Entscheidungsstichwort (Thema)
Haushaltswechsel des Kindes; Rückforderung des Kindergeldes vom Leistungsempfänger; Rückforderung des sog. Zählkindervorteils
Leitsatz (NV)
- Bei mehreren Berechtigten (Eltern) ist das Kindergeld an denjenigen zu zahlen, in dessen Haushalt das Kind aufgenommen ist.
- Haben sich die für die Zahlung des Kindergeldes maßgeblichen Verhältnisse durch einen Haushaltswechsel des Kindes geändert, so ist die ‐ nicht mehr der Rechtslage entsprechende ‐ Festsetzung des Kindergeldes vom Zeitpunkt der Veränderung der Verhältnisse an aufzuheben und das Kindergeld zurückzufordern.
- In einem solchen Fall kann sich die Rückforderung wegen Fehlens eines Zahlkindes auch auf den sog. Zählkindervorteil erstrecken.
- Der kindergeldrechtliche Rückforderungsanspruch richtet sich grundsätzlich gegen den Leistungsempfänger i.S. des § 37 Abs. 2 AO 1977. Ein Dritter ist nicht als Leistungsempfänger anzusehen, wenn das Arbeitsamt das Kindergeld aufgrund einer Zahlungsanweisung des ursprünglich Kindergeldberechtigten an den Dritten ausbezahlt.
- § 818 Abs. 3 BGB ist im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Rückforderungsanspruchs nach § 37 Abs. 2 AO 1977 nicht anwendbar und enthält auch keinen allgemeinen Rechtsgedanken, der bei einer Rückforderung des Kindergeldes zu berücksichtigen ist.
Normenkette
EStG § 64 Abs. 1, § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 2; AO 1977 § 37 Abs. 2; BGB § 818 Abs. 3; EStG § 70 Abs. 2, § 68 Abs. 1, § 66 Abs. 1 S. 1, § 64 Abs. 2 S. 1
Tatbestand
Aus der Ehe des Antragstellers und Beschwerdeführers (Antragsteller) sind zwei Kinder (J, geb. 1986 und N, geb. 1990) hervorgegangen. Er hat ferner eine nichteheliche Tochter (M, geb. 1983), die bei deren Mutter lebt.
Mit Antrag vom 2. Juli 1992 begehrte der Antragsteller mit Einverständnis seiner Ehefrau erfolgreich Kindergeld für seine zwei ehelichen Kinder. Ausweislich eines Schreibens der Ehefrau vom gleichen Tage wurde der Antragsteller deshalb als Berechtigter bestimmt, weil ein Zählkind (gemeint: M) vorhanden war.
Mitte 1998 erfuhr das Arbeitsamt -Familienkasse- (Familienkasse), dass der Antragsteller und seine Ehefrau seit längerer Zeit getrennt lebten und sich die beiden Kinder im Haushalt der Ehefrau aufhielten. Daraufhin hob die Familienkasse zunächst die Festsetzung des Kindergeldes ab Juli 1998 bestandskräftig auf und anschließend mit dem hier streitigen Bescheid vom 22. Januar 1999 die Festsetzung ab Juli 1997 bis Juni 1998. Anlässlich dieser Vorgänge bemerkte die Familienkasse, dass sie ―entsprechend der Anweisung des Antragstellers im Kindergeldantrag vom 2. Juli 1992― das Kindergeld seit jener Zeit auf ein Konto der Ehefrau ausbezahlt hatte.
Da die Ehefrau das Kindergeld für die beiden Kinder vom Juli 1997 bis Juni 1998 tatsächlich erhalten bzw. der Antragsteller das Kindergeld "weitergeleitet" hatte, forderte die Familienkasse vom Antragsteller nicht das volle Kindergeld in Höhe von 6 240 DM, sondern lediglich den sog. Zählkindervorteil in Höhe von 960 DM zurück. Nach erfolglosem Einspruch erhob der Antragsteller Klage. Zugleich stellte er beim Finanzgericht (FG) einen Antrag auf Prozesskostenhilfe (PKH).
Während des Klageverfahrens hat die Familienkasse mit Bescheid vom 2. Juni 1999, geändert durch Bescheid vom 2. Dezember 1999, die Festsetzung des Kindergeldes für den vorhergehenden Zeitraum Juni 1996 bis Juni 1997 aufgehoben und gleichfalls den Zählkindervorteil in Höhe von 1 180 DM zurückgefordert. Gegen den Bescheid vom 2. Dezember 1999 legte der Antragsteller Einspruch ein. Unter Bezugnahme auf die Rechtsbehelfsbelehrung der Familienkasse machte er den Änderungsbescheid zusätzlich nach § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Verfahrens. Mit Einspruchsentscheidung vom 22. Dezember 1999 verwarf die Familienkasse schließlich den Einspruch des Antragstellers als unzulässig. Zur Begründung führte sie an, der Einspruch gegen den Bescheid vom 2. Dezember 1999 sei nicht statthaft, da dieser Bescheid bereits zum Gegenstand des Klageverfahrens erklärt worden sei.
Mit Beschluss vom 16. August 2000 hat das FG den PKH-Antrag des Antragstellers abgelehnt. Der Bescheid vom 2. Dezember 1999 (Kindergeld für Juni 1996 bis Juni 1997) stehe nicht im Streit, da er nach § 68 FGO nicht zum Gegenstand des Verfahrens gemacht werden konnte. § 68 FGO setze identische Regelungsbereiche voraus. Der streitbefangene Bescheid vom 22. Januar 1999 und der neue Bescheid vom 2. Dezember 1999 bezögen sich auf verschiedene Kindergeldzeiträume.
Gegen den ablehnenden PKH-Beschluss legte der Antragsteller Beschwerde ein. Zur Begründung führte er im Wesentlichen an, seine ehemalige Ehefrau sei in Wahrheit die Kindergeldberechtigte gewesen. Der Zählkindervorteil in Höhe von 960 DM sei nicht ihm, sondern seiner Ehefrau zugeflossen. Er habe sich nicht als Zahlungsempfänger betrachtet, da er auf dem Kindergeldantrag das Konto der Ehefrau angegeben habe. Diese sei zur Rückzahlung des Zählkindervorteils verpflichtet.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß, ihm unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses PKH zu gewähren.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unbegründet. Das FG hat den PKH-Antrag zu Recht abgelehnt, weil die Klage bei der gebotenen summarischen Prüfung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (§ 142 Abs. 1 FGO i.V.m. § 114 der Zivilprozeßordnung ―ZPO―).
1. Der Senat geht der Frage nicht weiter nach, ob und inwieweit die verfahrensrechtliche Behandlung des Bescheids vom 2. Dezember 1999 (Kindergeld für Juni 1996 bis Juni 1997) durch die Familienkasse und die Vorinstanz zutreffend ist. Der Senat sieht zu einer näheren Prüfung auch deshalb keinen Anlass, weil der Antragsteller in seiner Beschwerdebegründung ausschließlich auf den streitbefangenen Zählkindervorteil in Höhe von 960 DM (Kindergeld für Juli 1997 bis Juni 1998) abgestellt hat.
2. Zutreffend hat die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung für die Zeit von Juli 1997 bis Juni 1998 gegenüber dem Antragsteller aufgehoben, weil dieser insoweit keinen Anspruch auf Kindergeld für die beiden Kinder mehr hatte. Nach § 64 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) erhält für jedes Kind nur ein Berechtigter Kindergeld. Bei mehreren Berechtigten wird das Kindergeld demjenigen gezahlt, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat (§ 64 Abs. 2 Satz 1 EStG). Dies gilt insbesondere dann, wenn sich die Eltern trennen und das Kind anschließend nur bei einem der Berechtigten im Haushalt lebt. Haben sich die für die Zahlung des Kindergeldes maßgeblichen Verhältnisse durch einen Haushaltswechsel des Kindes geändert, so ist die ―nicht mehr der Rechtslage entsprechende― Festsetzung des Kindergeldes vom Zeitpunkt der Veränderung der Verhältnisse an aufzuheben (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. Beschlüsse vom 30. Juni 2000 VI B 93/99, BFH/NV 2001, 33; vom 30. März 2000 VI B 53/99, BFH/NV 2000, 1190; vom 10. November 1998 VI B 125/98, BFHE 187, 477, BStBl II 1999, 137; vom 7. Februar 2000 VI B 254/99, BFH/NV 2000, 948, m.w.N.).
Der Antragsteller war zweifellos auch der ursprüngliche Kindergeldberechtigte. Der das Kindergeld festsetzende Bescheid war an ihn gerichtet. Dies stand überdies im Einklang mit seinem Antrag vom 2. Juli 1992, in dem der Antragsteller und seine damalige Ehefrau ―auch im Hinblick auf das vorhandene nichteheliche Kind M als Zählkind― den Antragsteller als Berechtigten bestimmt hatten (zu dieser Gestaltungsmöglichkeit: vgl. auch Seewald/Felix in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 66 Rdnr. B 6).
Mit der Aufhebung der Kindergeldfestsetzung entfiel auch der bisher berücksichtigte Zählkindervorteil (vgl. Seewald/Felix, a.a.O., § 63 Rdnr. A 3 ff. und § 66 Rdnr. B 3 ff.). Denn das nichteheliche Kind M, das im Haushalt seiner Mutter lebte und für das diese kindergeldberechtigt war, wurde beim Antragsteller als Kindergeldberechtigtem dahin gehend berücksichtigt, dass es als Zählkind (ältestes Kind mit der Ordnungszahl 1) zur Erhöhung des Kindergeldes für die beiden ehelichen Kinder (Kinder mit den Ordnungszahlen 2 und 3) führte, solange diese im Haushalt des Antragstellers gelebt haben (§ 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 3, § 64 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1, § 66 Abs. 1 Satz 1 EStG; Greite in Korn, Einkommensteuer, Kommentar, § 63 Rz. 5 und § 66 Rz. 7).
Der Antragsteller kann sich auch nicht auf Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes berufen. Denn er hat seine im Rahmen des Kindergeldrechtsverhältnisses bestehende Mitwirkungspflicht (vgl. § 68 Abs. 1 EStG) verletzt, indem er den Haushaltswechsel der Kinder nicht unverzüglich der Familienkasse mitgeteilt hat (vgl. u.a. Senatsbeschlüsse vom 19. Mai 1999 VI B 259/98, BFH/NV 1999, 1331; vom 18. Dezember 1998 VI B 215/98, BFHE 187, 559, BStBl II 1999, 231).
3. Rechtliche Bedenken bestehen auch nicht gegen den von der Familienkasse erlassenen, mit dem Aufhebungsbescheid verbundenen (auf den Zählkindervorteil beschränkten) Rückforderungsbescheid vom 22. Januar 1999.
Da aufgrund der rechtmäßigen Aufhebung der Kindergeldfestsetzung der rechtliche Grund für die Zahlung des Kindergeldes an den Antragsteller weggefallen ist, konnte die Familienkasse gemäß § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) das gezahlte Kindergeld in Höhe von 960 DM zurückfordern (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 12. April 2000 VI B 113/99, BFH/NV 2000, 1192).
Der Rückforderungsbescheid richtet sich auch zu Recht gegen den Antragsteller und nicht gegen seine frühere Ehefrau.
Schuldner eines abgabenrechtlichen Rückforderungsanspruchs ist derjenige, zu dessen Gunsten erkennbar die Zahlung geleistet wurde, die zurückverlangt wird. Dies ist im Streitfall der Antragsteller. Denn die Familienkasse leistete die Kindergeldzahlungen an den Antragsteller in dem Willen, ihre kindergeldrechtliche Verpflichtung diesem gegenüber zu erfüllen (vgl. auch BFH-Beschluss vom 21. Februar 2000 VII B 157/99, BFH/NV 2000, 941, m.w.N.). Besonders deutlich wird dies durch den Zählkindervorteil, der nur dem Antragsteller zustand.
Es ist zwar richtig, dass in den Fällen, in denen an dem Steuererstattungs- bzw. vergütungsvorgang mehrere Personen beteiligt waren, der Leistungsempfänger mit dem Empfänger der Zahlung nicht identisch sein muss (vgl. Schmieszek in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 37 AO 1977 Rz. 68; Klein/ Brockmeyer, Abgabenordnung, § 37 Rz. 32, jeweils m.w.N.). Hieraus ergibt sich indessen für den Streitfall nichts Gegenteiliges. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass ein Dritter als tatsächlicher Empfänger einer Zahlung dann nicht Leistungsempfänger i.S. des § 37 Abs. 2 AO 1977 ist, wenn das Finanzamt (FA) u.a. aufgrund einer Zahlungsanweisung des Erstattungs- bzw. Vergütungsberechtigten an einen Dritten auszahlt (vgl. BFH-Urteile vom 13. Juni 1997 VII R 62/96, BFH/NV 1998, 143, 144; vom 13. Februar 1996 VII R 89/95, BFHE 180, 1, BStBl II 1996, 436, 438; Beschluss vom 8. April 1986 VII B 128/85, BFHE 146, 229, BStBl II 1986, 511, Urteil vom 6. Dezember 1988 VII R 206/83, BFHE 155, 40, BStBl II 1989, 223; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 37 AO 1977 Tz. 31). Auch in einem solchen Fall erbringt das FA seine Leistung mit dem Willen, eine Forderung gegenüber dem tatsächlichen Rechtsinhaber zu erfüllen. Da der durch die Anweisung begünstigte Zahlungsempfänger den Zahlungsanspruch nicht aus eigenem Recht geltend machen kann und das FA seine Leistung mit dem Willen erbringt, eine Forderung gegenüber dem tatsächlichen Rechtsinhaber mit befreiender Wirkung zu erfüllen, ist nicht der Zahlungsempfänger, sondern der nach materiellem Steuerrecht Erstattungs- bzw. Vergütungsberechtigte als Leistungsempfänger i.S. des § 37 Abs. 2 AO 1977 anzusehen (BFH-Beschluss in BFHE 146, 229, BStBl II 1986, 511, Urteil in BFHE 155, 40, BStBl II 1989, 223; vgl. auch FG Düsseldorf, Urteil vom 11. August 1999 9 K 1075/99 Kg, Entscheidungen der Finanzgerichte ―EFG― 1999, 1206). Diese Grundsätze gelten auch im steuerlichen Kindergeldrecht, da Kindergeld als Steuervergütung (vgl. § 31 Satz 3 EStG) gezahlt wird.
Auch im Streitfall erfolgte die Auszahlung des Kindergeldes an die Ehefrau auf Anweisung des Antragstellers. Die Ehefrau fungierte lediglich als Zahlstelle. In einer anderen Eigenschaft ist die Ehefrau der Familienkasse gegenüber im Rahmen des hier maßgeblichen Steuer(vergütungs)verhältnisses nicht aufgetreten.
Der Antragsteller kann sich im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Rückforderungsanspruchs nach § 37 Abs. 2 AO 1977 auch nicht auf den Wegfall der Bereicherung berufen. § 818 Abs. 3 des Bürgerlichen Gesetzbuches ist nicht anwendbar und enthält auch keinen allgemeinen Rechtsgedanken, der bei einer Rückforderung zu Unrecht gezahlten Kindergeldes zu berücksichtigen ist (vgl. auch BFH-Beschlüsse vom 13. März 2000 VI B 286/99, BFH/NV 2000, 1088; vom 27. April 1998 VII B 296/97, BFH/NV 1998, 1150; vom 27. April 1998 VII B 296/97; BFHE 185, 364, BStBl II 1998, 499; vom 19. September 1997 V B 39/97, BFH/NV 1998, 280; Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 37 AO 1977 Rz. 93, m.w.N.; Greite in Korn, a.a.O., § 64 Rz. 15; Klein/Brockmeyer, a.a.O., § 37 Rz. 36; Tipke/Kruse, a.a.O., § 37 AO 1977 Tz. 25).
Fundstellen
Haufe-Index 602772 |
BFH/NV 2001, 1117 |