Leitsatz (amtlich)
1. Vollstreckungsmaßnahmen können Gegenstand von Anträgen auf Aussetzung der Vollziehung (§ 69 FGO) sein, wenn sie selbständig mit Rechtsbehelfen angefochten sind.
2. Die Vollziehung einer bereits vollzogenen Vollstreckungsmaßnahme kann nicht gemäß § 69 Abs. 3 Satz 4 FGO aufgehoben werden, wenn dadurch die Entscheidung in der Hauptsache ins Leere ginge.
Normenkette
FGO § 69 Abs. 3 S. 4
Tatbestand
In dem beim erkennenden Senat anhängigen Hauptsacheveriahren geht es u. a. um die Rechtmäßigkeit der Pfändungsverfügung vom 20. Oktober 1975, mit der der Antragsgegner (FA) die Forderung der Antragstellerin gegen die Bank N gepfändet und den gepfändeten Betrag nach mehrmaliger Aussetzung der Einziehung sich im Februar 1976 von der Bank überweisen lassen hat. Die Antragstellerin macht insbesondere geltend, daß der der Pfändung zugrunde liegende vorläufige Haftungsbescheid nicht ordnungsgemäß zugestellt, ein Leistungsgebot daher nicht ergangen, mindestens aber die Wochenfrist des § 326 Abs. 3 Satz 1 AO nicht eingehalten und die Pfändungsverfügung unter Verletzung des nur der Finanzkasse, nicht aber der Vollstreckungsstelle zustehenden Ermessens ohne vorherige Mahnung ergangen seien. Diese sei daher unheilbar nichtig und - auch aus anderen Gründen - aufzuheben. Wegen des umfangreichen Vorbringens der Antragstellerin im einzelnen wird auf den Inhalt ihrer Schriftsätze verwiesen.
Im Verfahren vor dem FG hat die Antragstellerin einen Beschluß des FG erwirkt, daß die Vollziehung der Pfändungsverfügung in der Weise bis zum 30. April 1976 auszusetzen sei, daß der eingezogene Betrag nicht als schuldtilgend zu vereinnahmen sei. Mit Urteil vom 10. Juni 1976 hat das FG der Klage in einem anderen Punkt stattgegeben, sie aber hinsichtlich der Aufhebung der Pfändungsverfügung abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat die Antragstellerin, soweit ihre Klage abgewiesen worden ist, Revision eingelegt, über die noch nicht entschieden ist.
Die Antragstellerin beantragt, die Vollziehung der Pfändungsverfügung bis zur Entscheidung in der Hauptsache auszusetzen.
Das FA beantragt, den Antrag zurückzuweisen, ggf. die Aussetzung der Vollziehung gegen ausreichende Sicherheitsleistung zu gewähren.
Das FA trägt vor, daß auf Grund des Beschlusses des FG der Betrag nicht schuldtilgend vereinnahmt, sondern auf Verwahrung verbucht worden sei. Daran habe sich nach dem 30. April 1976 nichts geändert, da es (FA) von seinen Rechten aus der Pfändungsverfügung vor Rechtskraft der Entscheidung des FG in vollem Umfang nicht Gebrauch machen wolle. Die aus freien Stücken weiter gewährte Aussetzung habe es auch nicht widerrufen, wie dies sonst geboten gewesen wäre. Es sichere jedoch der Antragstellerin klarstellend nochmals zu, daß es den genannten Betrag vor der Entscheidung des BFH in der Hauptsache nicht aus der Verwahrung herausnehmen und schuldtilgend verbuchen werde. Der Antrag der Antragstellerin sei daher mangels eines Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Begehre sie jedoch entgegen dem Wortlaut ihres Antrags die Rückzahlung des Betrages und damit in Wahrheit die Aufhebung der Vollziehung, so lägen insoweit nicht die Voraussetzungen des § 69 Abs. 3 Satz 4 FGO vor.
Entscheidungsgründe
Der Antrag der Antragstellerin ist, soweit er sich auf Aussetzung der Vollziehung richtet, nicht zulässig.
Gegenstand von Anträgen gemäß § 69 FGO können auch Vollstreckungsmaßnahmen sein, wenn sie selbständiger Gegenstand von Klageverfahren sind (vgl. auch BFH-Beschluß vom 12. August 1966 IV B 6/66, BFHE 86, 544, BStBl III 1966, 596). Voraussetzung ist, daß die Vollstreckungsmaßnahme selbst noch vollziehbar ist und für eine vorläufige Aussetzung der Vollziehung ein Rechtsschutzbedürfnis vorhanden ist. Die Pfändung einer Forderung wird zwar dadurch bewirkt, daß die Pfändungsverfügung dem Drittschuldner zugestellt ist (§ 361 Satz 3 AO). Sie ist aber noch solange vollziehbar, als die Vollstreckung aus ihr noch nicht beendet ist. In der Regel wird die Forderungspfändung dadurch beendet, daß der Drittschuldner an den Gläubiger den Betrag der gepfändeten Forderung bezahlt (siehe Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, vor § 259 AO 1977 Anm. 13).
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Vollstreckung hier deshalb noch nicht beendet ist, weil der von der Bank N überwiesene Betrag auf Grund des Aussetzungsbeschlusses des FG vom 31. März 1976 mit der Auflage von der Finanzkasse in Verwahrung genommen worden ist, daß er nicht als schuldtilgend zu vereinnahmen ist. Denn jedenfalls ist hier ein Rechtsschutzinteresse an einer Aussetzung der Vollziehung entfallen. Die Vollziehung war vom FG zwar nur bis zum 30. April 1976 in dieser Weise ausgesetzt worden. Wie das FA aber unwidersprochen vorträgt, ist es dabei auch nach Ablauf des 30. April 1976 verblieben. Ausdrücklich hat das FA mit Schriftsatz vom 26. Januar 1977 in diesem Verfahren der Antragstellerin nochmals zugesichert, daß es den verwahrten Betrag vor Entscheidung in der Hauptsache durch den BFH nicht aus der Verwahrung herausnehmen und schuldtilgend verbuchen werde.
Muß die Antragstellerin, wie im Streitfall, nicht mit einer weiteren Vollstreckung rechnen, so besteht für einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung kein berechtigtes Interesse an einem vorläufigen Rechtsschutz (vgl. auch BFH-Beschluß vom 28. März 1968 V B 32/67, BFHE 92, 164, BStBl II 1968, 470; Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Koblenz vom 4. Januar 1961 I B 27/60, NJW 1961, 1597). Die von einem Rechtsanwalt vertretene Antragstellerin hat auf die entsprechenden Ausführungen des FA über die Zusicherung der weiteren Vollstreckungsaussetzung aus freien Stücken nicht reagiert. Da das FA diese Zusicherung nicht unter dem Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs dem Gericht gegenüber abgegeben hat, ist dem Anliegen der Antragstellerin auch insoweit genügt, als sie vor einer weiteren Vollstreckung unabhängig vom Standpunkt des FA geschützt sein wollte (vgl. BFH-Beschluß vom 10. März 1970 II S 39/68, BFHE 98, 330, BStBl II 1970, 385, für den Fall einer Hauptsacheerledigung durch Aussetzung der Vollziehung seitens des FA während des gerichtlichen Verfahrens der Aussetzung der Vollziehung). Denn in diesem Falle hat sich das FA auch gegenüber dem Gericht verpflichtet, die Vollstreckung bis zur Entscheidung des Gerichts nicht weiter durchzuführen.
Schließlich ist auch weder aus dem Wortlaut des Antrags der Antragstellerin noch aus den in Verbindung mit der Hauptsache eingereichten Schriftsätzen ersichtlich, daß die Antragstellerin auch die Aufhebung der Vollziehung nach § 69 Abs. 3 Satz 4 FGO begehrt. Ein solcher Antrag, wenn man ihn als gestellt ansähe, würde schon deswegen keinen Erfolg haben können, weil damit ein über den nach § 69 FGO möglichen Rechtsschutz hinausgehendes Ergebnis angestrebt würde. Die Aufhebung der Pfändungsverfügung ist selbst Gegenstand des Hauptsacheverfahrens. Die Wirkung der Aussetzung der Vollziehung darf nicht weitergehen als ein etwaiger Suspensiveffekt der Klage selbst. Denn sie geht von dem Weiterbestehen des angegriffenen Verwaltungsakts bis zur Entscheidung in der Hauptsache aus und führt nur zur vorläufigen Aufhebung seiner Wirkung (siehe Hübschmann-Hepp-Spitaler, a. a. O., § 69 FGO Anm. 9). Würde die Pfändungsverfügung bereits im Verfahren der Aussetzung der Vollziehung aufgehoben, so würde das FA damit endgültig den durch die Pfändung der Forderung erhaltenen Rang verlieren.
Fundstellen
Haufe-Index 72516 |
BStBl II 1978, 69 |
BFHE 1978, 427 |