Entscheidungsstichwort (Thema)
Handelsrecht Gesellschaftsrecht
Leitsatz (amtlich)
Die Verjährungsfrist beträgt für den Anspruch des Steuergläubigers gegen den Steuerpflichtigen auf Rückzahlung zu Unrecht erstatteter Steuer fünf Jahre.
Normenkette
AO § 144
Tatbestand
Der Abgabepflichtige ist zur Soforthilfeabgabe als Eigentümer des Mietwohngrundstücks X.-Straße 2 (Einheitswert 21.800 DM) durch Bescheid vom 7. Januar 1950 herangezogen worden. Durch Teilurteil der 1. Wiedergutmachungskammer des Landgerichts vom 17. Oktober 1949 in Verbindung mit dem Urteil der 2. Wiedergutmachungskammer vom 10. April 1951 ist die Rückerstattung des vorbezeichneten Grundstücks an die jüdischen Vorbesitzer angeordnet worden, von denen es am 31. Januar 1939 gekauft war.
Der Abgabepflichtige hat im ganzen 544,99 DM Soforthilfeabgabe hinsichtlich des Grundstücks an das Finanzamt entrichtet.
Zufolge der dem Finanzamt angezeigten Rückerstattung des Grundstücks hat das Finanzamt den Abgabepflichtigen durch Bescheid vom 14. Februar 1952 von der Soforthilfeabgabe freigestellt. Der Abgabepflichtige hat zugleich mit der Anzeige der Rückerstattung Erstattung der von ihm selbst auf 544,99 DM errechneten, von ihm gezahlten Soforthilfeabgabe beantragt. Daraufhin hat das Finanzamt bezüglich aller auf das erwähnte soforthilfeabgabepflichtige Grundvermögen entrichteten Abgabeleistungen einschließlich der inzwischen von den Rückerstattungsberechtigten entrichteten und auf dasselbe Konto verbuchten Soforthilfeabgabebeträge, das heißt im ganzen bezüglich 1.304,44 DM, das Soforthilfeabgabekonto ausgeglichen, indem es 105,45 DM auf einem anderen Konto des Abgabepflichtigen verbuchte und den Rest - 1.198,99 DM - an ihn in bar erstattete.
Dem widersprachen die Rückerstattungsberechtigten, als sie davon erfuhren, mit am 27. Mai 1955 beim Finanzamt eingegangenem Schreiben. Deshalb hat das Finanzamt mit Bescheid vom 4. Juli 1955 seine allgemein gehaltene Erläuterung in dem Freistellungsbescheid:
" ... Die gezahlte SHA wird wunschgemäß auf das lfd. Konto des Abg.Pfl. bei der Volksbank zurückerstattet."
dahin geändert: " ... Die gezahlte SHA in Höhe von 544,99 DM wird ... zurückerstattet."
Zugleich hat das Finanzamt die tatsächlich über 544,99 DM hinaus erstatteten 654 DM von dem Abgabepflichtigen zurückgefordert, der die überzahlung zugibt.
Der auf Verjährung gestützte Einspruch des Abgabepflichtigen gegen diese Rückforderung ist ohne Erfolg geblieben. Das Finanzamt hat zwar ausgesprochen, daß der Rückforderungsanspruch keinen Steueranspruch, sondern einen innerhalb eines Jahres verjährenden Anspruch im Sinne des § 144 Satz 2 der Reichsabgabenordnung (AO) darstelle; die Verjährungsfrist habe aber nicht mit dem Zeitpunkt der überhöhten Erstattung im Februar 1952, sondern erst mit der Feststellung derselben im Mai 1955 zu laufen begonnen. Bei Erlaß des Rückforderungsbescheids vom 4. Juli 1955 sei der Anspruch daher noch nicht verjährt gewesen.
Die Berufung des Abgabepflichtigen hat zur ersatzlosen Aufhebung der Vorentscheidungen geführt. Das Finanzgericht hat ausgeführt: Das Finanzamt sei sachlich zur Rückforderung der zuviel erstatteten 654 DM im Steuerverfahren nicht zuständig gewesen, weil es sich nicht um eine Steuersache handle. Es fehle auch an Steuerverfahrensvorschriften, die die Geltendmachung des Anspruchs stützen könnten. § 235 Ziff. 5 AO gewähre keine steuerrechtliche Anspruchsgrundlage, sondern nur Rechtsschutz für den Abgabepflichtigen. Dieser habe im vorliegenden Fall zwar 654 DM zuviel empfangen; es liege jedoch lediglich im bürgerlich-rechtlichen Sinne eine ungerechtfertigte Bereicherung vor, über die die ordentlichen Gerichte zu entscheiden hätten.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde (Rb.) des Vorstehers des Finanzamts.
Entscheidungsgründe
Es ist in erster Linie über die Frage zu entscheiden, ob das Finanzamt seinen Rückforderungsanspruch im Steuerrechtsweg zu verfolgen hat, oder ob der Rechtsstreit vor die ordentlichen Gerichte gehört.
Die rechtsprechende Gewalt ist im Bundesgebiet keiner einheitlichen Gerichtsordnung unterworfen. Es besteht eine Abgrenzung zwischen den verschiedenen Gerichtsbarkeiten. Das Staatsfinanzrecht ist grundsätzlich dem ordentlichen Rechtsweg entzogen (vgl. Wieczorek, Zivilprozeßordnung, Bd. V, 1957, § 13 des Gerichtsverfassungsgesetzes - GVG - S. 127). Hinsichtlich der öffentlichen Abgaben ist der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten nach § 242 AO ausgeschlossen. Dort ist auch ausgesprochen, daß über die Rückforderung gezahlter Steuern und anderer Leistungen nicht von den ordentlichen Gerichten zu entscheiden ist. § 242 AO bezieht sich schlechthin auf Steuersachen. Diese Vorschrift beruht auf dem Gedanken einer scharfen Scheidung zwischen öffentlichem und privatem Recht. Sie schließt nicht aus, daß im Zusammenhang mit Steuersachen stehende rein bürgerlich-rechtliche Beziehungen vor den ordentlichen Gerichten entschieden werden, wie zum Beispiel Interventionsklagen, Ansprüche aus übermäßiger Sicherung des Staats durch Sicherungsübereignungen, Schadensersatzansprüche gegen den Staat wegen schuldhafter Pflichtverletzungen von Beamten. Andererseits dürfen steuerrechtliche Ansprüche nicht in irgendeiner Verkleidung vor die bürgerlichen Gerichte gebracht werden, zum Beispiel in Gestalt von Klagen auf Schadenersatz oder aus ungerechtfertigter Bereicherung (vgl. Becker, Reichsabgabenordnung, 7. Auflage, 1930, § 227 - a. F. - Anm. 3). So klar das Ziel der reinlichen Abgrenzung zwischen öffentlichem und privatem Recht ist, so können sich doch im Einzelfall Zweifel ergeben. Dies gilt besonders dann, wenn bürgerlich-rechtliche Verhältnisse durch das Eingreifen öffentlich-rechtlicher Interessen berührt werden. In Grenzfällen hat der Gesetzgeber die Streitfälle durch ausdrückliche Bestimmung den ordentlichen Gerichten oder den Verwaltungsgerichten zugewiesen. Für die Rückforderung erstatteter Beträge seitens des Steuergläubigers hat § 235 Ziff. 5 AO ausdrücklich den Steuerrechtsweg gegeben. Diese Vorschrift entspricht der Rechtsentwicklung, wie sie schon vom Reichsgericht in seinem Urteil VI E 83/304 vom 27. November 1909 geschaffen und in dem Urteil III 56/36 vom 10. November 1936 (Juristische Wochenschrift 1937 S. 2306) bestätigt worden ist (vgl. Wieczorek, a. a. O.). Die Regelung entspricht dem Rechtsgedanken, daß die unmittelbare Kontrolle der Verwaltung, insbesondere wenn es sich um die Aufhebung von Verwaltungsakten handelt, den Verwaltungsfachgerichten vorbehalten bleiben soll (vgl. Hübschmann-Hepp-Spitaler, Reichsabgabenordnung, § 242 Anm. 1 und 2, und Stein-Jonas-Schönke, Zivilprozeßordnung, 1. Bd., 18. Auflage, 1953, Vorbemerkungen vor § 1, zu I, 2 b, S. 3, zu II A, 1 b S. 5 und 1 e, S. 8, zu II A, 2 a, S. 9, und zu II C, 1, S. 19, und Art. 92, Art. 96 Abs. 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland - GG -).
Im Hinblick auf § 235 Ziff. 5 AO gehört die vorliegende Sache nicht vor die ordentlichen Gerichte. Das angefochtene Urteil, das dies verkannt hat, unterliegt daher der Aufhebung.
Die Sache ist spruchreif. Es ist von Amts wegen zu prüfen, ob der vom Finanzamt geltend gemachte Anspruch verjährt ist (ß 143 AO). Die Verjährungsfrist beträgt nach § 144 AO, außer bei der Grundsteuer sowie den Zöllen und Verbrauchsteuern, regelmäßig fünf Jahre. Es muß sich hierbei um Steuern handeln. Nur für andere Ansprüche, zum Beispiel auf Sicherheitsleistungen, Erzwingungsstrafen (vgl. Berger, Reichsabgabenordnung, § 144 Anm. b), gilt die kurze einjährige Verjährungsfrist. Da nach § 242 AO zu den "Steuersachen" auch die Ansprüche von Steuerpflichtigen auf Rückforderung gezahlter Steuern gehören, wird entsprechend umgekehrt - abweichend von dem lediglich für die Umsatzsteuer-Vergütungen ergangenen Urteil des Bundesfinanzhofs V 27/54 U vom 1. Juli 1954 (BStBl 1954 III S. 254, Slg. Bd. 59 S. 118); vgl. Knauerhase in "Der Betriebs-Berater" 1953 S. 81 - auch dem Anspruch des Steuergläubigers auf Rückforderung zuviel erstatteter Steuern die Rechtsnatur eines steuerlichen Anspruchs (vgl. Hübschmann-Hepp-Spitaler, Reichsabgabenordnung, § 235 Anm. 5: "... weil eine solche Forderung einer erneuten Steuerforderung gleichkommt") nicht abzusprechen sein, der in seiner rechtlichen Behandlung den Steueransprüchen gleichzustellen ist (so auch Riewald, Reichsabgabenordnung, 1941, § 144 Anm. 1, § 150 Anm. 6); denn auch hier handelt es sich um das Rechtsverhältnis zwischen dem die Steuerhoheit innehabenden Steuergläubiger und dem Steuerpflichtigen. Auf Grund dieser Steuerhoheit, in Ausübung öffentlich-rechtlicher Aufgaben (vgl. Zöller, Zivilprozeßordnung, 1957, Anm. 2 zu § 13 GVG), entscheidet der Steuergläubiger nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die einer besonderen Normierung im Steuergesetz nicht bedürfen, über die Höhe des Betrags an Steuern, die er in zu hohem Umfange erstattet hat und deshalb zurückfordert. Auch im vorliegenden Falle sind Maßnahmen des Steuergläubigers streitig, die er im Rahmen seiner Zuständigkeit auf dem Gebiete der Abgabenverwaltung vorgenommen hat. Deshalb handelt es sich um einen Streit über eine öffentliche Abgabe (vgl. Hübschmann-Hepp-Spitaler, Reichsabgabenordnung, § 1 Anm. 4; Jellinek, Verwaltungsrecht, 1931 S. 51), und es kann in diesem öffentlich-rechtlichen Gesamtzusammenhang keinen Unterschied bedeuten, daß der Steuergläubiger im vorliegenden Fall in dem irrtümlich verkannten zahlenmäßigen Umfange seines Steuergläubigerverhältnisses zu dem Abgabepflichtigen Abgabenbeträge erstattet hat und zurückfordert, die von einem anderen Abgabepflichtigen gezahlt waren. Es entspricht einer verständigen Auslegung des Gesetzes, auf die Rückforderung eines als "Steuer" erstatteten Betrages dieselben Verjährungsregeln anzuwenden wie auf die ursprüngliche Steuerforderung. Im übrigen enthält § 235 Ziff. 5 AO mittelbar die Anerkennung, daß die Rückforderung eines erstatteten Steuerbetrages die Geltendmachung eines Steueranspruchs bedeutet.
Deshalb gilt die Verjährungsfrist von fünf Jahren, die nach § 144 Satz 1 AO für andere Abgabearten als Zölle, Verbrauchsteuern und Grundsteuer bestimmt ist, in der vorliegenden Sache. Der streitige Rückforderungsanspruch ist somit nicht verjährt.
Demgemäß ist die Berufung des Abgabepflichtigen gegen die Einspruchsentscheidung des Finanzamts als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 409248 |
BStBl III 1959, 179 |
BFHE 1959, 472 |
BFHE 68, 472 |