Leitsatz (amtlich)
Die Vorschrift des § 39 Abs. 1 Nr. 1 FGO ist eine reine Zuständigkeitsnorm, zu deren Tatbestandsmerkmalen das Bestehen eines „an sich zuständigen Finanzgerichts” gehört. Sie ist nicht anwendbar in den Fällen mangelhafter Konstituierung eines Finanzgerichts.
Normenkette
FGO § 39 Abs. 1 Nr. 1
Tatbestand
Der Antragsteller (Steuerpflichtiger) hat beim FG München Klage gegen den Antragsgegner (FA) erhoben und die nicht ordnungsgemäße Konstituierung und Besetzung des FG gerügt. Mit Schriftsatz vom 10. Mai 1968 beantragte er, diese Rüge als Antrag nach § 39 Abs. 2 FGO in Verbindung mit § 39 Abs. 1 Nr. 1 FGO zu behandeln. Das FG hat diesen Antrag dem BFH zur Entscheidung vorgelegt.
Zur Begründung trägt der Steuerpflichtige vor, daß das FG als oberes Landesgericht gar nicht errichtet worden sei, daß die Richter am FG nicht ernannt worden seien und zudem nicht die Qualifikation der Richter eines oberen Landesgerichts besäßen. Wegen des Vorbringens des Steuerpflichtigen im einzelnen wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.
Das FA beantragt, den Antrag des Steuerpflichtigen als unzulässig abzuweisen. Es liege keine Verhinderung im Sinne von § 39 Abs. 1 Nr. 1 FGO vor, selbst wenn das FG nicht ordnungsgemäß errichtet und besetzt sei. Denn diese Vorschrift finde keine Anwendung, wenn geschlossene Gerichte nicht wiedereröffnet worden seien. Mangelnde Gerichtsorganisation könne nicht durch eine Entscheidung nach § 39 FGO geheilt werden (vgl. Baumbach-Lauterbach, Zivilprozeßordnung, 29. Auflage, Anm. 3 A zu § 36). Zudem diene der Antrag des Steuerpflichtigen der Verfahrensverschleppung und sei daher rechtsmißbräuchlich.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Der Antrag ist unzulässig.
Die Vorschrift des § 39 Abs. 1 Nr. 1 FGO ist eine reine Zuständigkeitsnorm. Ihre Anwendung setzt voraus, daß ein an sich zuständiges FG zwar besteht, aber im Einzelfall nicht tätig werden kann.
Daß diese Voraussetzungen vorliegen, hat der Steuerpflichtige nicht vorgetragen. Seine Rüge der nicht ordnungsgemäßen Konstituierung und Besetzung des Gerichts zeigt, daß er entweder der Auffassung ist, das FG bestehe entweder überhaupt nicht (mangelnde oder fehlerhafte Konstituierung), oder aber meint, es bestehe zwar, sei aber generell (aufgrund zu geringer rangmäßiger Einstufung oder fehlender Ernennung der Richter) nicht ordnungsgemäß besetzt.
Keine dieser beiden Möglichkeiten rechtfertigt den gestellten Antrag:
1. Besteht ein gesetzlich vorgesehenes Gericht nicht – wie dies bei nicht ordnungsmäßiger Konstituierung des Gerichts der Fall ist –, so ist das „an sich zuständige FG” im Sinne des § 39 Abs. 1 Nr. 1 FGO nicht vorhanden. Ein Fall der Verhinderung liegt nicht vor.
Eine analoge Anwendung des § 39 Abs. 1 Nr. 1 FGO auf den Fall des Fehlens eines gesetzlich vorgesehenen Gerichts (so Riezler in Süddeutsche Juristenzeitung 1947 S. 235) ist nicht möglich. Wohl bestehen gewisse Ähnlichkeiten zwischen dem in § 39 Abs. 1 Nr. 1 FGO geregelten Fall der Verhinderung und dem Fall des Fehlens eines gesetzlich vorgesehenen Gerichts. In beiden Fällen ist es dem Rechtsuchenden unmöglich, sein Recht gerichtlich geltend zu machen. Diese vom Standpunkt des Rechtsuchenden aus unterschiedlose Situation rechtfertigt indes nicht die analoge Anwendung des § 39 Abs. 1 Nr. 1 FGO auf den Fall des Fehlens eines gesetzlich vorgesehenen Gerichts; denn diese Vorschrift enthält eine auf Ausnahmefälle abgestimmte Regelung zur Ausfüllung von Zuständigkeitslücken, die nicht geeignet ist, Aufgaben der allgemeinen Gerichtsorganisation auf den BFH zu übertragen.
2. Auch eine möglicherweise nicht vorschriftsmäßige Besetzung des zuständigen FG rechtfertigt die Bestimmung der Zuständigkeit eines anderen FG durch den BFH nicht. Ist ein Gericht – etwa mangels geeigneter Richter – nicht selbst in der Lage, seine in einer Vielzahl von Fällen bestehende vorschriftswidrige Besetzung zu beseitigen, so ist es Sache des zuständigen Ministeriums, für die Möglichkeit einer vorschriftsmäßigen Besetzung dieses Gerichts Sorge zu tragen (vgl. Ziemer-Birkholz, Finanzgerichtsordnung, Anm. 6 zu § 39). Die Verweisung eines Rechtsstreits an ein anderes Gericht kann in Fällen dieser Art nicht in Betracht kommen.
Fundstellen
BStBl II 1968, 744 |
BFHE 1968, 214 |