Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässige Spontanauskunft gegenüber italienischen Steuerbehörden - Heilung der Verletzung rechtlichen Gehörs
Leitsatz (amtlich)
1. Für die Zulässigkeit einer Spontanauskunft gegenüber italienischen Steuerbehörden ist es entscheidungsunerheblich, ob die Amtshilfe letztlich zu einer entsprechenden Steuerfestsetzung in Italien führt.
2. Bei der Anwendung des § 2 Abs. 2 Nr. 5 EGAHiG ist nicht darüber zu entscheiden, mit welcher Wahrscheinlichkeit in Italien eine Besteuerung durchgeführt wird.
3. Nach § 3 Abs. 2 EGAHiG ist die Auskunftserteilung in das Ermessen der zuständigen inländischen Finanzbehörde gestellt. Das BMF übt sein entsprechendes Ermessen nicht fehlerhaft aus, wenn das italienische Finanzministerium die Gegenseitigkeit der Auskunftserteilung schriftlich zugesichert hat.
4. Die deutsche Finanzverwaltung kann mit Rücksicht auf den Grundsatz der Besteuerung eines jeden nach seiner Leistungsfähigkeit gehalten sein, Kontrollmitteilungen ins Ausland zu versenden.
Orientierungssatz
Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs innerhalb des erstinstanzlichen Verfahrens kann im Beschwerdeverfahren geheilt werden.
Normenkette
GG Art. 103 Abs. 1; EGAHiG § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 2 Nr. 5, § 3 Abs. 2 Nr. 2
Tatbestand
I. Die Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) bezogen in den Jahren 1988 und 1989 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Einen Teil der nichtselbständigen Arbeit übten sie in Italien aus. Entsprechend erklärten sie gegenüber dem zuständigen Finanzamt (FA), daß ein Teil ihrer Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit 1988 und 1989 nach Art. 7 und 11 des Abkommens zwischen dem Deutschen Reiche und Italien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Regelung anderer Fragen auf dem Gebiete der direkten Steuern vom 31. Oktober 1925 --DBA-Italien 1925-- (RGBl II 1925, 1145) steuerfrei zu belassen sei. Das FA entsprach den Anträgen.
Mit Schreiben vom 13. Dezember 1993 kündigte der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Bundesministerium der Finanzen --BMF--) den Antragstellern unter Hinweis auf § 2 Abs. 2 Nr. 1 des EG-Amtshilfe-Gesetzes (EGAHiG) und Art. 27 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Italienischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen und zur Verhinderung der Steuerverkürzung vom 18. Oktober 1989 --DBA-Italien 1989-- (BGBl II 1990, 743, BStBl I 1990, 397) an, er werde der italienischen Finanzverwaltung eine Spontanauskunft über die in Italien steuerpflichtigen Einkünfte erteilen, wenn die Antragsteller nicht innerhalb einer gewissen Frist den Erlaß einer einstweiligen Anordnung beantragten.
Die Antragsteller beantragten deshalb am 21. Dezember 1993 beim Finanzgericht (FG) Baden-Württemberg den Erlaß einer einstweiligen Anordnung. Das FG lehnte den Antrag durch Beschluß vom 22. April 1994 ab. Der Beschluß wurde den Antragstellern am 29. April 1994 zugestellt. Sie legten am 10. Mai 1994 Beschwerde ein.
Sie beantragen, den Beschluß des FG Baden-Württemberg vom 22. April 1994 4 V 4/94 aufzuheben und dem Antrag der Antragsteller auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung gemäß dem Schriftsatz vom 19. Januar 1994 zu entsprechen.
Das BMF beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unbegründet. Sie war deshalb zurückzuweisen.
1. Die von den Antragstellern erhobene Rüge, das FG habe eine Überraschungsentscheidung getroffen, greift nicht durch. Die Antragsteller haben eine Beschwerde gemäß § 128 der Finanzgerichtsordnung (FGO) eingelegt. Insoweit gilt der Grundsatz, daß insbesondere eine Verletzung des rechtlichen Gehörs innerhalb des erstinstanzlichen Verfahrens im Beschwerdeverfahren geheilt werden kann (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 132 Rz. 7 und 10). Entscheidend ist deshalb allein, daß die Antragsteller im Beschwerdeverfahren Gelegenheit hatten, das vorzutragen, was sie möglicherweise schon gegenüber dem FG vorgetragen hätten, wenn sie auf bestimmte rechtliche Überlegungen hingewiesen worden wären.
2. Die vom BMF beabsichtigte Auskunftserteilung ist zulässig, weil sie durch das Gesetz ausdrücklich zugelassen ist (§ 30 Abs. 4 Nr. 2 der Abgabenordnung --AO 1977--).
a) Die beabsichtigte Auskunftserteilung stellt sich als eine Maßnahme der Amtshilfe des BMF bei der Festsetzung der Steuern vom Einkommen durch die italienischen Steuerbehörden dar (§ 1 Abs. 1 EGAHiG). Ob die Amtshilfe letztlich zu einer entsprechenden Steuerfestsetzung in Italien führen wird, ist entscheidungsunerheblich. Die Zulässigkeit der Offenbarung richtet sich allein nach dem mit der Amtshilfe vom BMF verfolgten Zweck. Insoweit wird auch von den Antragstellern nicht in Zweifel gezogen, daß die vom BMF beabsichtigte Amtshilfe allein den Zwecken des § 1 Abs. 1 EGAHiG dient. Es bedarf deshalb in diesem Verfahren keiner Entscheidung darüber, ob die italienischen Steuerbehörden auf die Steuererhebung in vergleichbaren Fällen verzichtet haben. Es ist die Sache der italienischen Steuerbehörden, eine diesbezügliche Entscheidung bei der Veranlagung der Antragsteller zu treffen.
b) Es begegnet keinen rechtlichen Bedenken, wenn das FG die Tatbestandsvoraussetzungen des § 2 Abs. 2 Nr. 5 EGAHiG für den Streitfall als erfüllt angesehen hat. Der Streitfall ist unstreitig ein Sachverhalt, für den in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) eine Steuerbefreiung gewährt worden ist. Die Steuerbefreiung diente der Vermeidung der Doppelbesteuerung. Ihr liegt die Vorstellung zugrunde, daß die im Inland steuerbefreiten Einkünfte in Italien steuerpflichtig sind. Abkommensrechtlich wird dem Besteuerungsrecht Italiens der Vorrang eingeräumt. Es liegen deshalb Anhaltspunkte i.S. des § 2 Abs. 2 Nr. 5 EGAHiG vor, daß der Sachverhalt zu einer Besteuerung in Italien führen könnte. Bei dieser Rechtslage ist nicht darüber zu entscheiden, mit welcher Wahrscheinlichkeit in Italien eine Besteuerung durchgeführt wird.
c) § 3 Abs. 2 Nr. 2 EGAHiG steht der beabsichtigten Auskunftserteilung nicht entgegen.
aa) Nach § 3 Abs. 2 EGAHiG "brauchen die Finanzbehörden Auskünfte nicht zu erteilen". Diese Gesetzesformulierung bedeutet, daß unter bestimmten Voraussetzungen keine Verpflichtung zur Auskunftserteilung besteht. Dieselbe ist vielmehr in das Ermessen der Finanzbehörden gestellt. Indes können die FG die Ermessensentscheidungen der Finanzbehörden nur auf Ermessensüberschreitung, Ermessensmißbrauch und Ermessensfehlgebrauch hin überprüfen. Für die Annahme von Ermessensüberschreitung oder Ermessensmißbrauch bietet der Streitfall keinen Anhaltspunkt. Die Annahme eines Ermessensfehlgebrauchs scheidet schon deshalb aus, weil das BMF sich bei seiner Entscheidung auf das Schreiben des italienischen Finanzministeriums von 1. August 1989 stützt, in dem die Gegenseitigkeit bei der Auskunftserteilung ausdrücklich zugesichert wird. Unter dem Gesichtspunkt einer Ermessensentscheidung können die FG es nicht beanstanden, wenn das BMF sich an dieses Schreiben hält, solange es keine gegenteiligen Erfahrungen macht. Aus dem Erlaß des Niedersächsischen Finanzministers vom 27. Dezember 1989 (Deutsches Steuerrecht 1990, 117) ergibt sich nichts anderes, weil er jedenfalls heute aufgehoben ist und das BMF eine Auskunftserteilung erst in der Zukunft beabsichtigt.
bb) Der Senat weist vorsorglich auf seine Rechtsauffassung hin, daß eine Auskunftserteilung in Fällen, die mit dem Streitfall vergleichbar sind, im überwiegenden öffentlichen Allgemeininteresse liegt. Wenn die Bundesrepublik in einem DBA auf die Besteuerung ausländischer Einkünfte im Inland verzichtet, dann geschieht dies regelmäßig zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und in der Erwartung der Besteuerung der Einkünfte durch den anderen Vertragsstaat. Besteuert der andere Vertragsstaat die Einkünfte nur deshalb nicht, weil er von der Einkünfteerzielung keine Kenntnis erhält, so findet eine Ungleichbesteuerung statt, die sowohl die Steuergerechtigkeit berührt als auch wettbewerbsverzerrend wirken kann. Die deutsche Finanzverwaltung ist nicht zuletzt mit Rücksicht auf den Grundsatz der Besteuerung eines jeden nach seiner Leistungsfähigkeit gehalten, Kontrollmitteilungen ins Ausland zu versenden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Versendung ohne besonderen Aufwand möglich ist und höhere Interessen der Steuerpflichtigen nicht tangiert werden. Dem steht das Recht der Steuerpflichtigen auf informationelle Selbstbestimmung nicht entgegen. Es wird durch die bestehenden Gesetze eingeschränkt.
Fundstellen
Haufe-Index 65638 |
BFH/NV 1995, 41 |
BStBl II 1995, 358 |
BFHE 177, 25 |
BFHE 1996, 25 |
BB 1995, 918 (L) |
DB 1995, 1110 (LT) |
DStR 1995, 677 (K) |
DStZ 1995, 479 (KT) |
HFR 1995, 452-453 (LT) |
StE 1995, 292 (K) |