Entscheidungsstichwort (Thema)
Statthaftigkeit der Beschwerde gegen Verwerfung eines Antrags auf Tatbestandsberichtigung als unzulässig; Fristbeginn bei Ersatzzustellung eines Urteils
Leitsatz (NV)
1. Ein finanzgerichtlicher Beschluss, durch den ein Antrag auf Tatbestandsberichtigung oder auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist für einen Antrag auf Tatbestandsberichtigung als unzulässig verworfen wurde, ist mit der Beschwerde anfechtbar.
2. An die Zustellung eines Urteils anknüpfende Fristen beginnen auch bei einer Ersatzzustellung zu laufen.
Normenkette
FGO §§ 53-54, 56, 108, 128 Abs. 1; ZPO §§ 166, 168 Abs. 1, §§ 176, 180, 182, 222 Abs. 1, § 418; BGB §§ 187-188
Verfahrensgang
Gründe
Rz. 1
Die Beschwerde des Klägers, Antragstellers und Beschwerdeführers (Kläger) gegen den Beschluss des Finanzgerichts (FG) vom 4. Juni 2012 3 K 232/11 ist entgegen der diesem Beschluss beigefügten Rechtsmittelbelehrung zwar zulässig, aber unbegründet.
Rz. 2
1. Der Zulässigkeit der Beschwerde (§ 128 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) steht § 108 Abs. 2 Satz 2 FGO nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift ist zwar der finanzgerichtliche Beschluss über einen Antrag auf Tatbestandsberichtigung unanfechtbar. Dies betrifft aber nicht den Fall, dass der Antrag als unzulässig verworfen wurde (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 5. September 2001 XI B 42/01, BFH/NV 2002, 207, und vom 15. Dezember 2010 V B 149/09, BFH/NV 2011, 621). Der Beschluss, mit dem ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 FGO wegen Versäumung der in § 108 Abs. 1 FGO für den Antrag auf Berichtigung des Tatbestands eines finanzgerichtlichen Urteils bestimmten Frist von zwei Wochen nach Zustellung des Urteils als unzulässig abgelehnt wurde, kann ebenfalls mit der Beschwerde angefochten werden. Gegen die Entscheidung, mit der ein Antrag auf Wiedereinsetzung abgelehnt wird, ist der gleiche Rechtsbehelf statthaft, der gegen die Entscheidung über die nachgeholte Handlung statthaft (gewesen) wäre (§ 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 238 Abs. 2 Satz 1 der Zivilprozessordnung --ZPO--; Brandis in Tipke/ Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 56 FGO Rz 29).
Rz. 3
Die Zulässigkeit der Beschwerde wird auch nicht durch § 56 Abs. 5 FGO ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift ist nur die vom FG gewährte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unanfechtbar, nicht aber deren Ablehnung (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 17. Oktober 2007 I R 31/06, BFH/NV 2008, 796).
Rz. 4
2. Die Beschwerde ist unbegründet.
Rz. 5
a) Der Wiedereinsetzungsantrag ist allerdings entgegen der Ansicht des FG nicht deshalb unzulässig, weil das FG bereits vor dessen Einreichung den Antrag des Klägers auf Tatbestandsberichtigung wegen Versäumung der Antragsfrist von zwei Wochen ab Urteilszustellung als unzulässig verworfen hatte. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 Abs. 1 FGO ist unter den gesetzlichen Voraussetzungen auch dann noch möglich, wenn ein Rechtsmittel oder ein Antrag bereits als unzulässig verworfen worden ist (BFH-Beschluss vom 23. August 2000 III S 9/00, BFH/NV 2001, 63).
Rz. 6
b) Die in § 56 Abs. 1 und 2 FGO bestimmten Voraussetzungen für die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sind nicht erfüllt.
Rz. 7
aa) Das Urteil des FG vom 9. Februar 2012 wurde dem Kläger ausweislich der bei den Akten befindlichen Postzustellungsurkunde gemäß § 53 Abs. 1 und 2 FGO i.V.m. §§ 166, 168 Abs. 1 Sätze 2 und 3, §§ 176, 180 und 182 ZPO im Wege der Ersatzzustellung am 25. April 2012 durch Einlegen in den zum Geschäftsraum des Klägers, eines Wirtschaftsprüfers und Steuerberaters, gehörenden Briefkasten zugestellt. Den Tag der Zustellung hat der Postbedienstete nach Tz. 13 der Postzustellungsurkunde wie in § 180 Satz 3 und § 182 Abs. 2 Nr. 6 ZPO vorgeschrieben auf dem Umschlag des Schriftstücks vermerkt. Mit der Einlegung in den Briefkasten gilt das Urteil gemäß § 180 Satz 2 ZPO als zugestellt. Die Zustellungsurkunde begründet als öffentliche Urkunde nach § 182 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 418 Abs. 1 ZPO den vollen Beweis der von ihr bezeugten Tatsachen (BFH-Beschluss vom 14. Februar 2007 XI B 108/05, BFH/NV 2007, 1158). Den nach § 418 Abs. 2 ZPO möglichen Gegenbeweis hat der Kläger nicht geführt. Er hat vielmehr selbst vorgetragen, das Urteil erhalten zu haben.
Rz. 8
bb) Die in § 108 Abs. 1 FGO für den Antrag auf Berichtigung des Tatbestands eines Urteils bestimmte Frist von zwei Wochen begann somit am 25. April 2012 (§ 54 Abs. 1 FGO) und endete nach § 54 Abs. 2 FGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO und § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 Alternative 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs mit Ablauf des 9. Mai 2012. Da der Kläger das Urteil nach seinen Angaben am 8. Mai 2012 zur Kenntnis genommen hat, ist das durch seine Abwesenheit bedingte Hindernis für den Antrag auf Tatbestandsberichtigung somit noch innerhalb der Zweiwochenfrist weggefallen.
Rz. 9
cc) Auch wenn man entsprechend der Hilfsbegründung im Beschluss des FG unter B.II.4. davon ausgeht, dass der Kläger wegen des von ihm vorgetragenen Auswärtstermins am 10. Mai 2012 ohne Verschulden verhindert war, den Antrag auf Tatbestandsberichtigung bis zum 9. Mai 2012 zu stellen, ergeben sich aus dem Vorbringen des Klägers keine Anhaltspunkte dafür, dass die in § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO für den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bestimmte Frist von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses beim Eingang des Antrags auf Wiedereinsetzung beim FG am 1. Juni 2012 noch nicht abgelaufen oder der Kläger ohne Verschulden an der Einhaltung dieser Frist gehindert gewesen sein könnte.
Rz. 10
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO. Anders als für das zur jeweiligen Instanz gehörende Berichtigungsverfahren selbst besteht für das erfolglos gebliebene Beschwerdeverfahren keine Kostenfreiheit (BFH-Beschlüsse vom 19. November 2003 I B 47/03, BFH/NV 2004, 515, und vom 15. Mai 2006 VII B 70/06, BFH/NV 2006, 1678).
Fundstellen
Haufe-Index 3447779 |
BFH/NV 2012, 2003 |