Leitsatz (amtlich)
1. Auch ein nichtiger Steuerverwaltungsakt kann seitens der Finanzbehörde als rechtswidrig gemäß § 130 Abs.1 AO 1977 zurückgenommen werden.
2. Im Falle der Zurücknahme einer Prüfungsanordnung gemäß § 130 Abs.1 AO 1977 besteht in der Regel kein berechtigtes Interesse für eine Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 100 Abs.1 Satz 4 FGO.
Orientierungssatz
1. Die Rücknahme eines belastenden Verwaltungsakts (§ 130 AO 1977) hat zur Folge, daß das FA von ihm keinen Gebrauch mehr machen darf und daß es die durch eine Vollziehung des Verwaltungsakts bereits herbeigeführten Folgen rückgängig machen muß (Lit.).
2. Der Senat ließ offen, ob auch nach Aufhebung eines mit der Nichtigkeitsklage angegriffenen Verwaltungsakts auf die Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 100 Abs. 1 S. 4 FGO) übergegangen werden kann.
3. Eine Feststellungsklage i.S. von § 41 Abs. 1 FGO bedarf keines Vorverfahrens, so daß auch eine Anwendung des § 46 FGO nicht in Frage kommt.
Normenkette
AO 1977 § 130 Abs. 1; FGO § 100 Abs. 1 S. 4, § 41 Abs. 1, § 46
Tatbestand
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) ordnete beim Kläger und Revisionskläger (Kläger), einem Landwirt, im September 1981 eine Außenprüfung an, die später erweitert wurde. Von der Prüfung wurde auch die Ehefrau des Klägers betroffen, die Miteigentümerin der landwirtschaftlichen Grundstücke war. Nach Erhalt des Betriebsprüfungsberichts legten der Kläger und seine Ehefrau im Mai 1982 gegen die Prüfungsanordnungen Beschwerde ein; sie rügten insbesondere, daß die Prüfungsanordnungen keine Rechtsbehelfsbelehrung enthielten, sowie auch, daß gegen die Ehefrau keine Prüfungsanordnung ergangen sei, gleichwohl aber gegen sie Ermittlungsmaßnahmen durchgeführt worden seien; schließlich beanstandeten sie, daß die erweiterte Prüfungsanordnung nicht rechtzeitig vor Beginn der Prüfungsmaßnahmen bekanntgegeben worden sei. Im Dezember 1982 erließ das FA Einkommensteuerbescheide für den Prüfungszeitraum, gegen die Einspruch eingelegt wurde.
Ebenfalls im Dezember 1982 erhob der Kläger beim Finanzgericht (FG) Klage auf Feststellung der Nichtigkeit der Prüfungsanordnungen; er rügte die bereits im Beschwerdeverfahren bezeichneten Rechtsmängel. Seine Klage bezeichnete er als Untätigkeitsklage i.S. von § 46 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Im Januar 1983 hob das FA die Prüfungsanordnung als rechtswidrig gemäß § 130 der Abgabenordnung (AO 1977) auf. Daraufhin begehrte der Kläger, nunmehr gemäß § 100 Abs.1 Satz 4 FGO die Rechtswidrigkeit der Prüfungsanordnungen festzustellen. Daran habe er ein berechtigtes Interesse, weil Feststellungen aus der Betriebsprüfung in die Einkommensteuerveranlagung 1976 eingeflossen seien. Das FG wies die Klage ab, weil der Kläger kein berechtigtes Interesse an der Feststellung habe.
Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Der Kläger beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Rechtswidrigkeit der Prüfungsanordnungen festzustellen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet; das FG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.
1. Zu Unrecht hat das FG allerdings angenommen, der Kläger habe eine Untätigkeitsklage i.S. von § 46 FGO erhoben. Der Kläger hat seinen Rechtsbehelf zwar so bezeichnet. Mit der Klage hat er jedoch begehrt, die Nichtigkeit der Prüfungsanordnungen festzustellen; er hat damit eine Feststellungsklage i.S. von § 41 Abs.1 FGO erhoben. Eine solche Klage bedarf keines Vorverfahrens, so daß auch eine Anwendung des § 46 FGO nicht in Frage kommt.
2. a) Der Kläger ist zur sog. Fortsetzungsfeststellungsklage i.S. von § 100 Abs.1 Satz 4 FGO übergegangen, nachdem das FA die Prüfungsanordnungen aufgehoben hatte. Diese Klage ist für den Fall vorgesehen, daß sich der mit der Anfechtungsklage angegriffene Verwaltungsakt durch Rücknahme oder in anderer Weise erledigt hat; alsdann spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Der Senat kann offenlassen, ob auch nach Aufhebung eines mit der Nichtigkeitsklage angegriffenen Verwaltungsakts auf die besagte Fortsetzungsfeststellungsklage übergegangen werden kann. Hiergegen könnten insbesondere deswegen Bedenken bestehen, weil nur besonders schwerwiegende Rechtsfehler zur Nichtigkeit eines Verwaltungsakts führen (§ 125 AO 1977), seine Rechtswidrigkeit aber auch auf anderen Mängeln beruhen kann, so daß sich durch den Übergang zur Fortsetzungsfeststellungsklage die verfahrensrechtliche Situation des Klägers verbessern würde.
b) Im Streitfall braucht hierauf nicht eingegangen zu werden, weil der Kläger kein berechtigtes Interesse an einer Fortsetzungsfeststellungsklage hat. Ein derartiges Interesse wird in jedem anzuerkennenden schutzwürdigen Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder auch ideeller Art gesehen (vgl. die Rechtsprechungsnachweise bei Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 100 Anm.18, § 41 Anm.4; Kopp, Verwaltungsgerichtsordnung, 6.Aufl., § 113 Anm.57). An der Feststellung der Rechtswidrigkeit einer erledigten Prüfungsanordnung kann der Steuerpflichtige ein berechtigtes Interesse haben, um damit die Auswertung der durch die Prüfung erlangten Kenntnisse durch das FA zu verhindern (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 27.Juli 1983 I R 210/79, BFHE 139, 221, BStBl II 1984, 285). Dessen bedarf es entgegen der Auffassung des FG auch, wenn die Prüfungsfeststellungen bereits Eingang in den Steuerbescheid gefunden haben. Zur Beseitigung der aus diesen Feststellungen gezogenen Folgerungen muß allerdings zusätzlich der Steuerbescheid angefochten werden (BFH-Beschluß vom 24.Juni 1982 IV B 3/82, BFHE 136, 192, BStBl II 1982, 659).
Der BFH hat bisher nicht entschieden, ob ein Feststellungsinteresse auch dann besteht, wenn das FA seine Prüfungsanordnung, wie im Streitfall geschehen, gemäß § 130 AO 1977 als rechtswidrig zurückgenommen hat. Ein solches Interesse ist in der Regel zu verneinen. Die Rücknahme eines belastenden Verwaltungsakts hat zur Folge, daß das FA von ihm keinen Gebrauch mehr machen, aus ihm also keine Folgerungen ziehen darf und daß es die durch eine Vollziehung des Verwaltungsakts bereits herbeigeführten Folgen rückgängig machen muß (Kopp, Verwaltungsverfahrensgesetz --VwVfG--, 3.Aufl., § 48 Anm.40). Mit der Aufhebung der Prüfungsanordnung durch das FA steht damit in derselben Weise wie bei einer Aufhebung durch das Gericht fest, daß die Prüfungshandlungen ohne Rechtsgrundlage und damit rechtswidrig waren; das FA kann von ihnen deshalb bei der Steuerfestsetzung keinen Gebrauch machen. Mit der gerichtlichen Feststellung der Rechtswidrigkeit der Prüfungsanordnungen kann der Kläger nicht mehr als dieses Ergebnis erreichen, so daß für eine Feststellungsklage kein Rechtsschutzinteresse besteht.
Im Streitfall gehen die Meinungen der Beteiligten darüber auseinander, ob bei der Einkommensteuerveranlagung 1976 Feststellungen aus dem Betriebsprüfungsbericht berücksichtigt worden sind; auch das FA hält das für unzulässig. Ob tatsächlich derartige Feststellungen in die Steuerfestsetzung eingeflossen sind und damit das aufgrund der durch Rücknahme des Verwaltungsakts festgestellten Rechtswidrigkeit der Prüfungshandlungen bestehende Verwertungsverbot verletzt ist, kann nur im Rechtsbehelfsverfahren gegen die Steuerfestsetzung entschieden werden.
c) Im Streitfall hat das FA die Prüfungsanordnungen gemäß § 130 Abs.1 AO 1977 als rechtswidrig zurückgenommen. Diese Rücknahme ist beachtlich, selbst wenn die Anordnungen entsprechend dem klägerischen Vorbringen nichtig gewesen sein sollten. Der nichtige Verwaltungsakt erzeugt den Rechtsschein der Wirksamkeit. Gegen ihn kann daher Anfechtungsklage erhoben werden, wie sich aus dem Wortlaut des § 41 Abs.2 Satz 2 FGO ergibt. Seitens der Finanzbehörde kann dieser Rechtsschein auch durch Rücknahme des Verwaltungsakts beseitigt werden (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs vom 26.Februar 1951 IV ZR 175/50, BGHZ 1, 223; Kopp, VwVfG, 3.Aufl., § 48 Anm.17; anders Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 11.Aufl., § 130 AO 1977 Anm.1). Die Behörde ist also nicht auf die Feststellung der Nichtigkeit des Verwaltungsakts nach § 125 Abs.5 AO 1977 beschränkt. Dies erweist sich auch deshalb als erforderlich, weil häufig Zweifel bestehen können, ob ein vorhandener Rechtsmangel zur Nichtigkeit i.S. von § 125 Abs.1 AO 1977 führt.
Fundstellen
Haufe-Index 60998 |
BStBl II 1985, 579 |
BFHE 143, 506 |
BFHE 1985, 506 |
BB 1986, 1004-1004 (S) |
DB 1985, 2030-2030 (ST) |
HFR 1985, 472-472 (ST) |