Leitsatz (amtlich)
Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte sind dann nicht als Werbungskosten abziehbar, wenn sie nach der allgemeinen Verkehrsauffassung als unangemessen anzusehen sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die überwiegende Zahl der Arbeitnehmer unter sonst vergleichbaren Umständen die gleichen Aufwendungen voraussichtlich nicht auf sich nehmen würde.
Normenkette
EStG § 9 Abs. 1 Nr. 4
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute. Der Ehemann war im Streitjahr 1973 Studiendirektor in D. Dort wohnte er mit seiner Familie seit 1966. Zu Anfang des Streitjahres verlegte er seinen Hauptwohnsitz nach dem etwa 500 km entfernten P, wo er im Hause seines Schwiegersohnes eine Einliegerwohnung mietete. Er ging in D weiter seiner Berufstätigkeit nach und hatte nahe bei seiner Arbeitsstätte eine Eineinhalb-Zimmer-Wohnung gemietet.
Für das Streitjahr machten die Kläger Mehraufwendungen für doppelte Haushaltsführung geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) lehnte die Berücksichtigung dieser Aufwendungen als Werbungskosten ab. Der Einspruch blieb erfolglos.
Auch die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte im wesentlichen aus:
Mehraufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung lägen deshalb nicht vor, weil die Aufwendungen nicht durch das Arbeitsverhältnis veranlaßt seien. Da die Kläger seit 1966 ihren Familienwohnsitz in D gehabt hätten und dort der Ehemann unverändert seine Arbeitsstätte habe, sei der im Jahre 1973 durchgeführte Umzug unter Anmietung einer kleineren Wohnung in D nicht durch das Arbeitsverhältnis bedingt.
Mit der Revision rügen die Kläger eine Verletzung von § 9 Abs. 1 Nr. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Sie bringen vor: Ihre doppelte Haushaltsführung sei i. S. von § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG beruflich veranlaßt. Dies ergebe sich bereits aus dem Zuschnitt der für die Unterkunft des Klägers während der Woche bestimmten Wohnung. Es handle sich um eine Wohnung, die nach Größe und Anlage nicht geeignet sei, für die Familie der Kläger den Mittelpunkt der häuslichen Lebensinteressen zu bilden. Dieser Mittelpunkt liege vielmehr in P. Im Streitfall handele es sich nicht um eine privat motivierte Begründung eines zweiten Hausstandes im entfernten P, sondern um den Umzug der Familie dorthin unter Aufgabe des bisherigen Familienhausstandes und der bisherigen Wohnung in D. Ein zweiter Hausstand sei nicht am entfernten Familienwohnsitz begründet worden, sondern nach dem Umzug in D, an dem Ort der Beschäftigung. Wenn die Wahl des Wohnortes für die berufliche Veranlassung der Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte unerheblich sei, müsse dies auch für die Fälle der doppelten Haushaltsführung gelten. Bestehe im Falle der beruflich bedingten täglichen Fahrten zum Arbeitsplatz kein Unterschied zwischen einem Arbeitnehmer, der seit seiner Geburt auswärts wohne, und einem Arbeitnehmer, der vom Arbeitsort wegziehe, so treffe dies auch für die doppelte Haushaltsführung zu. Wenn der Bundesfinanzhof (BFH) die Voraussetzungen für eine doppelte Haushaltsführung verneinen sollte, so seien doch die Fahrten zwischen P und D Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte i. S. von § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG.
Die Kläger beantragen, das Urteil des FG aufzuheben und die geltend gemachten Mehraufwendungen als Werbungskosten nach § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG zu berücksichtigen.
Auf Aufforderung des Senats nach § 122 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist der Bundesminister der Finanzen (BdF) dem Verfahren beigetreten. Er lehnt für den Streitfall Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte ab, weil es bei den Fahrten von P nach D an der nach Abschn. 25 Abs. 3 der Lohnsteuer-Richtlinien (LStR) erforderlichen Regelmäßigkeit fehle.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Werbungskosten sind Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen. Sie sind bei der Einkunftsart abzuziehen, bei der sie erwachsen sind (§ 9 Abs. 1 Sätze 1 und 2 EStG 1971). Nicht abziehbar sind jedoch Aufwendungen für die Lebensführung, wozu Aufwendungen gehören, die die wirtschaftliche oder gesellschaftliche Stellung des Steuerpflichtigen mit sich bringt, auch wenn sie zur Förderung des Berufs oder der Tätigkeit des Steuerpflichtigen erfolgen (§ 12 Nr. 1 EStG). Aufwendungen für Unterkunft und Verpflegung sowie Kosten für Familienheimfahrten gehören regelmäßig zu den nach § 12 Nr. 1 EStG nicht abziehbaren Kosten der Lebensführung; nur ausnahmsweise sind derartige Kosten der Lebensführung steuerlich zu berücksichtigen (vgl. Urteil des Senats vom 13. Juli 1976 VI R 172/74, BFHE 119, 281, BStBl II 1976, 654).
1. Dem FG ist darin zu folgen, daß es die steuerliche Anerkennung von Kosten der doppelten Haushaltsführung abgelehnt hat. Notwendige Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer aus Anlaß einer doppelten Haushaltsführung entstehen, können nach § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG Werbungskosten sein. Eine doppelte Haushaltsführung liegt vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am Beschäftigungsort wohnt. Da aber Mehraufwendungen aus Anlaß einer doppelten Haushaltsführung als "Werbungskosten" abziehbar sind, können sie steuerlich nur berücksichtigt werden, wenn sie beruflich veranlaßt sind. Dies hat der erkennende Senat im Urteil vom 14. Februar 1975 VI R 125/74 (BFHE 115, 322, BStBl II 1975, 607) ausgesprochen; er hat hieran in ständiger Rechtsprechung festgehalten (vgl. Urteile VI R 172/74 und vom 2. September 1977 VI R 114/76, BFHE 123, 444, BStBl II 1978, 26).
Ein Abzug von Aufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung als Werbungskosten kommt mithin nicht in Betracht, wenn die Gründung oder Beibehaltung eines vom Beschäftigungsort entfernt liegenden zweiten Hausstandes auf privaten Erwägungen beruht. Der erkennende Senat hat im Urteil VI R 172/74 entschieden, daß die Wegverlegung des Wohnsitzes vom Beschäftigungsort unter Beibehaltung eines zweiten Haushalts am Beschäftigungsort regelmäßig als privat veranlaßt anzusehen ist. Das FG hat demgemäß aufgrund seiner Feststellungen zu Recht ausgeführt, daß die Unterhaltung des Haushalts des Klägers in P auf privaten Gründen beruhte. Denn die Kläger haben im Streitjahr, wie in den Jahren zuvor, am Beschäftigungsort eine für sie ausreichende Wohnung besessen.
Wenn der Kläger nunmehr zum Ausdruck bringt, daß der zweite Hausstand in seinem Fall nicht am entfernten Familienwohnsitz in P, sondern nach dem Umzug dorthin in D, dem Ort der Beschäftigung, begründet worden sei, so kann dem nicht gefolgt werden. Es kann für die Frage, ob die Begründung eines zweiten Hausstandes außerhalb des Beschäftigungsortes ausnahmsweise beruflich veranlaßt ist, nicht entscheidend sein, ob der Steuerpflichtige gleichzeitig oder in zeitlichem Zusammenhang mit dieser Begründung des zweiten Hausstandes auch eine neue Wohnung am Beschäftigungsort genommen hat oder seine bisherige Wohnung am Beschäftigungsort beibehält. Maßgebend ist vielmehr für die private Veranlassung einer doppelten Haushaltsführung, daß der Steuerpflichtige zusätzlich zu einer Wohnung am Beschäftigungsort - gleichgültig, ob es die bisherige Wohnung oder eine andere ist - eine außerhalb liegende Wohnung bezieht, obwohl der Beschäftigungsort der gleiche geblieben ist. Bei einer solchen Gestaltung besteht keine berufliche Veranlassung sowohl für das Beziehen der Wohnung außerhalb des Beschäftigungsortes als auch für die Anmietung der neuen Wohnung am Beschäftigungsort. Wäre die Auffassung der Kläger zutreffend, könnte mit dieser Handlungsweise jede Begründung eines außerhalb liegenden neuen Wohnsitzes zu einer steuerlich beachtlichen doppelten Haushaltsführung führen. Aus Anlaß einer doppelten Haushaltsführung entstandene Aufwendungen sind aber nur dann Werbungskosten, wenn sie notwendige Mehraufwendungen sind, d. h., wenn sie aus beruflichen Gründen erforderlich waren. Dies kann bei der Wegverlegung des Wohnsitzes vom Beschäftigungsort unter Beibehaltung eines zweiten Haushaltes am Beschäftigungsort regelmäßig nicht angenommen werden.
2. Die Aufwendungen des Klägers für die Fahrten mit dem eigenen PKW zwischen P und D können auch nicht als Werbungskosten nach § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG - Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte - berücksichtigt werden.
a) Der Senat hat im Urteil vom heutigen Tage VI R 21/76 entschieden, daß bei einem verheirateten Arbeitnehmer, der mehrere Wohnungen besitzt und der sich zum Teil von der einen und zum Teil von der anderen Wohnung aus zu seiner Arbeitsstätte begibt, die Aufwendungen für die Fahrten zwischen der vom Beschäftigungsort weiter entfernt liegenden Wohnung zur Arbeitsstätte in der Regel Werbungskosten i. S. von § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG sind, wenn die weiter entfernt liegende Wohnung den örtlichen Mittelpunkt der Lebensinteressen des Arbeitnehmers darstellt. Das FG hat nicht festgestellt, wo der Kläger im Streitjahr 1973 den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen hatte. Insbesondere hat das FG nicht ermittelt, wo die Ehefrau des Klägers im Jahre 1973 wohnte. Hätte sie in P gewohnt, so könnte dies, wie sich aus dem Urteil VI R 21/76 ergibt, dafür sprechen, daß der Mittelpunkt der Lebensinteressen der Kläger nunmehr nach P verlegt worden ist. Für den Streitfall bedarf es jedoch keiner Entscheidung, ob die Kläger den örtlichen Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen nach P verlegt haben. Denn die Aufwendungen des Klägers für die Fahrten zwischen P und D kommen aus anderen Gründen nicht als Werbungskosten nach § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG in Betracht.
b) Wie der Senat in dem Urteil VI R 21/76 ausgeführt hat, sind Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte dann nicht als Werbungskosten abziehbar, wenn sie nach der allgemeinen Verkehrsauffassung als unangemessen anzusehen sind (vgl. auch BFH-Urteil vom 10. März 1978 VI R 111/76, BFHE 125, 52, BStBl II 1978, 459). Bei der Beurteilung, ob Aufwendungen dazu gehören, sind nach dem zur Unangemessenheit von Betriebsausgaben ergangenen BFH-Urteil vom 4. August 1977 IV R 157/74 (BFHE 123, 158, BStBl II 1978, 93) alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Insbesondere ist zu prüfen, inwieweit die Aufwendungen zweckmäßig, zur Verfolgung des mit der jeweiligen Maßnahme erstrebten Zieles erforderlich und durch wirtschaftlich vernünftige Gründe zu rechtfertigen sind. Durch diese besonderen Gesichtspunkte wird der allgemeine Grundsatz, daß der Steuerpflichtige selbst bestimmen kann, welche Ausgaben er im beruflichen Interesse tätigen will, bei der Abgrenzung von den Kosten der persönlichen Lebensführung eingeschränkt.
Hiervon ausgehend ist bei Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte insbesondere zu berücksichtigen, ob der Kostenaufwand für die Fahrten nicht unangemessen ist. Insoweit ist von Bedeutung, daß nach § 9 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG die Aufwendungen "für jeden Arbeitstag", an dem das Kraftfahrzeug benutzt wird, anerkannt werden. Der Senat folgert daraus, daß als steuerlich angemessene Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte im allgemeinen nur die Kosten für solche Fahrten berücksichtigt werden dürfen, die der Arbeitnehmer von der Entfernung und vom Zeitaufwand her mit dem von ihm benutzten Beförderungsmittel für eine Hin- und Rückfahrt zur Arbeitsstätte an einem Arbeitstag zurücklegen kann. Darüber hinaus darf bei der Prüfung der Angemessenheit nicht unbeachtet bleiben, unter welchen Umständen es zu den hohen Fahrtaufwendungen gekommen ist, ob sie nämlich durch eine auf privaten Gründen beruhende Wegverlegung der Wohnung vom Arbeitsort veranlaßt worden sind und ob dies durch wirtschaftlich vernünftige Gründe zu rechtfertigen ist. Zusammengefaßt hält der Senat Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte dann für unangemessen, wenn sie die überwiegende Zahl der Arbeitnehmer unter sonst vergleichbaren Umständen voraussichtlich nicht auf sich nehmen würde.
c) Für den Streitfall bedeutet das, daß die Aufwendungen des Klägers für die Fahrten zwischen D und P als Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte unangemessen sind. Die Entfernung zwischen beiden Orten beträgt 500 km. Der Kläger legt diese Entfernung mit seinem PKW zurück. Es ist deshalb undenkbar, daß er diese Fahrt arbeitstäglich durchführen und daneben noch an demselben Tag seiner Arbeit nachgehen kann. Es bleibt ferner für den Streitfall zu beachten, daß der vorgenannte Aufwand durch die private Wegverlegung des Wohnsitzes des Klägers von der Arbeitsstätte zustande gekommen ist. Unter Berücksichtigung dieser Umstände können die Kosten für die Fahrten zwischen D und P nicht als angemessene Aufwendungen für arbeitstägliche Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte steuerlich berücksichtigt werden.
Fundstellen
Haufe-Index 73033 |
BStBl II 1979, 222 |
BFHE 1979, 518 |