Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum Widerruf der Zurücknahme einer Beschwerde
Leitsatz (NV)
1. Die Rücknahme und der Widerruf der Rücknahme einer Beschwerde muß als Prozeßhandlung in gleicher Form ausgesprochen werden wie die Rücknahme einer Klage.
2. Prozeßhandlungen zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle liegen nicht vor, wenn ein Richter oder ein Beamter der Geschäftsstelle einen Aktenvermerk über eine ihm gegenüber telefonisch abgegebene Erklärung gefertigt hat.
3. Wurde die Beschwerde rechtswirksam zurückgenommen, so kann die Rücknahme nur widerrufen werden, wenn ein Wiederaufnahmegrund i. S. des § 134 FGO i. V. m. §§ 579, 580 ZPO vorliegt.
Normenkette
FGO §§ 129, 64, 72, 134; ZPO §§ 579-580
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) erließ einen Bescheid über den Lohnsteuer-Jahresausgleich 1984, in dem er Mehraufwendungen wegen doppelter Haushaltsführung nicht als Werbungskosten zum Abzug zuließ. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Während des Klageverfahrens teilte das FA mit Schreiben vom 7. Juli 1989 mit, daß es beabsichtige, die vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) geltend gemachten Aufwendungen wegen doppelter Haushaltsführung teilweise anzuerkennen.
Das FA wies zugleich darauf hin, daß es die Aufwendungen für Familienheimfahrten nach . . . nicht als Werbungskosten behandeln könne.
Mit Schreiben des Prozeßbevollmächtigten des Klägers vom 19. Juli 1989 erklärte dieser sich mit einer Erledigung des Verfahrens insoweit einverstanden, als das FA in seinem Schreiben vom 7. Juli 1989 eine Berücksichtigung der Aufwendungen in Aussicht gestellt hatte. Bezüglich der Familienheimfahrten nach . . . werde jedoch der Standpunkt aufrechterhalten, daß auch insoweit Werbungskosten vorlägen.
Am 7. November 1989 erschien der Kläger persönlich beim FA. In einer vom FA angefertigten Gesprächsnotiz über die Unterredung heißt es:
,,Herr . . . sprach vor und erklärte sich mit den vorgeschlagenen Änderungen laut Schreiben des Finanzamts an das Finanzgericht vom 7. Juli 1989 einverstanden. Hinsichtlich des Antrags auf Anerkennung der Aufwendungen für Familienheimfahrten nach . . . hat Herr . . . mitgeteilt, daß er diesen Antrag zurückzieht. Um das Verfahren zu beenden, erklärt er den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt."
Am 8. Dezember 1989 gab der Kläger persönlich auf der Geschäftsstelle des zuständigen Senats des Finanzgerichts (FG) laut Protokoll des Urkundsbeamten folgende Erklärung ab:,,Hiermit nehme ich die Klage gegen das Finanzamt . . . wegen Lohnsteuerjahresausgleich 1984 . . . zurück.
Die im Rahmen eines persönlichen Gesprächs beim Finanzamt . . . am 7. November 1989 (10.10 Uhr) abgegebene Erklärung, die Hauptsache für erledigt zu erklären, bezog sich lediglich inhaltlich auf die Behandlung der Aufwendungen für die geltend gemachten Familienfahrten. Das finanzgerichtliche Klageverfahren soll jedoch durch die heutige Klagerücknahme beendet werden."
Das FG erließ daraufhin am 20. Dezember 1989 den Beschluß, daß das Verfahren eingestellt wird.
Gegen diesen Einstellungsbeschluß legte der Prozeßbevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 22. Januar 1990 Beschwerde ein. Er bringt vor, der Kläger habe sich bei seiner Klagerücknahme von falschen Voraussetzungen leiten lassen und sich im Irrtum über die Folgen seiner Handlung befunden. Der Kläger sei Ausländer und der deutschen Sprache nicht mächtig. Er habe nur die mit Schriftsatz vom 19. Juli 1989 erklärte Hauptsacheerledigung bekräftigen wollen in der Hoffnung, schneller den Erstattungsbetrag zu erhalten.
Der Berichterstatter des FG teilte dem Prozeßbevollmächtigten mit Schreiben vom 16. Juli 1990 mit, daß es bei Rücknahme der Beschwerde bei der Einstellung des Verfahrens bleiben würde, das Gericht jedoch von der Erhebung von Gerichtskosten absehen könnte. Hierauf nahm der Bevollmächtigte mit Schriftsatz vom 28. Juli 1990 ,,unter dem Gesichtspunkt der finanziellen Bedeutung des Verfahrens und der nicht gerade üppigen Vermögenslage meines Mandanten . . . die mit Schreiben vom 22. Januar 1990 eingelegte Beschwerde . . . zurück". Dieses Schreiben ging beim FG am 31. Juli 1990 ein.
Nach Aktenvermerken der Geschäftsstelle und des Berichterstatters des FG vom gleichen Tage hat der Prozeßbevollmächtigte telefonisch ausgeführt, daß er die Beschwerde zwar zurückgenommen habe, nunmehr aber die Zurücknahme der Beschwerde rückgängig machen wolle.
Mit Schriftsatz vom 6. August 1990, beim FG eingegangen am 7. August 1990, führte der Prozeßbevollmächtigte unter Bezugnahme auf die Telefongespräche am 31. Juli 1990 aus, daß er hiermit die mit Schriftsatz vom 28. Juli 1990 ausgesprochene Rücknahme der Beschwerde vom 22. Januar 1990 widerrufe und zugleich den mit Schreiben vom 20. Juni 1990 gestellten Antrag wiederhole, das Verfahren in der Weise zu beenden, daß die Streitsache in der Hauptsache schon im November 1989 erledigt gewesen sei und die Klagerücknahme des Klägers vor dem FG somit ins Leere gehe bzw. gegenstandslos sei.
Entscheidungsgründe
Der Senat hat im Streitfall über die Frage zu befinden, ob der Prozeßbevollmächtigte des Klägers die von ihm mit Schriftsatz vom 22. Januar 1990 eingelegte Beschwerde mit Schriftsatz vom 28. Juli 1990 rechtswirksam zurückgenommen und er diese Rücknahme rechtswirksam widerrufen hat. Ist die Rücknahme rechtswirksam, ist für weitere Entscheidungen des Senats kein Raum. Er kann dann nicht darüber befinden, ob der Kläger zuvor durch seine persönliche Erklärung vor der Geschäftsstelle des FG am 8. Dezember 1989 die Klage gegen den Lohnsteuer-Jahresausgleichsbescheid 1984 rechtswirksam zurückgenommen hat.
Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers hat mit Schriftsatz vom 28. Juli 1990 die Beschwerde rechtswirksam zurückgenommen.
Da der Kläger ihm am 16. September 1988 im Finanzrechtsstreit gegen das FA wegen Lohnsteuer 1984 Vollmacht erteilt hatte, war der Prozeßbevollmächtigte berechtigt, für seinen Mandanten rechtswirksam Beschwerde einzulegen und diese ggf. zurückzunehmen. Der Bevollmächtigte hat mit Schreiben vom 28. Juli 1990 die von ihm eingelegte Beschwerde zurückgenommen. Diese Rücknahmeerklärung ist durch Eingang des Schriftsatzes beim FG am 31. Juli 1990 rechtswirksam geworden.
Es kann dahingestellt bleiben, ob der Prozeßbevollmächtigte am gleichen Tag, dem 31. Juli 1990, vor Eingang seines Schriftsatzes vom 28. Juli 1990 beim FG oder nachher der Geschäftsstelle und dem Berichterstatter des FG mitgeteilt hat, daß er die Rücknahme der Beschwerde wieder rückgängig machen wolle. Es kann ferner offenbleiben, ob hierin bereits eine entsprechende Widerrufserklärung zu erblicken ist. Hierauf kommt es im Streitfall nicht an, weil am 31. Juli 1990, dem Tag des Eingangs des Schriftsatzes vom 28. Juli 1990, durch den die Beschwerde zurückgenommen wurde, der Bevollmächtigte durch seine Telefongespräche die Rücknahme der Beschwerde nicht rechtswirksam hätte widerrufen können.
Ebenso wie die Einlegung der Beschwerde ist auch die Rücknahme dieses Rechtsmittels sowie der Widerruf einer solchen Rücknahme eine Prozeßhandlung. Als solche bedarf sie der gleichen Form wie z. B. die Rücknahme der Klage. Eine Klage muß entweder schriftlich zurückgenommen werden oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, in der mündlichen Verhandlung vor dem FG oder in einer Verhandlung vor dem Einzelrichter, die dem Protokollzwang unterliegt (d. h. im Erörterungstermin vor dem Berichterstatter oder bei einer Beweisaufnahme vor dem beauftragten oder ersuchten Richter) erklärt werden (vgl. Ziemer / Haarmann / Lohse / Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Tz. 8729 und 8730 und die dort jeweils erwähnte Rechtsprechung). Prozeßhandlungen zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle liegen nicht vor, wenn ein Richter oder anderer Angehöriger des Gerichts bloß einen Aktenvermerk über eine ihm gegenüber mündlich abgegebene Erklärung gefertigt hat (Ziemer / Haarmann / Lohse / Beermann, a. a. O., Tz. 8730, letzter Satz).
Entsprechend diesen Grundsätzen konnte die Rücknahme der Beschwerde durch die Telefonate des Prozeßbevollmächtigten am 31. Juli 1990 mit der Geschäftsstelle und dem Berichterstatter des FG nicht rechtswirksam vor Zugang des Schriftsatzes am 28. Juli 1990 widerrufen werden. Denn über seinen Anruf am 31. Juli 1990 liegen jeweils nur Aktenvermerke der Geschäftsstelle und des Berichterstatters des FG vor.
Wurde folglich durch Schriftsatz des Prozeßbevollmächtigten des Klägers vom 28. Juli 1990 die von ihm eingelegte Beschwerde mit Eingang beim FG am 31. Juli 1990 rechtswirksam zurückgenommen, so konnte diese Prozeßhandlung später nicht durch Schriftsatz des Prozeßbevollmächtigten vom 6. August 1990, beim FG eingegangen am 7. August 1990, rechtswirksam widerrufen werden. Eine solche Widerrufserklärung ist nicht anders zu behandeln als z. B. der Widerruf einer Klagerücknahme. Gemäß herrschender Meinung ist eine Klagerücknahme nach Eingang beim Gericht grundsätzlich unwiderruflich, es sei denn, daß ein Wiederaufnahmegrund i. S. der §§ 579 und 580 der Zivilprozeßordnung gegeben ist (vgl. Gräber / Koch, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 72 Anm. 19 und 20 sowie die dort erwähnte Rechtsprechung; Tipke / Kruse, Abgabenordnung / Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 13. Aufl., § 72 FGO Tz. 8). Da der Prozeßbevollmächtigte in seinem Schreiben vom 6. August 1990 keine derartigen Gründe für den Widerruf der Rücknahme seiner Beschwerde angegeben hat, ist der Widerruf unwirksam.
Fundstellen
Haufe-Index 417950 |
BFH/NV 1992, 49 |