Entscheidungsstichwort (Thema)
Übertragung eines Kinderfreibetrags bei Unterhaltsrückständen
Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Elternteil seiner Unterhaltsverpflichtung gegenüber einem Kind nachgekommen ist, ist nicht auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem der Unterhalt gezahlt worden ist, sondern auf den Zeitraum, für den der Unterhalt geleistet wird.
2. Bestehen Unterhaltsrückstände für mehrere Jahre, so beurteilt sich die Frage, auf welche Jahre die Zahlungen zu verteilen sind, nach den Tilgungsregelungen der §§ 366, 367 BGB.
3. Werden Unterhaltsrückstände durch Pfändung beigetrieben, so hat die Tilgung älterer Rückstände Vorrang.
Normenkette
EStG 1986 § 32 Abs. 6 S. 4; BGB § 366 Abs. 2, § 367; EStG § 11 Abs. 2
Verfahrensgang
FG des Saarlandes (Entscheidung vom 15.11.1989; Aktenzeichen 1 K 153/89) |
Tatbestand
Die am Verfahren beteiligten Steuerpflichtigen sind geschiedene Eheleute. Sie haben drei gemeinsame Kinder, die bei der Mutter, der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), leben. Der Vater (im folgenden Beigeladener) ist auf Grund eines gerichtlichen Vergleichs verpflichtet, an seine Kinder Unterhalt in Höhe von monatlich 885,02 DM (jährlich 10 620 DM) zu zahlen. Dieser Verpflichtung kam er nur unregelmäßig nach. Am 31.Dezember 1985 bestand noch ein Rückstand von 7 327,92 DM. Im Streitjahr 1986 wurden auf Grund von Lohnpfändungen Unterhaltszahlungen von 10 477,14 DM geleistet.
Bei der Einkommensteuerveranlagung 1986 des Beigeladenen berücksichtigte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt Neunkirchen --FA--) Kinderfreibeträge zunächst nicht. Das FA war der Meinung, daß durch die Zahlung der 10 477,14 DM zunächst die Rückstände von 7 327,92 DM getilgt worden seien, so daß für das Streitjahr nur eine Unterhaltsleistung von 3 149,22 DM übrig geblieben sei. Damit sei der Beigeladene seiner Unterhaltsverpflichtung im Streitjahr nicht im wesentlichen (d.h. zu mehr als der Hälfte) nachgekommen. Die Kinderfreibeträge des Vaters wurden insoweit auf die Mutter übertragen.
Gegen den ihn betreffenden Einkommensteuerbescheid vom 14.Dezember 1987 legte der Beigeladene Einspruch ein. Zu diesem Verfahren zog das FA die Mutter (die Klägerin) gemäß § 360 der Abgabenordnung (AO 1977) hinzu. In seiner Einspruchsentscheidung vom 6.Juni 1989 berücksichtigte das FA nunmehr die (halben) Kinderfreibeträge beim Beigeladenen.
Dagegen erhob die Klägerin Klage. In diesem Verfahren hat das Finanzgericht (FG) den Vater nach § 60 der Finanzgerichtsordnung (FGO) beigeladen.
Die Klage hatte keinen Erfolg. Das FG führte zur Begründung seiner in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1990, 180 veröffentlichten Entscheidung im wesentlichen aus: Entgegen der Auffassung der Klägerin sei der Beigeladene im Streitjahr seiner Unterhaltsverpflichtung gegenüber seinen Kindern im wesentlichen nachgekommen. Für die Beurteilung des wesentlichen Beitrags eines Elternteils zum Unterhalt des Kindes komme es allein darauf an, ob die in einem bestimmten Kalenderjahr geleisteten Zahlungen im Vergleich mit den für diesen Zeitraum geschuldeten Beträgen wesentlich seien. Es komme daher nicht darauf an, wie diese Zahlungen zivilrechtlich zu verrechnen seien. Allein eine solche Auffassung berücksichtige, daß nach § 11 Abs.2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) Ausgaben für das Kalenderjahr abgesetzt werden, in dem sie geleistet worden sind. Das Steuerrecht stelle also gerade den Abfluß von Zahlungsmitteln in den Vordergrund und nicht die wirtschaftliche Zuordnung. Für eine derartige Auslegung sprächen im übrigen auch praktische Erwägungen. Die Finanzbehörden könnten so einen abgeschlossenen Veranlagungszeitraum hinsichtlich der Aufteilung der Kinderfreibeträge abschließend bereits nach Jahresende beurteilen, indem sie geschuldete und tatsächlich in diesem Zeitraum geleistete Zahlungen miteinander verglichen und die Wesentlichkeit feststellten. Damit sei dann endgültig über die Aufteilung der Kinderfreibeträge entschieden, ohne daß es auf nachträgliche Leistungen ankäme.
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 32 Abs.6 Satz 4 EStG 1986. Sie ist der Auffassung, das FG verkenne bei seiner Entscheidung das Zufluß-/Abflußprinzip des § 11 EStG. Dieses diene nur dazu, Vermögensveränderungen in einkommensteuerrechtlicher Hinsicht bestimmten Besteuerungsperioden zeitlich zuzuordnen. Im Streitfall gehe es vielmehr um die sachliche Zuordnung der Zahlungen zu den verschiedenen Forderungen, nämlich den Forderungen aus Rückständen und den laufenden Forderungen. Da die Unterhaltsleistungen nur im Wege der Zwangsvollstreckung erfolgt seien, finde allein § 366 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) analoge Anwendung. Danach sei zunächst eine Verrechnung mit den alten Rückständen aus den Vorjahren vorzunehmen, mit der Folge, daß der Beigeladene seiner laufenden Unterhaltsverpflichtung nur zu weniger als 50 v.H. nachgekommen sei. Die Übertragung der halben Kinderfreibeträge auf sie, die Klägerin, sei somit möglich.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und das FA zu verpflichten, die dem Beigeladenen gewährten halben Kinderfreibeträge auf sie zu übertragen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs.3 Nr.2 FGO). Entgegen der Auffassung des FG ist nicht auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem Unterhalt gezahlt worden ist, sondern auf den Zeitraum, für den Unterhalt geleistet wird.
1. Nach § 32 Abs.6 Satz 4 EStG 1986 setzt die Übertragung des Kinderfreibetrages auf einen Elternteil u.a. voraus, daß dieser seiner Unterhaltsverpflichtung gegenüber dem Kind für das betreffende Kalenderjahr nachgekommen ist, der andere Elternteil jedoch nicht oder nur zu einem unwesentlichen Teil. Die bisherigen Feststellungen des FG reichen nicht aus, um abschließend beurteilen zu können, ob diese Voraussetzungen vorliegen.
Der erkennende Senat geht bei seinen Überlegungen anders als das FG nicht von der steuerrechtlichen Regelung des § 11 Abs.2 EStG, sondern von der zivilrechtlichen Regelung des § 366 BGB aus. Für die Anwendung dieser letzteren Vorschrift spricht bereits der Wortlaut des § 32 Abs.6 Satz 4 EStG 1986, wonach nicht darauf abgestellt wird, daß ein Elternteil seiner Unterhaltsverpflichtung gegenüber dem Kind im Kalenderjahr, sondern für das Kalenderjahr nachkommt. Hätte der Gesetzgeber dagegen den Abflußzeitpunkt für maßgebend gehalten, hätte er eine andere Formulierung gewählt und wie z.B. in § 33a Abs.1 EStG von "Aufwendungen für den Unterhalt" gesprochen. Auch der Sinn und Zweck der Regelung in § 32 Abs.6 EStG, die durch Kinder entstehenden Gesamtbelastungen beider Elternteile auszugleichen, lassen eine Auslegung gegen den ausdrücklichen Wortlaut des Gesetzes nicht zu. Ebenso vermögen die Bedenken des FG und der Finanzverwaltung (siehe insoweit Abschn.181a Abs.2 Satz 4 und 5 der Einkommensteuer-Richtlinien --EStR-- 1990) --die der erkennende Senat durchaus teilt--, die wörtliche Auslegung der Vorschrift führe zu einer erheblichen Verwaltungserschwernis, ein Abweichen vom Wortlaut der Vorschrift nicht zu rechtfertigen. Der Gesetzgeber hat die in der Praxis entstehenden Probleme gesehen, doch ist der Vorschlag des Bundesrats (BTDrucks 11/2226, S.13), die Vorschrift des § 32 Abs.6 Satz 4 EStG u.a. auch im Hinblick auf die damit verbundene Verwaltungsvereinfachung ab 1990 insoweit zu ändern, als die Worte "für das Kalenderjahr" durch die Worte "in dem Kalenderjahr" ersetzt werden, nicht in das Steuerreformgesetz 1990 (BGBl I 1988, 1093) übernommen worden (BTDrucks 11/2299, S.3).
Die vom Senat vertretene Auffassung steht auch im Einklang mit der weitaus überwiegenden Meinung im Schrifttum (siehe u.a. Schmidt/Glanegger, Einkommensteuergesetz, 10.Aufl., § 32 Anm.2; Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 19.Aufl., § 32 EStG Anm.188; Stephan in Littmann/Bitz/Meincke, Das Einkommensteuerrecht, 15.Aufl., § 32 EStG Anm.134; Tjarks, Finanz-Rundschau --FR-- 1989, 736; Drenseck, Der Betrieb --DB-- 1988, Beilage 21/88, S.10; Paus, Deutsche Steuer-Zeitung --DStZ-- 1988, 333; Altfelder, Steuerliche Gestaltung des Ehegatten- und Kindesunterhalts, 1987, S.84; Ross, Die Berücksichtigung von Kindern im Steuerrecht, 1987, S.19, 39; a.A. Hartz/Meeßen/Wolf, ABC-Führer Lohnsteuer, Stichwort Kinderermäßigung/Kinderfreibeträge, C II 2).
Ist somit nicht auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem der Unterhalt gezahlt worden ist, sondern kommt es vielmehr auf den Zeitraum an, für den der Unterhalt gezahlt wird, so bietet sich als Rechtsgrundlage für die Lösung von Streitfragen die zivilrechtliche Regelung des § 366 BGB an.
2. § 366 Abs.2 BGB schreibt für den Fall, daß der Schuldner dem Gläubiger aus mehreren Schuldverhältnissen zu gleichartigen Leistungen verpflichtet ist und das vom ihm Geleistete nicht zur Tilgung sämtlicher Schulden ausreicht, die Reihenfolge der Tilgung vor, wenn der Schuldner keine Bestimmung trifft oder wenn --wie im Streitfall-- weder der Berechtigte noch der Verpflichtete bestimmungsberechtigt sind (vgl. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 51.Aufl., § 366 Rdnr.4). Anknüpfungspunkt in Fällen der hier zu entscheidenden Art ist die Sicherheit der Forderung. Unter mehreren fälligen und durchsetzbaren Forderungen wird diejenige zuerst getilgt, die dem Gläubiger die geringere Sicherheit bietet. Von mehreren ungesicherten Forderungen ist diejenige weniger sicher, deren Verjährung früher eintritt, denn bei ihr besteht für den Gläubiger die größere Verlustgefahr (Urteil des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 27.Mai 1957 II ZR 319/55, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1957, 1314; Palandt/Heinrichs, a.a.O., § 366 Rdnr.8; Staudinger/Kaduk, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 12.Aufl. 1978 ff., § 366 Rdnr.34). So verjähren Unterhaltsansprüche aus der Zeit nach Erlangung eines vollstreckbaren Titels bereits nach vier Jahren (§§ 197, 218 Abs.2 BGB).
Daraus folgt für den Streitfall, daß die vom Arbeitgeber des Beigeladenen im Streitjahr einbehaltenen und an die Klägerin überwiesenen Beträge zuerst auf die rückständigen Unterhaltsansprüche aus den Jahren 1982 bis 1985 anzurechnen sind.
Die Vorentscheidung beruht auf einer anderen Rechtsauffassung. Sie war daher aufzuheben. Die Sache ist nicht entscheidungsreif und wird gemäß § 126 Abs.3 Nr.2 FGO zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückverwiesen. Das FG wird nunmehr zu prüfen haben, ob der Beigeladene in den dem Streitjahr folgenden Jahren Unterhalt an seine Kinder für das Streitjahr geleistet hat. In den Akten finden sich Anhaltspunkte dafür, daß noch Zahlungen erfolgt sind, die auf die Rückstände aus dem Streitjahr anzurechnen wären. Das könnte zur Folge haben, daß der Beigeladene letztlich seine (halben) Kinderfreibeträge behält.
Fundstellen
Haufe-Index 64074 |
BFH/NV 1993, 20 |
BStBl II 1993, 397 |
BFHE 170, 158 |
BFHE 1993, 158 |
BB 1993, 570-571 (L) |
DB 1993, 1502 (L) |
DStR 1993, 434 (KT) |
DStZ 1993, 252 (KT) |
HFR 1993, 312 (LT) |
StE 1993, 141 (K) |