Leitsatz (amtlich)
Der in dem BFH-Urteil V 115/63 vom 24. Februar 1966 (BStBl 1966 III S. 261) ausgesprochene Grundsatz, wonach ein ausländischer Unternehmer, der die von ihm im Ausland hergestellte Ware im Inland durch seine Zweigniederlassung vertreibt, bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen die Großhandelsvergünstigung des § 7 Abs. 3 UStG in Anspruch nehmen kann, gilt auch für eine ausländische Muttergesellschaft, die die von ihr im Ausland hergestellte Ware durch ihre inländische Organgesellschaft im Inland absetzt.
Normenkette
UStG § 1 Ziff. 1, § 1 Ziff. 3, § 2 Abs. 1, § 7 Abs. 3
Tatbestand
Die Revisionsbeklagte (Klägerin), eine GmbH, vertrieb in den Jahren 1958 und 1959 ausschließlich chemische Erzeugnisse der Firma X in H. Sie hatte das alleinige Vertriebsrecht im Bundesgebiet. Die eingehende Ware wurde lediglich in kleinere Mengen umgepackt und an die Kundschaft im Bundesgebiet geliefert. Seit 1951 besitzt die ausländische Herstellerfirma 100 % der Geschäftsanteile der GmbH.
Streitig ist, ob die GmbH eine Organgesellschaft der ausländischen Herstellerfirma ist und ob sie als solche auf die Inlandslieferungen der von der ausländischen Gesellschaft hergestellten Waren den ermäßigten Steuersatz des § 7 Abs. 3 UStG beanspruchen kann.
Die Revisionsbeklagte hat in ihren Steuererklärungen auf die Lieferungen im Inland, soweit sie nicht nach § 4 Ziff. 3 und § 4 Ziff. 11 UStG steuerfrei waren, den Steuersatz von 1 % angewendet. Im Anschluß an eine Betriebsprüfung hat der Revisionskläger (Finanzamt -- FA --) die für 1958 bereits durchgeführte Steuerfestsetzung berichtigt und für 1958 und 1959 eine Anwendung des ermäßigten Steuersatzes abgelehnt.
Mit der Berufung hatte die Klägerin Erfolg. Ohne zu der Frage Stellung zu nehmen, ob zwischen der GmbH und der ausländischen Herstellerfirma ein Organverhältnis besteht, vertrat das Finanzgericht (FG) die Auffassung, daß die Organschaft keine umsatzsteuerliche Wirkung über die Grenze haben könne.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Rb. des FA-Vorstehers, die gemäß § 184 Abs. 2 Ziff. 1 FGO als Revision zu behandeln ist. Sie wird auf unrichtige Rechtsanwendung gestützt. Außerdem wird bemängelt, daß das FG zu der Frage, ob eine finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Eingliederung der GmbH vorliege, keine Feststellung getroffen habe. Zu der Rechtsfrage wird ausgeführt, daß die Argumentation des FG logisch unrichtig sei. Der einheitliche Unternehmerbegriff lasse sich nicht über § 1 UStG in einen steuerbaren und einen nichtsteuerbaren Teil aufspalten. Dem § 1 UStG könne auch nicht entnommen werden, daß der Gesetzgeber alle Vorgänge, die sich jenseits der Grenze abspielen, bei der Wertung umsatzsteuerlicher Tatbestände habe ausschließen wollen. Das FA könne außerdem den Ausführungen des FG zur Erhebung der Umsatzausgleichsteuer nicht zustimmen. Die Eigenschaft der mangelnden Wettbewerbsneutralität ergebe sich aus dem geltenden System der Umsatzsteuer und könne nicht durch Gesetzesauslegung beseitigt werden. Vor allem habe sich das FA nicht mit den Argumenten der herrschenden Lehre auseinandergesetzt. Das gelte für den Umkehrschluß aus § 4 Ziff. 2 b UStG in Verbindung mit § 20 Abs. 1 Ziff. 5 UStDB und für den allgemeinen Grundsatz, nach dem alle Handlungen eines Unternehmers, gleichgültig ob sie sich diesseits oder jenseits der Grenze vollziehen, ihm zuzurechnen seien. Die Überlegungen, die das FG hinsichtlich der Steueraufsicht und des Buchnachweises anstelle, seien rechtspolitischer Natur. Im übrigen seien die Schwierigkeiten in der praktischen Anwendung nicht so groß, daß sich die herrschende Meinung nicht durchführen lasse.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Das FG geht bei seiner Entscheidung davon aus, daß in dem Streitjahr zwischen der GmbH und der ausländischen Herstellerfirma ein Organverhältnis bestand. Hätte ein solches nicht bestanden, so hätte es einer Entscheidung der Streitfrage nicht bedurft. Das Urteil enthält jedoch keine Feststellung darüber, ob ein Organverhältnis gegeben ist, obwohl das Verfahren für und gegen die GmbH durchgeführt wurde. Bestand ein Organverhältnis, so wären die Lieferungen nicht der GmbH, sondern der ausländischen Herstellerfirma zuzurechnen gewesen. Für die Organgesellschaft bestand in diesem Fall gemäß § 114 AO lediglich eine Haftung. Das FG wird deshalb zunächst festzustellen haben, ob die GmbH selbständig oder nichtselbständig war. Die Vorentscheidung war aus diesem Grunde aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen. ...
Gemäß § 76 FGO hat das FG den Sachverhalt zu erforschen. Dabei finden auch die Vorschriften des § 170 und § 171 AO Anwendung. Der Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen wird in einem Fall, in dem es sich um Beziehungen zum Ausland handelt, die der unmittelbaren Feststellung und Nachprüfung durch das Gericht entzogen sind, eine besondere Bedeutung zukommen. Das gilt auch für die Prüfung der Frage, ob die inländische Gesellschaft selbständig oder nichtselbständig ist.
Kommt das FG zu der Feststellung, daß zwischen den beiden Gesellschaften ein Organverhältnis bestand, so kann die Frage, ob die Lieferungen im Inland dem ermäßigten Steuersatz unterliegen, in diesem Verfahren nur entschieden werden, wenn zwischen allen Betroffenen Einverständnis darüber besteht, daß die GmbH als Tochtergesellschaft den Rechtsstreit auch für die ausländische Herstellerfirma führen konnte. Es wäre alsdann der in dem FG-Urteil vertretenen Rechtsauffassung im Ergebnis beizutreten.
Wie sich aus dem Urteil des Bundesfinanzhofs V 115/63 vom 24. Februar 1966 (BStBl 1966 III S. 261) ergibt, kann in einem Falle, in dem die ausländische Herstellerfirma die von ihr im Ausland hergestellte Ware durch ihre inländische Zweigniederlassung vertrieben hat, die Vorschrift des § 7 Abs. 3 UStG in Anspruch genommen werden, obwohl der liefernde Unternehmer die Ware im Ausland selbst hergestellt hat. Diese Beurteilung ergibt sich aus der gesetzlichen Regelung des § 1 Ziff. 1 und 3 UStG sowie aus dem Sinn und Zweck der Umsatzausgleichsteuer, die Umsatzsteuerbelastung der im Ausland hergestellten oder bearbeiteten Ware bei der Einfuhr auszugleichen. Eine wortgetreue Auslegung des § 7 Abs. 3 UStG allein unter Berücksichtigung des § 1 Ziff. 1 und des § 2 Abs. 1 UStG würde zu einem sinnwidrigen Ergebnis führen. Die gleiche Beurteilung muß gelten, wenn es sich um ein Organverhältnis über die Grenze handelt, bei dem die von der ausländischen Muttergesellschaft im Ausland hergestellte Ware von der inländischen Tochtergesellschaft im Inland vertrieben wird. Muttergesellschaft und Tochtergesellschaft bilden ein Unternehmen. Da bei der Einfuhr auf die eingeführte Ware Umsatzausgleichsteuer erhoben wird, würde die auf der Herstellung der Ware ruhende Umsatzsteuer von dem gleichen Unternehmer für die gleiche Ware doppelt erhoben werden. Die Herstellung bzw. Bearbeitung im Ausland kann deshalb bei der Anwendung der Großhandelsvergünstigung des § 7 Abs. 3 UStG der Muttergesellschaft beim Verkauf ihrer Ware im Inland nicht zugerechnet werden.
Die Entscheidung über die Kosten wird gemäß § 143 Abs. 2 FGO dem FG übertragen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 140 Abs. 3 FGO.
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Fundstellen
Haufe-Index 412045 |
BStBl III 1966, 412 |
BFHE 1966, 91 |