Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Richterablehnung wegen verweigerter Aktenübersendung; dienstliche Äußerung des abgelehnten Richters bei unstreitigem Sachverhalt entbehrlich
Leitsatz (NV)
1. Lehnt ein Richter ein Gesuch um Aktenübersendung in eine Anwaltskanzlei in Anlehnung an die ständige Rechtsprechung ab, so kann hieraus nicht die Folgerung gezogen werden, der Richter sei befangen.
2. Eine dienstliche Äußerung des Richters zum Ablehnungsgesuch ist zwar vom Gesetz vorgesehen. Ihr Fehlen ist indes dann unschädlich, wenn der zur Entscheidung stehende Sachverhalt unstreitig feststeht.
Normenkette
FGO § 155; ZPO § 42
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) beantragte am 13. Dezember 1985, seinem Prozeßbevollmächtigten ,,die Gerichtsakte nebst Beiakten zur Einsichtnahme zukommen zu lassen". Daraufhin teilte der Berichterstatter, Richter am Finanzgericht Dr. E, dem Prozeßbevollmächtigten durch Schreiben vom 17. Dezember 1985 mit, daß eine Übersendung der Akten in die Praxis des Prozeßbevollmächtigten nicht in Betracht komme. Der Berichterstatter bat um Mitteilung bis zum 10. Januar 1986, ob der Prozeßbevollmächtigte die Akten beim Finanzgericht (FG) Münster, beim Amtsgericht Hagen oder bei dem Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt - FA -) einsehen wolle. Daraufhin lehnte der Kläger den Berichterstatter wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Zur Begründung führte er im wesentlichen aus, die Besorgnis der Befangenheit ergebe sich daraus, daß der Berichterstatter seinen - des Klägers - Prozeßgegner ihm gegenüber bevorzuge. Aus dem Schreiben des Berichterstatters vom 17. Dezember 1985 gehe hervor, daß dieser bereit wäre, die Gerichtsakte mit Beiakten dem Prozeßgegner persönlich in dessen Räumlichkeiten zu übersenden.
Der Berichterstatter hat sich zu dem Ablehnungsgesuch nicht geäußert.
Das FG wies das Gesuch durch Beschluß zurück. Es führte aus, es könne offenbleiben, ob die vom Berichterstatter gewählte Form der Gewährung von Akteneinsicht objektiv rechtmäßig oder rechtswidrig sei. Das Vorgehen des Berichterstatters sei jedenfalls nicht sachwidrig, da es sich im Rahmen einer langjährigen Übung im finanzgerichtlichen Verfahren halte.
Mit der Beschwerde wird gerügt, es liege ein Verfahrensfehler vor; denn der abgelehnte Richter habe sich nicht dienstlich zu dem Ablehnungsgesuch geäußert. Im übrigen bestehe der Anschein der Parteilichkeit des Berichterstatters fort. Dieser Anschein reiche zur Richterablehnung aus.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unbegründet.
Gemäß § 155 der Finanzgerichtsordnung (FGO), § 42 der Zivilprozeßordnung (ZPO) kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. Die Ablehnung findet nach dem Gesetzeswortlaut statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen.
Das FG hat ohne Rechtsverstoß einen solchen Grund als nicht gegeben erachtet. Der vom Kläger abgelehnte Richter Dr. E hat sich mit seiner Äußerung zur Aktenversendung und -einsichtnahme an der ständigen Rechtsprechung der Gerichte der Finanzgerichtsbarkeit orientiert, die u.a. durch die sich aus dem Steuergeheimnis ergebenden Besonderheiten des finanzgerichtlichen Verfahrens geprägt ist (vgl. u.a. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 3. Dezember 1974 VII B 88/74, BFHE 114, 173, BStBl II 1975, 235, 236). Hieraus läßt sich bei objektiver Beurteilung keine gegen den Kläger persönlich gerichtete Einstellung des abgelehnten Richters entnehmen.
Der Umstand, daß der abgelehnte Richter sich zu dem Ablehnungsgesuch nicht geäußert hat, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Eine solche dienstliche Äußerung ist zwar vom Gesetz vorgesehen. Aus ihrem Fehlen können indes dann keine Rückschlüsse gezogen werden, wenn der zur Entscheidung stehende Sachverhalt unstreitig feststeht. Denn eine Äußerung des abgelehnten Richters ist nur zu Tatsachenfragen erforderlich (vgl. u.a. Thomas/Putzo, ZPO, Zivilprozeßordnung mit Nebengesetzen, 14. Aufl., § 44 Anm. 3).
Fundstellen