Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde: Mündliche Verhandlung trotz Antrags auf Terminsverlegung postulationsunfähiger Beteiligter kein Versagen rechtlichen Gehörs
Leitsatz (NV)
- Ordnet das Finanzgericht gegenüber einem Beteiligten gemäß § 62 Abs. 1 Satz 2 FGO an, dass ein Bevollmächtigter bestellt werden muss, so ist dieser Beteiligte nicht mehr postulationsfähig und kann keine Rechtshandlungen mehr vornehmen. Seine Erkrankung bildet keinen wesentlichen Grund für eine Terminsverlegung im Sinne von § 227 ZPO.
- Wer während eines laufenden Gerichtsverfahrens für längere Zeit erkrankt, muss Vorsorge für die Wahrnehmung von Terminen treffen.
Normenkette
GG Art. 103 Abs. 1; FGO § 62 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 1, § 96 Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 155; ZPO § 227 Abs. 1
Tatbestand
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) erhob wegen Einkommensteuer, Kirchensteuer und Arbeitnehmersparzulage für die Jahre 1989 bis 1992 und 1995 (Streitjahre) zwei Klagen vor dem Finanzgericht (FG), die sie aber trotz mehrfacher Aufforderungen, zuletzt unter Fristsetzung nach § 79b und § 65 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nicht begründete.
Die vom FG in beiden Verfahren anberaumten mündlichen Verhandlungen (von Juli bis Oktober 1999 wurden insgesamt drei Termine bestimmt) wurden nach entsprechenden Anträgen der Klägerin, die sie mit Erkrankung begründete, jeweils wieder aufgehoben. Nach Übertragung der Verfahren auf den Einzelrichter gemäß § 6 FGO erließ dieser am 5. November 1999 Beschlüsse, mit denen gegenüber der Klägerin gemäß § 62 Abs. 1 Satz 2 FGO angeordnet wurde, einen Bevollmächtigten zu bestellen. Er verband die Verfahren zur einheitlichen Verhandlung und Entscheidung.
Auch der als Prozessbevollmächtigte bestellte Bruder der Klägerin konnte wegen Erkrankung mehrere anberaumte Termine nicht wahrnehmen. Zuletzt verlegte das FG auf einen entsprechenden, mit seiner Erkrankung begründeten Antrag des Prozessbevollmächtigten die auf den 5. Dezember 2000 festgesetzte mündliche Verhandlung auf den 6. März 2001. Am 6. Dezember 2000 erging ein Beschluss des FG, mit dem es den Bruder der Klägerin als Prozessbevollmächtigten zurückwies und verfügte, dass die Bestellung eines neuen Prozessbevollmächtigten durch die Klägerin und die Vorlage der Prozessvollmacht für diesen bis zum 10. Januar 2001 zu erfolgen habe.
Am 2. und 6. März 2001 beantragte die Klägerin die Verschiebung des Termins, weil sie ebenso wie ihr Bruder erkrankt und in ein Krankenhaus eingeliefert worden sei. Die Klägerin bevollmächtigte überdies ihren Vater mit der Wahrnehmung ihrer Interessen.
Am Sitzungstag teilte die Klägerin dem Gericht um 12.00 Uhr mit, dass ein Bevollmächtigter für sie auf dem Wege sei, der sich aber um eine halbe bis eine dreiviertel Stunde verspäten werde. Der Einzelrichter eröffnete die um 12.00 Uhr anberaumte mündliche Verhandlung ca. um 12.50 Uhr. Für die Klägerin erschien niemand. Das FG wies die Klage ab.
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde rügt die Klägerin Verletzung rechtlichen Gehörs, da das FG die mündliche Verhandlung in ihrer Abwesenheit durchgeführt habe, obwohl es den auf stationären Krankenhausaufenthalt gestützten Verlegungsantrag hätte stattgeben müssen. Sie beantragt, die Revision zuzulassen.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) beantragt, die Nichtzulassungsbeschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin, die sie auf die Verletzung ihres Rechts auf Gehör stützt, ist unbegründet. Das angefochtene Urteil beruht nicht auf einem Verfahrensmangel gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO.
1. Das FG hat den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes ―GG―, § 96 Abs. 2 FGO) entgegen der Auffassung der Klägerin nicht dadurch verletzt, dass es ohne persönliche Anhörung der weder anwaltlich noch durch einen Steuerberater vertretenen Klägerin entschieden hat, obwohl diese wegen Erkrankung die Verlegung des Termins beantragt hatte.
Einem Verfahrensbeteiligten wird rechtliches Gehör versagt, wenn das Gericht mündlich verhandelt und aufgrund der Verhandlung entscheidet, obwohl er einen Antrag auf Terminsverlegung gestellt und dafür erhebliche Gründe geltend und auf Verlangen glaubhaft gemacht hat (§ 155 FGO i.V.m. § 227 Abs. 1 der Zivilprozessordnung ―ZPO―; vgl. dazu Beschluss des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 26. November 1993 I B 63/93, BFH/NV 1994, 802). Ob erhebliche Gründe für eine Verlegung vorliegen, hängt von den Verhältnissen des Einzelfalls ab (vgl. BFH-Beschluss vom 7. Dezember 1990 III B 102/90, BFHE 163, 115, BStBl II 1991, 240).
Zwar kann eine plötzliche und nicht vorhersehbare Erkrankung, die den nicht vertretenen Kläger an der Wahrnehmung eines Termins zur mündlichen Verhandlung hindert, das Gericht verpflichten, zum Zwecke der Gewährung des rechtlichen Gehörs den Termin zur mündlichen Verhandlung aufzuheben, zu verlegen oder zu vertagen (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 8. April 1998 VIII R 32/95, BFHE 186, 102, BStBl II 1998, 676, unter II. 3. b der Gründe; BFH-Urteil vom 4. Mai 1994 XI R 104/92, BFH/NV 1995, 46, m.w.N.).
Im Streitfall bestand indes trotz der hinreichend dargelegten Erkrankungen keine Pflicht des FG, den Termin zu verlegen:
a) Das FG hatte der Klägerin gegenüber durch bestandskräftige Beschlüsse vom 5. November 1999 gemäß § 62 Abs. 1 Satz 2 FGO angeordnet, dass ein Bevollmächtigter bestellt werden muss. Damit war die Klägerin aber nicht mehr postulationsfähig und konnte keine wirksamen Prozesshandlungen mehr vornehmen. Weil das Gericht ―wäre die Klägerin persönlich in der mündlichen Verhandlung erschienen― ohnehin so hätte verfahren müssen, wie wenn die Beteiligte ausgeblieben wäre (BFH-Beschluss vom 18. Februar 1971 V K 1/69, BFHE 101, 357, BStBl II 1971, 370), bildet ihre Erkrankung keinen erheblichen Grund für eine Terminsverlegung i.S. von § 227 Abs. 1 ZPO.
b) Ebenso wenig ist die geltend gemachte Erkrankung ihres Bruders ein wesentlicher Grund für eine Verlegung oder Aufhebung des Termins nach § 227 ZPO. Denn auch ihr Bruder war ―wie das FG zutreffend ausführt― nach dem bestandskräftigen Beschluss vom 6. Dezember 2000, mit dem er nach § 62 Abs. 2 Satz 1 FGO als Prozessbevollmächtigter zurückgewiesen worden war, nicht mehr postulationsfähig und konnte keine wirksamen Prozesshandlungen mehr vornehmen. Die Klägerin hat aber entgegen dieser Anordnung bis zum 10. Januar 2001 keinen neuen Prozessbevollmächtigten bestellt.
c) Die Ablehnung der beantragten Terminsänderung durch das FG erweist sich auch deshalb als ermessensgerecht, weil die Klägerin ihre prozessuale Mitwirkungspflicht zuvor in erheblicher Weise verletzt hat (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 26. November 1997 IV B 81/97, BFH/NV 1998, 1104, m.w.N.). Sie hat trotz ihrer bereits seit geraumer Zeit bestehenden Erkrankung keine Vorsorge für die Wahrnehmung eines Termins getroffen (vgl. BFH-Entscheidungen vom 20. Juni 1974 IV B 55-56/73, BFHE 113, 4, BStBl II 1974, 637; vom 16. Dezember 1994 III B 43/94, BFH/NV 1995, 890; vom 7. Februar 1995 VIII R 48/92, BFH/NV 1996, 43, und vom 20. März 1997 XI B 182/95, BFH/NV 1997, 777) und nicht vorgetragen, warum sie in der Zeit zwischen Zustellung des Beschlusses vom 6. Dezember 2000 und der mündlichen Verhandlung keinen Prozessbevollmächtigten beauftragen konnte (vgl. BFH-Urteil vom 10. August 1990 III R 31/86, BFH/NV 1991, 464, unter Nr. 2. a der Gründe).
2. Das FG hat auch am Sitzungstag selbst den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör nicht verletzt. Es hat auf ihren Anruf, es sei ein Prozessbevollmächtigter auf dem Weg, eine hinreichend bemessene Zeit zugewartet, bevor es die mündliche Verhandlung eröffnete. Es trifft auch nicht zu, die Klägerin hätte die Akten nicht einsehen können. Nach der Aktenlage ist ihr wiederholt Akteneinsicht angeboten worden.
Fundstellen
Haufe-Index 707135 |
BFH/NV 2002, 662 |
AO-StB 2002, 146 |