Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum Begriff der offenbaren Unrichtigkeit
Leitsatz (NV)
Kein Ausschluß einer Berichtigung nach § 129 AO 1977 bei einem Änderungsbescheid, wenn die Änderung auf einen (aus anderen Gründen) eingelegten Einspruch hin erfolgt und eine im Erstbescheid enthaltene offenbare Unrichtigkeit unbemerkt übernommen worden war.
Normenkette
AO 1977 § 129
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist selbständiger Kaufmann, seine Ehefrau kaufmännische Angestellte. Für das Kalenderjahr 1975 - das Streitjahr - hatten sie am 28. April 1978 eine gemeinsame Einkommensteuererklärung abgegeben. Darin waren die Einkünfte aus Gewerbebetrieb des Ehemannes mit 21 226 DM und die Einnahmen der Ehefrau aus nichtselbständiger Arbeit, die sie bei der X-GmbH bezogen hatte, mit 25 700 DM angegeben. Die Angaben der Ehefrau über ihre Einkünfte stimmten jedoch nicht mit der Eintragung ihrer Arbeitgeberin in der Lohnsteuerkarte 1975 überein. Denn dort ist ein Betrag von 25 710, 48 DM vermerkt. Dem damaligen Bearbeiter der Veranlagung der Eheleute war dieser Unterschied zwar aufgefallen, er übernahm jedoch statt eines Betrages von 25 710 DM nur einen solchen von 20 710 DM in den Übertragungsbogen. Dergestalt sind auch in dem Einkommensteuerbescheid 1975 vom 16. Februar 1979 - dem Erstbescheid - die Einnahmen der Ehefrau mit 20 710 DM übernommen worden. Gegen diesen Bescheid hat allein der Ehemann durch seinen Steuerberater Einspruch eingelegt und darin ausschließlich die Nichtberücksichtigung eines ihm zustehenden Pauschbetrages für Körperbehinderte nach § 33 b des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von 600 DM gerügt. Mit diesem Einspruch hatte er Erfolg. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) erließ unter dem 15. Mai 1979 einen berichtigten Einkommensteuerbescheid für das Jahr 1975 - den Zweitbescheid,- in dem der beantragte Pauschbetrag für Körperbehinderte von 600 DM berücksichtigt worden ist, im übrigen aber die bisherigen Besteuerungsmerkmale unverändert belassen worden sind. Erst in einem weiteren berichtigten Bescheid vom 16. November 1982 ist der vorerwähnte unrichtige Ansatz der Einnahmen der Ehefrau aus nichtselbstständiger Arbeit entsprechend dem Inhalt der Lohnsteuerkarte geändert worden.
Nach hiergegen erhobenem, indessen erfolglosem Einspruch hatten die Kläger mit ihrer Klage vor dem Finanzgericht (FG) Erfolg. Dieses hob durch sein in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1984,158 abgedrucktes Urteil vom 13. September 1983 VI 249/83 E sowohl den zuletzt genannten Änderungsbescheid als auch die darauf ergangene Einspruchsentscheidung des FA auf, und zwar mit folgender Begründung: Im Streitfall könne dahingestellt bleiben, ob die falsche Übertragung des Brutto-Arbeitsverdienstes der Ehefrau des Klägers i. S. des § 129 der Abgabenordnung (AO 1977) ein Schreib- oder Rechenfehler oder aber eine offensichtliche Unrichtigkeit darstelle. Denn nach ständiger Rechtsprechung schließe allein die Möglichkeit eines Rechtsirrtums oder einer rechtsfehlerhaften Behandlung die Annahme eines offenbaren mechanischen Fehlers aus. Offenbare Unrichtigkeiten lägen auch dann nicht vor, wenn der Fehler auf mangelnder Sachaufklärung oder mangelnder Überprüfung des Akteninhalts beruhe. So liege es aber hier. Denn aufgrund des gegen den Erstbescheid gerichteten Einspruchs habe das FA gemäß § 367 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 die Sache in vollem Umfang erneut zu prüfen gehabt. Es habe sich also nicht darauf beschränken dürfen, lediglich die Berechtigung des von den Einspruchsführern geltend gemachten Freibetrages zu untersuchen, sondern es habe darüber hinaus prüfen müssen, ob der angefochtene Bescheid nicht auch in anderen Punkten von Amts wegen zu berichtigen gewesen wäre, etwa im Wege einer Abänderung zum Nachteil i. S. des § 367 Abs. 2 Satz 2 AO 1977. Wenn die Korrektur des bei der ursprünglichen Veranlagung unterlaufen Schreibfehlers im Einspruchsverfahren unterblieben sei, weil der Bearbeiter in Unkenntnis der Vorschrift des § 367 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 oder aber aus anderen Gründen eine erneute vollinhaltliche Überprüfung der Veranlagung unterlassen habe, so habe die Beibehaltung des ursprünglichen Schreibfehlers unmittelbar auf einer rechtsfehlerhaften Behandlung des Einspruchs beruht. Der ursprüngliche, auf ein mechanisches Versehen zurückzuführende Fehler stelle sich dann als das Ergebnis einer falschen Rechtsanwendung dar.
Hiergegen wendet sich das FA mit seiner durch die Vorinstanz zugelassenen Revision. Das FA rügt die Verletzung des § 129 AO 1977 und beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Abweisung der Klage.
Das FG hat zu Unrecht die Voraussetzungen des § 129 AO 1977 in bezug auf den letzten gegen die Kläger ergangenen Änderungsbescheid nicht für gegeben erachtet. Nach Satz 1 dieser Vorschrift kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlaß eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit berichtigen. Im Streitfalle ist dem Erstbearbeiter der Einkommensteuerveranlagung der Kläger für das Kalenderjahr 1975 ein Schreibfehler dahin unterlaufen, daß er entsprechend dem Inhalt der Lohnsteuerkarte der Klägerin deren Angaben in der Einkommensteuererklärung von 25 700 DM in 25 710 DM hat übertragen wollen, jedoch infolge eines Versehens nur den Betrag von 20 710 DM in den Berechnungsbogen eingesetzt hat.
Darin ist ein mechanisches Versehen zu sehen, das als Übertragungsfehler einem Schreib- oder Rechenfehler gleichzuachten ist (vgl. dazu Klein/Orlopp, Abgabenordnung, 3. Aufl., § 129, Anm. 2). Der Fehler ist auch offenbar. Denn ein objektiver dritter Beachter hätte bei Kenntnis der Verhältnisse der Betroffenen die fehlerhafte Wiedergabe des mit dem Bescheid wirklich Gewollten ohne weiteres erkennen können. Dies scheint auch vom FG nicht ernsthaft in Zweifel gezogen zu sein. Schließlich stützt es seine gegen das FA lautende Entscheidung in der Hauptsache darauf, daß dieses seiner in § 367 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 enthaltenen Verpflichtung nicht nachgekommen sei, im Falle einer Einspruchseinlegung die Sache in vollem Umfang erneut zu prüfen. Es hat daraus gefolgert, daß die Verletzung dieser Vorschrift und die fortlaufende Übernahme des ursprünglichen Schreibfehlers diesen nunmehr zu einem Rechtsfehler habe werden lassen, der einer Berichtigung nach § 129 AO 1977 entgegenstehe. Diese Rechtsauffassung hat der erkennende Senat in seinem Urteil vom 29. März 1985 VI R 140/81 ( BFHE 144, 118, BStBl II 1985, 569 ) in einem ähnlichen Fall als unzutreffend abgelehnt. Wegen der Gründe im einzelnen wird hierauf verwiesen. Der Senat sieht keine Veranlassung, hiervon für den Sreitfall abzuweichen. Zwar können solche Fehler nicht als offenbare Unrichtigkeit i. S. des § 129 AO 1977 gelten, die einerseits mechanisch sind, aber doch letztlich auf unzureichender Sachaufklärung beruhen. Hiervon kann im Streitfall jedoch nicht ausgegangen werden. Denn der Bearbeiter des ersten Einspruchs hatte keine Veranlassung, sich nochmals im einzelnen mit den Einkünften der Klägerin aus nichtselbständiger Arbeit zu befassen, da ausschließlich ihr Ehemann den Bescheid angefochten und um Bewilligung eines Pauschbetrags für Körperbehinderte nachgesucht hatte.
Die Sache ist entscheidungsreif. Der Senat entscheidet nach § 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) in der Sache selbst. Auf die Revision hin war somit das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Fundstellen