Leitsatz (amtlich)
1. Die Erstattung der Kosten eines im Vorverfahren zugezogenen Bevollmächtigten nach § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO kommt auch in Betracht, wenn das Vorverfahren vor dem Inkrafttreten der FGO abgeschlossen wurde, das Finanzgericht über die Klage aber nach dem Inkrafttreten der FGO entschieden hat.
2. Die Notwendigkeit der Zuziehung eines sachverständigen Vertreters im Vorverfahren ist zu bejahen, wenn der Steuerpflichtige als Verfahrensbeteiligter die Zuziehung im Sinne des § 139 Abs. 3 FGO vernünftigerweise für notwendig halten durfte. Dabei ist auch zu berücksichtigen, welche wirtschaftliche Auswirkung die Streitfrage für den Steuerpflichtigen hatte; ferner, daß die Steuerpflichtigen bei der Kompliziertheit und Undurchsichtigkeit des Steuerrechts auch im Vorverfahren oft nicht auf eine sachverständige Vertretung verzichten können.
Normenkette
FGO § 139 Abs. 3
Tatbestand
Auf Grund einer Lohnsteuerprüfung hatte das FA von dem Steuerpflichtigen Lohnsteuer nachgefordert; der Einspruch blieb ohne Erfolg. Die Klage erledigte sich dadurch, daß das FA den Nachforderungsbescheid aufhob, weil der Steuerpflichtige mit den Bezügen, um deren Lohnsteuer es ging, bereits veranlagt war. Das FG entschied daraufhin unter dem 13. Mai 1966 nur über die Kosten und legte sie dem FA auf.
Auf Antrag des Steuerpflichtigen, der sich im Verfahren vor dem FA durch einen Bevollmächtigten hatte vertreten lassen, erklärte das FG durch Beschluß vom 12. Dezember 1966 die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig. Die Notwendigkeit der Vertretung, so führte es aus, ergebe sich, weil der Wohnsitz des Steuerpflichtigen und der Sitz des beklagten FA weit entfernt lagen und weil ferner der Einspruch eine schwer überschaubare Rechtsfrage betroffen habe.
Mit seiner Beschwerde macht das FA geltend, daß das FG in der Kostenentscheidung des Urteils über die Notwendigkeit der Zuziehung hätte entscheiden müssen, der angefochtene Beschluß hätte also nicht erlassen werden dürfen. Er sei im übrigen auch sachlich unrichtig. § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO sei eng auszulegen. Wie die Wortfassung der Vorschrift erkennen lasse, gehe der Gesetzgeber davon aus, daß ein Steuerpflichtiger die Kosten eines Bevollmächtigten im Vorverfahren - ebenso wie die entsprechenden Kosten für die Anfertigung einer Steuererklärung - grundsätzlich selbst zu tragen habe. Ein gewisser Ausgleich liege darin, daß der Steuerpflichtige bei der Ermittlung seines Einkommens die Kosten der Vertretung als Betriebsausgaben oder Werbungskosten oder als Sonderausgaben abziehen könne.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Beschwerde ist zulässig (§ 128 FGO), aber unbegründet.
Das FG hat zutreffend über den Antrag des Steuerpflichtigen, die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren nach § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO für notwendig zu erklären, nicht im Urteil, sondern durch einen besonderen Beschluß entschieden. Wie der Große Senat des BFH in dem Beschluß Gr. S. 5-7/66 vom 18. Juli 1967 (BFH 90, 150, BStBl II 1968, 56) inzwischen dargelegt hat, gehört eine solche Entscheidung in das Kostenfestsetzungsverfahren. Das FG hat als Kostenfestsetzungsgericht zu befinden, wenn ein Beteiligter die Erstattung von Gebühren und Auslagen eines im Vorverfahren zugezogenen Bevollmächtigten begehrt. Nach diesen Grundsätzen ist das FG zutreffend verfahren.
Gegen die Anwendung des § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO lassen sich hier keine Bedenken daraus herleiten, daß das Vorverfahren bereits vor dem 1. Januar 1966, also vor dem Inkrafttreten der FGO, beendet gewesen ist. Wenngleich die am 31. Dezember 1965 außer Kraft getretene frühere Regelung die Erstattung von Kosten eines im Vorverfahren zugezogenen Bevollmächtigten nicht kannte, so ist doch hier die endgültige Kostenentscheidung im Urteil erst nach dem Inkrafttreten der FGO und nach deren Vorschriften gefällt worden. Der Kostenerstattungsanspruch des Steuerpflichtigen ist demnach entstanden, wie er in der FGO geregelt ist (vgl. auch den Beschluß des Großen Senats Gr. S. 8/66 vom 18. Juli 1967, BFH 90, 156, BStBl II 1968, 59). Die Kostenerstattungspflicht nach der FGO führt zwar zu einer Schlechterstellung des FA gegenüber der früheren Regelung. Als das Verfahren vor dem FA abgewickelt wurde, galten noch die früheren Vorschriften, die eine Kostenerstattungspflicht der Finanzverwaltung für das Einspruchsverfahren nicht kannten. Gegen diese ungünstige Auswirkung der Neuregelung auf die Stellung der Finanzverwaltung können aber aus dem Gesichtspunkt der verbösernden Rückwirkung eines Steuergesetzes keine Bedenken hergeleitet werden. Das Verbot der Rückwirkung verschärfender Steuergesetze gilt nur zum Schutz der Bürger gegenüber der Staatsgewalt, nicht aber zugunsten des Steuerfiskus.
Dem FA ist auch darin nicht beizupflichten, daß § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO nicht anwendbar sei, weil der Steuerpflichtige in dem Vorverfahren nicht obgesiegt habe. Es kommt allein darauf an, ob der Steuerpflichtige nach der endgültigen Kostenentscheidung einen Kostenerstattungsanspruch hat.
Was die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten betrifft, so geht § 139 FGO davon aus, daß der obsiegende Steuerpflichtige seine zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen einschließlich der Kosten des Vorverfahrens und die gesetzlich vorgesehenen Gebühren und Auslagen seines im steuergerichtlichen Verfahren tätig gewesenen Bevollmächtigten ohne weiteres erstattet erhält. Die Kosten eines im Vorverfahren zugezogenen Bevollmächtigten sollen dem Steuerpflichtigen aber nur dann erstattet werden, wenn das FG die Zuziehung ausdrücklich für notwendig erklärt. Aus dieser Einschränkung ist aber nicht etwa zu folgern, daß die "Notwendigkeit" grundsätzlich eng zu fassen sei. Der Begriff "notwendig" findet sich nicht bloß im § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO, sondern auch in § 139 Abs. 1 FGO. Er ist in beiden Vorschriften gleich auszulegen. Es kommt allein darauf an, was der Steuerpflichtige als Verfahrensbeteiligter vernünftigerweise für notwendig halten durfte (vgl. Eyermann-Fröhler, Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung, 4. Aufl., Randnr. 4 zu § 162, S. 708). Bei der Beurteilung der Notwendigkeit zur Beiziehung eines sachverständigen Bevollmächtigten kann auch berücksichtigt werden, welche wirtschaftliche Auswirkung die Streitfrage für den Steuerpflichtigen hatte, vor allem aber auch, daß bei der Kompliziertheit und Undurchsichtigkeit des Steuerrechts die Steuerpflichtigen auch im Vorverfahren oft auf eine sachverständige Vertretung nicht verzichten können.
Nach diesen Gesichtspunkten hat das FG zutreffend die Zuziehung des Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig erachtet.
Fundstellen
BStBl II 1968, 181 |
BFHE 1968, 471 |