Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage bei außer Kraft getretener verbindlicher Zolltarifauskunft
Leitsatz (NV)
1. Ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit einer außer Kraft getretenen verbindlichen Zolltarifauskunft ist nicht gegeben, wenn sich durch das neue Zolltarifrecht eine materielle Rechtsänderung ergeben hat.
2. Zur Tarifierung von Gerätekombinationen aus Videogerät und Kamera.
Normenkette
FGO § 100 Abs. 1 S. 4; ZG § 23 Abs. 3; GZT Tarifst. 92.11 B; KN Unterpos. 8521 1031, 8525 3091
Tatbestand
Gestritten wurde über die Tarifierung eines aus Videokamera und Fernseh- Bild- und Tonaufzeichnungsgerät bestehenden Video-Camera-Recorders, den die beklagte Oberfinanzdirektion (OFD) in ihrer der Klägerin erteilten verbindlichen Zolltarifauskunft (vZTA) der Tarifstelle 92.11 B I a des Gemeinsamen Zolltarifs - GZT - (für das Fernseh- Bild- und Tonaufzeichnungsgerät) zugewiesen hatte. Mit Beschluß vom 7. Juli 1987 VII K 8/87 (BFHE 150, 250) legte der Senat dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) bestimmte, die Tarifierung der Ware betreffende Auslegungsfragen zur Vorabentscheidung vor. Auf diesen Beschluß und seine Gründe wird verwiesen. Mit Urteil vom 28. Februar 1989 Rs. 245/87 (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1989, 452) entschied der EuGH auf das Vorabentscheidungsersuchen des Senats wie folgt:
,,Die Tarifstelle 92.11 B des Gemeinsamen Zolltarifs ist dahin auszulegen, daß sie Gerätekombinationen erfaßt, die in einem gemeinsamen Gehäuse eine Fernsehkamera und ein Videoaufzeichnungsgerät enthalten, jedoch Fernsehsendungen nur mittels eines getrennt zu erwerbenden Sonderzubehörs aufzeichnen können, sofern dieses Sonderzubehör nur eine untergeordnete Funktion bei der Aufzeichnung der Fernsehsendungen erfüllt und sein Preis im Verhältnis zum Preis der Gerätekombination unbedeutend ist."
Die Klägerin ist nach Außerkrafttreten der vZTA aufgrund der Zolltarifrechtsänderungen zum 1. Januar 1988 von der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage zur Fortsetzungsfeststellungsklage übergegangen. Sie begründet ihr Feststellungsinteresse mit dem Hinweis, daß die Tarifierungsfrage für Abgabenfestsetzungen bei Einfuhren bis Ende des Jahres 1987 unmittelbar und für die Auslegung des neuen Zolltarifs mittelbar von Bedeutung sei. In der Sache führt die Klägerin aus, auch unter Berücksichtigung der Vorabentscheidung des EuGH hätte das Gerät nicht der Tarifstelle 92.11 B GZT zugewiesen werden dürfen. Der Adapter habe keine nur untergeordnete Funktion. Er sei nicht nur ein Verbindungsstück (Stecker-Adaption), sondern diene auch zu der erforderlichen Auftrennung externer Videosingale (Farbbild-Amplituden-Signale) in Helligkeits- und Farbsignale. Mit Hilfe des Adapters könnten nicht nur - überwiegend - Überspiegelungen eigener Videoaufzeichnungen vorgenommen, sondern - Nebeneffekt - ggf. auch Fernsehsendungen von Fernsehgeräten aufgenommen werden. Für den praktischen Einsatz zum Aufzeichnen von Fernsehsendungen über den Adapter sei ein Netzladeteil unentbehrlich. Der Preis für das ingesamt erforderliche Sonderzubehör möge im Vergleich zum Preis des Geräts relativ gering erscheinen. Ein unbedeutender Wert könne jedoch auch nicht angenommen werden.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unzulässig.
Die angefochtene vZTA ist - wovon auch die Parteien ausgehen - infolge Änderung der in ihr angewendeten Rechtsvorschriften außer Kraft getreten (§ 23 Abs. 3 des Zollgesetzes); sie hat sich damit in anderer Weise als durch Zurücknahme erledigt (§ 100 Abs. 1 Satz 4 der Finanzgerichtsordnung). In einem solchen Falle ist auf Antrag durch Urteil auszusprechen, daß der Verwaltunsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat (und sie nach der materiellen Rechtslage gerechtfertigt ist). Für das berechtigte Interesse an der Feststellung - hier von der Klägerin begehrt - gelten, bezogen auf eine außer Kraft getretene vZTA, nach der Rechtsprechung des Senats besondere Anforderungen. Dieses Interesse kann nicht mit dem Hinweis begründet werden, daß die Tarifierungsfrage für Abgabenfestsetzungen bei Einfuhren während der Geltung der vZTA unmittelbar von Bedeutung sei (Senat, Urteile vom 4. April 1978 VII K 4/77, BFHE 125, 24, 26, BStBl II 1978, 407 - Erstattung -; vom 19. April 1988 VII K 7/86, BFHE 153, 206, 208, BStBl II 1988, 735, vom 5. Juli 1988 VII K 12/86, BFHE 154, 290, 292, BStBl II 1988, 843, sowie vom 11. Oktober 1988 VII K 4 und K 5-7/87, BFH / NV 1989, 338 - Nachforderung -). In solchen Fällen ist Rechtsschutz durch Anfechtung der betreffenden Steuerbescheide zu suchen. Auch der weitere von der Klägerin angeführte Gesichtspunkt - ,,mittelbare" Bedeutung der Tarifierungsfrage für die Auslegung des neuen Zolltarifs (Abgrenzung zwischen den Unterpositionen 8521 10 31 und 8525 30 91 der KombiniertenNomenklatur - KN -) - vermag ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung nicht zu belegen. Dieses könnte anerkannt werden, wenn der Kläger eine neue vZTA zur (tariflich) gleichen Ware beantragen will und eindeutig feststeht, daß eine materielle Rechtsänderung nicht eingetreten und daher mit Sicherheit anzunehmen ist, daß die OFD an der von ihr in dem erledigten Verfahren nachdrücklich vertretenen Auffassung bei der Erteilung einer neuen vZTA festhalten will (Senat in BFH / NV 1989, 338 f. mit Nachweisen). Diese Voraussetzungen sind indessen nicht - vollständig - erfüllt. Für den Streitfall hat sich durch das neue Zolltarifrecht eine materielle Rechtsänderung ergeben.
Der GZT, dessen einschlägige Vorschriften in der außer Kraft getretenen vZTA angewendet worden sind, enthielt keine Gerätekombinationen der tarifierten Art ausdrücklich benennende Position. Sie wurden indessen nach der in diesem Verfahren eingeholten Vorabentscheidung des EuGH (unmittelbar) von der Tarifstelle 92.11 B unter der Voraussetzung erfaßt, daß das für die Aufzeichnung von Fernsehsendungen erforderliche Sonderzubehör - Adapter, ggf. mit Netzladeteil - nur untergeordnete Funktionen erfüllt und sein Preis im Verhältnis zu dem der Kombination unbedeutend ist. Im Gegensatz dazu sind in der KN Gerätekombinationen mit den Bestandteilen Fernsehkamera / Videogerät ausdrücklich aufgeführt, und zwar als ,,Videogeräte zur Bild- und Tonaufzeichnung oder -wiedergabe, Magnetbandgeräte für Magnetbänder . . ., mit eingebauter Fernsehkamera in einem gemeinsamen Gehäuse" (Unterposition 8521 10 31) bzw. als ,,(andere) Fernsehkameras mit eingebautem Videogerät zur Bild- und Tonaufzeichnung oder -wiedergabe in einem gemeinsamen Gehäuse" (Unterposition 8525 30 91). Schon die Anführung solcher Gerätekombinationen in der KN könnte sich als materielle Rechtsänderung darstellen. Entscheidend ist aber, daß es nach neuem Recht darauf ankommt, ob eine Gerätekombination der tarifierten Art als Videogerät mit eingebauter Kamera oder als Kamera mit eingebautem Videogerät anzusehen ist (vgl. dazu Erläuterungen zur KN Position 8521 Rz. 04.0 und 05.0). Bei der Entscheidung mag es eine Rolle spielen, welche Bedeutung dem Sonderzubehör nach Funktion und Wert zukommt; es steht indessen nicht eindeutig fest, inwieweit dieser nach altem Recht allein erhebliche Gesichtspunkt die Tarifierung beeinflußt. Eine nach früherem Zolltarifrecht getroffene Feststellung könnte mithin nicht ohne weiteres für die tarifliche Beurteilung entsprechender Gerätekombinationen nach der jetzigen Rechtslage herangezogen werden. Der Umstand, daß die OFD, wie sich aus ihrem Antrag auf Abweisung der Fortsetzungsfeststellungsklage als unbegründet ergibt, die zolltarifliche Lage für materiell-rechtlich unverändert hält, ist für sich allein nicht geeignet, das erforderliche Feststellungsinteresse zu begründen (vgl. Senat in BFH / NV 1989, 338 f. a. E.).
Fundstellen
Haufe-Index 416620 |
BFH/NV 1990, 406 |