Leitsatz (amtlich)
"Fertigstellung" im Sinn der Begünstigungsvorschrift des § 1 Abs. 1 des Zweiten Gesetzes über Grunderwerbsteuerbefreiung beim Wohnungsbau (II. GrEStWG) vom 20. Juli 1962 (GVBl Baden-Württemberg 1962, 74, BStBl II 1963, 20) bedeutet nicht, daß ein Zustand der Bebauung erreicht sein muß, bei dem an dem Gebäude und den Anlagen, die mit seiner Nutzung zusammenhängen, entsprechend der Planung keinerlei Arbeiten mehr zu verrichten sind. Entscheidend ist, ob ein Bebauungszustand erreicht wurde, der die bestimmungsgemäße Nutzung zu Wohnzwecken zuläßt.
Normenkette
II. GrEStWG vom 20. Juli 1962 Baden-Württemberg § 1 Abs. 1 Nrn. 1-3, 10-11
Tatbestand
Der Kläger kaufte am 11. Oktober 1965 ein in Baden-Württemberg gelegenes Grundstück. Er beantragte, den Erwerb von der Besteuerung auszunehmen, weil es sich um einen Ersterwerb innerhalb von fünf Jahren nach der Fertigstellung des Wohngebäudes handele. Das Haus sei zwar bereits gegen Ende 1959 bezogen worden, zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht fertiggestellt gewesen.
Das FA erließ einen Grunderwerbsteuerbescheid, der hinsichtlich der Steuerberechnung, soweit sie das Zubehör betraf, vorläufig war.
Einspruch und Klage gegen die Steuerfestsetzung blieben ohne Erfolg. Als der Kläger am 11. Oktober 1965 das Grundstück gekauft habe, sei das Wohngebäude bereits länger als fünf Jahre bezugsfertig i. S. von Fertigstellung gewesen.
Mit der Revision rügt der Kläger, das FG habe zu Unrecht die Fertigstellung eines Gebäudes mit der Bezugsfertigkeit des Gebäudes gleichgesetzt. Auch nach seiner Bezugsfertigkeit könne sich ein Gebäude im Zustand der Bebauung befinden, bis das Bauvorhaben so durchgeführt sei, wie es von vornherein oder im Laufe der Erbauung beschlossen worden sei. Das Gebäude sei dann erst zu dem späteren Zeitpunkt fertiggestellt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Von der Besteuerung war nach § 1 Abs. 1 Nr. 10 des (inzwischen aufgehobenen) Zweiten Gesetzes über Grunderwerbsteuerbefreiung beim Wohnungsbau (II. GrEStWG) vom 20. Juli 1962 (Gesetz- und Verordnungsblatt Baden-Württemberg 1962 S. 74, BStBl II 1963, 20) ausgenommen der Ersterwerb eines Grundstücks ... innerhalb von fünf Jahren nach der Fertigstellung des Wohngebäudes, wenn mindestens eine Wohnung des Gebäudes zum Bewohnen durch den Erwerber oder seine Angehörigen bestimmt ist. Das FG ist davon ausgegangen, daß das Gesetz zwar innerhalb der Begünstigungsvorschriften unterschiedliche Ausdrücke verwende, wie z. B. "zur Errichtung" eines steuerbegünstigten Gebäudes bzw. "zur Schaffung" einer steuerbegünstigten Eigentumswohnung (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 II. GrEStWG), "zur Wiederherstellung" eines Gebäudes (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 II. GrEStWG), "zur Fertigstellung" eines in Bebauung befindlichen Gebäudes (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 II. GrEStWG), des Ersterwerbes eines Gebäudes innerhalb von fünf Jahren nach der "Fertigstellung" des Wohngebäudes (§ 1 Abs. 1 Nr. 10 II. GrEStWG) oder des Ersterwerbs einer steuerbegünstigten Eigentumswohnung innerhalb von fünf Jahren nach ihrer "Fertigstellung" (§ 1 Abs. 1 Nr. 11 II. GrEStWG), mit ihnen aber immer dieselbe Zielsetzung verfolge, nämlich Erwerbe im Zusammenhang mit der "bezugsfertigen Erstellung" von Wohngebäuden bzw. Eigentumswohnungen zu begünstigen. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Auffassung des FG in dieser Verallgemeinerung zutrifft. "Fertigstellung" i. S. der Begünstigungsvorschrift des § 1 Abs. 1 II. GrEStWG - Baden-Württemberg - bedeutet jedenfalls nicht, daß ein Zustand der Bebauung erreicht sein muß, bei dem an dem Gebäude und den Anlagen, die mit seiner Nutzung zusammenhängen, entsprechend der Planung keinerlei Arbeiten mehr zu verrichten sind. Ausgehend von dem Zweck des Gesetzes, die Schaffung von Wohnraum zu fördern, kann nur entscheidend sein, ob das für die Gewährung der Steuerbegünstigung maßgebende Gebäude soweit fertiggestellt ist, daß der Bebauungszustand die bestimmungsgemäße Nutzung zu Wohnzwecken zuläßt.
Ob ein Gebäude bezugsfertig erstellt i. S. der vorerwähnten Vorschriften ist oder nicht, ist im Rahmen des dargestellten Begriffs Tatfrage. Der Kläger hat - die Richtigkeit seines Vorbringens unterstellt - keine Gründe vorgetragen, die Anlaß hätten geben können, den Zeitpunkt der Fertigstellung des Gebäudes abweichend vom Bezug durch den Voreigentümer anzunehmen. Es ist nicht ersichtlich, aus welchen Gründen die Fertigstellung des Wohngebäudes im Zeitpunkt des Bezugs zu verneinen gewesen wäre, weil der Garten noch nicht angelegt war und die Arbeiten an der Zufahrt zu zwei Garagen sowie der Ausbau der Terrasse noch nicht vollendet waren. Keiner dieser Umstände hat im Regelfall zur Folge, daß das Wohngebäude als noch nicht fertiggestellt zu gelten hätte.
Fundstellen
Haufe-Index 71161 |
BStBl II 1975, 67 |
BFHE 1975, 479 |