Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Ertragserwägungen spielen beim Erwerb von Sachwerten, besonders von Grundstücken, zur Zeit eine geringere Rolle als früher. Deshalb kann im allgemeinen ein niedrigerer Teilwert eines Bürogebäudes nicht lediglich damit begründet werden, daß die beim Bau (Erwerb) erwarteten Erträge nicht mehr in vollem Umfange erzielt werden.
Normenkette
EStG § 6 Abs. 1 Ziff. 1
Tatbestand
Die Bfin., die Fabrikation und Großhandel betreibt, errichtete im Jahr 1954 in einer der Hauptstraßen einer Großstadt mit einem Aufwand von 2 904 000 DM ein Geschäftshaus, weil es zu dieser Zeit an geeigneten Räumen für die Unterbringung ihres Betriebes fehlte. Das I. und II. Obergeschoß benutzte die Bfin. für eigene Betriebszwecke. Die weiteren vier Obergeschosse und die Erdgeschoßräume vermietete sie an andere Unternehmen.
Das Finanzamt erkannte bei der einheitlichen Gewinnfeststellung 1954 eine Teilwertabschreibung auf das Gebäude in Höhe von 360 000 DM mit der Begründung an, daß die Bfin. die bei Baubeginn erwartete und in Rechnung gestellte Miete von etwa 4 DM/qm wegen der besonders günstigen Mieten in den in einem anderen Teil der Stadt errichteten Geschäftshäusern (etwa 3,10 DM/qm) für einige Jahre nicht werde erzielen können. Bei der jetzt streitigen einheitlichen Gewinnfeststellung 1955 begehrt die Bfin. neben der Absetzung für Abnutzung (AfA) eine weitere gewinnmindernde Teilwertabschreibung von 280 000 DM und legt zur Begründung ihrer Ausführungen Gutachten von Sachverständigen vor. In diesen Gutachten wird der nachhaltig erzielbare Mietertrag des Gebäudes unter Berücksichtigung eines Quadratmeterpreises von rund 3 DM für die Räume in den Obergeschossen geschätzt und bei Annahme eines Kapitalisierungszinssatzes von 7 v. H. ein angeblich mit dem Teilwert übereinstimmender Ertragswert des Grundstücks von 2 100 000 DM berechnet. Das Finanzamt lehnte die weitere Teilwertabschreibung mit der Begründung ab, daß die in der Bilanz vom 31. Dezember 1954 zugelassene Teilwertabschreibung von 360 000 DM eine etwaige Verminderung des von der Bfin. bei Baubeginn in Rechnung gestellten Ertrags ausreichend berücksichtige.
Die Berufung der Bfin. blieb erfolglos. Das Finanzgericht nahm zu der Frage, welche Vorstellungen sich die Bfin. bei Baubeginn über den künftigen Ertrag des Gebäudes gemacht habe und inwieweit ihre Kenntnis von der künftigen Mietgestaltung in den in einer anderen Gegend der Stadt errichteten Neubauten ihre Entscheidung beeinflußt hätte, nicht Stellung. Denn der Ertragswert könne nur dann für die Ermittlung des Teilwerts ausschlaggebend sein, wenn das Geschäftsgebäude das einzige Wirtschaftsgut des als veräußert unterstellten Betriebs darstellen würde. Die Bfin. erziele aber ihre Gewinne im wesentlichen aus der Fabrikation und dem Großhandel. Sie habe in den Jahren 1953 bis 1955 bei einem ansteigenden Eigenkapital von 316 000 DM, 561 000 DM, 915 000 DM Gewinne von 942 000 DM, 492 000 DM und 833 000 DM erzielt. Dabei sei zu berücksichtigen, daß das am 31. Dezember 1954 und 1955 ausgewiesene Eigenkapital bereits um die Teilwertabschreibung von 360 000 DM und der für 1954 ausgewiesene Gewinn durch dieselbe Teilwertabschreibung gemindert worden seien. Der Gewinn 1955 liege trotz des hinter der erwarteten Grundstücksrentabilität zurückbleibenden Ertrages noch immer etwa in Höhe des Eigenkapitals. Bei dieser Sachlage hätte jeder Erwerber des Betriebs für das Betriebsvermögen, also auch für das Geschäftsgrundstück, wenigstens den Buchwert bezahlt.
Entscheidungsgründe
Die Rb. der Bfin. ist nicht begründet.
Der Teilwert des Gebäudes am 31. Dezember 1955 ist der Betrag, den ein Erwerber des ganzen Betriebs voraussichtlich für das Gebäude an diesem Tage hätte zahlen müssen (ß 6 Abs. 1 Ziff. 1 EStG). Um für die praktische Anwendbarkeit der Veräußerungsfiktion Anhaltspunkte zu gewinnen, wird nach der ständigen Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs und des Bundesfinanzhofs vermutet, daß der Teilwert eines Wirtschaftsguts nicht unter den tatsächlichen Anschaffungskosten liegt und den Wiederbeschaffungskosten entspricht (z. B. Urteil des Bundesfinanzhofs I 80/57 U vom 26. August 1958, BStBl 1958 III S. 420, Slg. Bd. 67 S. 382). Behauptet der Unternehmer einen unter diesen Kosten liegenden Teilwert eines Wirtschaftsguts, so ist es seine Sache, die bezeichnete Vermutung durch nachprüfbare Tatsachen zu widerlegen und darzutun, aus welchen Gründen eine Fehlmaßnahme vorliegt oder welche sonstigen Ereignisse die Annahme eines unter den Anschaffungskosten liegenden Teilwerts rechtfertigen. Einen solchen Nachweis hat die Bfin. nicht geführt.
Der Bfin. ist darin zuzustimmen, daß der Teilwert eines Wirtschaftsguts nicht allein deshalb dem sich aus den Anschaffungskosten, vermindert um die AfA, ergebenden Buchwert entsprechen müsse, weil der von einem Erwerber des Betriebs gezahlte Kaufpreis wegen der hohen Ertragsfähigkeit des Unternehmens weit über dem Buchwert des Kapitalkontos liegen würde. Dennoch wird der Erwerber bei einer hohen Ertragsfähigkeit viel eher geneigt sein, dem Veräußerer die für die einzelnen Wirtschaftsgüter tatsächlich gemachten Aufwendungen im Kaufpreis zu erstatten, und der bisherige Betriebsinhaber wird zu einer Betriebsveräußerung nur dann bereit sein, wenn ihm zunächst seine eigenen Aufwendungen vergütet werden. Je höher der Kaufpreis für das Unternehmen wegen des durch die Ertragsfähigkeit begründeten Geschäftswerts über dem Kapitalkonto liegt, um so eindeutiger muß der Nachweis sein, wenn ein unter den Anschaffungskosten liegender Teilwert eines bestimmten Wirtschaftsguts behauptet wird. Das muß um so mehr gelten, wenn der Kaufpreis wie hier voraussichtlich das Mehrfache des Kapitalkontos betragen würde.
Es ist nicht dargetan, daß die Bfin. den Neubau nicht errichtet hätte, wenn ihr die Entwicklung der Verhältnisse, besonders die Zusammenballung der gleichen Industrie in einer anderen Gegend der Stadt und die dort für einen bestimmten Zeitraum durch Förderungsmaßnahmen verbilligten Mieten, bei Beginn ihres Neubaus bekannt gewesen wäre. Selbst wenn man unterstellt, daß die Bfin. mit einer Quadratmetermiete der vermieteten Obergeschosse von 4 DM bei Baubeginn rechnete, so kann daraus nicht der Schluß auf eine Fehlmaßnahme gezogen werden, die einen von der erwarteten und tatsächlichen Ertragsgestaltung ausgehenden niedrigeren Teilwert rechtfertigen könnte. Denn bei der Ermittlung des Teilwerts kommt es entscheidend darauf an, ob ein Käufer des Betriebs unter Berücksichtigung aller im Zeitpunkt des unterstellten Erwerbs gegebenen Verhältnisse, insbesondere der Preisentwicklung, den Buchwert bezahlen würde. Da auch nach 1954 ähnliche Bürohäuser trotz der Entwicklung der Geschäftsraummieten und trotz steigender Baupreise errichtet wurden, ist es schon aus diesem Grunde kaum denkbar, daß ein Erwerber des Betriebs nicht die im Jahr 1954 gemachten Aufwendungen als Kaufpreis bezahlt hätte. Was die Bedeutung der Ertragsentwicklung anlangt, so ist im Urteil des Senats I 108/60 U vom 20. September 1960 (BStBl 1960 III S. 461, Slg. Bd. 71 S. 565) im einzelnen dargelegt, warum die Ermittlung des Teilwerts eines Wirtschaftsguts unter Betonung der Ertragsverhältnisse oft zu unzutreffenden und der wirtschaftlichen Vernunft widersprechenden Ergebnissen führt. Wegen der auch bei Aufstellung der Bilanz vom 31. Dezember 1955 schon erkennbaren Preisentwicklung spielen Ertragserwägungen bei Schaffung hoher Substanzwerte in zunehmendem Masse eine geringere Rolle, wie besonders die Entwicklung der Aktienkurse lehrt. Das gilt besonders für Grundstücke und Gebäude in Großstädten, bei denen wegen der sprunghaften Erhöhung der Bodenpreise ungewöhnliche Preissteigerungen eintraten.
Es kommt noch folgendes hinzu. Die Bfin. errichtete das Betriebsgebäude nicht als Büro- und Geschäftshaus, um aus der Anlage flüssiger Mittel Erträge durch Fremdvermietung zu erzielen. Ihr kam es vielmehr, wie sie selbst vorträgt, in erster Linie darauf an, für ihren eigenen Betrieb eine dauernde Unterkunft in einem ihr gehörigen Gebäude zu finden. Die Verlegung des Betriebs in ein eigenes Betriebsgebäude bietet erfahrungsgemäß sehr erhebliche, dauernde Vorteile (z. B. keine Kündigungsmöglichkeit und Vorratsräume in den zunächst fremdvermieteten Geschäftsräumen), und es ist nicht dargetan, daß die Entwicklung der Mieten in den fremdvermieteten Räumen gegenüber diesen Vorteilen eine ins Gewicht fallende Bedeutung hatte. Das muß um so mehr gelten, als sich die von der Bfin. zur Begründung der Teilwertabschreibung angeführte Mietentwicklung auf einen Zeitraum von etwa 15 Jahren beschränkt und der Kaufmann bei der Entscheidung darüber, ob er den Betrieb in ein eigenes Betriebsgebäude verlegen soll, in der Regel mit einem längeren Zeitraum rechnet. Selbst wenn man aber davon ausgeht, daß die Fremdvermietung für die Bfin. ein wesentlicher Gesichtspunkt bei der Errichtung des Gebäudes war, so kann die Mietentwicklung für die Bemessung des Teilwerts nur dann eine gewisse Bedeutung gewinnen, wenn sie zu nachweisbaren Veräußerungen gleichartiger Grundstücke zu einem unter dem von der Bfin. ausgewiesenen Buchwert liegenden Preis führte. In dieser Richtung ist nichts dargetan. Daß bis 1955 eine solche Entwicklung eingetreten war, kann nicht angenommen werden, da auch 1955 und später ähnliche Büro- und Geschäftshäuser trotz steigender Baukosten errichtet wurden.
Die Bfin. irrt, wenn sie annimmt, sie könne aus der von dem Finanzamt für die Teilwertabschreibung 1954 gegebenen Begründung die Verpflichtung des Finanzamts zu einer weiteren Teilwertabschreibung für 1955 herleiten, weil sich die Erwartungen des Finanzamts hinsichtlich einer Mieterhöhung nicht erfüllen würden. Denn abgesehen davon, daß das Finanzamt seine frühere Auffassung in einem späteren Jahr ändern konnte, ist anzunehmen, daß schon die Teilwertabschreibung am 31. Dezember 1954 nicht gerechtfertigt war. Bei dieser Sachlage war es nicht erforderlich, daß das Finanzgericht auf die umfangreichen Ausführungen der Beteiligten über den nachhaltig erzielbaren Reinertrag einging.
Fundstellen
Haufe-Index 410146 |
BStBl III 1961, 462 |
BFHE 1962, 537 |
BFHE 73, 537 |
BB 1961, 1152 |
DB 1961, 1341 |
StRK, EStG:6/1/1 R 84 |
NJW 1962, 76 |
BFH-N, (K) Nr. 949 |
NWB/BBK, F. 17 S.545 |