Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Ruhegehaltsnachzahlungen, die ein aus rassischen Gründen im Jahre 1933 entlassener Beamter vor dem 1. Januar 1955 erhalten hat, sind nicht nach § 3 Ziff. 7 EStG 1950 steuerfrei. Die ab 1. Januar 1955 eingetretene Erweiterung der Steuerfreiheit bei Wiedergutmachungsleistungen hat nicht zur Folge, daß die Empfänger derartiger Nachzahlungen Erlaß oder Erstattung der Einkommensteuer (Lohnsteuer) beanspruchen können, die sie nach dem vor dem 1. Januar 1955 geltenden Recht geschuldet haben bzw. schulden.
Normenkette
EStG § 3 Ziff. 7, § 3/8; AO § 131
Tatbestand
Der Bf. wurde am 1. November 1933 auf Grund des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 (RGBl I S. 175) ohne Ruhegehalt in den Ruhestand versetzt. Im Oktober 1950 wurde ihm im Wege der Wiedergutmachung durch Verfügung des Oberlandesgerichtspräsidenten in X. eine Entschädigung von 14.618,10 DM zuerkannt, und zwar als Versorgungsbezüge ab 1. Juni 1945 wegen seiner früheren Tätigkeit als Amts- und Landrichter. Bei der Auszahlung dieses Betrags behielt die Oberjustizkasse nach Abschn. 52 LStR Lohnsteuer in Höhe von 6.068,40 DM ein, die jedoch auf Antrag des Bf. und Grund eines Erlasses des Finanzministers des Landes Nordrhein-Westfalen vom 18. Juni 1952 auf 10 v. H., also auf 1,461 DM, ermäßigt wurde. Der weitergehende Antrag des Bf., ihn von der Lohnsteuer freizustellen, soweit die Nachzahlung auf die Zeit vor dem 1. April 1950 entfalle, wurde vom Finanzamt abgelehnt. Seine hiergegen eingelegte Sprungberufung hatte keinen Erfolg.
Das Finanzgericht ging davon aus, daß die streitige Zahlung ein Bezug sei, der dem Bf. auf Grund seiner früheren Tätigkeit im Justizdienst zugeflossen sei und der infolgedessen nach §§ 19, 38 EStG der Lohnsteuer unterliege. Steuerfreiheit nach § 3 Ziff. 7 EStG 1950 komme nicht in Betracht; denn diese Befreiungsvorschrift beziehe sich nur auf Geldrenten, Kapitalentschädigungen und Leistungen im Heilverfahren, die auf Grund gesetzlicher Vorschriften zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts für Schäden an Leben, Körper, Gesundheit und durch Freiheitsentzug gewährt worden seien. Der Antrag des Bf. auf Steuerfreiheit könne auch nicht auf den Erlaß des Finanzministers von Nordrhein-Westfalen S 2114 - 6645/VB - 2 vom 15. Juni 1955 (BStBl 1955 II S. 110) gestützt werden. Abgesehen davon, daß dieser Erlaß erst für die Zeit nach dem 1. Januar 1955 gelte, sei er eine die Gerichte nicht bindende Verwaltungsanweisung, die weder im EStG noch im Bundesergänzungsgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung vom 18. September 1953 - BEG - (BGBl 1953 I S. 1387) eine Stütze finde. Soweit durch den Erlaß im Jahr 1955 und später geleistete Zahlungen steuerfrei gelassen worden seien, liege der Grund für die unterschiedliche Behandlung gegenüber den in früheren Jahren geleisteten Zahlungen darin, daß die Empfänger durch die frühere Zahlung einen nicht zu übersehenden wirtschaftlichen Vorteil gehabt hätten. Die vom Bf. beanspruchte Gleichstellung mit denjenigen, die erst 1955 und später Entschädigungen bekommen hätten, sei deshalb nicht möglich.
Der Bf. weist mit der Rb. darauf hin, daß der Finanzminister von Nordrhein-Westfalen in dem angeführten Erlaß vom 15. Juni 1955 Steuerfreiheit für Bezüge angeordnet habe, die für die Zeit vor dem 1. April 1955 gezahlt worden seien. Wenn das Finanzgericht glaube, daß es sich dabei lediglich um eine für die Finanzgerichte nicht verbindliche Verwaltungsanweisung handle, so übersehe es, daß diese Auffassung zu einer ungleichmäßigen Besteuerung führe; denn auf Grund des Erlasses seien in gleichgelagerten Fällen Entschädigungsleistungen von der Lohnsteuer freigeblieben. Unter Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs VI 87/55 U vom 1. Februar 1957 (BStBl 1957 III S. 104, Slg. Bd. 64 S. 271) begehre er daher Gleichstellung mit diesen Steuerpflichtigen. Eine andere Sachbehandlung stelle einen Ermessensmißbrauch dar. Das Finanzgericht habe auch zu Unrecht angenommen, daß er gegenüber den später Entschädigten durch die frühere Entschädigung einen Vorteil gehabt habe. Es habe sein Schreiben vom 4. Oktober 1954 nicht berücksichtigt, in dem er darauf hingewiesen habe, daß er sich damals im Ausland in einer wirtschaftlichen Notlage befunden habe. Er sei deshalb gezwungen gewesen, sein damaliges Sperrmarkguthaben mit einem erheblichen Nachlaß zu verkaufen.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist nicht begründet.
Der Bf. wurde durch Verfügung des Oberlandesgerichtspräsidenten in X. vom 6. Oktober 1950 für die Zeit vom 1. Juni 1945 bis Oktober 1950 so gestellt, als sei er am 1. Juni 1945 in den Ruhestand getreten, und zwar unter Zugrundelegung einer Dienstzeit vom 2. September 1922 bis 31. Mai 1945. Der Betrag von 14.618,10 DM, den der Bf. im Oktober 1950 ausgezahlt bekommen hat, stellt die Summe der Versorgungsbezüge für diesen Zeitraum dar. Diese Zahlung wurde weder nach dem Gesetz zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts für Angehörige des öffentlichen Dienstes vom 11. Mai 1951 (BStBl 1951 I S. 291) geleistet, noch auf Grund der §§ 38 ff. BEG; denn beide Gesetze wurden erst erlassen, nachdem der Bf. die Nachzahlung der Versorgungsbezüge bereits erhalten hatte. Der Bf. hat dies auch im Schriftsatz vom 17. Oktober 1955 eingeräumt, dabei jedoch geltend gemacht, daß er die Zahlung für die Zeit vor dem 1. April 1950 wegen eines Tatbestandes erhalten habe, der nach § 38 BEG entschädigungspflichtig gewesen wäre. Wenn er daraus unter Hinweis auf Ziff. 3 des obenangeführten Erlasses des Finanzministers des Landes Nordrhein-Westfalen den Schluß zieht, daß die Zahlung deshalb insoweit einkommensteuer- bzw. lohnsteuerfrei sei, so kann ihm hierbei nicht gefolgt werden.
Bis zum 31. Dezember 1954 kam nach § 3 Ziff. 7 EStG 1950 bei den zur Wiedergutmachung gezahlten Geldrenten und Kapitalentschädigungen sowie bei Leistungen im Heilverfahren Steuerfreiheit nur in Betracht, wenn die Zuwendung wegen Schäden an Leben, Körper, Gesundheit oder Freiheitsentzug gewährt wurde. Erst das Gesetz zur Neuordnung von Steuern vom 16. Dezember 1954 (BGBl 1954 I S. 373) beseitigte diese Einschränkung und stellte mit Wirkung vom 1. Januar 1955 auch Wiedergutmachungsleistungen wegen der Schäden im beruflichen und wirtschaftlichen Fortkommen von der Einkommensteuer frei. Bei dieser Erweiterung der Steuerfreiheit wurden jedoch Bezüge auf Grund eines aus Wiedergutmachungsgründen neubegründeten oder wiederbegründeten Dienstverhältnisses sowie solche aus einem früheren Dienstverhältnis, die neu- oder wiedergewährt werden, von der Steuerbefreiung ausgeschlossen. Wiedergutmachungsleistungen auf Grund eines Dienstverhältnisses haben daher sowohl vor dem 1. Januar 1955 als auch nachher der Einkommensteuer (Lohnsteuer) unterlegen. Hieran ändert auch der vom Bf. angeführte Erlaß des Finanzministers des Landes Nordrhein-Westfalen vom 15. Juni 1955 nichts. Dieser Erlaß besagt zwar u. a.: "Für die Zeit vor dem 1. Januar 1950 haben die Angehörigen des öffentlichen Dienstes einen Entschädigungsanspruch auf Grund der §§ 38 ff. BEG. Bei diesen Entschädigungsleistungen handelt es sich nicht um Leistungen auf Grund eines Dienstverhältnisses. Sie sind deshalb nach § 3 Ziff. 7 Satz 1 EStG 1955 steuerfrei". Aus den Eingangsworten des Erlasses ("Zur Klarstellung einiger Zweifelsfragen ...") geht hervor, daß er Auslegungen zu § 3 Ziff. 7 EStG 1955 geben sollte. Diese Auslegungen können sich aber nur auf Entschädigungsleistungen beziehen, die während der Geltungsdauer der Gesetzesvorschrift zugeflossen sind, zu deren Auslegung sie gegeben wurden, d. h. also auf solche, die nach dem Inkrafttreten des § 3 Ziff. 7 EStG 1955 geleistet worden sind. Es kann sich daher immer nur um Beträge handeln, die den Steuerpflichtigen nach dem 31. Dezember 1954 zugeflossen sind. Die Verwaltungsanordnung bezieht sich demnach nicht auf die Besteuerung von bereits vorher vereinnahmten Beträgen. Sie kann daher für die Ruhegehaltsnachzahlung, die der Bf. im Oktober 1950 erhalten hat, keine Bedeutung haben.
Auch soweit der Bf. beantragt, die für die Zeit vor dem 1. April 1950 gezahlten Bezüge auf Grund des § 131 AO von der Einkommensteuer (Lohnsteuer) freizustellen, kann sein Begehren keinen Erfolg haben. Auf den obenangeführten Erlaß des Finanzministers des Landes Nordrhein-Westfalen vom 15. Juni 1955 kann er sich dabei nicht stützen, weil diese Verwaltungsanweisung einen Steuererlaß aus Billigkeitsgründen gem. § 131 AO nicht vorsieht, sondern - wie oben ausgeführt - eine Auslegung des Gesetzes zum Gegenstand hat. Die obersten Finanzbehörden der Länder und auch der Bundesminister der Finanzen haben allerdings in Verwaltungsanweisungen auf die Möglichkeit des Erlasses bzw. der Erstattung von Einkommensteuer und Lohnsteuer aus Billigkeitsgründen in Wiedergutmachungsfällen hingewiesen bei Steuerpflichtigen, die Wiedergutmachungsleistungen schon vor dem 1. Januar 1955 erhalten haben. Diese Weisungen können aber nicht dahin verstanden werden, daß alle Steuerbeträge, die nach der vor dem 1. Januar 1955 geltenden Fassung des § 3 Ziff. 7 EStG zu Recht einbehalten worden sind, erstattet werden müssen. Das würde einer Vorverlegung - unter Umständen sogar einer Erweiterung - der vom Gesetzgeber erst für die Zeit nach dem 31. Dezember 1954 angeordneten Steuerfreiheit gleichkommen. In diesem Sinne können die ergangenen Verwaltungsanordnungen nicht aufgefaßt werden, da sie dann den Gesetzgeber korrigieren und damit die ihnen begrifflich zukommende Aufgabe überschreiten würden. Sie sind vielmehr dahin zu verstehen, daß unter Berücksichtigung der ab 1. Januar 1955 geltenden Regelung die in der zurückliegenden Zeit bereits rechtskräftig abgeschlossenen Besteuerungen von Wiedergutmachungsleistungen im Hinblick auf die ab 1. Januar 1955 geltende Regelung unter dem Gesichtspunkt des § 131 AO überprüft werden können. An Billigkeitsmaßnahmen dürfte dabei insbesondere in den Fällen zu denken sein, bei denen kurz vor dem 1. Januar 1955 auf Grund der damals geltenden Fassung die Steuerpflicht zutreffend bejaht wurde und bei denen im Falle der Besteuerung nach dem 31. Dezember 1954 Steuerfreiheit gegeben wäre. Diese Entscheidungen sind von den Behörden der Finanzverwaltungen nach pflichtmäßigem Ermessen zu treffen. Wenn sie dabei die gemäß § 131 AO beantragte Erstattung oder einen Steuererlaß ablehnen, können die Finanzgerichte nach Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes angerufen werden. Diese sind dann aber nur in der Lage zu prüfen, ob die Entscheidung der Verwaltungsbehörden auf einer mißbräuchlichen Anwendung des Ermessens beruht.
Das Finanzgericht hat im Streitfalle darauf hingewiesen, daß der Bf. durch die Auszahlung des Ruhegehalts im Jahre 1950 gegenüber anderen Wiedergutmachungsberechtigten, die erst im Jahre 1955 oder später entschädigt wurden, einen nicht unerheblichen Vorteil gehabt hat. Diese überlegung ist für die Beurteilung seines Antrags auf Steuererstattung aus Billigkeitsgründen beachtlich. Berücksichtigt man außerdem, daß die Steuer mit 10 v. H. des ausgezahlten Betrages pauschaliert wurde, so ist festzustellen, daß die Verwaltungsbehörden und die Vorentscheidung bei ihrer Beurteilung des Falles sich von Erwägungen leiten ließen, die dem Sinn und Zweck des § 131 AO entsprechen. Eine mißbräuchliche Anwendung des Ermessens seitens der Behörden der Finanzverwaltung ist unter diesen Umständen nicht festzustellen. Wenn der Bf. infolge der Verwertung des Sperrmarkguthabens, auf das die Nachzahlung geleistet wurde, Einbußen erlitten hat, so ist dieser Umstand ebenfalls nicht ausreichend, um einen Ermessensmißbrauch darzutun. Auch dieser Umstand kann durch die Pauschalierung mit dem niedrigen Satz von 10 v. H. als hinreichend berücksichtigt angesehen werden. Da die Verwaltungsbehörden demnach im Rahmen ihres Ermessens zu der von ihnen getroffenen Entscheidung kommen konnten, kann nicht festgestellt werden, daß die Ablehnung der Lohnsteuererstattung auf einer unrichtigen Anwendung des Ermessens beruht. Die Rb. kann daher keinen Erfolg haben.
Fundstellen
Haufe-Index 409717 |
BStBl III 1960, 344 |
BFHE 1961, 254 |
BFHE 71, 254 |
StRK, EStG:3 R 39 |