Entscheidungsstichwort (Thema)
Aussetzung des Verfahrens
Leitsatz (NV)
Zu den Voraussetzungen für die Aussetzung des Verfahrens wegen Vorgreiflichkeit eines anderen Rechtsverhältnisses.
Normenkette
FGO § 74
Verfahrensgang
Tatbestand
Mit Bescheid vom 22. Januar 1986 setzte das damals zuständige Finanzamt (FA) X die Einkünfte der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) für das Streitjahr (1984) auf ... DM fest. Die Einkünfte waren wegen Nichtabgabe der Feststellungserklärung geschätzt worden. Mit dem Einspruch dagegen machte die Klägerin geltend, ihr sei aus ihrer Beteiligung an der C-GbR im Streitjahr ein Verlust in Höhe von ... DM entstanden. In der Einspruchsentscheidung des nunmehr zuständigen FA Y (Beklagter und Beschwerdeführer - FA -) vom 25. August 1989 wurden die Einkünfte auf 0 DM festgestellt. Dazu führte das FA aus, zwar sei nach Ergehen des Feststellungsbescheids vom 22. Januar 1986 im Feststellungsbescheid für die C-GbR vom 5. Mai 1986 ein Verlustanteil der Klägerin von ... DM festgestellt worden. Dieser Feststellungsbescheid sei jedoch durch Bescheid vom 10. April 1989 ersatzlos aufgehoben worden. Im Klageverfahren bestreitet die Klägerin die Wirksamkeit des Aufhebungsbescheids.
Mit der Aufhebung des Feststellungsbescheids für die C-GbR hatte es folgende Bewandtnis: Die C-GbR erklärte dem für sie zuständigen FA Z für 1984 einen Verlust aus Gewerbebetrieb von ... DM. Davon sollten auf die Klägerin ... DM entfallen. Das FA Z erließ am 5. Mai 1986 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) einen der Erklärung entsprechenden Feststellungsbescheid. Nach einer Betriebsprüfung bei der C-GbR hob das inzwischen auch für die GbR zuständig gewordene FA Y den Feststellungsbescheid mit dem Bescheid vom 10. April 1989 ersatzlos auf. Der Betriebsprüfer, dem das FA sich anschloß, war zu dem Ergebnis gelangt, die C-GbR habe 1984 keine gewerbliche Tätigkeit ausgeübt. Die Aufhebungsbescheide ergingen gegen die Gesellschafter der inzwischen aufgelösten GbR, und zwar gegen die Klägerin am 10. April 1989. Der namens und im Auftrag der Gesellschafter der C-GbR gegen den Aufhebungsbescheid erhobene Einspruch wurde durch Einspruchsentscheidung vom 8. Februar 1990 als unzulässig verworfen, da der Einspruch verspätet erhoben worden sei.
Mit dem angefochtenen Beschluß vom 26. November 1992 setzte das Finanzgericht (FG) das Verfahren bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über eine Feststellungsklage wegen einheitlicher und gesonderter Feststellung der Einkünfte 1984 der C-GbR gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung aus.
Dazu führte das FG aus, die Frage der Wirksamkeit der Aufhebung des Feststellungsbescheids 1984 vom 5. Mai 1986 sei für das vorliegende Verfahren über den Folgebescheid vorgreiflich. Durch die Aussetzung des Verfahrens erhalte die C-GbR Gelegenheit, die in ihrem Schreiben vom 21. Februar 1990 angekündigte Feststellungsklage zu erheben, um die behauptete Unwirksamkeit der Aufhebungsbescheide feststellen zu lassen.
Gegen diesen Aussetzungsbeschluß richten sich die Beschwerden der Klägerin und des FA.
Nach Auffassung des FA hätte das FG nach den Grundsätzen des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 23. Februar 1988 VII R 52/85 (BFHE 152, 317, BStBl II 1988, 500) vor Aussetzung des Verfahrens eine Frist zur Erhebung einer Feststellungsklage setzen müssen. Die Auffassung, die Aufhebung des Feststellungsbescheids sei nicht wirksam gewesen, hätte im Wege einer Anfechtungsklage gegen die Einspruchsentscheidung des FA vom 8. Februar 1990 weiterverfolgt werden müssen. Eine vom FG für vorgreiflich erachtete Feststellungsklage könne die versäumte Anfechtungsklage nicht ersetzen.
Die Klägerin ist der Auffassung, bei unterstellter Wirksamkeit der Aufhebung des Feststellungsbescheids sei lediglich rechtskräftig festgestellt, daß eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts zwischen den Beteiligten nicht anerkannt werde, mit der Folge, daß die steuerlichen Konsequenzen für jeden der Beteiligten ohne Bindungswirkung an einen Grundlagenbescheid selbständig zu ermitteln und steuerrechtlich zu beurteilen seien. Bei Unwirksamkeit des Aufhebungsbescheids des FA Y sei der zuvor durch das FA Z festgestellte Verlust gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 zu berücksichtigen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerden sind begründet.
Das FG kann gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) die Aussetzung des Verfahrens anordnen, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder teilweise vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsverhältnisses bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist. Im Streitfall hat das FG die Aussetzung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über eine Feststellungsklage wegen der Gewinnfeststellung der C-GbR beschlossen. Dieser Beschluß kann keinen Bestand haben. Nach dem Wortlaut des § 74 FGO muß der Rechtsstreit um das vorgreifliche Rechtsverhältnis bei dem anderen Gericht bereits anhängig sein. Die angekündigte Feststellungsklage ist jedoch bisher nicht erhoben worden. Darüber hinaus kann dem in Frage kommenden Beteiligten jedoch unter Fristsetzung aufgegeben werden, den Rechtsstreit bei dem anderen Gericht anhängig zu machen (vgl. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 74 Rz. 5). Kommt der Beteiligte dieser Aufforderung nach, kann bzw. muß das Verfahren ausgesetzt werden (vgl. BFH-Entscheidungen vom 6. August 1985 VII B 3/85, BFHE 144, 207, BStBl II 1985, 672; in BFHE 152, 317, BStBl II 1988, 500). Anderenfalls ist die Aussetzung des Verfahrens unzulässig und das Gericht muß über die Vorfrage selbst entscheiden (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O.). Das FG hätte daher das Verfahren allenfalls dann aussetzen dürfen, wenn die Klägerin einer befristeten Aufforderung des FG, die angekündigte Feststellungsklage anhängig zu machen, nachgekommen wäre. Da dies nicht geschehen ist, kann dahinstehen, ob aufgrund einer Feststellungsklage die Unwirksamkeit des Aufhebungsbescheids festgestellt werden könnte oder ob dem entgegenstehen würde, daß gegen die Einspruchsentscheidung, mit der der Einspruch gegen den Aufhebungsbescheid als unzulässig verworfen wurde, keine Anfechtungsklage erhoben wurde.
Der Aussetzungsbeschluß mußte daher aufgehoben werden.
Eine Kostenentscheidung erübrigt sich (vgl. BFH-Beschlüsse vom 4. August 1988 VIII B 83/87, BFHE 154, 15, BStBl II 1988, 947; vom 9. April 1991 VII B 217/90, BFH/NV 1992, 136).
Fundstellen
Haufe-Index 419693 |
BFH/NV 1994, 724 |