Leitsatz (amtlich)
Die Gründe des Beschlusses, mit dem ein Antrag des Klägers auf Prozeßkostenhilfe abgelehnt wird, müssen erkennen lassen, daß die Voraussetzungen des § 142 Abs.1 FGO i.V.m. § 114 Abs.1 ZPO nicht erfüllt sind. Dazu reicht der Hinweis, die Klage sei in der Hauptsache durch Vorbescheid abgewiesen worden, nicht aus.
Orientierungssatz
1. Die Rechtsverfolgung ist hinreichend erfolgversprechend (§ 142 FGO i.V.m. § 114 ZPO), wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Antragstellers aufgrund seiner Sachdarstellung und der vorhandenen Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist. Eine abschließende Prüfung der Erfolgsaussichten ist nicht erlaubt (Lit.).
2. Über den Antrag auf Prozeßkostenhilfe muß vorweg entschieden werden, da der Kläger sonst ggf. daran gehindert ist, seine Rechte aus der Gewährung der Prozeßkostenhilfe voll wahrzunehmen (Lit.).
3. Hat ein Kläger für ein Verfahren, das vor dem 1.1.1981 beim FG anhängig geworden ist, die Gewährung von Armenrecht beantragt und hat das FG Armenrecht nach den bis 31.12.1980 geltenden Vorschriften nicht gewährt, so sind bei der Entscheidung über eine nach dem 31.12.1980 eingelegte Beschwerde gegen die Ablehnung des Armenrechtsgesuchs die Regeln über die Prozeßkostenhilfe anzuwenden.
Normenkette
FGO § 142; ZPO §§ 114, 127
Tatbestand
Der Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer (Kläger) betrieb bis zum Jahre 1981 einen Einzelhandel. Nach einer Betriebsprüfung erhöhte der Beklagte (das Finanzamt --FA--) die vom Kläger erklärten Besteuerungsgrundlagen für die Einkommensteuer- und Umsatzsteuerbescheide der Streitjahre 1970 bis 1974; dementsprechend erließ er geänderte bzw. erstmalige Steuerbescheide.
Die Abweichungen beruhten auf folgenden Umständen:
1. Da nach den Erklärungen die Rohgewinne stark schwankten, erhöhte das FA aufgrund einer Nachkalkulation die Umsätze und Betriebseinnahmen.
2. Erhöhung des Eigenverbrauchs wegen privater Telefon- und PKW-Nutzung.
3. Kürzung der pauschal berechneten Mehrverpflegungsaufwendungen für Geschäftsreisen.
4. Erhöhung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung durch Heraufsetzen des Mietwerts der vom Kläger selbst genutzten Wohnung im eigenen Hause.
5. Die Umsatzsteuer wurde auch deshalb erhöht, weil der Kläger bei den Warenverkäufen auf Raten den Kunden Zinsen und Finanzierungskosten sowie beim Inkasso der Teilzahlungen entstandene Kfz-Kosten in Rechnung gestellt und diese Beträge unversteuert gelassen hatte.
Da die Einsprüche in diesen Punkten keinen Erfolg hatten, erhob der Kläger Klage. Gleichzeitig beantragte er, ihm für die Durchführung der Klagen Armenrecht zu gewähren.
Das Finanzgericht (FG) wies die Anträge ab. Zur Begründung führte es aus, die beabsichtigte Rechtsverfolgung biete keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, denn der Senat habe die Klagen in den Hauptsachen durch Vorbescheide abgewiesen.
Hinsichtlich der Vorbescheide beantragte der Kläger mündliche Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die gegen die Ablehnung der Prozeßkostenhilfe (PKH) erhobenen Beschwerden sind begründet. Sie führen zur Aufhebung der Vorentscheidungen und zur Zurückverweisung der Sachen an das FG.
Die Vorschriften der §§ 114 bis 127 der Zivilprozeßordnung (ZPO), die gemäß § 142 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auch für das finanzgerichtliche Verfahren gelten, sind durch das Gesetz über die PKH vom 13.Juni 1980 (BGBl I, 677) neu gefaßt worden. Das Gesetz ist am 1.Januar 1981 in Kraft getreten. Nach der Übergangsregelung in Art.5 Nr.1 des Gesetzes vom 13.Juni 1980 sind die Bestimmungen über die PKH nicht anzuwenden in Verfahren, die vor dem 1.Januar 1981 anhängig geworden sind und in denen nach den bisher geltenden Vorschriften Armenrecht bewilligt worden ist. Da im vorliegenden Fall Armenrecht nach den bisher geltenden Vorschriften nicht gewährt worden ist, sind hier die Regeln über die PKH anzuwenden.
Nach § 142 Abs.1 FGO i.V.m. § 114 ZPO ist PKH auf Antrag zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint und wenn der Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozeßführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann. Die Rechtsverfolgung verspricht hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn für seinen Eintritt bei summarischer Prüfung eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht (Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8.Aufl., § 142 FGO Anm.3); dabei ist eine abschließende Prüfung der Erfolgsaussichten nicht erlaubt (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozeßordnung, 44.Aufl., § 114 Anm.2 Ba). Demnach ist die Rechtsverfolgung hinreichend erfolgversprechend, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Antragstellers aufgrund seiner Sachdarstellung und der vorhandenen Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (Zöller/Schneider, Zivilprozeßordnung, 14.Aufl., § 114 Anm.30). Dies bedeutet für das PKH-Verfahren, daß, soweit im Besteuerungsverfahren Schätzungen, deren Ergebnis von der Würdigung vieler Tatumstände abhängt, vorzunehmen sind, nicht die im Urteil (Vorbescheid) gefundene Entscheidung maßgebend sein darf; vielmehr kommt es für die Gewährung der PKH wesentlich darauf an, ob bei summarischer Prüfung und Würdigung der wichtigsten Tatumstände der vom Antragsteller begehrte Erfolg eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich hat.
Diese Rechtsgrundsätze hat das FG in den angefochtenen Entscheidungen nicht beachtet. Es hat in ihnen allein darauf abgestellt, daß die Klagen durch die Vorbescheide abgewiesen worden seien. Damit hat das FG die Voraussetzungen für die Gewährung von PKH nach § 114 ZPO verkannt. Das FG hat in den Streitfällen nicht festgestellt, ob und inwieweit es bei summarischer Prüfung die Rechtsauffassungen des Klägers für vertretbar und seine Tatsachenwürdigungen für möglich gehalten hat. Insbesondere zur Erhöhung der Umsätze und Gewinne aufgrund der Nachkalkulation sowie zur Kürzung der Pauschsätze für Mehrverpflegungsaufwendungen hätte das FG detaillierte Ausführungen machen müssen, ob die Klagen hinreichend erfolgversprechend i.S. des § 114 ZPO waren oder nicht.
Ferner hat das FG nicht beachtet, daß über den PKH-Antrag vorweg entschieden werden muß, da der Kläger sonst ggf. daran gehindert ist, seine Rechte aus der Gewährung der PKH voll wahrzunehmen (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, a.a.O., § 127 Anm.1 B, wonach die Entscheidung über den Antrag längstens bis zum Beginn des Verhandlungstermins zur Hauptsache hinausgeschoben werden darf).
Die die PKH ablehnenden Beschlüsse des FG konnten deshalb keinen Bestand haben. Die in ihnen wiedergegebene Begründung läßt nicht erkennen, aufgrund welcher tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Erwägungen das FG die Voraussetzungen des § 114 ZPO verneint hat; deshalb war die Zurückverweisung der Streitsachen an das FG geboten (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs vom 15.Februar 1967 IV B 18/66, BFHE 87, 502, BStBl III 1967, 181).
Fundstellen
Haufe-Index 61107 |
BStBl II 1986, 526 |
BFHE 146, 223 |
BFHE 1986, 223 |
HFR 1986, 411-412 (ST) |