Entscheidungsstichwort (Thema)
Weiterbildung einer Sonderschullehrerin zur "klinischen Musiktherapeutin"
Leitsatz (NV)
Aufwendungen, die eine Sonderschullehrerin tätigt, um durch Bildungsmaßnahmen, die auf einschlägigen Vorkenntnissen aufbauen, die Qualifikation "klinische Musiktherapeutin" zu erwerben, sind als Werbungskosten und nicht nur in beschränktem Umfang als Sonderausgaben abziehbar.
Normenkette
EStG § 9 Abs. 1, § 10 Abs. 1 Nr. 7, § 12 Nr. 1, § 19 Abs. 1
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches FG |
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist Sonderschullehrerin. Sie war seit dem Jahre 1986 an einer Schule für geistig behinderte Kinder beschäftigt und erteilte hier seit August 1988 wöchentlich u. a. sechs bis acht Stunden musiktherapeutischen Einzel- und Kleingruppenförderunterricht.
Im April 1986 schloß die Klägerin mit der X, einer gemeinnützigen GmbH, einen sog. "Ausbildungsvertrag" zur "klinischen Musiktherapeutin". In dem Vertrag heißt es: "Der Begriff Ausbildung ist im Sinne einer berufsbegleitenden und berufsqualifizierenden Weiterbildung zu verstehen, die einen entsprechenden Grundberuf voraussetzt. Dem Ausbildungsteilnehmer ist bekannt, daß die soziotherapeutische Ausbildung auf Konflikt- und Lebensberatung sowie auf soziale Gruppenarbeit mit Gestaltmethoden ausgerichtet ist und nicht die Zielsetzung hat, zur Ausübung der Heilkunde zu befähigen." Die vierjährige Weiterbildung sollte mit einer Graduierungsarbeit abgeschlossen werden.
Der Klägerin wurde für die Teilnahme an den Seminaren Dienstbefreiung gewährt. Die Teilnahme wurde als Lehrerfortbildung anerkannt.
In den Jahren 1986 bis 1988 hatte die Klägerin für die Weiterbildungsmaßnahmen Aufwendungen von ca. 11 000 DM bis 16 000 DM jährlich als Werbungskosten bei ihren Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend gemacht. In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1990 bezifferte sie die Aufwendungen für Weiterbildungsmaßnahmen zur "klinischen Musiktherapeutin" auf 18 650 DM.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) vertrat die Auffassung, es handele sich um Ausbildungskosten i. S. des § 10 Abs. 1 Nr. 7 des Einkommensteuergesetzes (EStG), die er mit dem Höchstbetrag von 900 DM berücksichtigte.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab. Es war der Ansicht, der geforderte Bezug zum Beruf der Klägerin lasse sich nicht eindeutig feststellen.
Die Klägerin rügt mit ihrer Revision eine Verletzung des § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG.
Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Einkommensteuer auf ... DM festzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist begründet. Die Aufwendungen der Klägerin für die Teilnahme an den Weiterbildungsmaßnahmen zur "klinischen Musiktherapeutin" sind entgegen der Ansicht der Vorinstanz als Fortbildungskosten i. S. des § 9 Abs. 1 EStG bei den Einkünften der Klägerin aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG) und nicht als Aufwendungen für die Berufsausbildung i. S. des § 10 Abs. 1 Nr. 7 Satz 1, 1. Alternative EStG zu beurteilen. Die Zuordnung der Aufwendungen zu den Kosten der Lebensführung i. S. des § 12 Nr. 1 EStG ist auch nicht deswegen gerechtfertigt, weil die in den Einzelanalysestunden und Selbsterfahrungsgruppen gewonnenen Erkenntnisse zu einer weiteren Persönlichkeitsentwicklung der Klägerin geführt haben können.
1. Die auch weiterhin als Sonderschullehrerin tätige Klägerin hatte ein Sonderpädagogik-Studium absolviert und verfügte damit im Zeitpunkt des Beginns der Bildungsmaßnahme über eine abgeschlossene Berufsausbildung. Die Teilnahme an den berufsbegleitend durchgeführten Lehrgängen mit der Zielsetzung "klinische Musiktherapeutin" setzte nach den tatsächlichen Feststellungen des FG ein Hochschulstudium oder die abgeschlossene Berufsausbildung in einem pädagogischen oder sozialen Beruf mit einer mindestens dreijährigen Fachhochschulausbildung und einer zwölfmonatigen beruflichen Praxis voraus. Diese Voraussetzungen für die Zulassung zu der Weiterbildungsmaßnahme sprechen dafür, sie -- ebenso wie ein zweites, auf dem ersten aufbauendes Studium an einer Hochschule (vgl. dazu Urteile des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 14. Februar 1992 VI R 26/90, BFHE 167, 127, BStBl II 1992, 556; vom 14. Februar 1992 VI R 106/90, BFHE 167, 505, BStBl II 1992, 962; vom 8. Mai 1992 VI R 134/88, BFHE 167, 538, BStBl II 1992, 965; vom 14. Februar 1992 VI R 69/90, BFHE 167, 502, BStBl II 1992, 961; vom 10. Juli 1992 VI R 19/91, BFHE 168, 341, BStBl II 1992, 966) -- als berufliche Fortbildung und nicht als Berufsausbildung i. S. des § 10 Abs. 1 Nr. 7 Satz 1, 1. Alternative EStG zu werten. Die nach der vorstehenden Rechtsprechung für die Anerkennung als berufliche Fortbildung außerdem notwendige Bedingung, daß durch das Zweitstudium nicht der Wechsel in eine andere Berufsart ermöglicht wird, hält der Senat im Streitfall ebenfalls für erfüllt.
Die Weiterbildung der Klägerin zur "klinischen Musiktherapeutin" hatte nicht die Zielsetzung, sie zur Ausübung der Heilkunde zu befähigen. Für die Zulassung zum sog. psychotherapeutischen Zweig der Musiktherapie, der der Heilkunde zuzurechnen ist, fehlten der Klägerin die Voraussetzungen, weil sie weder ein Medizin- noch ein Psychologiestudium absolviert hatte. Somit wurde der Klägerin durch die Weiterbildungsmaßnahme nicht etwa der Wechsel in einen der Heilkunde zuzuordnenden Beruf ermöglicht. Der sog. soziotherapeutische Zweig der Weiterbildung, der der Klägerin aufgrund ihrer Vorbildung allein offenstand, war auf Konflikt- und Lebensberatung sowie auf soziale Gruppenarbeit ausgerichtet. Er war damit jedenfalls teilweise kongruent mit der Tätigkeit einer Sonderschullehrerin. Es wurden die bisherigen pädagogischen und soziotherapeutischen Fähigkeiten als Sonderschullehrerin vertieft und um das Spezialgebiet der klinischen Musiktherapie erweitert.
2. Der Senat folgt wegen der Besonderheiten des von der Klägerin ausgeübten Berufs dem FG auch nicht, soweit es den Abzug als Werbungskosten außerdem mit der Begründung versagt hat, daß die Einzelanalysestunden und die Teilnahme an den Selbsterfahrungsgruppen als persönlichkeitsbildende Maßnahmen zu beurteilen und deshalb als Aufwendungen für die Lebensführung i. S. des § 12 Nr. 1 EStG nicht abziehbar seien.
Der Streitfall ist nicht mit dem Sachverhalt vergleichbar, daß ein Industriekaufmann psychologische Seminare mit einem nicht homogenen Teilnehmerkreis besucht, in denen nicht primär auf den konkreten Beruf zugeschnittene psychologische Kenntnisse vermittelt werden (vgl. BFH-Urteil vom 6. März 1995 VI R 76/94, BFHE 177, 119, BStBl II 1995, 393). Vielmehr hat die Zulassung zur Teilnahme an den von der Klägerin besuchten Bildungsmaßnahmen spezifische Vorkenntnisse im Bereich der Pädagogik oder Musikwissenschaft zwingend vorausgesetzt. Die vermittelten Kenntnisse und Erfahrungen waren darauf ausgerichtet, in ganz bestimmten Berufen mit Hilfe der Musiktherapie bessere Ergebnisse zu erzielen. Wenn unter diesen besonderen Voraussetzungen die Selbsterfahrung unerläßliche Voraussetzung für eine bessere Umsetzung des erworbenen Wissens in dem ausgeübten Beruf ist, steht die berufliche Bedeutung derartig im Vordergrund, daß den möglicherweise daneben bestehenden privaten Gesichtspunkten nur eine unter geordnete Bedeutung beizumessen ist. Dementsprechend hat der Senat im Fall einer Diplom-Psychologin die Aufwendungen für die Psychoanalyse als Fortbildungskosten anerkannt; er hat dem Aspekt, daß mit der Psychoanalyse auch private Zwecke verfolgt werden können, eine nur untergeordnete Bedeutung beigemessen, weil die eigene Psychoanalyse unbedingt erforderlich war, um selbst effektiver therapieren und den Patienten bessere Hilfestellung geben zu können (Urteil vom 17. Juli 1992 VI R 12/91, BFHE 168, 567, BStBl II 1992, 1036). Dies trifft für die Aufwendungen der Klägerin für die Einzelanalyse und für die Teilnahme an Selbsterfahrungsgruppen in vergleichbarer Weise zu.
3. Die Vorentscheidung ist von anderen Voraussetzungen ausgegangen und deshalb aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Da Aufwendungen der Klägerin für ihre Spezialisierung auf dem Gebiet der Musiktherapie der beruflichen Weiterbildung und nicht der Berufsausbildung oder allgemeinen Lebensführung i. S. des § 12 Nr. 1 EStG dienen, sind sie als Werbungskosten i. S. des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG abziehbar. Die Höhe der Aufwendungen hat das FA nach der ausdrücklichen Feststellung des FG nicht beanstandet. Der Klage ist damit im beantragten Umfang stattzugeben.
Fundstellen
Haufe-Index 65940 |
BFH/NV 1996, 809 |