Entscheidungsstichwort (Thema)
Anfechtbarkeit eines Bescheids über Steuerrate 1990 im Beitrittsgebiet - Halbierung der Steuer in diesem Bescheid als Billigkeitsmaßnahme - Umstellung des im 1. Halbjahr 1990 in Mark der DDR ermittelten Gewinns - Umfang des Klagebegehrens - Gesetzesauslegung
Leitsatz (amtlich)
1. Die im Beitrittsgebiet ergangenen Bescheide über die Steuerrate 1990 können mehrere selbständig anfechtbare Verwaltungsakte enthalten.
2. Die in diesen Bescheiden vorgenommene Halbierung der auf das 1.Halbjahr 1990 entfallenden Steuer ist eine Billigkeitsmaßnahme.
3. Die in den Bescheiden enthaltene Aufteilung der auf das 1. und 2.Halbjahr entfallenden Steuern dient nur der Ermittlung dieser abweichenden Steuerfestsetzung und enthält keine ge- sonderten Steuerfestsetzungen für das 1. und 2. Halbjahr.
Orientierungssatz
1. Der im 1. Halbjahr 1990 im Beitrittsgebiet in Mark der DDR ermittelte Gewinn ist nicht im Verhältnis 2:1 in DM umzustellen.
2. Der Umfang eines Klagebegehrens ist ggf. im Wege der Auslegung zu ermitteln.
3. Rechtspolitische Unvollständigkeiten, d.h. Lücken, die nicht dem Gesetzesplan entsprechen, sondern vom Rechtsanwender als rechtspolitisch unerwünscht empfunden werden, können entsprechend dem Prinzip der Gewaltenteilung auch von den Gerichten nicht geschlossen werden. Sie zu schließen, bleibt ausschließlich Aufgabe des Gesetzgebers.
Normenkette
AO 1977 §§ 118, 163; EStG § 57 Abs. 4; EStG DDR § 2 Abs. 1; EStG DDR § 25 Abs. 1; DMBilG § 53; WWSUVtr Art. 1 Abs. 1; WWSUVtr Anl 1 Art. 2 S. 1; StRVÄndG § 1 Abs. 1; GG Art. 20 Abs. 3; FGO § 65; GewStG § 36 Abs. 5a; HGB § 244
Verfahrensgang
FG des Landes Sachsen-Anhalt (Entscheidung vom 02.06.1993; Aktenzeichen 2 K 67/92) |
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war im Streitjahr 1990 in Sachsen gewerblich tätig. Seine durch den Überschuß der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben ermittelten Gewinne betrugen im ersten Halbjahr 1990 63 415 M und im zweiten Halbjahr 1990 ./. 16 403 DM. Er erzielte ferner Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit, die sich auf 7 200 M (1.Halbjahr) und 3 300 DM (2.Halbjahr) beliefen.
In seiner Jahreserklärung für Steuern der Gewerbetreibenden und der anderen Bürger im Beitrittsgebiet für 1990 errechnete der Kläger --unter Berücksichtigung von Sonderausgaben und Steuerklassenfreibetrag-- ein steuerpflichtiges Einkommen von 43 812 M/DM. Dieses verteilte er dergestalt, daß er 144,7 % dem 1.Halbjahr 1990 und ./. 44,74 % dem 2.Halbjahr 1990 zuwies. Ähnlich teilte er den Gewerbeertrag 1990 auf. Anschließend rechnete der Kläger die Einkommensteuer 1990 von unstreitig 10 015 M/DM und die Gewerbesteuer von unstreitig 8 680 M/DM in Höhe von 14 495 bzw. 12 320 M/DM dem 1.Halbjahr 1990 und ./. 4 480 DM bzw. ./. 3 640 DM dem 2.Halbjahr zu. Da die Finanzverwaltung die zusammengefaßten Steuern (Steuerrate), die rechnerisch auf das 1.Halbjahr entfielen, nur zu 50 % ansetzt (vgl. Jahreserklärung für Steuern der Gewerbetreibenden und der anderen Bürger im Beitrittsgebiet AV 24/30 Zeile 197 Spalte 4), errechnete der Kläger nach Abzug der Steuerbefreiung nach § 9 der Durchführungsbestimmung zum Steueränderungsgesetz vom 16. März 1990 --DBStÄndG-- (Gesetzblatt DDR --GBl-DDR-- 1990, 195) eine Steuerrate 1990 in Höhe von insgesamt 2 459 M/DM.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) wies das Einkommen von 43 812 M/DM bzw. den Gewerbeertrag von 47 000 M/DM und den Steuerabzugsbetrag nach § 9 DBStÄndG jeweils zu 100 % dem 1.Halbjahr 1990 zu, setzte für das 1.Halbjahr die Einkommensteuer auf 10 015 DM und die Gewerbesteuer auf 8 680 DM und die Steuern für das 2.Halbjahr jeweils mit 0 DM fest. Die Steuerrate nach Abzug des Steuerabzugsbetrags von 10 000 DM wies er mit 8 695 DM für das 1.Halbjahr aus und errechnete in der "Zusammenfassung und Abrechnung für 1990" eine Steuerrate 1990 von 4 347 DM (= 50 % von 8 695 DM).
Der Einspruch des Klägers blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) gab seiner Klage statt. Die Entscheidung ist veröffentlicht in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1993, 727.
Das FA beantragt mit der Revision, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen. Das Urteil verletze Art.10 Abs.5 des Vertrages über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vom 18. Mai 1990 (VWWSU) sowie Art.2 der Anlage I zum VWWSU, Abschn.III Nr.5 der Anlage 4 zum VWWSU und §§ 15, 17 des D-Markbilanzgesetzes (DMBilG).
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Die Entscheidung des FG ist aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs.3 Nr.1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Die Revision des FA ist nicht schon wegen Verstoßes gegen § 96 Abs.1 Satz 2 FGO, dessen Beachtung im Revisionsverfahren von Amts wegen zu prüfen ist (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3.Aufl., § 118 Rdnr.50 m.w.N.), begründet.
Die im Beitrittsgebiet ergehenden Steuerbescheide können mehrere selbständige Regelungen enthalten. So hat das FA im Streitfall die Einkommensteuer und die Gewerbesteuer festgesetzt, unter Berücksichtigung des Steuerabzugsbetrages nach § 9 DBStÄndG die zusammengefaßte Steuer ermittelt und eine "Zusammenfassung und Abrechnung für 1990" angefügt. Verfahrensrechtlich ist daher kein einziger Steuerbescheid zu beurteilen, sondern jede Regelung ist, soweit sie einen selbständigen Verwaltungsakt i.S. des § 118 der Abgabenordnung (AO 1977) enthält, eines selbständigen prozessualen Schicksals fähig (ähnlich zu Feststellungsbescheiden s. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 30. März 1993 VIII R 63/91, BFHE 171, 213, BStBl II 1993, 706 m.w.N.; vom 18.August 1992 VIII R 22/91, BFH/NV 1993, 225 unter 2 a). Beschränkt sich der Klageantrag eines Klägers nur auf bestimmte Regelungsgegenstände eines derartigen Sammelbescheides, so ist dies vom FG gemäß § 96 Abs.1 Satz 2 FGO zu beachten.
Erhebt ein Steuerpflichtiger gegen einen derartigen im Beitrittsgebiet ergangenen Steuerbescheid Klage, so ist es grundsätzlich seine Angelegenheit darzutun (§ 65 FGO), gegen welche Einzelregelung(en) sich sein Rechtsmittel richtet. Die Rechtsprechung des Großen Senats zum Umfang des Klagebegehrens (Beschluß des Großen Senats des BFH vom 23. Oktober 1989 GrS 2/87, BFHE 159, 4, BStBl II 1990, 327), wonach regelmäßig von einer vollumfänglichen Anfechtung auszugehen ist, ist unmittelbar nicht einschlägig. Sie betrifft nur das Klagebegehren innerhalb eines Streitgegenstandes. Dem Rechtsbehelf gegen einen Einkommensteuerbescheid kann aber nicht entnommen werden, daß zugleich die Gewerbesteuer angefochten sein soll. Dementsprechend wäre es auch dem FA verwehrt, anläßlich eines Einspruchsverfahrens in Sachen Einkommensteuer auf der Grundlage des § 367 Abs.2 Satz 1 AO 1977 Gewerbesteuermeßbeträge (hier: Gewerbesteuer) abzuändern. In diesem Sinne zu trennen ist auch zwischen Steuerfestsetzung und Billigkeitsmaßnahme i.S. des § 163 AO 1977 (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. z.B. Urteil vom 13. April 1989 IV R 196/85, BFHE 156, 489, BStBl II 1989, 614 Nr.5 m.w.N.). Demgemäß ist bei den im Beitrittsgebiet ergehenden Bescheiden verfahrensrechtlich zu trennen zwischen der Feststellung oder Festsetzung von Steuern und der in der "Zusammenfassung und Abrechnung für 1990" nach Auffassung des Senats enthaltenen Billigkeitsmaßnahme, aufgrund derer die auf das 1.Halbjahr entfallende Steuerrate halbiert wird.
Dem Klageschriftsatz läßt sich im Streitfall allerdings eine vollumfängliche Anfechtung des Steuerbescheides vom 3. April 1992 entnehmen. Der Umfang eines Klagebegehrens ist ggf. im Wege der Auslegung zu ermitteln. Bei Auslegung prozessualer Willenserklärung ist in analoger Anwendung des § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) unter Berücksichtigung der Gesamtumstände der wirkliche Wille zu erforschen und nicht am buchstäblichen Sinn der Anträge haften zu bleiben (vgl. Beschluß des Großen Senats in BFHE 159, 4, BStBl II 1990, 327). Zwar begehrt der Kläger mit seinem Antrag eine Herabsetzung der "festgesetzten Einkommensteuer". Aus den Zahlenangaben folgt aber, daß der Kläger sich gegen die Höhe der aus Einkommensteuer und Gewerbesteuer zusammengefaßten Steuerrate wehrt, was eine Anfechtung der Gewerbesteuer und der Steuerrate nach Abzug des Steuerabzugsbetrags impliziert. Die Ausführungen im Klageschriftsatz, insbesondere zu dem nach Auffassung des Klägers unvertretbar hohen Besteuerungsergebnis, lassen ein Begehren auf Gesetzeskorrektur, d.h. eine der Leistungsfähigkeit angepaßte Billigkeitsmaßnahme erkennen.
Die Fragen, ob die Klage in Sachen abweichende Steuerfestsetzung nach § 163 AO 1977 mangels Durchführung eines Beschwerdeverfahrens als unzulässig hätte abgewiesen werden müssen (vgl. BFH-Urteil vom 21. Dezember 1977 I R 247/74, BFHE 124, 199, BStBl II 1978, 305) oder ob ggf. § 46 Abs.1 FGO zur Zulässigkeit der Klage geführt haben könnte, können im Streitfall offenbleiben. Die Billigkeitsmaßnahme, die vom FG nicht aufgehoben worden ist, ist bestandskräftig geworden. Die Revision des FA richtet sich nach der innerhalb der Revisionsbegründungsfrist nach § 120 Abs.1 Satz 1 FGO abgegebenen Begründung ausschließlich gegen die Umstellung des Gewinns des 1.Halbjahres von M in DM im Verhältnis 2 : 1 und damit nur gegen die Steuerfestsetzungen des FG (vgl. auch BFH-Urteil vom 8. Februar 1989 II R 85/86, BFHE 160, 1, BStBl II 1990, 587). Aus diesem Grund kann der Senat auch nicht über die Rechtmäßigkeit der Steueraufteilung entscheiden, denn diese wirkt sich nur im Rahmen der Billigkeitsmaßnahme aus.
2. Die Revision ist nicht schon deswegen zurückzuweisen, weil Einkommensteuer bzw. Gewerbesteuer jeweils für das 1. und 2.Halbjahr 1990 gesondert ausgewiesen wurden.
In den Bescheiden über die Steuerrate 1990 wurden u.a. Einkommensteuer und Gewerbesteuer getrennt nach dem 1. und 2.Halbjahr 1990 ermittelt. Darin liegen keine getrennten Steuerfestsetzungen für das 1. und 2.Halbjahr 1990. Einkommen- und Gewerbesteuer sind auch im Beitrittsgebiet Jahressteuern. Für die Einkommensteuer folgt dies unmittelbar aus § 2 Abs.1 des Einkommensteuergesetzes vom 18. September 1970 (GBl-DDR, Sonderdruck 670) i.d.F. des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung steuerlicher Rechtsvorschriften bei Einführung der Währungsunion mit der Bundesrepublik Deutschland vom 22. Juni 1990 (GBl-DDR, Sonderdruck 1427 - StAnpG DDR; - EStG DDR 1970/1990). Danach bemißt sich die Einkommensteuer nach dem Einkommen, das der Steuerpflichtige innerhalb eines Kalenderjahres bezogen hat. Die Einkommensteuer wird grundsätzlich nach Ablauf des Kalenderjahres (Veranlagungszeitraum) nach dem Einkommen veranlagt, das der Steuerpflichtige in diesem Zeitraum bezogen hat (§ 25 Abs.1 EStG DDR 1970/1990; vgl. auch Förg, Finanz-Rundschau --FR-- 1991, 710, 712). § 53 DMBilG sieht eine Aufteilung nur für die Gewinn-, nicht aber für die Einkommensermittlung i.S. des § 2 Abs.2 EStG DDR 1970/1990 vor. Der Senat geht auch bei der Gewerbesteuer davon aus, daß sie eine Jahressteuer ist, obgleich das Gewerbesteuergesetz vom 18. September 1970 (GBl-DDR, Sonderdruck 672 - GewStG DDR) eine § 14 Abs.2 des Gewerbesteuergesetzes der Bundesrepublik Deutschland (GewStG) entsprechende Regelung nicht enthält. Jedenfalls läßt sich § 22 GewStG DDR entnehmen, daß von einem Erhebungszeitraum auszugehen ist. Dafür, daß dies Jahreshälften sein sollen, läßt sich dem Gesetz nichts entnehmen. Der gesonderte Ausweis des auf die beiden Halbjahre 1990 jeweils entfallenden Steuerbetrags enthält daher keine selbständige Steuerfestsetzung, sondern ist nur Berechnungsgrundlage für die Jahressteuer. Ausweislich des Berechnungsbogens gehen die Halbjahresbeträge in einen einheitlichen Jahresbetrag ein, auf den der Steuergrundtarif angewendet wird. Die Aufspaltung dient letztlich nur dazu, die Halbierung der auf das 1.Halbjahr entfallenden Steuerrate rechnerisch vorzubereiten.
3. Der Revision ist stattzugeben, weil eine Umstellung des für das 1.Halbjahr 1990 in M ermittelten Gewinns im Verhältnis 2 : 1 in DM im Gesetz, d.h. hier insbesondere im VWWSU (BGBl II 1990, 537) und dessen Anlagen sowie im DMBilG nicht vorgesehen ist. Der in M ausgedrückte Gewinn des 1.Halbjahres 1990 wird lediglich in DM umbenannt.
Gemäß Art.1 Abs.1, Art.2 Satz 1 der Anlage 1 zum VWWSU trat mit der Einführung der DM als Währung der DDR am 1. Juli 1990 --vorbehaltlich besonderer Vorschriften-- in Gesetz, Verordnungen, Anordnungen, gerichtlichen Entscheidungen, Verwaltungsakten, Verträgen und sonstigen rechtsgeschäftlichen Erklärungen an die Stelle der Rechnungseinheit M die Rechnungseinheit DM (sog. Umbenennung). Diese Regelung erfaßt u.a. auch den in der Anlage I zum Steueränderungsgesetz (StÄndG) DDR für die Besteuerung der Gewerbetreibenden geltenden Steuergrundtarif A. Die Umbenennung betrifft allerdings ausdrücklich nur die dort unter "Jahreseinkommen" und "Steuerbetrag" ausgewiesenen Größen. Sie erfaßt aber auch den Gewinn, der mangels anderer Rechnungseinheit zum 30. Juni 1990 nur in M ausgewiesen werden konnte. Wenn im Steuergrundtarif A des StÄndG DDR das Jahreseinkommen von M in DM umbenannt wurde, muß dasselbe für den dem Einkommensbetrag zugrundeliegenden Gewinn gelten. Auch sieht § 1 Abs.1 StÄndG DDR ausdrücklich nicht nur die Besteuerung des Einkommens, sondern auch des Gewinns nach dem Steuergrundtarif A vor. Das erlaubt den Rückschluß, daß neben dem ausdrücklich in der Steuertabelle genannten Einkommensbetrag auch der Gewinn umbenannt wurde.
Eine Umstellung des Gewinns des 1.Halbjahres 1990 im Verhältnis 2 : 1 sieht Anlage I zum VWWSU nicht vor. Umgestellt in diesem Verhältnis wurden neben Guthaben bei Geldinstituten nur Forderungen und Verbindlichkeiten, die vor dem 1. Juni 1990 begründet wurden oder die nach den vor dem 1. Juli 1990 geltenden Vorschriften in M zu erfüllen gewesen wären (vgl. Art.10 VWWSU i.V.m. Art.6, 7 § 1 der Anlage I hierzu). Da die Einkommensteuerschuld 1990, auch soweit sie rechnerisch auf das 1.Halbjahr 1990 entfällt, erst zum 31. Dezember 1990 entstand, war sie zum 30.Juni 1990 noch nicht begründet im Sinne dieser Vorschriften. Aus diesem Grund scheidet auch eine Anwendung des § 17 DMBilG aus.
Zwar fehlt dem EStG DDR 1970/1990 eine § 36 Abs.1 EStG der Bundesrepublik Deutschland entsprechende Norm. Gemäß § 38 der Abgabenordnung DDR (AO DDR) 1990 vom 22. Juli 1990 (GBl-DDR, Sonderdruck 1428) bzw. § 97a AO vom 18.September 1970 (GBl-DDR, Sonderdruck 681) entstanden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis bzw. die Steuerschuld, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft. Da die Einkommensteuer an das Einkommen anknüpft, das der Steuerpflichtige innerhalb eines Kalenderjahres bezog (§ 2 Abs.1, § 25 Abs.1 EStG DDR 1970/1990), entspricht die Rechtslage im Beitrittsgebiet im Streitjahr 1990 derjenigen des § 36 Abs.1 EStG. Entsprechendes gilt für die Gewerbesteuer.
Mittelbar wird die nominelle Umbenennung der Gewinne des 1.Halbjahres 1990 durch § 57 Abs.4 EStG, § 36 Abs.5a GewStG i.d.F. des Art.8 i.V.m. Anlage I Kap.IV Sachgebiet B Abschn.II Nrn.16, 20 des Einigungsvertrages bestätigt. Danach ist § 10d Abs.2 und 3 EStG bzw. § 10a GewStG auch für Verluste anzuwenden, die in dem in Art.3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet im Veranlagungszeitraum 1990 entstanden sind. Eine Halbierung der negativen Gewinne des 1.Halbjahres 1990 sieht das Gesetz nicht vor. In Konsequenz hieraus sind auch die positiven Gewinne nicht zu halbieren.
Auch § 244 des Handelsgesetzbuches (HGB) berechtigt nicht zur Umstellung von Gewinnen im Verhältnis 2 : 1. Diese Regelung gilt zunächst nur für Steuerpflichtige, die Jahresabschlüsse erstellen, also nicht für den Kläger. Unabhängig davon traten im Beitrittsgebiet das 1. bis 4. Buch des HGB in der bundesdeutschen Fassung erst am 1. Juli 1990, also nach dem Stichtag 30. Juni 1990 in Kraft (Gesetz über die Inkraftsetzung von Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland in der DDR vom 21.Juni 1990, GBl DDR I 1990, 357) und galten folglich erst für den Jahresabschluß für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 1990. Ein Jahresabschluß zum 30. Juli 1990 war in M zu erstellen (vgl. § 2 Abs.1 der Anordnung über den Abschluß der Buchführung in Mark der DDR zum 30. Juni 1990 vom 27. Juni 1990, GBl DDR I 1990, 593). Diese Anordnung blieb in Kraft (vgl. Anlage II Sachgebiet D, Abschn.I des Einigungsvertrages nach § 60) und geht daher als Spezialgesetz für das Gebiet der ehemaligen DDR zum 30. Juni 1990 dem § 244 HGB vor. Auf die Frage, ob § 244 HGB eine Umrechnung des Gewinns zuläßt, braucht nicht eingegangen zu werden (vgl. hierzu z.B. BFH-Urteil vom 13. September 1989 I R 117/87, BFHE 158, 340, BStBl II 1990, 57).
Der Senat bestätigt damit die Rechtsauffassung des FG Leipzig im Urteil vom 15. Juni 1993 1 K 46/92 (EFG 1993, 576). Insbesondere liegt keine Gesetzeslücke vor, die ggf. durch analoge Anwendung des Umstellungskurses geschlossen werden könnte. Diese setzt eine "planwidrige Unvollständigkeit des positiven Rechts" voraus. Eine Lücke des Gesetzes liegt (nur) vor, wo Gesetz, gemessen an seiner eigenen Absicht und der ihm immanenten Teleologie, unvollständig, also ergänzungsbedürftig ist und wo seine Ergänzung nicht etwa einer dem Gesetz gewollten Beschränkung auf bestimmte Tatbestände widerspricht (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 24. Januar 1974 IV R 76/70, BFHE 111, 329, BStBl II 1974, 295; vom 9. August 1989 X R 30/86, BFHE 158, 45, BStBl II 1989, 891; vgl. auch Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 4 AO 1977 Tz.113). Rechtspolitische Unvollständigkeiten, d.h. Lücken, die nicht dem Gesetzesplan widersprechen, sondern vom Rechtsanwender als rechtspolitisch unerwünscht empfunden werden, können entsprechend dem Prinzip der Gewaltenteilung auch von den Gerichten nicht geschlossen werden (Art.20 Abs.3 des Grundgesetzes; vgl. z.B. auch Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Dezember 1991 2 BvR 72/90, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1992, 563). Sie zu schließen bleibt ausschließlich Aufgabe des Gesetzgebers. Eine Gesetzeslücke ergibt sich durch eine Umbenennung des in M ausgewiesenen Gewinns des 1.Halbjahres 1990 nicht. Sie tut sich auch nicht mit dem Hinweis auf die gesetzliche Regelung der Umstellung bei Forderungen und Verbindlichkeiten auf. Eine Umstellung im Verhältnis 2 : 1 erfaßt nach dem Gesetzesplan des VWWSU und des DMBilG nur einzelne Wirtschaftsgüter. Der Gewinn ist kein Wirtschaftsgut, sondern bloße Rechnungsdifferenz. Soweit die Vorinstanz sich zur Stützung ihrer Auffassung auf das Schrifttum beruft (vgl. Dötsch, Der Betrieb 1990, 3126, 3131; Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Aktiengesellschaft, § 244 Rdnr.7) verkennt sie, daß dieses nur Aussagen zur Umstellung bzw. Umrechnung der Werte von Einzelwirtschaftsgütern, nicht des Gewinns als Rechnungsgröße macht.
4. Einer unbilligen Härte der Besteuerung im Einzelfall kann auch im Zusammenhang mit der Währungsumstellung durch abweichende Steuerfestsetzung nach § 163 AO 1977 begegnet werden. Die vom FA gewährte Billigkeitsmaßnahme ist im Streitfall bestandskräftig geworden, so daß sie im Revisionsverfahren keiner Überprüfung mehr unterliegen kann.
Fundstellen
Haufe-Index 65278 |
BFH/NV 1995, 17 |
BStBl II 1995, 382 |
BFHE 175, 406 |
BFHE 1995, 406 |
BB 1995, 86 (L) |
DStZ 1995, 156-157 (KT) |
HFR 1995, 182-184 (LT) |
StE 1995, 4-5 (K) |
WPg 1995, 482 (LT) |
StRK, DDR-StRecht 1990 ESt R.7 (LT) |
FR 1995, 191-193 (KT) |
D-spezial 1995, 3-4 (K) |
ZAP-Ost, EN-Nr 48/95 (L) |