Leitsatz (amtlich)
Hat der Gläubiger einer gegen das FA gerichteten Forderung, gegen den es seinerseits ebenfalls eine aufrechenbare Forderung hat, seine Forderung an einen anderen abgetreten, so kann das FA zwar gegenüber dem Neugläubiger mit seiner gegen den Altgläubiger gerichteten Forderung aufrechnen. Solange das aber nicht geschehen ist, kann der Neugläubiger mit der auf ihn übergegangenen Forderung des Altgläubigers gegen seine eigene Steuerschuld aufrechnen.
Normenkette
AO § 124; BGB §§ 404, 406-407
Tatbestand
Der Kaufmann G in Berlin kaufte im Jahre 1965 für sein Unternehmen einen Lkw von der Fa. K und trat dieser seinen Anspruch auf Investitionszulage ab. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) bestätigte durch Verfügung vom 30. November 1965, von der Abtretung Kenntnis genommen zu haben, und behielt sich vor, gegen den Investitionszulage-Anspruch mit älteren Steuerforderungen aufzurechnen. Es setzte durch Bescheid vom 2. Mai 1966 die Investitionszulage auf 7 400 DM fest und teilte dem Kaufmann G mit, es rechne hiergegen mit Forderungen aus Steuerrückständen der am 31. Dezember 1959 aufgelösten OHG G & Co. auf. Auf die Beschwerde des Kaufmanns G erklärte diesem die OFD durch Schreiben vom 3. Februar 1969, die Aufrechnung sei nicht wirksam erklärt worden; das FA werde nunmehr gegenüber der Fa. K aufrechnen.
Mit Schreiben vom 7. Februar 1969 teilte der Kläger und Revisionskläger (Kläger) dem FA mit, die Fa. K habe den Investitionszulage-Anspruch ihm abgetreten; er erkläre die Aufrechnung gegen seine Einkommensteuer-Abschlußzahlung 1965 und gegen seine Einkommensteuer-Vorauszahlungen 1969 und 1970. Zu dieser Zeit schuldete der Kläger eine Einkommensteuer-Abschlußzahlung für das Jahr 1965 in Höhe von 1 733,54 DM zuzüglich eines Verspätungszuschlages von 160 DM sowie die Einkommensteuer-Vorauszahlung I/1969 in Höhe von 1 343 DM, insgesamt also 3 236,54 DM. Mit Schreiben vom 10. Februar 1969 beantragte er beim FA eine seiner Aufrechnung entsprechende Umbuchung. Hierauf erklärte das FA dem Kläger durch Verfügung vom 26. Februar 1969, es könne die Umbuchung nicht vornehmen und rechne vielmehr selbst gemäß § 406 BGB gegenüber dem Investitionszulage-Anspruch mit Forderungen des Landes Berlin und der Bundesrepublik Deutschland in Höhe von insgesamt 7 400,46 DM auf. Der Kläger legte Beschwerde ein mit der Begründung, durch die von ihm erklärte Aufrechnung seien seine Steuerschulden getilgt, so daß eine Aufrechnung durch das FA nicht mehr möglich gewesen sei. Die OFD wies die Beschwerde als unbegründet zurück. Mit der sodann erhobenen Klage beantragte der Kläger, die Verfügung des FA vom 26. Februar 1969 und die Beschwerdeentscheidung der OFD aufzuheben. Das FG wies die Klage mit folgender Begründung ab:
Der Umbuchungsantrag sei nicht begründet gewesen, weil die Forderungen des FA gegen den Kläger durch dessen Aufrechnungserklärung nicht getilgt worden seien. Die Voraussetzungen der §§ 387 ff. BGB für eine wirksame Aufrechnung seien für den Kläger nicht erfüllt gewesen. In Höhe eines Betrages von 4 163,46 DM sei die Aufrechnung des Klägers schon deshalb unwirksam gewesen, weil die Gegenforderungen des FA nur insgesamt 3 236,54 DM betragen hätten und die Einkommensteuer-Vorauszahlungsforderungen für das zweite, dritte und vierte Quartal 1969 sowie für 1970 noch nicht entstanden gewesen seien. Im übrigen sei die Aufrechnung des Klägers unwirksam, weil das FA durch das Schreiben vom 26. Februar 1969 seinerseits dem Kläger gegenüber die Aufrechnung erklärt habe. Das ergebe sich aus folgenden Erwägungen:
Während § 404 BGB dem Schuldner erlaube, dem neuen Gläubiger die Einwendungen entgegenzusetzen, die zur Zeit der Abtretung der Forderung gegen den bisherigen Gläubiger begründet gewesen seien, gestatte § 406 BGB dem Schuldner, eine ihm gegen den bisherigen Gläubiger zustehende Forderung auch dem neuen Gläubiger gegenüber aufzurechnen, es sei denn, daß der Schuldner bei dem Erwerb der Forderung von der Abtretung Kenntnis gehabt habe oder die Forderung erst nach der Erlangung der Kenntnis und später als die abgetretene Forderung fällig geworden sei. In beiden Bestimmungen wie auch in § 407 BGB komme zum Ausdruck, daß der aufrechnungsberechtigte Schuldner nicht durch nachträgliche Vorgänge, die seiner Einflußmöglichkeit entzogen seien und sich in der Sphäre des Aufrechnungsgegners abspielten, der ursprünglich vorhanden gewesenen Aufrechnungsmöglichkeit verlustig gehen solle. Diese dem FA als Schuldner der Investitionszulage gegenüber dem Kläger als Neugläubiger vom Gesetz eingeräumte Rechtsstellung habe nicht dadurch beeinträchtigt werden können, daß der Kläger seinerseits sofort nach Erwerb der Investitionszulage-Forderung gegen die Einkommensteuer-Forderungen des FA die Aufrechnung erklärt habe. Es sei zwar richtig, daß das Gestaltungsgeschäft der Aufrechnung gemäß § 389 BGB das Erlöschen der Forderungen zur Folge habe, so daß grundsätzlich der Aufrechnungsgegner nach erklärter Aufrechnung nicht anderweit aufrechnen könne. Hierbei sei aber stets Voraussetzung, daß die Forderung, mit der aufgerechnet werde, voll wirksam, d. h. klagbar und nicht durch eine verzögerliche oder zerstörende Einrede entkräftbar sei (§ 390 BGB). So könne etwa mit einer anfechtbaren Forderung aufgerechnet werden, solange noch nicht angefochten sei; werde aber angefochten, so werde die Aufrechnung wegen Wegfalls der Forderung, mit der aufgerechnet worden sei, gemäß § 142 BGB rückwirkend unwirksam. Die gleiche Rechtslage sei im Hinblick auf den sich aus den §§ 404 und 406 BGB ergebenden Schuldnerschutz gegeben, wenn dem Schuldner einer Forderung, mit der der Neugläubiger aufrechne, seinerseits eine Aufrechnungsbefugnis gegenüber dem Altgläubiger zugestanden habe. Die dem Schuldner durch § 406 BGB eingeräumte Möglichkeit, auch dem Neugläubiger gegenüber aufzurechnen, könne nicht dadurch beseitigt werden, daß der Neugläubiger seinerseits vorab die Aufrechnung erkläre.
Mit der Revision rügt der Kläger im wesentlichen:
Das FG habe § 390 BGB verletzt. Eine verzögerliche oder zerstörende Einrede beziehe sich auf das Rechtsverhältnis selbst, nicht aber auf etwaige Gegenansprüche, die nicht das Rechtsverhältnis, sondern die Zahlungsabwicklung beträfen. Das FA verdiene auch keinen besonderen Schutz, da es schon bei der Absendung des Bescheides über die Festsetzung der Investitionszulage vom 2. Mai 1966 die Aufrechnung hätte erklären können. Das FA habe seinen Rechtsverlust schuldhaft selbst verursacht.
Der Kläger hat keinen ausdrücklichen Antrag gestellt.
Das FA und die OFD beantragen, die Revision zurückzuweisen. Sie machen geltend:
Das FG habe zutreffend festgestellt, daß die Forderung, mit der der Kläger aufgerechnet habe, wegen der Aufrechnungsmöglichkeiten des FA aus § 406 BGB nicht voll wirksam und somit nicht für ein Erlöschen aus § 389 BGB geeignet gewesen sei. Im übrigen würde es den Sinn der Schuldnerschutzvorschriften in den §§ 398 ff. BGB ins Gegenteil verkehren, wenn es zulässig wäre, durch Aufrechnung eines Abtretungsnehmers die Aufrechnungsrechte des aus der Abtretung Verpflichteten zu vereiteln. Es gelte nicht der Grundsatz, daß derjenige, der zuerst komme, zuerst mahle. Denn andernfalls könnte durch einfache Maßnahmen jederzeit das Aufrechnungsrecht aus § 406 BGB zunichte gemacht werden. Gerade das habe der Gesetzgeber nicht gewollt. Das zeigten die Schutzvorschriften der §§ 404, 406 und 407 BGB, die das FG richtig ausgelegt habe.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zulässig und zum Teil begründet.
Der Zulässigkeit steht nicht entgegen, daß der Kläger keinen ausdrücklichen Revisionsantrag gestellt hat. Dem Erfordernis des § 120 Abs. 2 FGO, daß die Revisionsbegründung oder die Revision selbst einen "bestimmten Antrag" enthalten muß, ist auch dann Genüge getan, wenn aus der Revisionseinlegung und der Revisionsbegründung das Ziel des Rechtsmittels erkennbar ist (vgl. Entscheidung des BVerwG vom 8. November 1954, Gr.Sen. 1.54/VC 61/54, BVerwGE 1, 222). Das ist hier der Fall. Es ist erkennbar, daß der Kläger die Aufhebung des FG-Urteils und eine Entscheidung gemäß seinem Klageantrag begehrt.
Das FG hat die Zulässigkeit des Finanzrechtsweges zu Recht bejaht. Es handelt sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit über Abgabenangelegenheiten, für die nach § 33 Abs. 1 Nr. 1 FGO der Finanzrechtsweg gegeben ist. Denn die Aufrechnungserklärungen des Klägers und des FA haben Forderungen zum Gegenstand, die im öffentlichen Recht wurzeln (vgl. Urteil des BFH vom 14. Oktober 1975 VII R 40/74, BFHE 117, 23).
Das FG hat jedoch die Klage zu Unrecht in vollem Umfange abgewiesen.
Es ist zutreffend davon ausgegangen, daß zur Zeit der Aufrechnungserklärung des Klägers vom 7. Februar 1969 Forderungen des FA gegen den Kläger auf Einkommensteuer-Vorauszahlungen für das zweite, dritte und vierte Quartal 1969 und für 1970 noch nicht nach § 3 Abs. 5 Nr. 1 b StAnpG entstanden sein konnten und daß deshalb der vom Kläger zur Aufrechnung benutzten Investitionszulage-Forderung von 7 400 DM nur Steuerforderungen des FA von 3 236,54 DM gegenüberstanden. Das FG irrt jedoch mit der Auffassung, die Aufrechnungserklärung des Klägers sei auch gegenüber diesen Forderungen des FA unwirksam, weil das FA mit dem Schreiben vom 26. Februar 1969 seinerseits dem Kläger gegenüber die Aufrechnung mit seinen Forderungen gegen die Fa. G & Co. erklärt habe.
Das FG übersieht, daß schon der Kaufmann G Inhaber einer vom FA durch den Bescheid vom 2. Mai 1966 festgesetzten und niemals bestrittenen Investitionszulage-Forderung war und daher selbst diese Forderung zur Aufrechnung gegenüber dem FA hätte verwenden können. Die Rechtsposition des Kaufmanns G als Gläubiger einer voll wirksamen, unbestrittenen und nicht mit einer Einrede behafteten Forderung ging durch die Abtretungen an die Fa. K und an den Kläger uneingeschränkt auf diese über (vgl. Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 35. Aufl., § 398 Anm. 5). Die §§ 404, 406 und 407 BGB bringen zwar zum Ausdruck, daß der Schuldner die Rechte, die ihm zur Zeit der Abtretung der Forderung gegen den bisherigen Gläubiger zustanden, durch die Abtretung nicht verlieren soll, insbesondere nicht eine bisher vorhanden gewesene Aufrechnungsmöglichkeit. Der Schuldner einer Forderung ist aber durch diese Vorschriften nicht auch dagegen geschützt, daß der Gläubiger die Forderung an jemanden abtritt, der selbst dem Schuldner eine der Forderung entsprechende aufrechenbare Leistung zu erbringen hat. Hat der Schuldner der abgetretenen Forderung von der ihm bisher zustehenden Möglichkeit, mit einer eigenen Forderung gegen den bisherigen Gläubiger aufzurechnen, keinen Gebrauch gemacht, so muß zwar der neue Gläubiger nach § 406 BGB damit rechnen und es hinnehmen, daß der Schuldner nunmehr ihm gegenüber aufrechnet. Der neue Gläubiger ist jedoch nicht in seinem Recht beschränkt, seinerseits die erworbene Forderung zu benutzen, um durch Aufrechnung beim Schuldner seine eigene Schuld zu tilgen.
Der Kläger war also durch die Tatsache, daß dem FA Forderungen gegen den Kaufmann G zustanden und er eine Aufrechnung gegen die ihm abgetretene Investitionszulage-Forderung hätte gegen sich gelten lassen müssen, nicht gehindert, mit der Investitionszulage-Forderung sofort nach ihrem Erwerb gegen die ihn betreffenden Steuerforderungen des FA nach § 124 AO aufzurechnen. Wenn dem FA daran gelegen war, daß mit der Investitionszulage-Forderung nicht die Schulden des Klägers, sondern die des Kaufmanns G getilgt werden, so hätte es von seiner Aufrechnungsmöglichkeit schon zu der Zeit Gebrauch machen müssen, als die Investitionszulage-Forderung noch dem Kaufmann G zustand bzw. an die Fa. K und an den Kläger abgetreten, aber von diesem noch nicht aufgerechnet worden war. Es muß sich selbst zuschreiben, daß es nicht die Möglichkeit bedacht hat, daß diese Forderung an einen anderen Steuerschuldner abgetreten und von diesem benutzt werden könnte, seine eigenen Steuerschulden zu tilgen.
Da somit die Investitionszulage-Forderung auch in der Person des Klägers entgegen der Auffassung des FG voll wirksam und nicht durch eine Einrede entkräftbar war, hat die Aufrechnungserklärung des Klägers vom 7. Februar 1969 gemäß § 389 BGB bewirkt, daß die Investitionszulage-Forderung des Klägers und die Steuerforderungen des FA, soweit sie sich deckten, nämlich in Höhe von 3 236,54 DM, als in dem Zeitpunkt erloschen gelten, in dem sie zur Aufrechnung geeignet einander gegenübergetreten sind. Das war der Zeitpunkt, in dem der Kläger die Investitionszulage-Forderung erwarb.
Das FA hätte daher den Antrag des Klägers vom 10. Februar 1969 auf eine der Aufrechnung vom 7. Februar 1969 entsprechende Umbuchung nur in bezug auf den Betrag von 4 163,46 DM, also nicht im vollen Umfang ablehnen dürfen. Das Klagebegehren ist demnach hinsichtlich der Verweigerung einer Umbuchung der Steuerforderungen von 3 236,54 DM und die Einbeziehung dieses Betrages in die Aufrechnungserklärung des FA vom 26. Februar 1969 begründet.
Fundstellen
BStBl II 1976, 549 |
BFHE 1976, 526 |