Entscheidungsstichwort (Thema)
Anrechnungsanspruch bei nicht in der Einkommensteuerveranlagung erfasster vGA
Leitsatz (NV)
- Die Anrechnung von Körperschaftsteuer setzt aus systematischen Gründen voraus, dass die entsprechenden Einnahmen bei der Einkommensteuer-Veranlagung des Gesellschafters erfasst wurden, damit sichergestellt ist, dass ausgeschüttete Gewinne mindestens einmal der inländischen Besteuerung unterliegen.
- Das FA darf in einem Abrechnungsbescheid die Anrechnung der auf eine vGA entfallenden Körperschaftsteuer versagen, wenn der Steuerpflichtige die Zurücknahme der ihn begünstigenden Anrechnungsverfügung bestandskräftig werden lässt.
Normenkette
EStG 1990 § 20 Abs. 1 Nrn. 1-2, § 36 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 S. 4 Buchst. f., § 52 Abs. 25 S. 2 Buchst. f.; AO 1977 § 130 Abs. 2, § 218 Abs. 2
Verfahrensgang
FG München (EFG 2001, 1285) |
Tatbestand
I. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob Steuerpflichtige einen Anspruch auf Anrechnung der Körperschaftsteuer auf verdeckte Gewinnausschüttungen (vGA) haben, auch wenn die entsprechenden Einnahmen bei der Einkommensteuerveranlagung nicht erfasst wurden.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist an einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) mehrheitlich beteiligt, bei der im Rahmen einer Betriebsprüfung vGA festgestellt wurden. Diese wurden durch inzwischen bestandskräftige Steuerbescheide der Körperschaftsteuer unterworfen und parallel durch Änderungsbescheide vom 7. November 1990 für das Jahr 1983 und vom 20. November 1990 für 1984 (Streitjahre) bei den Einkommensteuerfestsetzungen für den Kläger berücksichtigt. Die auf die vGA entfallende Körperschaftsteuer wurde auf die festgesetzte Einkommensteuer angerechnet.
Auf einen Einspruch des Klägers hin wurden die vorgenannten Bescheide vom 7. und 20. November 1990 durch weitere Änderungsbescheide vom 7. Februar 1994 aufgehoben bzw. geändert. Die vGA wurden nun nicht mehr der Besteuerung unterworfen und die Anrechnung der Körperschaftsteuer wurde rückgängig gemacht. Auf die Bescheide vom 7. Februar 1994 reagierte der Kläger erst mit Schreiben vom 18. März 1994, in welchem er mitteilte, dass die festgesetzten Besteuerungsgrundlagen in Ordnung seien, die Körperschaftsteuer auf die vGA aber noch anzurechnen sei. Nachdem dieses Begehren ohne Erfolg blieb, beantragte er später den Erlass eines rechtsmittelfähigen Bescheides, woraufhin ein Abrechnungsbescheid gemäß § 218 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) erging. In diesem Bescheid wurde die Anrechnung der Körperschaftsteuer wiederum abgelehnt.
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren legte der Kläger gegen den Abrechnungsbescheid in Form der vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt ―FA―) erlassenen Einspruchsentscheidung Klage ein, die das Finanzgericht (FG) als unbegründet abwies. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 1285 veröffentlicht.
Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Er beantragt sinngemäß, das FG-Urteil aufzuheben, den Abrechnungsbescheid zu ändern und auf die Einkommensteuernachforderung 1983 Körperschaftsteuer in Höhe von 112 500 DM sowie auf diejenige für das Jahr 1984 in Höhe von 28 125 DM anzurechnen.
Das FA beantragt sinngemäß, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Das FG hat dem Kläger im Ergebnis zu Recht die Anrechnung der auf die vom FA festgestellten vGA angefallenen Körperschaftsteuer auf seine Einkommensteuer versagt.
1. Nach § 36 Abs. 2 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der für die Streitjahre gültigen Fassung wird auf die Einkommensteuer die Körperschaftsteuer einer unbeschränkt steuerpflichtigen Körperschaft in Höhe von 9/16 der Einnahmen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 EStG angerechnet. Aus systematischen Erwägungen setzt die Anrechnung von Körperschaftsteuer allerdings voraus, dass die entsprechenden Einnahmen bei der Einkommensteuer-Veranlagung erfasst wurden, damit sichergestellt ist, dass ausgeschüttete Gewinne mindestens einmal der inländischen Besteuerung unterliegen (vgl. Senatsurteil vom 27. März 1996 I R 87/95, BFHE 180, 332, BStBl II 1996, 473, m.w.N.).
Dies folgt auch aus § 36 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 Satz 4 Buchst. f EStG 1990, wonach die Körperschaftsteuer nicht angerechnet wird, wenn die vorgenannten Einnahmen bei der Veranlagung nicht erfasst werden. Die Vorschrift hat die bereits zuvor bestehende Verwaltungspraxis (Abschn. 213 g Abs. 1 der Einkommensteuer-Richtlinien 1987 ―EStR 1987―) übernommen und ist ausweislich der Materialien lediglich zur Klarstellung in das Gesetz aufgenommen worden (vgl. BTDrucks 11/5970, S. 12, 40). Nach § 52 Abs. 25 Satz 2 Buchst. f EStG 1990 ist sie schon auf Veranlagungszeiträume vor 1990, und damit auch auf die Streitjahre, anzuwenden. Das FA geht dabei zu Recht davon aus, dass diese gesetzlich angeordnete Rückwirkung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, weil sie nur rückwirkend festschreibt, was nach dem zuvor Gesagten aus systematischen Gründen ohnehin schon gegolten hat (vgl. Senatsurteil in BFHE 180, 332, BStBl II 1996, 473).
2. Das FA war aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht daran gehindert, die Anrechnung der auf die vGA entfallenden Körperschaftsteuer im streitbefangenen Abrechnungsbescheid zu versagen.
a) Das FG ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass Klagegegenstand der vorgenannte Abrechnungsbescheid ist. Zwar hat sich der Kläger zunächst dagegen gewehrt, dass das FA die ursprünglich gewährte Anrechnung zurückgenommen hat. Später hat er aber einen Abrechnungsbescheid beantragt und diesen dann ausdrücklich im Einspruchs- und später im Klagewege angefochten.
b) Das FA hat die Anrechnung der bestandskräftig festgesetzten Körperschaftsteuer im Abrechnungsbescheid vor dem Hintergrund der Regelung des § 130 Abs. 2 AO 1977 im Ergebnis zu Recht versagt.
Der Senat kann dabei offen lassen, ob er der Rechtsprechung des VII. Senats des Bundesfinanzhofs ―BFH― (vgl. Urteil vom 15. April 1997 VII R 100/96, BFHE 182, 506, BStBl II 1997, 787) folgt, wonach hinsichtlich des Abrechnungsbescheides eine Bindung an die vorgängige Anrechnungsverfügung besteht, deren Änderung zuungunsten des Steuerpflichtigen nur nach Maßgabe des § 130 Abs. 2 AO 1977 zulässig ist, oder ob er an seiner Rechtsprechung festhält, wonach eine solche Bindungswirkung nicht besteht (vgl. Urteile vom 28. April 1993 I R 100/92, BFHE 171, 397, BStBl II 1993, 836, und I R 123/91, BFHE 170, 573, BStBl II 1994, 147). Nach den Vorgaben der letztgenannten Senatsrechtsprechung ist das FA frei darin, eine mit dem materiellen Recht nicht übereinstimmende Anrechnungsverfügung zu korrigieren. Selbst wenn man von den strengeren Voraussetzungen der Rechtsprechung des VII. Senats ausgeht, gelangt man im Streitfall zu keinem anderen Ergebnis.
aa) Zum einen folgt dies daraus, dass bereits vor dem Erlass des Abrechnungsbescheides die den Kläger begünstigende Anrechnungsverfügung im Rahmen des Einkommensteueränderungsbescheids vom 7. Februar 1994 auf der Grundlage des § 130 Abs. 2 AO 1977 bestandskräftig zurückgenommen worden ist, weil sich der Kläger dagegen erst mit Schreiben vom 18. März 1994 und damit nach Ablauf der Einspruchsfrist (vgl. § 355 Abs. 1 AO 1977) gewehrt hat. Das FA hatte also keine Veranlassung, erneut zu überprüfen, ob seinerzeit die Tatbestandsvoraussetzungen des § 130 Abs. 2 AO 1977 vorgelegen hatten (vgl. z.B. von Wedelstädt in Beermann, steuerliches Verfahrensrecht, § 130 AO Rz. 34; Kruse in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 130 AO Tz. 38, m.w.N.). Dieses Ergebnis entspricht der vom VII. Senat mit seiner Rechtsprechung intendierten Schutzwirkung für den Steuerpflichtigen. Danach soll der Steuerpflichtige auf eine zu seinen Gunsten ergangene bestandskräftige Anrechnungsverfügung vertrauen können, wenn nicht ausnahmsweise die strengen Voraussetzungen des § 130 Abs. 2 AO 1977 gegeben sind (vgl. nur Kruse in Tipke/Kruse, a.a.O., § 218 Tz. 19). Eines solchen Schutzes des Steuerpflichtigen bedarf es nicht, wenn der Steuerpflichtige die zu seinen Lasten wirkende Änderung der zunächst zu seinen Gunsten ergangenen Anrechnungsverfügung nach § 130 Abs. 2 AO 1977 bestandskräftig werden lässt.
bb) Zum andern ergäbe sich auch dann nichts anderes, wenn man die Bestandskraft des vorgenannten Änderungsbescheides verneinen würde. Nach § 130 Abs. 2 Nr. 4 AO 1977 darf ein begünstigender Verwaltungsakt zurückgenommen werden, wenn seine Rechtswidrigkeit dem Begünstigten bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht bekannt war. Der Senat geht davon aus, dass diese Voraussetzungen hinsichtlich der Anrechnungsverfügungen vom 7. und 20. November 1990 in der Person des fachkundig vertretenen Klägers vorliegen. Denn jedenfalls dem für ihn handelnden Prozessbevollmächtigten musste bekannt sein, dass bei einem Erfolg der Einsprüche gegen die Einbeziehung der vGA in die Einkommensbesteuerung die Anrechnungsverfügungen rechtswidrig werden würden und damit geändert werden dürften.
Fundstellen
Haufe-Index 871777 |
BFH/NV 2003, 154 |
HFR 2003, 216 |