Entscheidungsstichwort (Thema)
Maßgebende Sach- und Rechtslage bei Entscheidungü ber PKH-Antrag
Leitsatz (NV)
1. Für die Beurteilung der Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung kommt es grundsätzlich auf die Verhältnisse und den Kenntnisstand im Zeitpunkt der Entscheidung über den PKH-Antrag an.
2. Reicht der Antragsteller die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vollständig erst nach einer durchgeführten Beweisaufnahme ein, kann das FG die durch die Beweiserhebung gewonnenen Erkenntnisse bei der Entscheidung über den PKH-Antrag berücksich tigen.
3. Verzögert das FG die Entscheidung über den PKH-Antrag, so ist dies allenfalls dann rechtserheblich, wenn der späte Entscheidungszeitpunkt ursächlich dafür ist, daß die Erfolgsaussichten der Klage wegen einer inzwischen eingetretenen Änderung der Sachlage anders zu beurteilen sind als dies im Zeitpunkt der Entscheidungsreife der Fall gewesen wäre (vgl. BFH-Beschluß vom 8. August 1995 VII B 52/95, BFH/NV 1996, 66).
4. Eine sog. tatsächliche Verständigung ist bindend, wenn die Beteiligten des Steuerrechtsverhältnisses ihren Willen eindeutig und klar dahin geäußert haben, Ungenauigkeiten und Unsicherheiten hinsichtlich bestimmter Sachverhaltsmerkmale zu beseitigen.
Normenkette
FGO § 142 Abs. 1; ZPO § 114; AO 1977 §§ 38, 162
Tatbestand
Die Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) sind Eheleute, die zur Einkommensteuer zusammen veranlagt werden.
In dem seit September 1987 beim Finanzgericht (FG) anhängigen Klageverfahren ist streitig, ob der Beklagte und Antragsgegner (das Finanzamt -- FA --) Besteuerungsgrundlagen bei vom Antragsteller betriebenen Diskotheken zutreffend geschätzt hat. Die in den Jahren 1984/85 durchgeführte Außenprüfung wurde durch die Schlußbesprechung vom 18. März 1986 abgeschlossen, bei der ausweislich des Prüfungsberichts das FA "die Einwendungen von Seiten der Firma ... insoweit anerkannt" hat, als die Rohgewinnaufschläge mit 450 v. H. bzw. -- im Jahr 1981 -- mit 350 v. H. angesetzt wurden. Die auf dieser Grundlage ergangenen geänderten bzw. erstmaligen Steuerbescheide (Einkommensteuer 1979 bis 1982, Gewerbesteuermeßbetrag 1979 und 1980 sowie Umsatzsteuer 1979 bis 1982) haben die bzw. der Antragsteller u. a. mit der Begründung angefochten, die Aufschläge auf den Rohgewinn seien zu hoch und der Eigenverbrauch zu niedrig bemessen worden. Demgegenüber beruft sich das FA auf die Bindungswirkung einer in der Schlußbesprechung getroffenen tatsächlichen Verständigung. In Ausführung des Beschlusses vom 16. Februar 1993 hat das FG am 25. März, 3. Juni und 9. September 1993 über die Frage Beweis erhoben, ob hinsichtlich der Höhe der Rohgewinnaufschläge in der Schlußbesprechung vom 18. März 1986 eine tatsächliche Verständigung erzielt worden ist.
Der Antragsteller hat mit Schreiben vom 17. August 1993 Prozeßkostenhilfe (PKH) beantragt. Die am 26. August 1993 eingereichte Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse hat er auf eine diesbezügliche Aufforderung des Gerichts vom 7./22. September 1993 mit einem am 11. Oktober 1993 beim FG eingegangenen Schreiben vom 6. Oktober 1993 vervollständigt.
Das FG hat den Antrag auf Gewährung von PKH mit gegenüber den Ehegatten ergangenem Beschluß vom 20. Juni 1996 abgelehnt und zur Begründung ausgeführt: Ein wirksamer Antrag auf PKH sei erst am 11. Oktober 1993 gestellt worden. Für die Beurteilung der Erfolgsaussichten der Klagen sei dieser Zeitpunkt maßgebend. In materiell rechtlicher Hinsicht sei "in erster Linie" entscheidend, daß sich die Beteiligten bei der Schlußbesprechung über die Höhe der Aufschlagsätze -- und zwar nicht nur hinsichtlich des Wareneinsatzes von Getränken -- tatsächlich verständigt hätten. Dies ergebe sich aus dem Inhalt der Akten und werde durch das Ergebnis der zwischenzeitlich durchgeführten Beweisaufnahme bestätigt. Wenn das Strafurteil des Land gerichts A von niedrigen Aufschlagsätzen und einem Eigenverbrauch von 10 000 DM ausgehe, so sei dies nicht nachvollziehbar.
Mit der Beschwerde tragen die Antragsteller vor: Sie hätten bereits im August 1993 den Antrag auf Gewährung von PKH gestellt. Der ablehnende Beschluß des FG sei drei Jahre später ergangen, obwohl sich bereits aufgrund einer summarischen Prüfung durch das Gericht die Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung herausgestellt habe. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Erfolgsaussichten sei der 17. August 1993. Zu diesem Zeitpunkt hätten dem Gericht sämtliche Angaben über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegen. Erst nach Stellung dieses Antrags seien fünf Zeugen zum Zustandekommen einer tatsächlichen Verständigung vernommen worden. Immerhin habe der Zeuge Rechtsanwalt Dr. B, der damals für sie die Verhandlungen geführt habe, bekundet, daß nach seinem Verständnis keine tatsächliche Verständigung getroffen worden sei. Dem als Zeugen vernommenen Steuerfahnder C sei der Rechtsbegriff der tatsächlichen Verhandlung nicht bekannt gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist im wesentlichen unbegründet und daher zurückzuweisen.
1. Das FG ist zwar zutreffend davon ausgegangen, daß sich der vom Antragsteller im eigenen Namen gestellte Antrag auf Gewährung von PKH auch auf die Antragstellerin bezieht, soweit diese Klage erhoben hat. Letzteres trifft aber nur für die strittige Einkommensteuer, nicht jedoch für die Verfahren wegen Gewerbesteuermeßbetrags und der Umsatzsteuer zu. Der angefochtene Beschluß kann daher keinen Bestand haben, soweit er gegenüber der Antragstellerin hinsichtlich der letztgenannten Steuern ergangen ist.
2. Zu Recht konnte das FG bei der Beurteilung der Erfolgsaussichten der Klage (§ 142 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO -- i. V. m. § 114 der Zivilprozeßordnung -- ZPO --) das Ergebnis der im Jahre 1993 durchgeführten Beweisaufnahme berücksichtigen.
Zwar wirkt die Bewilligung von PKH in der Regel auf den Zeitpunkt der Antragstellung zurück. Für die Beurteilung der Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung kommt es indes auf die Verhältnisse und den Kenntnisstand im Zeitpunkt der Entscheidung über den PKH-Antrag an (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 6. November 1991 VII B 207/91, BFH/NV 1992, 489; vom 8. August 1995 VII B 42/95, BFH/NV 1996, 66 unter 3.). Der Beschluß in BFH/NV 1996, 66 hat offengelassen, ob im Falle einer Verzögerung der Entscheidung über das PKH-Gesuch durch das Gericht für die Prüfung der Erfolgsaussicht die Sach- und Rechtslage maßgeblich ist, wie sie zum Zeitpunkt einer rechtzeitigen Entscheidung bei ordnungsgemäßem Verfahrensablauf bestanden hätte. Er werde die Auffassung vertreten, daß eine zwischenzeitliche Veränderung der Tatsachengrundlage nicht berücksichtigt werden dürfe, wenn die Entscheidung ohne schuldhaftes Versäumnis des Antragstellers unterblieben sei oder wenn das Gericht durch seine Verfahrensgestaltung einen Vertrauenstatbestand geschaffen habe.
Auch der erkennende Senat braucht die offen gelassene Frage nicht zu entscheiden. Denn die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse lag dem Gericht vollständig erst zu einem Zeitpunkt nach Abschluß der Beweisaufnahme vor. Die hierdurch gewonnenen Erkenntnisse konnte das FG mithin bei der Entscheidung über den PKH-Antrag berücksichtigen. Der Umstand, daß das FG die Entscheidung erst knapp drei Jahre später getroffen hat, ist im Streitfall nicht rechtserheblich, da der Beschluß nur solche Tatsachen verwertet, die zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife -- hier: dem Zeitpunkt einer rechtzeitigen Entscheidung bei ordnungsgemäßem Verfahrensablauf -- bekannt waren. Die Verzögerung der Entscheidung kann allenfalls dann rechtserheblich sein, wenn der späte Entscheidungszeitpunkt ursächlich dafür ist, daß die Erfolgsaussichten der Klage wegen einer inzwischen eingetretenen Änderung der Sachlage anders zu beurteilen sind als dies im Zeitpunkt der Entscheidungsreife der Fall gewesen wäre (vgl. Beschluß in BFH/NV 1996, 66, unter 3. b). An einer solchen Ursächlichkeit fehlt es hier.
3. Zu Recht konnte das FG die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung insofern verneinen, als nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme die Einwände der Antragsteller gegen das Vorliegen einer tatsächlichen Verständigung bei summarischer Beurteilung als wenig aussichtsreich erscheinen.
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist eine sog. tatsächliche Verständigung zwischen dem Steuerpflichtigen und der zuständigen Finanzbehörde in Fällen erschwerter Sachaufklärung, insbesondere in Schätzungsfällen, über die tatsächlichen Merkmale, die der Besteuerung zugrunde zu legen sind, grundsätzlich zulässig (grundlegend BFH-Urteil vom 11. Dezember 1984 VIII R 131/76, BFHE 142, 549, BStBl II 1985, 354; s. ferner BFH-Urteile vom 28. Juli 1993 XI R 68/92, BFH/NV 1994, 290; und vom 6. Juli 1995 IV R 30/93, BFHE 178, 176, 180, BStBl II 1995, 831). Sie ist auch dann zu beachten, wenn die maßgeblichen Erklärungen vor dem FA während der Schlußbesprechung nach einer Außenprüfung abgegeben werden (BFH- Urteil vom 6. Februar 1991 I R 13/86, BFHE 164, 168, BStBl II 1991, 673).
Entgegen der Auffassung der Antragsteller ist unerheblich, ob sich ihr damaliger Rechtsvertreter und/oder ein Beamter der Steuerfahndungsstelle über die rechtliche Bedeutung ihrer Erklärung im Unklaren waren oder ob sie die rechtliche Bedeutung der Übereinkunft falsch eingeschätzt haben. Eine unzutreffende rechtliche Eigenqualifikation des Gewollten kann -- wie auch sonst im Recht -- von den Gerichten korrigiert werden. Maßgebend ist hier in tatsächlicher Hinsicht, daß die Beteiligten, wie das FG angenommen hat, ihren Willen eindeutig und klar dahin geäußert haben, Ungenauigkeiten und Unsicherheiten hinsichtlich der Aufschläge auf den Rohgewinn mit dem Ziel zu beseitigen, einen aufgrund von Wahrscheinlichkeitserwägungen (vgl. zur Schätzung allgemein Senatsurteil vom 15. Februar 1989 X R 16/96, BFHE 156, 38, BStBl II 1989, 462) festzustellenden Sachverhalt möglichst wirklichkeitsnah zu erfassen (vgl. Urteil in BFHE 164, 168, BStBl II 1991, 673, unter 2. d). Diese Voraussetzung ist im Streitfall gegeben. Anhaltspunkte dafür, daß die formellen Voraussetzungen für die Rechtswirksamkeit einer tatsächlichen Verständigung nicht vorlägen, sind weder vorgetragen worden noch anderweitig ersichtlich. Die Antragsteller müssen sich daher nach dem Grundsatz von Treu und Glauben an der zulässigen und wirksamen Verständigung festhalten lassen.
Fundstellen
Haufe-Index 421851 |
BFH/NV 1997, 525 |