Entscheidungsstichwort (Thema)
Zu den Voraussetzungen einer Außenprüfung
Leitsatz (NV)
Ob eine Außenprüfung angezeigt ist, entscheidet die Finanzbehörde nach pflicht gemäßem Ermessen; sie muß hierbei Art und Umfang des zu prüfenden Sachverhalts berücksichtigen und zusätzlich beachten, daß die Außenprüfung für den Steuerpflichtigen eine erhebliche Belastung bedeutet. Nach dem Grundsatz der Verhältnis mäßigkeit muß die Behörde von einer Außenprüfung Abstand nehmen, wenn die erforderliche Aufklärung auch mit Maßnahmen erreicht werden kann, die den Steuerpflichtigen weniger belasten (Anschluß an BFH-Urteile vom 7. November 1985 IV R 6/85, BFHE 145, 23, BStBl II 1986, 435, und vom 28. Oktober 1988 III R 52/86, BFH/NV 1990, 4, jeweils m. w. N.).
Die Gerichte können die Entscheidung der Finanzbehörde nach § 102 FGO nur darauf überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (Anschluß an BFH- Urteile vom 16. Dezember 1986 VIII R 123/86, BFHE 148, 426, BStBl II 1987, 248, und in BFH/NV 1990, 4, jeweils m. w. N.).
Maßgeblich für die Überprüfung der Sach- und Rechtslage durch die Gerichte ist bei Ermessensentscheidungen der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung. Ein Nachschieben von Gründen im Gerichtsverfahren kommt bei Ermessensentscheidungen grundsätzlich nicht in Betracht.
Normenkette
AO 1977 § 121 Abs. 1, § 126 Abs. 1 Nr. 2, § 193 Abs. 2 Nr. 2; FGO § 102
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine Grundstücksgesellschaft, unterlag mit ihren Mietumsätzen aus einem Ge schäftsgrundstück infolge Verzichts auf die Steuerbefreiung der Umsatzsteuer. Sie veräußerte im Jahre 1989 das Grundstück. Anfang 1990 teilte sie dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt -- FA --) mit, daß ab Juni 1989 keine Mieterlöse mehr anfielen.
Am 7. September 1990 ordnete das FA gemäß § 193 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) eine Umsatzsteuer-Prüfung für die Zeit ab 1989 bis zum letzten Umsatzsteuer-Voranmeldungszeitraum, beschränkt auf die Berichtigung des Vorsteuerabzugs gemäß § 15 a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) an. Die gegen die Prüfungsanordnung erhobene Beschwerde wies die Ober finanzdirektion (OFD) mit Entscheidung vom 23. April 1992 zurück. Zur Begründung führte sie im wesentlichen aus, Rechtsgrundlage für die Anordnung der Außenprüfung sei § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977. Danach sei die Anordnung zulässig gewesen, weil durch die 1989 erfolgte Grundstücksveräußerung eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs gemäß § 15 a UStG veranlaßt gewesen sei, deshalb für die steuerliche Beurteilung erhebliche Verhältnisse der Aufklärung bedurft hätten und eine Prüfung an Amtsstelle nicht zweckmäßig gewesen sei. Die Prüfung an Ort und Stelle hätte einfacher und zutreffender vorgenommen werden können und habe den Gesellschaftern der Klägerin ersparen sollen, mit -- möglicherweise umfangreichen -- Unterlagen beim FA vorsprechen zu müssen.
Die dagegen erhobene Klage hat das Finanzgericht (FG) abgewiesen. Es führt im wesentlichen aus, aus den Akten ergebe sich in tatsächlicher Hinsicht noch, daß das FA im Schreiben vom 5. Juni 1991 an die OFD darauf hingewiesen habe, daß eine Vorsteuerkorrektur nach § 15 a UStG in Betracht komme, wenn die Instandhaltungskosten bzw. die den Mietern gewährten Zuschüsse als anschaffungsnahe Aufwendungen zu beurteilen seien. Dies erscheine im Falle der Klägerin als möglich, weil den Anschaffungskosten von ... DM neben nachträglichen Herstellungskosten von ... DM noch Instandsetzungsarbeiten bzw. Zu schüsse von ... DM gegenüberständen. Eine Prüfung an Amtsstelle sei wegen der voraussichtlich erforderlichen Einsichtnahme in eine Vielzahl von Verträgen und Rechnungen nicht zweckmäßig.
Zur Rechtmäßigkeit der Prüfungsanordnung führt das FG aus, als Rechtsgrund lage für die angefochtene Prüfungsanordnung komme § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 in Betracht. Da die Klägerin in den Jahren 1981 bis 1989 Vorsteuern in Höhe von ... DM abgezogen habe, der steuerfreie Verkauf in 1989 erfolgt sei und damit eine Änderung der im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung für den Vorsteuerabzug maßgeblichen Verhältnisse unstreitig eingetreten und eine Überprüfung der Berichtigungsvoraussetzungen nach § 15 a UStG veranlaßt gewesen sei, habe das FA insoweit eine Überprüfung anordnen können. Eine Berichtigung sei für Vorsteuerbeträge vorgesehen, die auf Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten unter Einbeziehung nachträglicher Anschaffungs- und Herstellungskosten entfallen seien. Nachdem eine von der Beurteilung der Klägerin abweichende Beurteilung der bisher -- als nicht berichtigungspflichtig -- angesetzten Instandhaltungskosten im Bereich des Möglichen gelegen habe -- wie das FA in seinem Schreiben vom 5. Juni 1991 an die OFD ausgeführt habe -- und deshalb der Umfang der Berichtigung zu ermitteln gewesen sei, müsse eine Außenprüfung als zunächst zweckmäßiges Mittel zur Sachverhaltserforschung angesehen werden. Die Prüfungswürdigkeit werde letztlich vom Prozeßbevollmächtigten auch nicht mehr bestritten. Unter Berücksichtigung dieser Gesamtumstände erscheine die von der Finanzverwaltung gegebene Be gründung als noch ausreichend. Ob eine Prüfung an Amtsstelle unzweckmäßig und deshalb eine Außenprüfung angezeigt sei, entscheide die Finanzbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen. Der Senat könne die Entscheidung der Finanzverwaltung nur daraufhin überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten seien oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht sei. Durch das Gebot, umfangreiche Erhaltungsaufwendungen auf eine möglicherweise gerechtfertigte Zuordnung zu den Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten und damit zur Bemessungsgrundlage für eine Berichtigung nach § 15 a UStG anhand zahlreicher Belege überprüfen zu müssen, erweise sich die gegebene Begründung, bezogen auf den damaligen Zeitpunkt, als noch ausreichend. Weder sei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt, noch seien Ermessensgrenzen überschritten worden.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen und formellen Rechts.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG und die Prüfungsanordnung des FA vom 7. September 1990 i. d. F. der Beschwerdeentscheidung der OFD vom 23. April 1992 aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Es ist der Auffassung, daß das FG die Vorschrift des § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 nicht fehlerhaft angewendet habe.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Entscheidung in der Sache selbst (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).
Zu Unrecht hat das FG die Anordnung der Außenprüfung gegenüber der Klägerin als rechtmäßig beurteilt. Der Senat läßt offen, ob die Prüfungsanordnung und die Be schwerdeentscheidung den an die Be stimmtheit des Steuerschuldners zu stellenden Anforderungen entsprechen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 9. Dezember 1992 II R 43/88, BFH/NV 1993, 702, m. w. N.). Die Verwaltungsakte sind jedenfalls deshalb rechtswidrig, weil sie eine Ermessensausübung nicht erkennen lassen.
Rechtsgrundlage für die Umsatzsteuer- Sonderprüfung bei der Klägerin ist § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977. Nach dieser Vorschrift ist eine Außenprüfung zulässig, wenn die für die Besteuerung erheblichen Verhältnisse der Aufklärung bedürfen und eine Prüfung an Amtsstelle nach Art und Umfang des zu prüfenden Sachverhalts nicht zweckmäßig ist. Eine Außenprüfung ist bereits dann zulässig, wenn Anhaltspunkte vorliegen, die es nach den Erfahrungen der Finanzverwaltung als möglich erscheinen lassen, daß ein Besteuerungstatbestand erfüllt ist. Sie kann auch dann durchgeführt werden, wenn eine Erklärung nicht oder noch nicht vorliegt. Daß die Voraussetzungen für eine Außenprüfung nach § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 erfüllt sind, muß sich gemäß § 121 Abs. 1 AO 1977 aus der Begründung der nach § 196 AO 1977 schriftlich zu erteilenden Prüfungsanordnung ergeben. Insbesondere muß die Begründung auch erkennen lassen, warum eine Prüfung an Amtsstelle nach Art und Umfang des zu prüfenden Sachverhalts nicht zweckmäßig ist (BFH-Urteil vom 13. März 1987 III R 236/83, BFHE 149, 399, BStBl II 1987, 664, m. w. N.). Dabei reicht es aus, wenn die erforderliche Begründung in der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf enthalten ist, denn nach § 126 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 kann die Begründung auch nachträglich bis zum Abschluß des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens gegeben werden (BFH-Urteil in BFHE 149, 399, BStBl II 1987, 664, m. w. N.). Ob eine Außenprüfung angezeigt ist, entscheidet die Finanzbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen; sie muß hierbei Art und Umfang des zu prüfenden Sachverhalts berücksichtigen und zusätzlich beachten, daß die Außenprüfung für den Steuerpflichtigen eine erheb liche Belastung bedeutet. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muß die Behörde von einer Außenprüfung Abstand nehmen, wenn die erforderliche Aufklärung auch mit Maßnahmen erreicht werden kann, die den Steuerpflichtigen weniger belasten (BFH-Urteile vom 7. November 1985 IV R 6/85, BFHE 145, 23, BStBl II 1986, 435, und vom 28. Oktober 1988 III R 52/86, BFH/NV 1990, 4, jeweils m. w. N.). Die Gerichte können die Entscheidung der Finanzbehörde nach § 102 FGO nur darauf überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (BFH-Urteile vom 16. Dezember 1986 VIII R 123/86, BFHE 148, 426, BStBl II 1987, 248, und in BFH/NV 1990, 4, jeweils m. w. N.).
Bei Anwendung der vorgenannten Rechtsgrundsätze auf den Streitfall bedurften die Verhältnisse der Klägerin der Aufklärung, weil sie ihren bis dahin steuerpflichtig vermieteten Grundbesitz steuerfrei veräußert hatte und dadurch eine Vorsteuerberichtigung in Betracht kam. Unschädlich ist, daß das FA die Prüfungsanordnung auf § 193 Abs. 1 AO 1977 gestützt hat. Dieser Fehler ist durch die Beschwerdeentscheidung ge heilt worden, in der unter Hinweis auf § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 ausgeführt ist, daß durch die im Jahre 1989 erfolgte Grundstücksveräußerung eine Berichtigung nach § 15 a UStG der auf nachträg liche Anschaffungskosten entfallenden Vorsteuerbeträge in Betracht kommen kann. Diese Begründung reicht für die Darlegung des Aufklärungsbedürfnisses aus.
Die Begründung der Beschwerdeentscheidung genügt im übrigen allerdings nicht den an die Ermessensentscheidung i. S. des § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 zu stellenden Anforderungen. Die zum Ausdruck ge brachten Ermessenserwägungen lassen die Abwägung zwischen einer Prüfung an Amtsstelle und einer Außenprüfung an hand der Art und des Umfangs des zu prüfenden Sachverhalts vermissen. Daß die Sachverhaltsfeststellungen bei der Klägerin "an Ort und Stelle einfacher und vor allem zutreffender getroffen werden können", ergibt sich weder aus dem als aufklärungsbedürftig dargestellten Sachverhalt noch wird es näher erläutert. Auch im übrigen läßt sich der Begründung nicht entnehmen, daß Art und Umfang des zu prüfenden Sachverhalts für die Anordnung der Außenprüfung maßgebend waren. Der Hinweis, daß die Berichtigung von auf nachträgliche Anschaffungskosten entfallenden Vorsteuerbeträgen in Betracht kommen kann, besagt noch nichts darüber, ob sich für die Prüfung des steuererheblichen Sachverhalts in qualitativer und quantitativer Hinsicht die Außenprüfung als die zweckmäßigere Maßnahme darstellt. Nicht ausreichend ist insoweit jedenfalls die Begründung der OFD, die Außenprüfung stelle für die Klägerin die geringere Belastung dar, "weil sie mit den jeweiligen -- möglicherweise umfangreichen -- Unterlagen nicht beim Finanzamt vorstellig werden muß". Dies läßt sich nicht einmal dahin verstehen, daß wegen des Umfangs des zu prüfenden Sachverhalts die Außenprüfung angeordnet wird.
Das Schreiben des FA an die OFD vom 5. Juni 1991, in dem Art und Umfang des zu prüfenden Sachverhalts ausführlich dargestellt sind, kann zur Begründung der Er messensentscheidung der Finanzbehörde nicht herangezogen werden, da es der Klägerin nicht bekanntgegeben wurde und ihr im Zeitpunkt des Ergehens der Beschwerdeentscheidung der OFD auch nicht be kannt war (§ 121 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977). Maßgeblich für die Überprüfung der Sach- und Rechtslage durch die Gerichte ist bei Ermessensentscheidungen der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (vgl. Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 102 Rdnr. 13, m. w. N.). Ein Nachschieben von Gründen im Gerichtsverfahren kommt bei Ermessensentscheidungen grundsätzlich nicht in Betracht.
Die Vorentscheidung, die unter Heranziehung des Schreibens des FA vom 5. Juni 1991 einen Ermessensfehlgebrauch bei der Anordnung der Außenprüfung verneint hat, ist aufzuheben. Die Sache ist entscheidungsreif. Mangels Erkennbarkeit der Ausübung pflichtgemäßen Ermessens sind die Prüfungsanordnung des FA und die Beschwerdeentscheidung der OFD aufzuheben.
Fundstellen
Haufe-Index 420376 |
BFH/NV 1995, 578 |