzministerium kein Anordnungsanspruch auf Wahrung des Steuergeheimnisses gegenüber dem Untersuchungsausschuß zu.
Mit der Beschwerde macht die Antragstellerin weiterhin geltend, der auf die globale Klärung der gesamten Steuerpraxis der saarländischen Finanzbehörden bezogene Untersuchungsauftrag entspreche nicht dem Bestimmtheitsgebot des § 39 des Gesetzes über den Landtag des Saarlandes und es fehle an einem sachlichen Zusammenhang zwischen dem Untersuchungsauftrag und dem Inhalt ihrer, von dem Herausgabeverlangen betroffenen Steuerakten. Das Finanzministerium hätte unter Berücksichtigung ihres Rechts auf informationelle Selbstbestimmung das Vorliegen eines sachlichen Zusammenhangs der angeforderten Akten mit dem Untersuchungsauftrag überprüfen und danach das Herausgabeverlangen des Untersuchungsausschusses ablehnen müssen.
Die Antragstellerin beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung dem Finanzministerium im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, die Herausgabe ihrer Steuerakten an den Untersuchungsausschuß zu unterlassen.
Das Finanzministerium beantragt sinngemäß, die Beschwerde zurückzuweisen. Es trägt - wie in der Vorinstanz - vor, angesichts des weitgefaßten Untersuchungsgegenstandes, den der Landtag festgelegt habe, erscheine es nicht ausgeschlossen, daß die angeforderte Steuerakte Hinweise enthalte, welche zur Aufklärung des Untersuchungsgegenstandes beitragen könnten.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist begründet.
1. Hinsichtlich der Zulässigkeit des Finanzrechtswegs (§ 33 der Finanzgerichtsordnung - FGO -, hier: Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses des Verwaltungsgerichts gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes), der Befugnis der Antragstellerin für den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung nach § 114 FGO und des Finanzministeriums als des zutreffenden Antragsgegners nimmt der Senat auf die insoweit zutreffenden Ausführungen der Vorentscheidung Bezug. Das FG hat auch zu Recht das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, der für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung neben dem Anordnungsanspruch gemäß § 114 Abs. 3 FGO i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) glaubhaft zu machen ist, bejaht. Denn ohne die im Streitfall beantragte Sicherungsanordnung gemäß § 114 Abs. 1 Satz 1 FGO besteht die Gefahr, daß bei Herausgabe der Steuerakten an den Untersuchungsausschuß des Landtags das Steuergeheimnis (§ 30 AO 1977) und das durch das Grundgesetz (GG) geschützte Recht der Antragstellerin auf informationelle Selbstbestimmung (vgl. BVerfGE 65, 1) endgültig und unheilbar verletzt werden. Im Gegensatz zur Vorentscheidung ist der Senat aber der Auffassung, daß mit der Berufung auf das Steuergeheimnis auch ein Anordnungsanspruch für die von der Antragstellerin begehrte einstweilige Versagung der Herausgabe ihrer Steuerakten an den Untersuchungsausschuß glaubhaft gemacht worden ist.
2. Die Voraussetzungen, unter denen ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß von der Verwaltung - insbesondere von den Finanzbehörden - die Vorlage von Akten verlangen kann, sind vom BVerfG in seinem Urteil in BStBl II 1984, 634 im einzelnen dargelegt worden. Die dort zum Beweiserhebungsrecht des Bundestages nach Art.44 GG entwickelten Rechtsgrundsätze sind auf die Tätigkeit des im Streitfall vom Landtag des Saarlandes eingesetzten Untersuchungsausschusses entsprechend anzuwenden, da die hier geltenden Rechtsvorschriften (Art.79 SVerf i.V.m. §§ 38, 39 des Gesetzes über den Landtag des Saarlandes) insoweit keine abweichenden Regelungen enthalten.
Nach der Entscheidung des BVerfG erstreckt sich das Beweiserhebungsrecht des zur Kontrolle der Regierung eingesetzten Untersuchungsausschusses auf das Recht auf Vorlage der Akten (ebenso ausdrücklich Art.79 Abs. 3 SVerf). Auf ein solches Aktenherausgabeverlangen findet gemäß Art.44 Abs. 2 Satz 1 GG, Art.79 Abs. 4 SVerf die Vorschrift des § 96 StPO sinngemäß, d.h. unter Beachtung des Sinns parlamentarischer Kontrolle, Anwendung. Zu den von § 96 StPO erfaßten öffentlichen Belangen, die nach dem Urteil des BVerfG nicht nur von der Regierung, sondern auch vom Parlament zu wahren sind, kann auch das Steuergeheimnis i.S. des § 30 AO 1977 gehören. Das Recht auf Wahrung des in § 30 AO 1977 gesetzlich umschriebenen Steuergeheimnisses ist als solches kein Grundrecht. Die Geheimhaltung bestimmter steuerlicher Angaben und Verhältnisse kann indessen durch bestimmte grundrechtliche Verbürgungen, insbesondere durch Art.2 Abs. 1 i.V.m. Art.1 Abs. 1, Art.14 und Art.19 Abs. 3 GG geboten sein. Diese grundrechtliche Verbürgung des Rechts auf ,,informationelle Selbstbestimmung" darf - wie das BVerfG in BVerfGE 65, 1, 43, 44 entschieden hat - nur im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden; die Einschränkung darf nicht weiter gehen, als es zum Schutze öffentlicher Interessen unerläßlich ist. Auch das Beweiserhebungsrecht und das Recht auf Aktenvorlage eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses, die Verfassungsrang haben (BVerfG in BStBl II 1984, 634, 646), können durch die Grundrechte eingeschränkt werden. Dabei müssen nach der grundlegenden Entscheidung des BVerfG das Beweiserhebungsrecht und der grundrechtliche Datenschutz im konkreten Fall einander so zugeordnet werden, daß beide so weit wie möglich ihre Wirkungen entfalten. Wie das BVerfG in BStBl II 1984, 634, 649 ausgeführt hat, gestattet die Bedeutung, die das Kontrollrecht des Parlaments sowohl für die parlamentarische Demokratie als auch für das Ansehen des Staates hat, in aller Regel dann keine Verkürzung des Aktenherausgabeanspruchs zugunsten des Schutzes des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und des Eigentumsschutzes, wenn Parlament und Regierung Vorkehrungen für den Geheimschutz getroffen haben, die das ungestörte Zusammenwirken beider Verfassungsorgane auf diesem Gebiete gewährleisten, und wenn der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist.
Die Vorentscheidung ist bei der Abwägung zwischen den Individualinteressen der Antragstellerin (Steuergeheimnis, Recht auf informationelle Selbstbestimmung) und dem mit Verfassungsrang ausgestatteten Anspruch des Untersuchungsausschusses des saarländischen Landtags auf Herausgabe von Akten von den Rechtsgrundsätzen ausgegangen, die das BVerfG in der vorstehend zitierten Entscheidung entwickelt hat. Das FG ist danach zu dem Ergebnis gelangt, daß die Antragstellerin die Herausgabe ihrer Steuerakten an den Untersuchungsausschuß dulden muß. Der Senat braucht die vom FG vorgenommene Abwägung zwischen den widerstreitenden verfassungsrechtlich geschützten Rechtspositionen nicht nachzuvollziehen. Er kann es auch dahingestellt lassen, ob der Untersuchungsauftrag, für den im Streitfall der Untersuchungsausschuß eingesetzt worden ist - wie in § 39 des Gesetzes über den Landtag des Saarlandes vorgeschrieben, von der Antragstellerin aber bestritten wird - hinreichend bestimmt ist. Der Senat hält unabhängig von den vorstehenden Ausführungen nach der im Anordnungsverfahren gebotenen summarischen Beurteilung der Sach- und Rechtslage (vgl. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 114 Rz.54, 55) das Aktenherausgabeverlangen des Untersuchungsausschusses im Streitfall deshalb nicht für gerechtfertigt, weil ein sachlicher Zusammenhang zwischen dem Untersuchungsauftrag des Ausschusses und den Steuerakten der Antragstellerin nicht ersichtlich ist.
3. a) Ein Aktenherausgabeanspruch des Untersuchungsausschusses, der im öffentlichen Interesse die Durchbrechung des Steuergeheimnisses rechtfertigt (vgl. § 30 Abs. 4 Nr.5 AO 1977), kann nur dann bestehen, wenn der Ausschuß in Ausübung von politischer Parlamentskontrolle zur Aufklärung von Sachverhalten tätig wird (vgl. BVerfG in BStBl II 1984, 634, 648; Art.79 Abs. 1 und 2 SVerf; § 38 des Gesetzes über den Landtag des Saarlandes). Daraus folgt, daß ein sachlicher Zusammenhang zwischen dem Untersuchungsauftrag und den vom Ausschuß erbetenen Auskünften und Akten bestehen muß. Die Regierung bzw. die Verwaltung hat deshalb gegenüber einem Aktenherausgabeverlangen des Untersuchungsausschusses zunächst zu prüfen, ob sich überhaupt geheimzuhaltende Tatsachen in jenen Akten befinden, die mit dem Untersuchungsauftrag im Zusammenhang stehen (BVerfG in BStBl II 1984, 634, 647). Wie das BVerfG hierzu ausgeführt hat, ist im Rahmen der Verpflichtung der Behörden zur Unterstützung der Ausübung des Kontrollrechts des Parlaments die Geheimhaltung solcher Tatsachen unproblematisch, die mit dem Kontrollauftrag eines Untersuchungsausschusses, wie ihn das Parlament formuliert hat, in keinem sachlichen Zusammenhang stehen. Insoweit nimmt die Regierung ihre eigene Verantwortung wahr, wenn sie dafür sorgt, daß geheimzuhaltende Tatsachen nicht ohne Notwendigkeit dritten Stellen, seien es solche der Exekutive, der Legislative oder der Judikative, zugänglich werden. Jede Weitergabe eines Dienstgeheimnisses vermehrt die Gefahr, daß es allgemein bekannt wird (BStBl II 1984, 634, 646). Erst wenn der notwendige Zusammenhang des Akteninhalts mit dem Untersuchungsauftrag festgestellt worden ist, hat die Regierung nach dem Urteil des BVerfG weiter zu prüfen, wie dem Kontrollauftrag des Parlaments genügt und zugleich das Dienst- bzw. Steuergeheimnis gewahrt werden kann oder ob dieses im übergeordneten öffentlichen Interesse durchbrochen werden muß (vgl. auch BVerfG-Beschluß vom 1. Oktober 1987 2 BvR 1178, 1179, 1191/86, BVerfGE 77, 1, 55 oben).
b) Auch die Vorentscheidung ist davon ausgegangen, daß der Aktenherausgabeanspruch des Untersuchungsausschusses nicht eingreifen kann, wenn die angeforderten Akten in keinem sachlichen Zusammenhang mit dem vom Landtag formulierten Untersuchungsauftrag stehen. Das FG hat aber ebenso wie das Finanzministerium den Untersuchungsgegenstand zu umfassend gesehen und deshalb nach dem bisher festgestellten Sachverhalt zu Unrecht angenommen, daß er sich auch auf die Steuerakten der Antragstellerin erstreckt.
Gegenstand der Untersuchung sind im Streitfall nicht der generelle Steuervollzug im Saarland, sondern die 17 Einzelfragen, die der Landtag des Saarlandes als Beweisthema für den Untersuchungsausschuß bestimmt hat. Bei dem Obertitel ,,Steuervollzug im Saarland", wie der eingesetzte Untersuchungsausschuß plakativ bezeichnet wird, könnten zwar die Steuerakten sämtlicher Steuerpflichtiger mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt in diesem Bundesland beweiserheblich sein. Insoweit wäre aber nach Auffassung des Senats die hinreichende Bestimmtheit des Untersuchungsgegenstands, wie sie in § 39 Abs. 1 und 4 des Gesetzes über den Landtag des Saarlandes vorgeschrieben ist, nicht gegeben. Die hinsichtlich des Steuervollzugs in diesem Bundesland von den antragstellenden Fraktionen und vom Landtag im einzelnen festgelegten 17 Fragen, die den Untersuchungsgegenstand bilden, beziehen sich schwerpunktmäßig auf die steuerliche Behandlung von Unternehmen, die im Saarland ansässig sind oder dort ansässig werden wollten. Der Ausschuß soll insbesondere untersuchen, ob durch die Landesfinanzbehörden Unternehmen im Saarland Steuerstundungen, Steuernachlässe, Steuerbefreiungen oder sonstige Vorteile gewährt oder in Aussicht gestellt worden sind, die gegen das Gesetz oder den Gleichheitsgrundsatz verstießen oder von der Steuerpraxis in anderen Bundesländern abwichen, wer auf solche Behandlungsweisen oder auf die Sitzverlegung von Unternehmen in das Saarland Einfluß genommen hat, ob finanzielle Leistungen oder sonstige Vorteile an Mitglieder der Landesregierung, an Landesbedienstete, an Parteien des Landes oder an Dritte gewährt worden sind und ob Regierungsmitglieder, deren Familienangehörige oder Mitarbeiter der Landesverwaltung bei begünstigten Unternehmen beschäftigt oder beteiligt waren oder sind.
Im Streitfall ist für den Senat nicht ersichtlich, welche der Einzelfragen, die den Untersuchungsgegenstand bilden, bei der Besteuerung der Antragstellerin von Bedeutung gewesen sein könnten. Das Finanzministerium hat hierzu lediglich ausgeführt, angesichts des weitgefaßten Untersuchungsgegenstandes erscheine es nicht ausgeschlossen, daß die Steuerakten der Antragstellerin Hinweise enthielten, die zur Aufklärung der Untersuchungsgegenstände beitragen könnten. Damit ist aber ein sachlicher Zusammenhang zwischen dem Unter- suchungsauftrag und dem Inhalt der Steuerakten der Antragstellerin nicht hinreichend dargetan.
Soweit der Senat aus den ihm vorliegenden Akten erkennen kann, ist oder war die Antragstellerin nicht Unternehmerin, sondern Arbeitnehmerin; ihr Ehemann soll nach einem Schreiben der Antragstellerin an den saarländischen Minister der Finanzen arbeitslos sein. Es ist auch aus den Akten nicht ersichtlich und vom Finanzministerium nicht vorgetragen worden, daß der Antragstellerin oder ihrem Ehemann Steuerstundungen, Steuernachlässe, Steuerbefreiungen oder sonstige Vorteile gewährt worden sind oder daß die Antragstellerin an derartigen Vergünstigungen für Unternehmen in irgendeiner Weise beteiligt gewesen sein könnte oder hierfür Vorteile erlangt haben könnte. Für den Senat ist demnach im Hinblick auf den Untersuchungsauftrag der Grund für das Aktenherausgabeverlangen des Untersuchungsausschusses bezogen auf die Akten der Antragstellerin und die Bereitschaft des Finanzministeriums, dem nachzukommen, nicht erkennbar. Er muß mangels näherer Hinweise durch das Finanzministerium davon ausgehen, daß dieses nicht - wie es geboten gewesen wäre - zunächst geprüft hat, ob sich überhaupt dem Steuergeheimnis unterliegende Tatsachen in jenen Akten befinden, die mit dem Untersuchungsauftrag, nämlich den vom Landtag gestellten 17 Einzelfragen, im Zusammenhang stehen.
Zur eigenständigen Sachverhaltsermittlung in dieser Hinsicht ist der Senat im Hinblick auf das Wesen des Anordnungsverfahrens als Eilverfahren und der Mitwirkung des Finanzministeriums als Verfahrensbeteiligter nicht verpflichtet (vgl. Gräber/Koch, a.a.O., § 114 Rz.55). Da es zunächst dem Finanzministerium obliegt, gegenüber dem Aktenherausgabeverlangen des Untersuchungsausschusses das Bestehen eines sachlichen Zusammenhangs zwischen Akteninhalt und Untersuchungsauftrag zu überprüfen, hätte es im vorliegenden Rechtsschutzverfahren dem Gericht gegenüber offenlegen müssen, worin es die Beweiserheblichkeit des Akteninhalts für den Untersuchungsauftrag sieht. Das Finanzministerium hat aber nicht dargelegt, worin sich die Antragstellerin im Hinblick auf den Untersuchungsgegenstand von jedem beliebigen anderen Steuerpflichtigen im Saarland unterscheidet und weshalb gerade ihre Steuerakten für den Untersuchungsausschuß von Bedeutung sein könnten.
c) Die Beweiserheblichkeit des Inhalts der Steuerakten der Antragstellerin für den Untersuchungsauftrag kann nicht - wie das FG meint - daraus hergeleitet werden, daß der Untersuchungsausschuß in Ausübung politischer Parlamentskontrolle in der Öffentlichkeit verbreiteten Zweifeln an der Lauterkeit und Unbestechlichkeit der Exekutive nachgeht, die die Steuermoral der Bürger nachhaltig erschüttern können. Die hierfür angeführte gesetzliche Befugnis zur Offenbarung des Steuergeheimnisses nach § 30 Abs. 4 Nr.5 Buchst. c AO 1977 zum Zwecke der Richtigstellung in der Öffentlichkeit verbreiteter unwahrer Tatsachen, vermag den notwendigen sachlichen Zusammenhang zwischen dem Untersuchungsauftrag und dem Verlangen nach Herausgabe der Steuerakten der Antragstellerin nicht zu begründen. Denn der Offenbarungstatbestand des § 30 Abs. 4 Nr.5 Buchst. c AO 1977 setzt gerade voraus, daß sich aus den angeforderten Akten Tatsachen ergeben können, die mit den in der Öffentlichkeit verbreiteten Zweifeln an der Lauterkeit und Unbestechlichkeit der Exekutive, denen der Untersuchungsausschuß nachgehen soll, in einem konkreten sachlichen Zusammenhang stehen. Da hierfür - wie ausgeführt - hinsichtlich der Steuerakten der Antragstellerin in dem Rahmen, wie er durch den Untersuchungsauftrag abgesteckt ist, keinerlei Anhaltspunkte bestehen, kann § 30 Abs. 4 Nr.5 Buchst. c AO 1977 das Aktenherausgabeverlangen im Streitfall nicht rechtfertigen.
Das gilt auch insoweit, als das Herausgabeverlangen dazu dienen sollte, die Exekutive von in der Öffentlichkeit verbreiteten Verdächtigungen hinsichtlich der Gesetzmäßigkeit und Lauterkeit des Steuervollzugs zu entlasten. Die Vertrauenswürdigkeit der Exekutive gegenüber unwahren Tatsachenbehauptungen und Verdächtigungen kann durch die Beweiserhebung des Untersuchungsausschusses nur in dem Bereich wieder hergestellt oder gefestigt werden, auf den sich der Untersuchungsauftrag bezieht. Da die Antragstellerin keine Unternehmerin ist und keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, daß sie von den Steuervergünstigungen und sonstigen Vorteilen, deren Rechtmäßigkeit der Ausschuß untersuchen soll, in irgendeiner Weise betroffen oder an ihnen beteiligt gewesen sein könnte, ist die Herausgabe ihrer Steuerakten an den Untersuchungsausschuß weder erforderlich noch geeignet, die Verwaltung durch Richtigstellung unwahrer Tatsachenbehauptungen in der Öffentlichkeit zu rehabilitieren.
Da somit ein sachlicher Zusammenhang zwischen dem Untersuchungsauftrag und den von dem Herausgabeverlangen betroffenen Steuerakten nicht erkennbar ist, war die von der Antragstellerin beantragte einstweilige Anordnung zu erlassen. Der Senat sieht keinen Anlaß, seine Anordnung auf einen bestimmten Zeitraum zu begrenzen. Das Ministerium der Finanzen hat bisher nicht beantragt, der Antragstellerin aufzugeben, innerhalb einer vom Gericht zu bestimmenden Frist, Klage in der Hauptsache zu erheben (§ 114 Abs. 3 FGO i.V.m. § 926 Abs. 1 ZPO).
Fundstellen
Haufe-Index 418873 |
BFH/NV 1993, 579 |