Leitsatz (amtlich)
Die unrichtige Versicherung eines Gutschriftempfängers, er sei zur Erteilung von Rechnungen mit gesondertem Steuerausweis gemäß § 14 Abs. 1 UStG 1967 berechtigt, verschafft dem auf die Richtigkeit dieser Versicherung vertrauenden Gutschriftaussteller nicht den Zugang zum Abzug der in der Gutschrift gesondert ausgewiesenen Umsatzsteuer. Die unrichtige Versicherung sichert nur die Beweislage bezüglich des vertragswidrigen Verhaltens des Gutschriftempfängers, das den Gutschriftaussteller zur Zurückforderung der zusätzlich zum Nettoentgelt gezahlten (und bei ihm nicht abzugsfähigen) Umsatzsteuer berechtigt.
Normenkette
UStG 1967 §§ 14, 15 Abs. 1 Nr. 1; 1. UStDV § 5
Tatbestand
Die Kläger, Revisionskläger und Antragsteller (Kläger) sind Erben des am 5. Februar 1972 verstorbenen Kaufmanns A. Dieser betrieb bis zu seinem Tode einen Einzelhandel mit Möbeln. In den Jahren 1970 und 1971 wurden für ihn zahlreiche selbständige Handelsvertreter auf Provisionsbasis tätig. Zum wesentlichen Teil hatten diese Vertreter, die eine Auszahlung von Umsatzsteuer neben der Nettoprovision verlangt hatten, für den Kaufmann A folgenden Revers unterschrieben:
"Ich erkläre hiermit, daß ich die Mehrwertsteuer für meine Provisionsbezüge selbst an das FA abführen werde."
Aufgrund einer Betriebsprüfung im Jahre 1973 mit weiteren Ermittlungen des Beklagten, Revisionsbeklagten und Antraggegners (Finanzamt - FA -) während des Klageverfahrens hat sich ergeben, daß 156 Handelsvertreter in den Jahren 1970 und 1971 Kleinunternehmer i. S. des § 19 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1967) waren. Der Kaufmann A hatte auch gegenüber ihnen im Wege des Gutschriftverfahrens abgerechnet und neben der Nettoprovision Umsatzsteuer gesondert ausgewiesen. Dementsprechend hatte er diese gesondert ausgewiesenen Umsatzsteuern als abziehbare Vorsteuerbeträge i. S. des § 15 Abs. 1 UStG 1967 behandelt.
Das FA hält wegen § 5 Abs. 2 Nr. 1 der Ersten Verordnung zur Durchführung des Umsatzsteuergesetzes - Mehrwertsteuer - (1. UStDV) eine Abzugsberechtigung des Kaufmanns A für nicht gegeben. Es hat dementsprechend durch Sammelberichtigungsbescheid vom 10. Dezember 1979 betreffend die Jahre 1970 und 1971, den die Kläger gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Verfahrens gemacht haben, die Umsatzsteuer für 1970 und 1971 neu festgesetzt. Die Kürzung der abziehbaren Vorsteuerbeträge hat wegen der eingetretenen Überzahlungen aufgrund der Erstbescheide zur Rückzahlungspflicht von 26 849,93 DM für 1970 und von 26 609,45 DM für 1971 geführt.
Das Finanzgericht (FG) hat die auf Aufhebung des Sammelberichtigungsbescheides gerichtete Klage abgewiesen. Gehe man von der weiteren Anwendung der durch Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 17. Mai 1979 V R 112/74 (BFHE 128, 115, BStBl II 1979, 657) für rechtsunwirksam erklärten Vorschrift des § 5 der 1 .UStDV gemäß dem Erlaß des Bundesministers der Finanzen (BdF) vom 15. Oktober 1979 (BStBl I 1979, 623) als einer das FG bindenden Anpassungsregelung der Verwaltung aus, seien die Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 Nr. 1 der 1. UStDV nicht erfüllt. Danach entfalte die Gutschrift (neben anderen Voraussetzungen) nur dann die Wirkung einer den Zugang zum Vorsteuerabzug eröffnenden Rechnung mit gesondertem Steuerausweis, wenn der Unternehmer (Gutschriftempfänger) zum gesonderten Ausweis der Umsatzsteuer in einer Rechnung gemäß § 14 Abs. 1 UStG 1967 berechtigt sei. Dies sei bei den 156 Handelsvertretern nicht der Fall gewesen, denn diese hätten als Kleinunternehmer i. S. des § 19 Abs. 1 UStG 1967 keine Option zur Regelbesteuerung gemäß § 19 Abs. 4 UStG 1967 erklärt. Auf die gegenteilige Versicherung der Handelsvertreter gegenüber ihrem Geschäftsherrn A komme es nicht an. Dieser trage das steuerliche Risiko unrichtiger Versicherungen der Handelsvertreter. Ein Schutz des guten Glaubens in die Richtigkeit der Versicherung mit der Folge der Gewährung des an sich nicht zustehenden Vorsteuerabzugs sei nicht in Betracht zu ziehen.
Nach Begründung ihrer Revision haben die Kläger beim BFH als dem Gericht der Hauptsache beantragt, die Vollziehung des angefochtenen Umsatzsteuersammelbescheides vom 10. Dezember 1979 in der strittigen Höhe auszusetzen, da das FG eine Aussetzung der Vollziehung nur bis zu seiner Entscheidung im Klageverfahren gewährt und das FA eine weitere Aussetzung der Vollziehung abgelehnt habe. Die begehrte Aussetzung der Vollziehung wird im wesentlichen - soweit nicht neues tatsächliches Vorbringen vorliegt und Unvollständigkeit des finanzgerichtlichen Urteils bezüglich tatsächlicher Feststellungen behauptet wird - auf die Verletzung des Grundsätzes von Treu und Glauben gestützt. Der BdF habe in Abschn. C Teil l Abschn. 5 seines Einführungserlasses zu § 15 UStG 1967 vom 28. Juni 1969 (BStBl I 1969, 349) für das Gutschriftverfahren empfohlen, der Gutschriftaussteller möge sich in Zweifelsfällen eine schriftliche Versicherung des Gutschriftempfängers zur Eigenschaft als Regelversteuerer einverlangen. Angesichts der unübersichtlichen Rechtslage in den ersten Jahren nach Inkrafttreten des neuen Umsatzsteuergesetzes müsse dem Unternehmer zugestanden werden, daß er diesen Empfehlungen vertraut habe und bei Vorliegen der schriftlichen Versicherung seitens der ausstellenden Handelsvertreter seinen Vorsteuerabzug nicht als gefährdet ansah. Der verstorbene Kaufmann A habe erwiesenermaßen nur in diesen Fällen den Vorsteuerabzug geltend gemacht, ihn also unterlassen, wenn ihm der entsprechende Revers des Handelsvertreters nicht vorgelegen habe. Das BFH-Urteil vom 31. Januar 1980 V R 60/74 (BFHE 130, 85, BStBl II 1980, 369) sei im vorliegenden Fall nicht einschlägig. Es beträfe nämlich den anders gelagerten Fall, daß dort beide Vertragsparteien irrtümlich eine Leistung für steuerpflichtig gehalten hätten.
Entscheidungsgründe
Der zulässige Antrag der Kläger auf Aussetzung der Vollziehung des Sammelberichtigungsbescheides für die Jahre 1970 und 1971 vom 10. Dezember 1979 ist nicht begründet.
Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des vorbezeichneten Umsatzsteuersammelberichtigungsbescheides, die eine Aussetzung der Vollziehung gemäß § 69 Abs. 3 FGO rechtfertigen würden, liegen nicht vor.
Im Abrechnungsverfahren durch Gutschrift (§ 5 der 1. UStDV, jetzt § 14 Abs. 5 UStG 1980) steht dieses Abrechnungspapier immer dann einer im Rechnungsausstellungsverfahren von einem Unternehmer erteilten Rechnung mit gesondertem Sondersteuerausweis gleich, wenn die in § 5 der 1. UStDV geforderten Voraussetzungen vorliegen. Der BFH hat mit Urteil in BFHE 128, 115, BStBl II 1979, 657 entschieden, daß diese Vorschrift rechtsunwirksam ist, so daß eine Rechtsgrundlage für einen Vorsteuerabzug aufgrund von Gutschriften für die Streitjahre nicht gegeben ist. Selbst wenn die Anwendung des dazu ergangenen Schreibens des BdF vom 15. Oktober 1979 (BStBl I 1979, 623) im Einzelfall als eine von den Gerichten zu beachtende Milderungsmaßnahme zu beurteilen wäre, könnten die Kläger aus dem Standpunkt dieses BdF-Schreibens (Gewährung des Vorsteuerabzugs unter den Voraussetzungen des § 5 der 1. UStDV bis zum 31. Dezember 1979) keine Berechtigung zum Vorsteuerabzug ableiten.
§ 5 Abs. 2 der 1. UStDV fordert, daß der Gutschriftempfänger (hier die Handelsvertreter) ein Unternehmer sein muß, der zum gesonderten Ausweis der Steuer in einer Rechnung nach § 14 Abs. 1 UStG 1967 berechtigt ist (sog. Regelversteuerer). Damit kann gegenüber Kleinunternehmern i. S. des § 19 Abs. 1 UStG 1967 nicht im Gutschriftswege abgerechnet werden. Abrechnungen gegenüber diesen Unternehmern sind keine Gutschriften i. S. des § 5 der 1. UStDV und berechtigen damit nicht zum Vorsteuerabzug. Diese Rechtsfolge tritt ebenso bei Fehlen anderer in § 5 der 1. UStDV beschriebenen Voraussetzungen ein, so auch bei der Abrechnung über eine nichtsteuerbare oder steuerfreie Leistung, weil durch Gutschriften nur über steuerpflichtige Leistungen abgerechnet werden kann (vgl. Urteil des BFH vom 31. Januar 1980 V R 60/74, BFHE 130, 85, BStBl II 1980, 369). Wie der Senat in diesem Urteil ausgeführt hat, geht der Gutschriftaussteller bei diesem Abrechnungsverfahren ein erhebliches steuerliches Risiko ein, weil die steuerrechtlichen Wertungen, die die Beteiligten des Gutschriftausstellungsverfahrens oder auch nur einer von ihnen der Ausstellung der Gutschrift zugrunde legen, sich möglicherweise später als unzutreffend erweisen. So ist im vorliegenden Fall der Kaufmann A aufgrund der entsprechenden Erklärungen der Handelsvertreter von der unrichtigen Annahme ausgegangen, daß es sich bei diesen um Regelversteuerer handele.
Die Kläger sind der Auffassung, die Rechtsfolge einer Versagung des Vorsteuerabzugs trete wegen einer Bindung der Finanzverwaltung aus dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht ein. Sie verweisen zur Begründung dieser Rechtsauffassung auf den Einführungserlaß des BdF zu § 15 UStG 1967 vom 28. Juni 1969. Dort wird in Abschn. C Teil I Abschn. 5 ausgeführt, daß der Vorsteuerabzug nur möglich sei, wenn der Gutschriftempfänger Regelversteuerer sei. Wenn dies im Einzelfall zweifelhaft sei, habe sich der Gutschriftaussteller in geeigneter Weise darüber Klarheit zu verschaffen. Im allgemeinen werde es sich empfehlen, vom anderen eine entsprechende schriftliche Versicherung zu verlangen.
Diese Ausführungen sind nicht dahin zu verstehen, daß die schriftliche Versicherung eines Kleinunternehmers, der als solcher nicht zum gesonderten Steuerausweis berechtigt ist, den guten Glauben des Gutschriftausstellers an die Regelversteuerereigenschaft des Gutschriftempfängers und in die Richtigkeit der abgegebenen Versicherung mit der Wirkung einer Gewährung des Vorsteuerabzugs schützt. Vielmehr sichert eine solche vom Gutschriftempfänger abgegebene, inhaltlich falsche Versicherung lediglich die Beweislage bezüglich eines vertragswidrigen Verhaltens des Vertragspartners (Gutschriftempfängers). Dieser hat unter Berufung auf die abgegebene Versicherung vom Geschäftsherrn und Gutschriftaussteller (hier dem Kaufmann A) zusätzlich zur Nettoprovision die darauf entfallende Umsatzsteuer verlangt und ihn damit zu Zahlungen zu Lasten seines Vermögens veranlaßt, die unter der Voraussetzung erfolgten, in Höhe dieser Zahlungen eine Berechtigung zum Vorsteuerabzug zu erlangen. Nach Auffassung des erkennenden Senats ist der dadurch dem Kaufmann A (und den Klägern als seinen Erben) vorsätzlich zugefügte Schaden nicht durch Zahlungen des Fiskus (im Wege der Gewährung von nach der Rechtslage nicht zustehenden Vorsteuerbeträgen) auszugleichen (denen keine Steuereinnahmen in gleicher Höhe gegenüberstehen, was nach dem Grundgedanken der neuen Umsatzsteuer der Ausgleichswirkung von Steuer und Vorsteuer in der Unternehmerkette entspräche), sondern der Geschädigte hat sich zivilrechtlich an denjenigen zu halten, der ihm den Schaden zugefügt hat. Das sind im vorliegenden Fall die Handelsvertreter, die sachlich unzutreffende Versicherungen abgegeben haben. Etwas anderes ist den erwähnten Ausführungen im Einführungserlaß des BdF zu § 15 UStG 1967 nicht zu entnehmen, so daß sich die Kläger für ihr Klagebegehren nicht auf den Grundsatz von Treu und Glauben berufen können.
Sollten die Handelsvertreter, soweit dies verfahrensrechtlich überhaupt noch möglich ist, nachträglich für die Streitjahre zur Regelversteuerung optieren, könnte eine neue Gutschrift erstellt und die darin ausgewiesene Umsatzsteuer noch als Vorsteuerbetrag geltend gemacht werden. Für die Streitjahre 1970 und 1971 ist bei der gegebenen Verfahrenslage jedoch ein Abzug nicht mehr möglich.
Fundstellen
BStBl II 1981, 543 |
BFHE 1981, 118 |