Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an die schlüssige Darlegung von Verfahrensmängeln
Leitsatz (NV)
1. Die schlüssige Darlegung eines Verfahrensmangels (hier: eines Verstoßes gegen § 96 Abs. 1 FGO) setzt u.a. den Vortrag des Beschwerdeführers voraus, dass das angefochtene Urteil ‐ auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Auffassung des FG ‐ ohne den (vermeintlichen) Verfahrensverstoß möglicherweise anders ausgefallen wäre.
2. Bezieht sich der vom Beschwerdeführer gerügte Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 96 Abs. 2 FGO) nicht auf das Gesamtergebnis des Verfahrens, sondern nur mehr auf einzelne Feststellungen, muss der Beschwerdeführer u.a. vortragen, was er bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs noch zusätzlich vorgetragen hätte und dass bei Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens eine andere Entscheidung in der Sache möglich gewesen wäre.
3. Die Grundsätze der Beweiswürdigung sind dem materiellen Recht zuzuordnen und können daher die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensmangels nicht begründen.
4. Nach § 82 FGO i.V. mit § 391 ZPO ist ein Zeuge, vorbehaltlich der sich aus § 393 ZPO ergebenden Ausnahmen, zu beeidigen, wenn das Gericht dies mit Rücksicht auf die Bedeutung der Aussage oder zur Herbeiführung einer wahrheitsgemäßen Aussage für geboten erachtet und die Parteien auf die Beeidigung nicht verzichten. Auch wenn die Voraussetzungen dieser Vorschrift vorliegen, muss ein Zeuge nicht beeidigt werden. Bei der Frage, ob das Gericht die Beeidigung für geboten erachtet, handelt es sich um eine Ermessensentscheidung. Dies kann vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüft werden, ob das Gericht die Grenzen seines Ermessens verkannt oder missbräuchlich außer Acht gelassen hat.
5. Rügt der Beschwerdeführer, das FG habe Beweisanträge übergangen, so muss er nach ständiger Rechtsprechung u.a. schlüssig darlegen, inwiefern das angefochtene Urteil ‐ ausgehend von der materiell-rechtlichen Auffassung des FG ‐ auf der unterlassenen Beweisaufnahme beruhen könne und was das voraussichtliche Ergebnis der Beweisaufnahme gewesen wäre.
Normenkette
FGO § 76 Abs. 1, §§ 82, 96 Abs. 1-2, § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 116 Abs. 3 S. 3, § 142; ZPO §§ 114, 391
Verfahrensgang
FG Köln (Urteil vom 05.03.2004; Aktenzeichen 15 K 3279/01) |
Tatbestand
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage der Antragstellerin gegen die angefochtenen Gewerbesteuermessbescheide 1991 bis 1995 sowie Umsatz- und Gewinnfeststellungsbescheide 1992 bis 1995 als unbegründet abgewiesen. Gegen das FG-Urteil hat die Antragstellerin Nichtzulassungsbeschwerde erhoben und für dieses Verfahren Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt.
Entscheidungsgründe
Der Antrag auf PKH ist unbegründet.
1. Nach § 142 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 114 der Zivilprozessordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Die Rechtsverfolgung verspricht hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn für dessen Eintritt bei summarischer Prüfung eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht (vgl. z.B. Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 142 Rz. 11, m.w.N. aus der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs --BFH--).
2. Nach diesen Maßstäben kann der Antragstellerin PKH nicht bewilligt werden, weil die von ihr eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde bei der gebotenen summarischen Prüfung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Denn die Antragstellerin hat die von ihr im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren X B 46/04 vorgebrachten Revisionszulassungsgründe nicht in der nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO gebotenen Weise dargelegt.
a) Dies gilt zunächst für die gerügten Verfahrensmängel.
aa) Zu der Rüge, das FG habe gegen § 96 Abs. 1 FGO verstoßen (vgl. S. 3 ff., unter 1. der Beschwerdebegründungsschrift im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren X B 46/04), hat die Antragstellerin im Wesentlichen vorgetragen, dass das FG den von ihr getätigten Einlagen "lediglich (deren) für die steuerliche Gewinnermittlung ergebnisneutrale Eigenschaft bescheinigt (habe), dieser gewichtige Sachverhalt aber in die nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens zu gewinnende Überzeugungsbildung nicht in sachgerechter Weise einbezogen worden (sei). Es (liege) außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit und jeder Vorstellung vernünftigen und planmäßigen Handelns, Bareinnahmen von rd. 700 000 DM in den Jahren 1991 bis 1995 (…) der Besteuerung entzogen zu haben und diese fehlende Liquidität aus dem Privatvermögen ersetzt zu haben, wozu der Verkauf von Immobilien und der Einsatz von Erbschaften erforderlich (gewesen sei). Hierin mögliche Geldrückflüsse zu sehen, (sei) von der Sache her … abwegig. Steuerneutrales Vermögen gegen steuerverstricktes Vermögen unter Begehung von Straftaten auszutauschen, (sei) in jeder Hinsicht wirklichkeitsfremd und jenseits jeder Vorstellung vernünftigen Handelns".
In ihrem Kern richtet sich diese Kritik der Antragstellerin gegen die vom FG vorgenommene Tatsachen- und Beweiswürdigung und betrifft damit einen für sich genommen die Zulassung der Revision nicht rechtfertigenden vermeintlichen materiell-rechtlichen Mangel der Vorentscheidung (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 82, mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung des BFH). Der Vortrag der Antragstellerin lässt in diesem Zusammenhang nicht ansatzweise erkennen, dass das FG bei seiner Entscheidung eine nach Aktenlage feststehende Tatsache unberücksichtigt gelassen hätte oder vom Nichtvorliegen einer solchen Tatsache ausgegangen wäre (sog. Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten; vgl. hierzu z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 80, letzter Absatz).
Überdies hat die Antragstellerin auch nicht --wie geboten-- dargetan, dass das angefochtene Urteil --auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Auffassung des FG-- ohne den (vermeintlichen) Verfahrensverstoß möglicherweise anders ausgefallen wäre (siehe dazu z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz. 49 und § 120 Rz. 72).
bb) Ferner lässt die Beschwerdebegründung nach kursorischer Prüfung die erforderliche Substantiierung auch insoweit vermissen, als die Antragstellerin die Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--, § 96 Abs. 2 FGO) rügt.
Bezieht sich der geltend gemachte Gehörsverstoß --wie im Streitfall-- nicht auf das Gesamtergebnis des Verfahrens, sondern nur mehr auf einzelne Feststellungen, muss der Beschwerdeführer u.a. vortragen, was er bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs noch zusätzlich vorgetragen hätte und dass bei Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens eine andere Entscheidung in der Sache möglich gewesen wäre (vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Rz. 14, m.w.N.).
Daran mangelt es im Streitfall.
cc) Ebenso unschlüssig ist die auf S. 6 der Beschwerdebegründungsschrift im Verfahren X B 46/04 (unter 3.) erhobene Rüge der "falschen Beweiswürdigung". Wie schon unter aa) ausgeführt, sind die Grundsätze der Beweiswürdigung dem materiellen Recht zuzuordnen und können daher die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensmangels nicht begründen (Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 82, m.w.N.).
dd) Keinen Erfolg hat auch die Rüge der Antragstellerin, das FG habe den Zeugen W.B. vereidigen müssen, weil dieser an den streitigen Geschehensabläufen unmittelbar beteiligt gewesen sei und die Vereidigung dieses Zeugen "eine besondere Entscheidungserheblichkeit bedeutet (habe) … Das Urteil des Finanzgerichts (könne) auf diesem Verfahrensmangel beruhen, weil das Zeugnis des … W.B. wegen angeblich fehlender … Glaubwürdigkeit des Zeugen selbst keine Berücksichtigung gefunden (habe)".
Nach § 82 FGO i.V.m. § 391 ZPO ist ein Zeuge, vorbehaltlich der sich aus § 393 ZPO ergebenden Ausnahmen, zu beeidigen, wenn das Gericht dies mit Rücksicht auf die Bedeutung der Aussage oder zur Herbeiführung einer wahrheitsgemäßen Aussage für geboten erachtet und die Parteien auf die Beeidigung nicht verzichten. Auch wenn die Voraussetzungen dieser Vorschrift vorliegen, muss ein Zeuge nicht beeidigt werden. Bei der Frage, ob das Gericht die Beeidigung für geboten erachtet, handelt es sich um eine Ermessensentscheidung (vgl. z.B. Gräber/Koch, a.a.O., § 82 Rz. 26, m.w.N.). Diese kann vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüft werden, ob das Gericht die Grenzen seines Ermessens verkannt oder missbräuchlich außer Acht gelassen hat (BFH-Beschluss vom 13. März 1995 XI B 73-90/94, BFH/NV 1995, 906, m.w.N.). Ermessensfehler müssen für die ordnungsgemäße Darlegung eines entsprechenden Verfahrensmangels schlüssig gerügt sein. Hierzu reicht der oben skizzierte Vortrag der Antragstellerin nicht aus. Denn daraus wird nicht erkennbar, dass sich das FG der Grenzen seines Ermessens nicht bewusst gewesen sei oder sie missbräuchlich außer Acht gelassen habe (siehe auch den einen ähnlich gelagerten Sachverhalt betreffenden BFH-Beschluss in BFH/NV 1995, 906).
ee) Soweit die Antragstellerin (auf S. 8 f., unter II. ihrer Beschwerdebegründungsschrift im Verfahren X B 46/04) beanstandet, das FG habe den von ihr angetretenen Beweis durch Sachverständigengutachten übergangen, entspricht auch diese Rüge nicht den Anforderungen an eine substantiierte Verfahrensrüge.
Bei einer solchen Rüge mangelnder Sachaufklärung (§ 76 FGO) muss der Beschwerdeführer nach ständiger Rechtsprechung des BFH u.a. schlüssig darlegen, inwiefern das angefochtene Urteil --ausgehend von der materiell-rechtlichen Auffassung des FG-- auf der unterlassenen Beweisaufnahme beruhen könne und was das voraussichtliche Ergebnis der Beweisaufnahme gewesen wäre (Gräber/Ruban, a.a.O., § 120 Rz. 69, m.w.N. aus der Rechtsprechung des BFH).
Diesen Anforderungen werden die pauschalen Ausführungen der Antragstellerin, dass "alleine die Berücksichtigung" der von ihr auf S. 8 der Beschwerdebegründungsschrift im Verfahren X B 46/04 bezeichneten "Fehlerpunkte zu den entsprechenden Ergebnisänderungen hätte führen müssen", nicht gerecht. Dies gilt umso mehr, als sich das FG in dem mit der Nichtzulassungsbeschwerde angefochtenen Urteil sehr ausführlich mit der vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) anhand eines inneren und äußeren Betriebsvergleichs vorgenommenen Schätzungen der Besteuerungsgrundlagen auseinander gesetzt und sich diese zu Eigen gemacht sowie die von der Antragstellerin begehrte Beweiserhebung durch Sachverständigengutachten im Wesentlichen mit folgenden Erwägungen abgelehnt hat (S. 20 des angefochtenen Urteils):
"Auch im Übrigen ist die Kalkulation nicht zu beanstanden. Soweit die Klägerin (Antragstellerin) Beweis für die Fehlerhaftigkeit durch Sachverständigengutachten angetreten hat, ist dieser Beweisantritt unerheblich, weil unsubstantiiert. Die ohne weitere Begründung nur schlagwortartige Bezeichnung irgendwelcher Mängel ist erläuterungsbedürftig, jedenfalls keine ausreichende Grundlage für eine nachvollziehbare Fehlerbeschreibung als Voraussetzung für eine Beweiserhebung … Gegebenenfalls wäre der Senat auch selbst hinreichend sachkundig und hat Fehler nicht festgestellt."
Angesichts dieses Befunds mussten sich der Antragstellerin nähere Ausführungen darüber aufdrängen, wieso auch unter Zugrundelegung der materiell-rechtlichen Auffassung des FG ein anderes Ergebnis möglich gewesen wäre.
ff) Auch die weitere Sachaufklärungsrüge der Antragstellerin, dass das FG ihren Beweisantritt "durch nochmalige Vorlage des Belegmaterials" übergangen habe (Beschwerdebegründung im Verfahren X B 46/04, S. 4, 2. Absatz), scheitert jedenfalls daran, dass es die Antragstellerin unterlassen hat darzulegen, dass die angegriffene Vorentscheidung auf der Grundlage des vom FG eingenommenen materiell-rechtlichen Standpunkts bei entsprechender Beweiserhebung möglicherweise anders ausgefallen wäre.
b) Schließlich kann die von der Antragstellerin erhobene Nichtzulassungsbeschwerde auch insoweit keinen Erfolg haben, als sie ausführt, dass das angefochtene FG-Urteil "schwerwiegende Mängel" enthalte, welche die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 FGO eröffneten (Beschwerdebegründungsschrift im Verfahren X B 46/04, S. 5 unter 2.).
Die Antragstellerin hat zu diesem Punkt im Wesentlichen ausgeführt, eine "unter dem Konkurrenzdruck der Kaufhausketten stehende und letztlich dann auch im Zuge des allgemeinen Niedergangs dieser Branche und Größe mit verbleibenden Restschulden aufgegebene kleine Boutique mit einer Verkaufsfläche von lediglich 98 qm (könne) keine Gewinne erzielt haben, die der Beklagte für die Jahre 1991 bis 1995 mit insgesamt rd. DM 395 000 (behaupte). Dies (sei) in besonderem Maße unrealistisch, was nach der bisherigen Rechtsprechung des BFH (Beschluss vom 13. Oktober 2003 IV B 85/02, BFHE 203, 404, BStBl II 2004, 25) … die Zulassung der Revision möglich (mache)".
Diesen pauschalen Äußerungen, die sich mit der dezidierten und sorgfältigen, mit Hilfe sowohl eines inneren als auch eines äußeren Betriebsvergleichs gegebenen Begründung der vom FG befürworteten Schätzungsergebnisse nicht (näher) auseinander setzen, reichen zur schlüssigen Darlegung einer objektiv willkürlichen FG-Entscheidung bzw. eines besonders schwerwiegenden Fehlers bei der Auslegung revisiblen Rechts, der geeignet ist, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen (vgl. z.B. BFH-Beschluss in BFHE 203, 404, BStBl II 2004, 25; ferner Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 7. Oktober 2004 V ZR 328/03, Neue Juristische Wochenschrift 2005, 153), offenkundig nicht aus.
3. Insgesamt ist bei der gebotenen summarischen Prüfung kein Grund für eine Zulassung der Revision erkennbar, so dass die Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Die Entscheidung über die eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde X B 46/04 stellt der Senat bis vier Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses zurück, um der Antragstellerin die Möglichkeit einzuräumen zu prüfen, ob sie ggf. ihre Beschwerde zur Vermeidung des Anfalls weiterer Gerichtskosten zurücknehmen möchte.
4. Eine Kostenentscheidung war nicht zu treffen. Der erfolglose Antrag auf PKH löst keine Gerichtsgebühren aus (vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 142 Rz. 34, m.w.N.).
Fundstellen