Leitsatz (amtlich)
1. Für Personengesellschaften, die im Rahmen einer Betriebsaufspaltung ihren Grundbesitz an eine Betriebs-GmbH verpachten, besteht unter den Voraussetzungen des § 25 GewStDV eine Verpflichtung zur Abgabe von Gewerbesteuererklärungen.
2. Falls diese Personengesellschaften für das Jahr 1965 (sowie für die folgenden Jahre) keine Gewerbesteuererklärungen abgegeben hatten, begann die Frist für die Verjährung der in diesen Jahren entstandenen Gewerbesteueransprüche erst mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf die Entstehung der jeweiligen Ansprüche folgte.
Normenkette
AO i. d. F des AOÄG 1965 § 145 Abs. 2 Nr. 1; GewStDV 1961 § 25
Verfahrensgang
Tatbestand
Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine Personengesellschaft, die früher die Rechtsform einer OHG hatte. Die beiden - je zur Hälfte an der OHG beteiligten - Gesellschafter A und B führten mit Wirkung vom 1. April 1963 eine Betriebsaufspaltung in der Weise durch, daß die OHG einen Teil ihres Betriebsvermögens einschließlich des Umlaufvermögens auf eine Betriebs-GmbH übertrug, während sie die in ihrem Betriebsvermögen verbliebenen Betriebsgrundstücke an die GmbH verpachtete. An der GmbH waren A und B zu je 38 v. H. beteiligt.
Wegen der Frage, ob die OHG unter diesen Umständen gewerbesteuerpflichtig ist, kam es im Jahre 1964 zwischen der Klägerin und dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) zu Meinungsverschiedenheiten. Im Hinblick auf das damals beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) anhängige Verfahren zur Verfassungsmäßigkeit der gewerbesteuerrechtlichen Behandlung der Betriebsaufspaltung setzte das FA den Gewerbesteuermeßbetrag 1963 nur vorläufig fest. Für die nachfolgenden Veranlagungszeiträume gab die Klägerin keine Gewerbesteuererklärungen ab.
Nachdem das BVerfG mit Beschluß vom 14. Januar 1969 1 BvR 136/62 ( BStBl II 1969, 389 ) entschieden hatte, daß die vom Bundesfinanzhof (BFH) entwickelten Rechtsgrundsätze zur Behandlung der Betriebsaufspaltung im Gewerbesteuerrecht verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sind, setzte das FA mit vorläufigen Bescheiden vom 22. Dezember 1971 (für 1965) und vom 20. Januar 1975 (für 1967) Gewerbesteuermeßbeträge gegenüber der Klägerin fest.
Gegen diese Bescheide erhob die Klägerin Einspruch. Sie machte u. a. geltend, die Gewerbesteueransprüche 1965 und 1967 seien im Zeitpunkt des Erlasses der Bescheide bereits verjährt gewesen. Die Einsprüche blieben insoweit ohne Erfolg.
Auch die Klage wurde abgewiesen.
Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Finanzgerichts (FG) aufzuheben und der Klage stattzugeben.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Das FG hat zu Recht angenommen, daß die Gewerbesteueransprüche für die Streitjahre in dem Zeitpunkt, in dem die jeweiligen Gewerbesteuermeßbescheide ergingen, noch nicht verjährt waren.
1. Die Verjährungsfrage ist nach der Rechtslage zu beurteilen, die vor dem Inkrafttreten der Abgabenordnung (AO 1977) bestanden hat (Art. 97 § 10 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung - EGAO 1977 -). Hiernach waren für die mit Ablauf des Kalenderjahres 1965 oder später entstandenen Abgabeansprüche gemäß Art. 5 Abs. 1 des Gesetzes zur Änderung der Reichsabgabenordnung und anderer Gesetze vom 15. September 1965 - AOÄG - (BGBl I, 1356, BStBl I 1965, 643) die Verjährungsvorschriften der Reichsabgabenordnung (AO) in der Fassung des AOÄG (=AO n. F.) maßgebend. Für die nach § 3 Abs. 5 Nr. 3 b des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) mit Ablauf der Kalenderjahre 1965 und 1967 entstandenen Gewerbesteueransprüche richtete sich die Verjährung somit nach den §§ 143 ff. AO n. F.
2. Dem FG ist darin beizupflichten, daß nach diesen Verjährungsvorschriften die Gewerbesteueransprüche 1965 und 1967 noch nicht verjährt waren.
a) Grundsätzlich begann die Verjährung nach § 145 Abs. 1 AO n. F. mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Anspruch entstanden ist. Abweichend von diesem Grundsatz begann die Verjährung bei gewissen Steuerarten, zu denen auch die Gewerbesteuer zählt, mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuererklärung für den jeweiligen Veranlagungs- oder Erhebungszeitraum abgegeben wurde, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf die Entstehung des Steueranspruchs folgte (§ 145 Abs. 2 Nr. 1 AO n. F.).
Der Sinn und Zweck der in § 145 Abs. 2 Nr. 1 AO n. F. vorgesehenen "Anlaufhemmung" lag darin, die Verjährungsfrist bei Nichtabgabe oder bei verspäteter Abgabe der Steuererklärung im Interesse der Finanzverwaltung grundsätzlich um drei Jahre hinauszuschieben (BT-Drucks. IV/2442 S. 11; BFH-Urteil vom 8. März 1979 IV R 75/76, BFHE 127, 497, BStBl II 1979, 501 ). Nur dann, wenn dem FA vor Ablauf des Dreijahreszeitraums die Steuererklärung eingereicht und das FA hierdurch in die Lage versetzt wurde, die Veranlagung durchzuführen, sollte die Verjährung mit Ablauf des Kalenderjahres beginnen, in dem die Steuererklärung für den jeweiligen Veranlagungszeitraum abgegeben wurde.
b) Die Anlaufhemmung nach § 145 Abs. 2 Nr. 1 AO n. F. setzte voraus, daß die Abgabe einer Steuererklärung gesetzlich vorgeschrieben war. Bei Fehlen einer solchen gesetzlichen Verpflichtung sollte es bei der Grundregel des § 145 Abs. 1 AO n. F. bleiben; die Verjährungsfrist sollte dann bereits mit Ablauf des Kalenderjahres beginnen, in dem der Anspruch entstanden ist.
Die die Abgabe von Gewerbesteuererklärungen regelnde Vorschrift ist in § 25 der Gewerbesteuer-Durchführungsverordnung i. d. F. vom 30. Mai 1962 - GewStDV 1961 - (BGBl I, 372, BStBl I 1962, 852) enthalten. Die Vorschrift begründet bei Vorliegen gewisser, dort näher bezeichneter Tatbestandsmerkmale eine Steuererklärungspflicht. Wenn diese Pflicht auch nur in einer Rechtsverordnung ausgesprochen wird, so wird damit dennoch der Voraussetzung des § 145 Abs. 2 Nr. 1 AO n. F., daß die Abgabe der Steuererklärung gesetzlich vorgeschrieben sein muß, entsprochen; denn "Gesetz" in diesem Sinne ist "jede Rechtsnorm" (§ 2 Abs. 1 AO; nunmehr § 4 AO 1977), also nicht nur das förmliche Gesetz, sondern auch die Rechtsverordnung.
Nach § 25 Abs. 1 GewStDV 1961 bestand eine Verpflichtung zur Abgabe der Gewerbesteuererklärung u. a. für alle gewerbesteuerpflichtigen Unternehmen, deren Gewerbeertrag im Erhebungszeitraum den Betrag von 7 200 DM oder deren Gewerbekapital in dem maßgebenden Feststellungszeitraum den Betrag von 6 000 DM überstieg. Nach dieser Vorschrift war auch die Klägerin zur Abgabe einer Gewerbesteuererklärung verpflichtet.
Der Gewerbesteuer unterliegt gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) "jeder Gewerbebetrieb, soweit er im Inland betrieben wird". Nach der Rechtsprechung des BFH (vgl. Beschluß vom 8. November 1971 GrS 2/71, BFHE 103, 440, BStBl II 1972, 63 ) gehört hierzu auch die vermietende oder verpachtende Tätigkeit des Besitzunternehmens im Rahmen einer Betriebsaufspaltung, falls die entsprechenden sachlichen und persönlichen Voraussetzungen für eine Betriebsaufspaltung vorliegen.
Die von der Klägerin hinsichtlich der persönlichen Voraussetzungen für eine Betriebsaufspaltung geäußerten Zweifel an ihrer Gewerbesteuerpflicht reichen nicht aus, um ihre Steuererklärungspflicht zu verneinen. Nach der bis zum Jahr 1968 von der Rechtsprechung des BFH vertretenen Auffassung (vgl. z. B. Urteile vom 10. April 1956 I 314/55, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1961, 128; vom 10. Mai 1960 I 215/59, HFR 1961, 129; vom 28. Januar 1965 IV 179/64 U, BFHE 82, 40, BStBl III 1965, 261 , und vom 24. Januar 1968 I 76/64, BFHE 91, 368, BStBl II 1968, 354 ) genügte es für die Annahme einer zur Gewerbesteuerpflicht der Besitzgesellschaft führenden Betriebsaufspaltung, daß an der Besitzgesellschaft und der Betriebsgesellschaft "dieselben Personen maßgebend beteiligt sind" oder daß die Besitzgesellschaft die Betriebskapitalgesellschaft "beherrscht". Die während einer kurzen Zeit vom I. Senat des BFH vertretene engere Auffassung, nach der als persönliche Voraussetzung für die Annahme einer zur Gewerbesteuerpflicht der Besitzgesellschaft führenden Betriebsaufspaltung Personen- und Beteiligungsgleichheit in der Besitz- und Betriebskapitalgesellschaft gefordert wurde (vgl. Urteile vom 3. Dezember 1969 I 231/63, BFHE 97, 522, BStBl II 1970, 223 , und vom 12. März 1970 I R 108/66, BFHE 98, 441, BStBl II 1970, 439 ), ist durch die Entscheidung des Großen Senats des BFH (BFHE 103, 440, BStBl II 1972, 63 ) überholt.
c) Ist hiernach davon auszugehen, daß die Klägerin zur Abgabe einer Gewerbesteuererklärung für die Streitjahre verpflichtet war, konnten die streitigen Gewerbesteueransprüche 1965 und 1967, die gemäß § 3 Abs. 5 Nr. 3 b StAnpG mit Ablauf der Jahre 1965 und 1967 entstanden sind, wegen Nichtabgabe der Steuererklärungen gemäß § 145 Abs. 2 Nr. 1 AO n. F. erst mit Ablauf des Jahres 1968 bzw. 1970 zu verjähren beginnen. Die Verjährungsfrist betrug gemäß § 144 AO n. F. fünf Jahre. Sie endete somit für den Gewerbesteueranspruch 1965 mit Ablauf des Jahres 1973 und für den Gewerbesteueranspruch 1967 mit Ablauf des Jahres 1975. Da die streitigen Steuermeßbescheide jeweils noch vor Ablauf der Verjährungsfrist ergangen sind, kann gegen sie keine Verjährung eingewendet werden.
Fundstellen
Haufe-Index 426093 |
BStBl II 1985, 199 |
BFHE 1985, 363 |