Entscheidungsstichwort (Thema)
Richtigstellung eines vorbereitenden Schreibens in der mündlichen Verhandlung; Voraussetzungen einer offenbaren Unrichtigkeit
Leitsatz (NV)
1. Ist aufgrund eines vorbereitenden Schreibens des FG erkennbar, dass das Gericht von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgeht, kann ein Beteiligter darin liegende Verfahrensfehler (mangelnde Sachaufklärung, Verstoß gegen das Gebot der Berücksichtigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens) mit der Nichtzulassungsbeschwerde nicht mehr rügen, wenn er in der mündlichen Verhandlung die mögliche Richtigstellung des Sachverhalts unterlassen hat.
2. Die Entscheidung, ob eine offenbare Unrichtigkeit i.S. von § 129 AO 1977 vorliegt, ist im Wesentlichen eine Tatfrage und daher revisionsrechtlich nur eingeschränkt nachprüfbar.
Normenkette
FGO § 76 Abs. 1 S. 1, § 96 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nr. 3; ZPO § 295; AO 1977 § 129
Verfahrensgang
Hessisches FG (Urteil vom 06.10.2005; Aktenzeichen 8 K 4066/04) |
Gründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet.
1. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) können als Verfahrensmängel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nicht mehr geltend machen, das Finanzgericht (FG) habe gegen seine Pflichten zur Aufklärung des Sachverhalts (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) und zur Berücksichtigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) verstoßen sowie das rechtliche Gehör der Kläger verletzt (§ 96 Abs. 2 FGO, Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--). Denn sie haben ihr Rügerecht verloren. Zu dieser Rechtsfolge kommt es nach § 295 der Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 155 FGO bei Verfahrensmängeln wie den hier streitigen (vgl. dazu Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 101, m.w.N.), wenn diese nicht in der mündlichen Verhandlung vor dem FG gerügt worden sind, obwohl sie bekannt waren oder bekannt sein mussten (vgl. die ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs --BFH--, Beschluss vom 31. Oktober 2003 IX B 97/03, BFH/NV 2004, 196).
So verhält es sich im Streitfall. Die Senatsvorsitzende des FG hat die Kläger in Vorbereitung der mündlichen Verhandlung mit Schreiben vom 22. September 2005 darauf hingewiesen, dass selbst dann, wenn entsprechend ihrem Begehren die Einkünfte nicht als solche aus Gewerbebetrieb, sondern als solche aus Land- und Forstwirtschaft zu qualifizieren wären, sich keine Änderung der Einkommensteuerfestsetzung zu ihren Gunsten ergeben würde. Dann wären die Erlöse aus den erfassten Leistungen solche aus Land- und Forstwirtschaft und würden sich nicht einkommensteuermindernd, sondern erhöhend auswirken, da der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) Gewerbesteuerrückstellungen gebildet habe, die dann nicht zu berücksichtigen wären. Etwas anderes bezüglich der Beschwer der Kläger gelte nach Aktenlage nur für die Klage gegen die Einkommensteuerbescheide 1993 und 1994 vom 20. April 2004. Hier sei zu prüfen, ob das FA berechtigt gewesen sei, die Bescheide nach § 129 der Abgabenordnung (AO 1977) zu berichtigen. Zudem bemerkte die Senatsvorsitzende, dass der Einwand der Festsetzungsverjährung nicht näher begründet worden sei und nach Aktenlage der Wortlaut des § 174 Abs. 4 Satz 3 AO 1977 gegen eine Festsetzungsverjährung spreche.
Obwohl aus dem Schreiben der Senatsvorsitzenden des FG für die Kläger erkennbar sein musste, dass das FG davon ausgehen werde, dass die Höhe der vom Kläger erzielten Einkünfte zwischen den Beteiligten unstreitig ist und nur die Berichtigungsmöglichkeit nach § 129 AO 1977 sowie Fragen der Festsetzungsverjährung zu klären sind, haben sie ausweislich der Sitzungsniederschrift auch in der mündlichen Verhandlung nicht erklärt, die vom FA in den Einkommensteuerbescheiden 1993 und 1994 angesetzten Einkünfte seien der Höhe nach nicht begründet. Zudem hat ihr Prozessbevollmächtigter in der mündlichen Verhandlung die Klage wegen Einkommensteuer 1990 bis 1992 zurückgenommen, hinsichtlich Einkommensteuer 1993 und 1994 den Klageantrag gestellt und damit das FG in seiner Auffassung bestärkt, dass die Kläger gegen die Höhe der Einkünfte keine Einwendungen erheben wollten. Damit ist auf die Rüge wirksam verzichtet worden, so dass die Beschwerde schon deshalb keinen Erfolg haben kann.
2. Die Zulassungsgründe nach § 115 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 Alternative 1 FGO haben die Kläger nicht entsprechend den gesetzlichen Anforderungen dargetan (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).
a) Für die Geltendmachung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache ist eine substantiierte Darlegung der Klärungsbedürftigkeit einer hinreichend bestimmten Rechtsfrage, die im konkreten Fall voraussichtlich auch klärbar ist, erforderlich. Dazu ist auszuführen, dass die Beurteilung der aufgeworfenen Rechtsfrage von der Klärung einer zweifelhaften oder umstrittenen Rechtslage abhängt. Hierzu muss sich der Beschwerdeführer insbesondere mit der Rechtsprechung des BFH, den Äußerungen im Schrifttum sowie mit etwa veröffentlichten Verwaltungsmeinungen auseinander setzen. Hat der BFH über die Rechtsfrage bereits entschieden, so ist zusätzlich darzulegen, weshalb eine erneute Entscheidung des BFH für erforderlich gehalten wird. Eine weitere bzw. erneute Klärung der Rechtsfrage kann z.B. geboten sein, wenn gegen die bisherige Rechtsprechung gewichtige Einwendungen erhoben worden sind, mit denen sich der BFH bislang noch nicht auseinander gesetzt hat. Darüber hinaus ist auf die Bedeutung der Klärung der konkreten Rechtsfrage für die Allgemeinheit einzugehen (BFH-Beschluss vom 17. Oktober 2001 III B 65/01, BFH/NV 2002, 217).
b) Es fehlt bereits an der erforderlichen Darlegung der sog. Breitenwirkung der erstrebten höchstrichterlichen Entscheidung. Einwendungen, die sich gegen die Richtigkeit des angefochtenen Urteils wenden, sind grundsätzlich nicht geeignet, das für das Zulassungsverfahren erforderliche Allgemeininteresse zu indizieren (BFH-Beschluss vom 9. August 2002 III B 34/02, BFH/NV 2002, 1616).
c) Darüber hinaus haben die Kläger auch nicht die Klärungsbedürftigkeit abstrakter Rechtsfragen hinreichend dargelegt.
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH sind zur Berichtigung von Steuerbescheiden nach § 129 AO 1977 berechtigende offenbare Unrichtigkeiten mechanische Versehen wie beispielsweise Eingabe- oder Übertragungsfehler; sie können aber auch in einem unbeabsichtigten, unrichtigen Ausfüllen des Eingabebogens oder in einem Irrtum über den tatsächlichen Programmablauf bzw. in der Nichtbeachtung der für das maschinelle Veranlagungsverfahren geltenden Dienstanweisung bestehen. Fehler bei der Auslegung oder Nichtanwendung einer Rechtsnorm, unrichtige Tatsachenwürdigung, unzutreffende Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts oder Fehler, die auf mangelnder Sachaufklärung bzw. Nichtbeachtung feststehender Tatsachen beruhen, schließen die Anwendung der Vorschrift hingegen aus (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 16. März 2000 IV R 3/99, BFHE 191, 226, BStBl II 2000, 372, 375).
Besteht eine mehr als nur theoretische Möglichkeit eines Rechtsirrtums, so liegt kein bloßes mechanisches Versehen und damit auch keine offenbare Unrichtigkeit mehr vor, ebenso nicht bei einer unrichtigen Tatsachenwürdigung, bei der unzutreffenden Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts oder bei Fehlern, die auf mangelnder Sachaufklärung beruhen. Die offenbare Unrichtigkeit muss nicht aus dem Bescheid selbst erkennbar sein. Die Annahme einer solchen Unrichtigkeit kann zwar ausgeschlossen werden, wenn der Veranlagungsbeamte feststehende Tatsachen nicht berücksichtigt. Dabei muss es sich dann aber um Unrichtigkeiten handeln, die über mechanische Versehen deshalb hinausgehen, weil sie nicht ohne weitere Prüfung erkannt und berichtigt werden können, und deshalb letztlich auf unzureichender Sachaufklärung beruhen. Hat die Nichtberücksichtigung einer Tatsache dagegen ihren Grund in einer bloßen Unachtsamkeit und liegt sie offen zutage, so kann von einem auf mangelnder Sachaufklärung beruhenden Nichterkennen der Tatsache nicht gesprochen werden (Senatsurteil vom 17. Februar 1993 X R 47/91, BFH/NV 1993, 638, m.w.N.).
Ob jede Möglichkeit eines Rechtsirrtums, eines Denkfehlers oder einer unvollständigen Sachaufklärung bzw. fehlerhaften Tatsachenwürdigung auszuschließen ist, beurteilt sich nach den Verhältnissen des Einzelfalles, vor allem nach Aktenlage. Die Entscheidung darüber im konkreten Fall ist im Wesentlichen eine Tatfrage und daher revisionsrechtlich nur eingeschränkt überprüfbar (§ 118 Abs. 2 FGO; BFH-Urteil vom 29. Januar 2003 I R 20/02, BFH/NV 2003, 1139, m.w.N.).
d) Die Kläger haben diese Rechtsprechungsgrundsätze selbst zutreffend referiert. Sie haben indes nicht dargelegt, dass die Rechtsprechung losgelöst von den besonderen Umständen des konkreten Falles überhaupt zusätzliche, über die in ständiger Rechtsprechung bereits entwickelten Maßstäbe hinausgehende abstrakte Kriterien für die Auslegung und Anwendung des § 129 AO 1977 entwickeln könnte und ggf. welche (BFH-Beschluss vom 5. Januar 2005 III B 79/04, BFH/NV 2005, 1013).
e) Aus denselben Erwägungen kann auch die Rüge der Kläger keinen Erfolg haben, dass die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des BFH erfordere (vgl. § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO; zur Einordnung dieses Zulassungsgrundes als Spezialfall der "Grundsatzrevision" i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz 38).
Fundstellen
Haufe-Index 1536018 |
BFH/NV 2006, 1506 |