Entscheidungsstichwort (Thema)
(Kostentragung bei Erledigung der Hauptsache eines Streits wegen der Besteuerung des Existenzminimums - Besetzung der Richterbank in Beschlußsachen - Ruhen des Verfahrens - unrichtige Sachbehandlung)
Leitsatz (amtlich)
Haben die Beteiligten aufgrund der Entscheidung des BVerfG zu den Grundfreibeträgen (BVerfGE 87, 153, BStBl II 1993, 413) übereinstimmend den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt, sind die Kosten des erledigten Verfahrens dem Kläger aufzuerlegen, wenn diesem nach der Besteuerung im Streitjahr wenigstens ein Einkommen in Höhe des sozialhilferechtlichen Existenzminimums verblieben ist.
Orientierungssatz
1. Es ist verfassungsrechtlich nicht geboten, die Berichterstatter eines Senats des BFH für die einzelnen Beschlußsachen vor Beginn des Geschäftsjahres nach abstrakten generellen Regeln schriftlich in dem senatsinternen Mitwirkungsplan festzulegen (Anschluß an BFH-Beschluß vom 29.1.1992 VIII K 4/91). Die Auswahl des Berichterstatters durch den Senatsvorsitzenden darf demgemäß nur nicht willkürlich getroffen werden.
2. Die Durchführung eines finanzgerichtlichen Musterprozesses kann für das FG ein Grund für die Anordnung des Ruhens des Verfahrens sein. Dazu ist immer aber ein Antrag beider Seiten oder die Zustimmung der einen Seite zu einem Antrag der anderen Seite erforderlich.
3. Die Bestimmung des § 8 Abs.1 Satz 1 GKG, wonach Gerichtskosten nicht erhoben werden, die bei richtiger Sachbehandlung nicht entstanden wären, setzt kein Verschulden voraus. Es muß sich aber immer um eine unrichtige Sachbehandlung handeln.
Normenkette
FGO §§ 74, 138 Abs. 1, § 137 S. 2, § 155; ZPO § 251; GKG § 8 Abs. 1 S. 1; FGO § 10 Abs. 3; GG Art. 101 Abs. 1
Tatbestand
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erhob nach erfolglosem Vorverfahren Klage wegen Einkommensteuer 1987. Er hielt den im Einkommensteuertarif berücksichtigten Grundfreibetrag aus verfassungsrechtlichen Gründen für zu niedrig. Mit Schreiben vom 5. Februar 1990 beantragte er, das Verfahren ruhen zu lassen, bis über die damals beim erkennenden Senat anhängige Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts (FG) Köln vom 14. Juli 1988 5 K 424/88 (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1988, 581) entschieden sei.
Das FG wies die Klage ab und ließ die Revision nicht zu. Hiergegen legte der Kläger Nichtzulassungsbeschwerde ein. Er stützte die Nichtzulassungsbeschwerde auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache. Da die Grundfreibeträge unterhalb des sozialhilferechtlichen Existenzminimums lägen, sei deren Verfassungsmäßigkeit im Interesse einer Vielzahl von Steuerpflichtigen klärungsbedürftig.
Nach Bekanntwerden der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 25. September 1992 2 BvL 5,8,14/91 (BVerfGE 87, 153, BStBl II 1993, 413) zu den Grundfreibeträgen erklärten sowohl der Kläger als auch der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt.
Der Kläger beantragt, die Kosten des gesamten Verfahrens dem FA aufzuerlegen oder zumindest von der Erhebung von Gerichtskosten abzusehen. Zur Begründung macht er geltend, das FA hätte das Einspruchsverfahren und das FG das Klageverfahren bis zur Entscheidung des BVerfG über die Verfassungsmäßigkeit der Grundfreibeträge aussetzen müssen. Außerdem habe das BVerfG die Grundfreibeträge für die Vergangenheit für verfassungswidrig erklärt, so daß er --der Kläger-- die verfassungswidrige Praxis des Staates mit Recht angegriffen habe.
Das FA beantragt, die Kosten des Verfahrens dem Kläger aufzuerlegen.
Der Kläger erhebt Bedenken gegen die geschäftsplanmäßige Besetzung des Senats. Er macht geltend, der Senatsvorsitzende könne die Richterbank beeinflussen, indem er den Berichterstatter bestimme und damit in Beschlußverfahren zusammen mit diesem Berichterstatter die Mehrheit bilden könne. Darin liege eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter.
Entscheidungsgründe
1. Der Senat teilt diese Bedenken nicht. Er entscheidet daher im Streitfall in seiner geschäftsplanmäßigen Besetzung. Diese Besetzung verletzt entgegen der Auffassung des Klägers nicht dessen Recht auf den gesetzlichen Richter nach Art.101 Abs.1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG). Nach § 10 Abs.3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) entscheiden die Senate des Bundesfinanzhofs (BFH) regelmäßig in der Besetzung von fünf Richtern, bei Beschlüssen außerhalb der mündlichen Verhandlung --wie im vorliegenden Fall-- in der Besetzung von drei Richtern. Welche drei Richter jeweils an den Beschlüssen außerhalb der mündlichen Verhandlung mitwirken, ergibt sich aus dem senatsinternen Mitwirkungsplan. Danach entscheidet der Senat in der Besetzung des Vorsitzenden, des Berichterstatters und des Mitberichterstatters. Der Berichterstatter wird vom Vorsitzenden bestimmt. Nach dieser Regelung ist im Streitfall verfahren worden.
Sie entspricht den Anforderungen an den gesetzlichen Richter. Der VIII.Senat des BFH hat mit Beschluß vom 29. Januar 1992 VIII K 4/91 (BFHE 165, 569, BStBl II 1992, 252) eingehend begründet, daß es verfassungsrechtlich nicht geboten ist, die Berichterstatter für die einzelnen Beschlußsachen vor Beginn des Geschäftsjahres nach abstrakten generellen Regeln schriftlich in dem senatsinternen Mitwirkungsplan festzulegen. Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an. Die Auswahl des Berichterstatters durch den Senatsvorsitzenden darf demgemäß nur nicht willkürlich getroffen werden, d.h. sie muß von sachgerechten Erwägungen (z.B. besondere Fachkompetenz des Richters für die zu entscheidenden Fragen, Vorbefassung des Richters mit gleichen oder ähnlichen Problemen, gleichmäßige Arbeitsbelastung der Senatsmitglieder im Interesse möglichst schneller Rechtsschutzgewährung usw.) getragen sein.
Im Streitfall gibt es keinerlei Anhaltspunkte für die Erwägung, die Auswahl des Berichterstatters könnte willkürlich erfolgt sein. Zum Berichterstatter ist nach der zwar nicht schriftlich, aber mündlich festgelegten Aufgabenverteilung im Senat der im Schwerpunkt für Verfahrensfragen einschließlich schwieriger Kostensachen zuständige Richter bestimmt worden. Die Auswahl des Berichterstatters entsprach daher der regelmäßig geübten senatsinternen Aufgabenverteilung.
Der Mitberichterstatter ergibt sich in der Regel aus der Endziffer der Geschäftsnummern des Senats. Abweichend davon kann nach dem senatsinternen Mitwirkungsplan der Senatsvorsitzende nach pflichtgemäßen Ermessen einen anderen Richter zum Mitberichterstatter bestimmen, wenn dieser als Mitberichterstatter mit einer Sache befaßt war oder ist, die mit der neuen Sache aus sachlichen Gründen zusammengehört (z.B. Parallelverfahren, ders. Rechtsmittelführer). Nach dieser Regelung ist im Streitfall derselbe Mitberichterstatter wie in der Sache III B 220/90 (dort nach der Endziffer der Geschäftsnummern zuständig) bestimmt worden, weil es sich in beiden Fällen um Parallelverfahren des Klägers (nur andere Streitjahre) handelt.
2. Die Hauptsache ist erledigt.
Da die Beteiligten übereinstimmend die Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist es unerheblich, ob sich der Rechtsstreit tatsächlich erledigt hat. Ohne Bedeutung für die Erledigung ist auch, daß die beiderseitigen Erledigungserklärungen im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren abgegeben worden sind. Der Senat hat ohne weitere Nachprüfung von der Erledigung der Hauptsache auszugehen (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3.Aufl., § 138 Rdnr.11 m.w.N.).
3. Folglich ist nur noch über die Kosten des erledigten Rechtsstreits zu entscheiden.
a) Gemäß § 138 Abs.1 FGO ist die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens nach billigem Ermessen zu treffen. Im Streitfall entspricht es billigem Ermessen, die Kosten des gesamten Verfahrens dem Kläger aufzuerlegen.
Bei der Entscheidung nach billigem Ermessen ist gemäß § 138 Abs.1 2.Halbsatz FGO der bisherige Sach- und Streitstand zu berücksichtigen. Nach dem bisherigen Sach- und Streitstand wäre der Kläger ohne die Erledigung des Rechtsstreits mit seiner Klage endgültig unterlegen. Das BVerfG hat in seiner Entscheidung in BVerfGE 87, 153, BStBl II 1993, 413 die Grundfreibeträge zwar ab 1978 für verfassungswidrig erklärt, Folgerungen daraus aber erst für die Veranlagungszeiträume ab 1993 für erforderlich gehalten. Bis 1992 sind die gesetzlichen Regelungen über die Grundfreibeträge unverändert weiter anzuwenden.
Die Geltung der Regelung über den Grundfreibetrag für das Streitjahr ist also (zuungunsten des Klägers) geklärt, so daß die vom Kläger eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde keinen Erfolg haben könnte. Aber auch wenn die Revision bereits zugelassen worden wäre, hätte diese und damit die Klage keinen Erfolg haben können, da die Herabsetzung der Steuer nur wegen des nach Auffassung des Klägers (aus verfassungsrechtlichen Gründen) zu niedrigen Grundfreibetrages begehrt worden ist und sonstige Gründe für die Rechtswidrigkeit des angegriffenen Steuerbescheids nicht ersichtlich sind.
b) Das BVerfG hat allerdings im Anschluß an seine Grundsatzentscheidung in BVerfGE 87, 153, BStBl II 1993, 413, die auf Vorlagebeschlüsse von FGen ergangen ist, bei ihm noch anhängige Verfassungsbeschwerden zu den Grundfreibeträgen zwar zurückgewiesen, die Kosten aber der öffentlichen Hand auferlegt (z.B. Beschluß des BVerfG vom 22.Dezember 1992 2 BvR 1265/90, Steuerrechtsprechung in Karteiform --StRK--, Einkommensteuergesetz 1975, Allg., Rechtsspruch 93). Diese Kostenentscheidung ist auf § 34a Abs.3 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) gestützt.
Nach dieser Bestimmung kann das BVerfG anordnen, daß dem Beschwerdeführer auch bei einer erfolglosen Verfassungsbeschwerde seine Auslagen zu erstatten sind. Im Verfassungsprozeßrecht muß demgemäß bei der Kostenentscheidung nicht der Erfolg der Verfassungsbeschwerde in den Vordergrund gestellt werden, sondern es kann die dem Prozeß zugrundeliegende materielle Rechtslage berücksichtigt werden.
Eine dem § 34a Abs.3 BVerfGG vergleichbare Vorschrift gibt es in der FGO nicht. Die Vorschriften der FGO orientieren sich vielmehr grundsätzlich streng am Erfolg oder am Mißerfolg eines Rechtsmittels. § 135 Abs.1 und Abs.2 FGO bestimmen deshalb grundsätzlich zwingend, daß die unterliegende Partei die Kosten des Verfahrens zu tragen hat und daß die Kosten eines erfolglosen Rechtsmittels dem Rechtsmittelführer aufzuerlegen sind. Welche Rechtslage zu der Erfolglosigkeit geführt hat, ist bedeutungslos. Aus diesem Grunde entspricht es auch in der Regel billigem Ermessen, daß bei einem erledigten Rechtsstreit derjenige Beteiligte die Kosten zu tragen hat, der nach dem bisherigen Sach- und Streitstand unterlegen wäre (BFH-Beschlüsse vom 31.August 1976 VII R 20/74, BFHE 119, 407, BStBl II 1976, 686; vom 16.Juli 1985 VII B 16/85, BFH/NV 1986, 349). Für Fälle, in denen verfassungsrechtliche Fragen streitig sind, gilt nichts anderes.
c) Der Senat hält es im Streitfall auch aus Gründen der Gleichbehandlung mit Steuerpflichtigen, die gleichgelagerte Verfahren wie der Kläger angestrengt haben, für geboten, im Rahmen der Billigkeitsabwägungen auf den bisherigen Sach- und Streitstand abzustellen. Denn dem Senat liegt eine Reihe von gleichgelagerten Verfahren vor, in denen das jeweils beklagte FA anders als das FA im Streitfall keine Erledigungserklärung abgegeben sondern der Erledigung der Hauptsache ausdrücklich widersprochen hat. In diesen Fällen hat sich weder die Hauptsache noch das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren erledigt, wie der Senat mit Beschluß vom 18. März 1994 III B 543/90 (BFHE 173, 506) entschieden hat. Das Hauptsacheverfahren und das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren sind in diesen Fällen durch die Entscheidung des BVerfG in BVerfGE 87, 153, BStBl II 1993, 413 endgültig unbegründet geworden. Sie sind aber nicht gegenstandslos geworden, wie es eine tatsächliche (unabhängig von beiderseitigen Erledigungserklärungen) eingetretene Erledigung der Hauptsache voraussetzen würde. Die Kläger unterliegen in diesen Fällen folglich, wenn nur der Grundfreibetrag streitig ist und sich das angegriffene Urteil des FG nicht aus anderen Gründen als rechtswidrig erweist. Dies hat für sie nach § 135 Abs.1 und Abs.2 FGO in der Regel die Auferlegung der Kosten zur Folge. Dann kann der Kläger im Streitfall aber nicht besser gestellt werden, nur weil hier das FA der Erledigung zugestimmt hat.
d) Unabhängig vom Sach- und Streitstand wären die Kosten nur dann dem FA aufzuerlegen, wenn dieses die Kosten des Klägers verschuldet hätte. Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, können diesem Beteiligten nämlich gemäß § 137 Satz 2 FGO auch dann auferlegt werden, wenn er obsiegt. Dies muß auch im Rahmen der Billigkeitsprüfung nach § 138 Abs.1 FGO berücksichtigt werden. Die Voraussetzungen des § 137 Satz 2 FGO sind im Streitfall jedoch nicht gegeben. Das FA trifft kein Verschulden, daß der Kläger Klage erhoben oder Nichtzulassungsbeschwerde gegen das klageabweisende Urteil des FG eingelegt hat und ihm dadurch Kosten entstanden sind.
aa) Es kann kein Verschulden des FA darin gesehen werden, daß das FA zur Verfassungsmäßigkeit der Grundfreibeträge eine andere Auffassung vertreten hat, als sie letztlich vom BVerfG für Recht erklärt worden ist. Das FA mußte das Gesetz befolgen und durfte daher nicht anders handeln.
bb) Entgegen der Auffassung des Klägers ist es dem FA ferner nicht als Verschulden zuzurechnen, daß das Verfahren nicht bis zur Entscheidung des BVerfG zu den Grundfreibeträgen ausgesetzt worden ist. Als der Kläger (mit Schriftsatz vom 5. Februar 1990) das Ruhen des Verfahrens beantragte, war die Einspruchsentscheidung bereits getroffen und Klage erhoben worden. Die Aussetzung des Verfahrens lag daher nicht mehr in der Hand des FA.
Das FA war auch nicht schon vor der Einspruchsentscheidung verpflichtet, das Verfahren auszusetzen. Nach der Rechtsprechung des BFH ist ein Verfahren unter bestimmten Voraussetzungen nur dann auszusetzen, wenn vor dem BVerfG ein Musterverfahren gegen eine im Streitfall anzuwendende Norm anhängig ist (s. u.a. Beschluß des erkennenden Senats vom 7. Februar 1992 III B 24,25/91, BFHE 166, 418, BStBl II 1992, 408). Diese Voraussetzung war im vorliegenden Streitfall jedenfalls bis zum Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung (24. Oktober 1989) noch nicht erfüllt. Die Vorlageverfahren zu den Grundfreibeträgen, auf die der Beschluß des BVerfG in BVerfGE 87, 153, BStBl II 1993, 413 ergangen ist, sind erst später anhängig geworden (s. die einzelnen Daten in dem Beschluß des erkennenden Senats in BFHE 166, 418, BStBl II 1992, 408). Ebenso ist das Urteil des erkennenden Senats vom 8. Juni 1990 III R 14-16/90 (BFHE 161, 109, BStBl II 1990, 969) zu den Grundfreibeträgen erst nach der Einspruchsentscheidung ergangen. Bis zur Einspruchsentscheidung konnte folglich auch noch keine Verfassungsbeschwerde gegen dieses Urteil anhängig sein. Der Kläger trägt demgemäß nur vor, daß er (in dem späteren Schreiben an das FG vom 5. Februar 1990) auf das beim erkennenden Senat anhängige Musterverfahren hingewiesen habe. Ein beim BFH anhängiges Musterverfahren ist aber kein Grund für eine Verfahrensaussetzung (s. u.a. Beschlüsse des erkennenden Senats vom 8. Juni 1990 III R 41/90, BFHE 161, 1, BStBl II 1990, 944, und in BFHE 166, 418, BStBl II 1992, 408).
cc) Da der Kläger seinen Antrag mit einem beim BFH anhängigen Musterverfahren begründet hat und bei Antragstellung auch noch kein Musterverfahren beim BVerfG anhängig war, kann weiter kein Verschulden des FA darin gesehen werden, daß es dem Ruhen des gerichtlichen Verfahrens nicht zugestimmt hat. Das FA war zu einer solchen Zustimmung nicht verpflichtet.
Nach dem über § 155 FGO anwendbaren § 251 der Zivilprozeßordnung (ZPO) hat das Gericht das Ruhen des Verfahrens anzuordnen, wenn beide Parteien dies beantragen und die Anordnung aus wichtigen Gründen zweckmäßig ist. Die Durchführung eines finanzgerichtlichen Musterprozesses (also gerade auch vor dem BFH) kann dabei für das FG ein Grund für die Anordnung des Ruhens des Verfahrens sein (Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 74 FGO Rdnr.5). Immer ist dazu aber ein Antrag beider Seiten oder die Zustimmung der einen Seite zu einem Antrag der anderen Seite erforderlich. Ob das FA einen solchen Antrag stellt oder einem Antrag des Klägers zustimmt, liegt in seinem Ermessen. Dieses Ermessen würde weitgehend gegenstandslos, wenn man bei Anhängigkeit eines Musterprozesses vor dem BFH stets eine Ermessensreduzierung auf Null und somit eine Pflicht des FA zur Zustimmung zum Ruhen des Verfahrens annehmen würde, obwohl eine auch ohne Zustimmung des FA mögliche Verfahrensaussetzung nicht geboten oder sogar nicht zulässig ist.
dd) Allerdings ist zu berücksichtigen, daß die Verfassungsmäßigkeit der Grundfreibeträge schon vor der Klärung durch das BVerfG deshalb als besonders zweifelhaft angesehen wurde, weil in Einzelfällen auch Steuerpflichtige der Besteuerung unterworfen wurden, denen nach der Besteuerung nicht einmal mehr ein Einkommen in Höhe des sozialhilferechtlichen Existenzminimums verblieb (vgl. Beschlüsse des erkennenden Senats vom 25. Juli 1991 III B 555/90, BFHE 164, 570, BStBl II 1991, 876, und vom 29. Oktober 1991 III B 83/91, BFH/NV 1992, 246). Aus diesem Grund hat das BVerfG die geltenden Grundfreibeträge auch für verfassungswidrig erklärt. Die Besteuerung des sozialhilferechtlichen Existenzminimums berührt einen besonders empfindlichen Bereich der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art.2 Abs.1 GG. Es spricht daher viel dafür, daß das FA in den Fällen, in denen dem Steuerpflichtigen nach der Besteuerung weniger als das sozialhilferechtliche Existenzminimum verblieben war, daran mitwirken mußte, weitere (zusätzliche) Rechtsmittelkosten nach Möglichkeit zu vermeiden.
Der Senat kann jedoch offen lassen, ob das FA in solchen Fällen einem Antrag des Steuerpflichtigen auf Ruhen des Verfahrens wegen eines Musterprozesses zustimmen mußte, um das Kostenrisiko des Steuerpflichtigen möglichst gering zu halten. Denn ein solcher Fall ist hier nicht gegeben.
Der Kläger, der lt. Steuererklärung alleinstehend ist, hat im Streitjahr (1987) bei einem steuerpflichtigen Einkommen in Höhe von 13 278 DM Einkommensteuer in Höhe von 1 912 DM gezahlt. Es verblieben ihm somit nach Steuerzahlung 11 366 DM. Das sozialhilferechtliche Existenzminimum betrug nach den vom BVerfG in seinem Beschluß in BVerfGE 87, 153, BStBl II 1993, 413 angeführten Tabellen bei großzügigster Berechnung (unter Einbeziehung eines Mehrbedarfs für Erwerbstätige) im Jahre 1986 11 040 DM und im Jahre 1988 11 563 DM. Geht man davon aus, daß das sozialhilferechtliche Existenzminimum (bei großzügigster Berechnung) für das Streitjahr (1987) irgendwo zwischen diesen beiden Beträgen lag, so ist bei dem dem Kläger verbliebenen Betrag von 11 366 DM durch die Besteuerung nicht (oder jedenfalls nicht wesentlich) in das sozialhilferechtliche Existenzminimum eingegriffen worden.
e) Im übrigen hat das BVerfG auch für die Zukunft eine gesetzliche Neuregelung nur insoweit angeordnet, als das sozialhilferechtliche Existenzminimum besteuert worden ist. Im Kern wäre der Streitfall daher vermutlich selbst dann nicht zugunsten des Klägers ausgegangen, wenn das BVerfG die Neuregelung rückwirkend statt nur für die Zukunft angeordnet hätte. Angesichts der Regelung, die der Gesetzgeber ab 1993 getroffen hat, wäre nämlich zu erwarten gewesen, daß der Gesetzgeber die rückwirkende Regelung auf die unbedingt notwendigen verfassungsrechtlichen Vorgaben beschränkt hätte. Diesen Gesichts punkt übersehen die vom Kläger vorgelegten Entscheidungen des Niedersächsischen FG vom 29. Dezember 1993 (Az. unbekannt) und des FG des Saarlandes vom 2. November 1992 1 K 331/92.
Allerdings sind nach der Entscheidung des BVerfG gleichheitswidrige Progressionssprünge zu vermeiden. Es wäre daher bei einer rückwirkenden Regelung nicht zulässig gewesen, Einkommen oberhalb des sozialhilferechtlichen Existenzminimums unabhängig davon, wie hoch sie darüber liegen, immer so zu besteuern, daß nicht mehr als das sozialhilferechtliche Existenzminimum verblieb. Bei der ab 1993 getroffenen Regelung haben folglich auch Steuerpflichtige Vorteile, deren steuerpflichtiges Einkommen bis zu einer bestimmten Grenze über dem sozialhilferechtlichen Existenzminimum liegt. Es ist deshalb nicht auszuschließen, daß der Kläger, dessen Besteuerung im Streitjahr in die Grenzzone des sozialhilferechtlichen Existenzminimums geriet, bei einer rückwirkenden (verfassungsgemäßen) Regelung geringere Steuern zu zahlen gehabt hätte, als sie in dem angegriffenen Bescheid festgesetzt worden sind. Die zur Vermeidung gleichheitswidriger Progressionssprünge oberhalb des sozialhilferechtlichen Existenzminimums geltenden Steuersätze hätte aber nur der Gesetzgeber bestimmen können. Ohne eine solche gesetzliche Regelung gibt es dafür im Rahmen der im Streitfall zu treffenden gerichtlichen Kostenentscheidung keine Maßstäbe. Da das BVerfG eine Neuregelung nur für die Zukunft aufgegeben hat, muß der Kläger es hinnehmen, daß er hinsichtlich der Kosten ganz unterliegt; in seinem Fall ist durch die Besteuerung nicht in sein sozialhilferechtliches Existenzminimum eingegriffen worden.
3. Eine Nichterhebung von Gerichtskosten nach § 8 Abs.1 Satz 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) scheidet ebenfalls aus. Diese Bestimmung, wonach Kosten nicht erhoben werden, die bei richtiger Sachbehandlung nicht entstanden wären, setzt zwar kein Verschulden voraus. Es muß sich aber immer um eine unrichtige Sachbehandlung handeln. In der Befolgung des Gesetzes durch das FA liegt nicht nur kein Verschulden, sondern auch keine unrichtige Sachbehandlung. Das gleiche gilt für die unterbliebene Zustimmung des FA zum Ruhen des Verfahrens. Selbst wenn man aber die Entscheidung des BVerfG in BVerfGE 87, 153, BStBl II 1993, 413 (nachträglich) zum Maßstab für die "richtige" Sachbehandlung nehmen würde, läge keine unrichtige Sachbehandlung durch das FA vor. In das sozialhilferechtliche Existenzminimum des Klägers ist nämlich durch die Besteuerung im Streitfall nicht eingegriffen worden.
Auch eine unrichtige Sachbehandlung durch das FG, die im Rahmen des § 8 GKG zu berücksichtigen wäre, ist nicht ersichtlich. Das FG mußte das Verfahren nicht im Hinblick auf die Entscheidung des erkennenden Senats in BFHE 166, 418, BStBl II 1992, 408 wegen Anhängigkeit eines Musterverfahrens vor dem BVerfG aussetzen. Die Vorlageverfahren, auf die der Beschluß des BVerfG in BVerfGE 87, 153, BStBl II 1993, 413 ergangen ist, sind nicht nur erst nach der Einspruchsentscheidung (s. oben), sondern auch erst nach dem angegriffenen Urteil des FG (vom 28. März 1990) beim BVerfG anhängig geworden. Auch das Urteil des erkennenden Senats in BFHE 161, 109, BStBl II 1990, 969 liegt zeitlich nach dem angegriffenen Urteil des FG. Bei Ergehen des FG-Urteils waren daher auch noch keine Verfassungsbeschwerden gegen die Rechtsprechung des erkennenden Senats zu den Grundfreibeträgen beim BVerfG anhängig. Anhängig war lediglich ein Musterverfahren beim BFH. Wie oben bereits ausgeführt worden ist, ist ein beim BFH anhängiges Musterverfahren aber kein Grund für die Aussetzung des Klageverfahrens (s. u.a. Beschlüsse des erkennenden Senats in BFHE 161, 1, BStBl II 1990, 944, und in BFHE 166, 418, BStBl II 1992, 408).
Fundstellen
Haufe-Index 65032 |
BFH/NV 1994, 51 |
BStBl II 1994, 522 |
BFHE 173, 498 |
BFHE 1994, 498 |
BB 1994, 1000 |
BB 1994, 1136-1138 (LT) |
DB 1994, 1172 (L) |
DStR 1994, 974 (KT) |
DStZ 1994, 504 (LT) |
HFR 1994, 477-478 (LT) |
StE 1994, 284 (K) |
StRK, R.121 (LT) |
FR 1994, 404 (K) |
KFR, 1/94, S 247-250 (H 9/1994) (LT) |
BRAK-Mitt 1994, 231 (L) |