Leitsatz (amtlich)
1. Eine Berichtigung gemäß § 129 AO 1977 ist auch dann möglich, wenn in den Eingabewertbogen eine Zahl eingetragen wird, die das fehlerhafte Ergebnis einer vorangegangenen aktenkundigen Berechnung ist.
2. Die Berichtigung des zugunsten des Steuerpflichtigen eingetretenen Rechenfehlers ist auch dann möglich, wenn dieser nicht ohne weiteres erkennen konnte, daß im Vorfeld der Ausfüllung des Eingabewertbogens ein Rechenfehler eingetreten ist.
Orientierungssatz
Irgendein Anhalt, daß eine Fehlerberichtigung nach § 129 AO 1977 davon abhängig sein soll, daß die Unrichtigkeit für den Empfänger des unrichtigen Bescheides erkennbar sein muß, läßt sich der Vorschrift nicht entnehmen. Insbesondere läßt sich auch nicht feststellen, daß in diesen Fällen Vertrauensschutz gemäß § 130 Abs. 2 Nr. 4 AO 1977 gewährt werden sollte. Ob § 42 VwVfG anders ausgelegt wird, ist unerheblich.
Normenkette
AO 1977 §§ 129, 130 Abs. 2 Nr. 4; VwVfG § 42
Tatbestand
Die Klägerin ist Eigentümerin eines Grundstückes, auf dem sie 1979 einen Lebensmittelmarkt mit 709 qm Nutzfläche sowie PKW-Einstellplätze errichtete. Bei Ausfüllung des Eingabewertbogens für die erforderliche Wertfortschreibung auf den 1.Januar 1980 verrechnete sich der zuständige Bedienstete des beklagten Finanzamts (FA) mehrfach bei der Errechnung der Jahresrohmiete für den neu errichteten Lebensmittelmarkt. Die fehlerhafte Berechnung befindet sich auf der Rückseite des Vordruckes "Anlage Ertragswertverfahren". Im einzelnen handelt es sich um folgende Fehler:
Bei der Multiplikation der Monatsmiete je Quadratmeter von 3 DM mit der Zahl der Nutzfläche von 709 qm und der Zahl 12 errechnete der Bedienstete eine Jahresrohmiete von 13 543 DM. Richtig ergab diese Berechnung 25 524 DM.
Bei der Zusammenrechnung der einzelnen ermittelten Jahresrohmieten für den Lebensmittelmarkt, die Nebenräume und die Stell- und Parkplätze verrechnete sich der Bedienstete nochmals um 10 000 DM zugunsten der Klägerin. Er trug demgemäß in die Anlage zum Eingabewertbogen für die fremdgewerblichen Zwecken dienenden Räume des neu errichteten Gebäudes eine Jahresrohmiete von 15 220 DM ein. Rechnerisch richtig wäre eine Jahresrohmiete von 37 560 DM gewesen. Die falsch errechnete Jahresrohmiete von 15 220 DM erschien auch im Einheitswertbescheid vom 7.April 1983, der über einen Einheitswert von 182 300 DM lautete.
Nachdem das FA die Rechenfehler bemerkt hatte, erließ es am 27.Juli 1983 einen auf § 129 der Abgabenordnung (AO 1977) gestützten Berichtigungsbescheid über einen Einheitswert von 386 800 DM.
Hiergegen richtete sich die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage. Die Klägerin hat gegen den Bescheid eingewendet, daß der Rechenfehler nicht offenbar sei, weil er sich nicht aus dem Einheitswertbescheid selbst ergebe.
Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben und den Berichtigungsbescheid in der Fassung der Einspruchsentscheidung aufgehoben. Seine Entscheidung hat es damit begründet, daß eine Berichtigung gemäß § 129 AO 1977 nur dann zulässig sei, wenn der Rechenfehler dem Steuerpflichtigen erkennbar sei. Auch wenn ein in Bewertungsfragen bewanderter Steuerpflichtiger (oder sein Berater) habe vermuten können, daß die im Bescheid angesetzte Jahresrohmiete von 15 220 DM zu niedrig angesetzt worden sei, habe er nicht ohne weiteres erkennen können, ob ein Rechenfehler oder ein Rechtsfehler die Ursache gewesen sei.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage.
Gemäß § 129 AO 1977 kann die Finanzbehörde u.a. Rechenfehler, die beim Erlaß eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit berichtigen.
Um einen derartigen Rechenfehler handelt es sich im vorliegenden Fall. Der zuständige Bedienstete hat sich "beim Erlaß eines Verwaltungsaktes" verrechnet. Mit dieser erstmals im Gesetz verwendeten Formulierung sind auch die Arbeitsgänge beim Ausfüllen des Eingabewertbogens gemeint, wie der Bundesfinanzhof (BFH) bereits entschieden hat (vgl. das Urteil vom 9.Oktober 1979 VIII R 226/77, BFHE 129, 5, BStBl II 1980, 62). Hierzu gehören auch die beim Ausfüllen des Eingabewertbogens vorangehenden Berechnungen in den Steuerakten, deren Ergebnis in den Eingabewertbogen übernommen wird. Diese Auffassung stimmt in der Tendenz mit der in dem Urteil vom 26.Juli 1979 V R 108/76 (BFHE 128, 334, BStBl II 1980, 18) vom V.Senat zum alten Recht vertretenen Auffassung überein, wonach offenbare Unrichtigkeiten u.U. auch in der Umsatzsteuererklärung unterlaufene Rechenfehler sein können.
Die Anwendung des § 129 AO 1977 wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der berichtigte Einheitswertbescheid für sich allein möglicherweise nur den Schluß auf einen Rechtsfehler, nicht aber den sicheren Schluß auf das Vorliegen eines Rechenfehlers zuließ. Daß der Rechenfehler bereits anhand des bekanntgegebenen Bescheides feststellbar sein muß, ist nicht Tatbestandsmerkmal des § 129 AO 1977.
Die vom Senat abgelehnte gegenteilige Auffassung läßt sich nicht etwa damit begründen, daß in § 129 AO 1977 neben den Schreib- und Rechenfehlern von ähnlichen offenbaren Unrichtigkeiten gesprochen wird. Durch diese Formulierung wird dem Begriff der Schreib- und Rechenfehler nicht etwa ein zusätzliches Tatbestandsmerkmal hinzugefügt, sondern nur gesagt, daß andere Unrichtigkeiten nur dann unter § 129 AO 1977 fallen, wenn sie in ähnlicher Weise offenbar sind wie die Schreib- und Rechenfehler. Das Gesetz geht davon aus, daß Schreib- und Rechenfehler immer offenbare Unrichtigkeiten sind.
Die Auffassung des Senats wird dem erkennbaren Zweck des § 129 AO 1977, der sich aus dem Wortlaut ergibt, am ehesten gerecht. Der Gesetzgeber hat sich dahin entschieden, daß gemäß § 129 AO 1977 alle Schreib- und Rechenfehler sowie ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlaß eines Verwaltungsaktes unterlaufen sind, jederzeit berichtigt werden dürfen. Er hat damit eindeutig ausgesprochen, daß der materiellen Richtigkeit der Steuerfestsetzung in diesen Fällen der Vorrang gebührt. Das gilt für alle Unrichtigkeiten im Sinne des § 129 AO 1977, mögen sie zugunsten oder zuungunsten des Steuerpflichtigen eingetreten sein. Irgend ein Anhalt, daß eine Fehlerberichtigung zugunsten oder zuungunsten des Steuerpflichtigen davon abhängig sein soll, daß die Unrichtigkeit für den Empfänger des unrichtigen Bescheides erkennbar sein muß, läßt sich der Vorschrift nicht entnehmen. Insbesondere läßt sich auch nicht feststellen, daß in diesen Fällen Vertrauensschutz gemäß § 130 Abs.2 Nr.4 AO 1977 gewährt werden sollte; andernfalls hätte in § 129 AO 1977 auf diese Vorschrift hingewiesen werden müssen. Insbesondere läßt sich auch aus den Materialien für eine derartige Einschränkung des § 129 AO 1977 nichts gewinnen (vgl. BTDrucks VI/1982, 142 zu § 133 und BTDrucks 7/4292, 29 zu § 129).
Darauf, ob der mit § 129 AO 1977 im Wortlaut nicht übereinstimmende § 42 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) anders ausgelegt wird, kommt es nicht an. Aus dem Bericht des Finanzausschusses (BTDrucks 7/4292, S.29 zu § 129) ergibt sich eindeutig, daß eine von der Regelung des VwVfG abweichende Regelung für das Besteuerungsverfahren als eines Massenverfahrens gewollt war.
Fundstellen
Haufe-Index 61800 |
BStBl II 1988, 164 |
BFHE 149, 413 |
BFHE 1987, 413 |
BB 1987, 1381 |
BB 1987, 1381-1381 (ST) |
DB 1987, 2084-2084 (ST) |
DStR 1987, 514-514 (ST) |
HFR 1987, 502-502 (ST) |
WPg 1988, 264-264 |
Information StW 1987, 378-378 (ST) |