Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung für eigene Steuerschulden
Leitsatz (NV)
1. Ein GmbH-Geschäftsführer haftet auch für die Steuerabzugsbeträge, die auf seinen eigenen Arbeitslohn entfallen.
2. In dem gegen ihn ergehenden Haftungsbescheid muß die Haftungssumme nicht nach der auf die einzelnen Arbeitnehmer entfallenden Lohnsteuer aufgeschlüsselt werden.
Normenkette
AO 1977 §§ 69, 34
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war bis Ende 1980 Geschäftsführer einer GmbH. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) nahm ihn wegen rückständiger Lohnsteuer der GmbH für den Zeitraum Januar 1979 bis Dezember 1980 als Haftungsschuldner in Anspruch. Der Haftungsbescheid enthält eine Aufgliederung der Haftungssumme nach Lohnsteueranmeldungszeiträumen (Kalendermonate), nicht aber die namentliche Bezeichnung der Steuerschuldner und eine Aufgliederung des Haftungsbetrages nach Steuerschuldnern. Die Haftungsbeträge beruhen auf den Feststellungen einer bei der GmbH durchgeführten Lohnsteueraußenprüfung, den im Verlaufe der Prüfung vom Kläger nachgereichten Lohnsteueranmeldungen bis einschließlich September 1980 und auf Steuerfestsetzungen des FA für die Monate September bis Dezember 1980. Die gegen die GmbH für den Haftungszeitraum ergangenen Steuerfestsetzungen sind bestandskräftig.
Das Finanzgericht (FG) hob auf die Klage des Klägers den gegen diesen ergangenen Lohnsteuerhaftungsbescheid und die Einspruchsentscheidung des FA auf. Zur Begründung führte es aus:
Die GmbH habe während des Haftungszeitraums neben dem Kläger als Geschäftsführer nur in den Monaten Januar und Februar 1979 einen anderen Arbeitnehmer beschäftigt. Der geltend gemachte Haftungsanspruch beziehe sich also zum weit überwiegenden Teil auf Lohnsteuerbeträge, die auf den Kläger selbst als Steuerschuldner entfielen. Für diese Beträge könne er nicht als Haftungsschuldner in Anspruch genommen werden, denn die steuerliche Haftung bedeute Einstehen für fremde Steuerschulden. Soweit der Haftungsbescheid sich auf eigene Steuerschulden des Klägers beziehe, sei er deshalb mangels Haftungsanspruchs aufzuheben.
Soweit der Bescheid sich auf die Steuerschulden des anderen Arbeitnehmers aus den Monaten Januar und Februar 1979 beziehe, sei er ebenfalls fehlerhaft, weil die auf diesen Arbeitnehmer entfallenden Steuerbeträge in dem Bescheid nicht besonders ausgewiesen seien. Grundsätzlich müsse der Lohnsteuerhaftungsbescheid die auf jeden Arbeitnehmer entfallenden Steuerbeträge ausweisen. Hiervon habe der Bundesfinanzhof (BFH) nur dann eine Ausnahme zugelassen, wenn die Aufgliederung nach Arbeitnehmern objektiv unmöglich oder dem FA unzumutbar sei (Urteil vom 20. Mai 1980 VI R 169/77, BFHE 130, 461, BStBl II 1980, 669). Das sei aber im Streitfall, in dem es um Lohnsteuerbeträge für insgesamt zwei Arbeitnehmer gehe, nicht der Fall. Der Haftungsbescheid könne somit insgesamt keinen Bestand haben.
Mit der vom FG zugelassenen Revision macht das FA geltend, der angefochtene Haftungsbescheid genüge den Anforderungen an die inhaltliche Bestimmtheit (§ 119 Abs. 1 der Abgabenordnung - AO 1977 -). Der Kläger habe aus ihm entnehmen können, daß er für bestimmte, betragsmäßig angegebene und auf die einzelnen Lohnsteueranmeldungszeiträume aufgegliederte Steuern, die von der GmbH zu entrichten waren, in Anspruch genommen werde. Die Aufgliederung der Lohnsteuer nach den einzelnen Arbeitnehmern sei nach dem Urteil in BFHE 130, 461, BStBl II 1980, 669 nur für den Fall erforderlich, daß die angeforderte Steuer auf einer Lohnsteueraußenprüfung beruhe. Dann müßten wegen der dem Haftungsschuldner zustehenden Befugnis, Einwendungen gegen die Erstschuld zu erheben, die auf die einzelnen Steuerschuldner entfallenden Steuerbeträge aus dem Bescheid ersichtlich sein, weil der Haftungsschuldner die vom Prüfer getroffenen Feststellungen nicht seinen eigenen Lohnunterlagen entnehmen könne.
Im Streitfall bestehe aber kein Bedürfnis für eine derartige Aufgliederung, da der Informationsstand des Arbeitgebers und damit auch der des in Haftung genommenen Geschäftsführers dem des FA zumindest entspreche. Die Haftungsinanspruchnahme beschränke sich auf die vom Arbeitgeber durch seinen Geschäftsführer angemeldeten und ggf. vom FA festgesetzten Beträge, deren Grundlagen und Aufteilung auf die einzelnen Arbeitnehmer niemand besser herleiten könne als der Adressat des Haftungsbescheids, der Geschäftsführer selbst.
Das FG habe auch zu Unrecht angenommen, der Haftungsbescheid sei fehlerhaft, weil der Kläger für eigene Steuerschulden als Haftungsschuldner in Anspruch genommen werde. Die von ihm herangezogene Entscheidung des BFH (Urteil vom 19. Oktober 1976 VII R 63/73, BFHE 120, 329, BStBl II 1977, 255), die einen Sachverhalt betreffe, in dem der Haftungsschuldner für die gleiche Steuer in Haftung genommen worden sei, die er auch als Steuerschuldner zu entrichten hatte, sei auf den Streitfall nicht übertragbar. Der Kläger werde als GmbH-Geschäftsführer nicht dafür in Anspruch genommen, daß er seinen Verpflichtungen als Lohnsteuerzahler nicht nachgekommen sei. Seine Inanspruchnahme resultiere vielmehr daraus, daß er als Vertreter des Arbeitgebers dessen Verpflichtungen, die Steuern einzubehalten, anzumelden und abzuführen, nicht wahrgenommen habe. Es handele sich deshalb aus seiner Sicht um fremde Steuerschulden.
Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Der angefochtene Haftungsbescheid ist nicht deshalb rechtsfehlerhaft, weil der Haftungsbetrag im wesentlichen auf Lohnsteuer entfällt, die die GmbH als Arbeitgeberin vom Arbeitslohn ihres Geschäftsführers, des Klägers, einzubehalten, dem FA anzumelden und an dieses abzuführen hatte (§ 38 Abs. 3, § 41 a Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes - EStG -). Das FG ist zwar zutreffend davon ausgegangen, daß Haftung nach den Vorschriften des Steuerrechts das Einstehen für fremde Schuld bedeutet und folglich ein Steuerpflichtiger für die eigene Steuerschuld grundsätzlich nicht als Haftender herangezogen werden kann (vgl. Urteil des erkennenden Senats in BFHE 120, 329, BStBl II 1977, 255). Der Senat hat aber in seinem Urteil vom 15. April 1987 VII R 160/83 (BFHE 149, 505, BStBl II 1988, 167) entschieden, daß dieser Grundsatz nur dann gilt, wenn derjenige, der als Haftungsschuldner in Anspruch genommen werden soll, dieselbe Abgabe als Steuerschuldner zu entrichten hat. Er hat weiter ausgeführt, daß die Pflicht zur Entrichtung der Lohnsteuer nicht dem Arbeitnehmer (Steuerschuldner gemäß § 38 Abs. 2 Satz 1 EStG), sondern dem Arbeitgeber obliegt (§ 41 a Abs. 1 EStG i. V. m. § 43 AO 1977). Daraus folgt, daß der Geschäftsführer einer GmbH als Haftungsschuldner für die von der GmbH nicht abgeführte Lohnsteuer auch insoweit in Anspruch genommen werden kann, als die Steuer auf seinen eigenen Arbeitslohn entfällt. Auch insoweit handelt es sich aus der Sicht des Geschäftsführers um die Haftungsschuld der GmbH (§ 42 d EStG), nicht dagegen um die eigene Steuerschuld. Wegen der Begründung im einzelnen nimmt der Senat auf sein vorstehend zitiertes Urteil Bezug. Der Haftungsanspruch nach den §§ 69, 34 Abs. 1 AO 1977 besteht also entgegen der Ansicht der Vorinstanz auch hinsichtlich der nicht an das FA abgeführten Lohnsteuer, die vom Arbeitslohn des Klägers einbehalten worden ist.
2. Der Haftungsbescheid ist auch inhaltlich hinreichend bestimmt (§ 119 Abs. 1 AO 1977).
Die vom FG beanstandete mangelnde Aufgliederung der Haftungsbeträge nach den auf die einzelnen Arbeitnehmer der GmbH entfallenden Steuerschulden ist allenfalls rechtserheblich für die Lohnsteueranmeldungszeiträume Januar und Februar 1979, da nach den Feststellungen im angefochtenen Urteil nur in diesen Monaten ein anderer Arbeitnehmer neben dem Kläger bei der GmbH beschäftigt war. Für die nachfolgenden Monate des Haftungszeitraums kommt eine Aufgliederung der nach Monatsbeträgen ausgewiesenen Haftungssummen auf einzelne Arbeitnehmer nicht in Betracht, da sämtliche hierfür festgesetzten Steuern auf den Arbeitslohn des Klägers selbst entfallen. Auch für die Monate Januar und Februar 1979 bedurfte es keiner Aufgliederung der Haftungsbeträge nach den auf den Kläger und den anderen Arbeitnehmer entfallenden Steuerschulden.
Der erkennende Senat stellt in ständiger Rechtsprechung in den Fällen der Geschäftsführerhaftung (§§ 69, 34 AO 1977) an die inhaltliche Bestimmtheit von Lohnsteuerhaftungsbescheiden keine strengen Anforderungen. Die Frage, inwieweit in einem derartigen Haftungsbescheid die Haftungsschuld aufgegliedert sein muß, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, wobei insbesondere auf die Kenntnis des Haftungsschuldners (Geschäftsführers) von den Besteuerungssachverhalten abzustellen ist, die im Haftungsbescheid mit einem in einer Summe ausgewiesenen Steuerbetrag zusammengefaßt werden (vgl. Urteil des Senats vom 8. März 1988 VII R 6/87, BFHE 152, 418, BStBl II 1988, 480, m. w. N.). Eine Aufgliederung des im Haftungsbescheid angeforderten Steuerbetrags auf die einzelnen Arbeitnehmer des Betriebs, den der Geschäftsführer zu leiten und zu vertreten hat, hat der Senat bisher nicht verlangt. Eine solche Aufschlüsselung wäre dem FA in der Regel auch nicht möglich, weil ihm - im Gegensatz zu dem Arbeitgeber und den für diesen handelnden Geschäftsführer, die auf die Lohnkonten zurückgreifen können - die Namen der Arbeitnehmer, deren Arbeitslöhne und die darauf entfallenden Steuerabzugsbeträge nicht bekannt sind. Grundlage des gegen den Geschäftsführer ergehenden Haftungsbescheids sind regelmäßig die monatlichen Lohnsteueranmeldungen, die keine Angaben hinsichtlich der Besteuerungsmerkmale einzelner Arbeitnehmer enthalten.
Der VI. Senat des BFH verlangt zwar für die Fälle der Arbeitgeberhaftung (§ 42 d EStG), in denen der nachgeforderte Steuerbetrag auf einer Lohnsteueraußenprüfung beruht, daß im Lohnsteuerhaftungsbescheid die auf die einzelnen Arbeitnehmer entfallenden Steuerschulden anzugeben sind, wenn dies möglich und für das FA zumutbar ist. Von dieser Aufschlüsselung kann das FA dann absehen, wenn es den Arbeitgeber als Haftenden deshalb in Anspruch nehmen darf, weil sich aufgrund der Lohnsteueraußenprüfung bei vielen Arbeitnehmern meist kleine Lohnsteuernachforderungsbeträge aufgrund von im wesentlichen gleichliegenden Sachverhalten ergeben haben (BFHE 130, 461, BStBl II 1980, 669). Wie die Revision mit Recht ausführt, kann eine derartige Aufschlüsselung des Haftungsbetrages auf die einzelnen Arbeitnehmer (Steuerschuldner) vom FA - abgesehen von den bereits vom VI. Senat genannten Ausnahmetatbeständen - nur dann verlangt werden, wenn Grundlage der Haftung nicht die vom Arbeitgeber abgegebenen Lohnsteueranmeldungen sind, sondern besondere Feststellungen des FA, die etwa aufgrund einer Lohnsteueraußenprüfung getroffen worden sind und die dem Arbeitgeber und seinem Geschäftsführer nicht ohne weiteres bekannt sind. Wird aber die angemeldete Lohnsteuer zur Grundlage der Haftung gemacht, weil sie pflichtwidrig nicht an das FA abgeführt worden ist, so ergibt sich die Aufgliederung der Steuerbeträge auf die einzelnen Arbeitnehmer des Betriebs aus den Lohnsteuerunterlagen des Arbeitgebers, die diesem und seinem Geschäftsführer leichter zugänglich sind als dem FA. Zur inhaltlichen Bestimmtheit des Haftungsbescheids bedarf es deshalb in diesen Fällen nicht der Aufgliederung der Haftungsbeträge nach den einzelnen Steuerschuldnern, da diese dem FA nicht zumutbar ist.
Im Streitfall beruht zwar der gegen den Kläger als Geschäftsführer ergangene Haftungsbescheid (§ 191 Abs. 1, §§ 69, 34 AO 1977) auch auf den Feststellungen einer bei der GmbH durchgeführten Lohnsteueraußenprüfung. Für die Lohnsteueranmeldungszeiträume Januar und Februar 1979, für die allein eine Aufgliederung der Haftungsbeträge auf mehrere (hier: zwei) Arbeitnehmer in Betracht kommt, liegen aber, wie das FG festgestellt hat (§ 118 Abs. 2 FGO), Lohnsteueranmeldungen der GmbH vor, die der Kläger (auf Weisung des Prüfers) selbst erstellt hat. Das FA hat die Steuerbeträge aus diesen Lohnsteueranmeldungen in seinen Haftungsbescheid übernommen. Da davon ausgegangen werden muß, daß die Aufschlüsselung der Haftungsbeträge auf die beiden Arbeitnehmer der GmbH dem Kläger bekannt war, weil er die Lohnsteueranmeldungen selbst erstellt hat und er selbst einer der beiden Arbeitnehmer war, konnte das FA auf die Aufgliederung nach Steuerschuldnern im Haftungsbescheid verzichten.
3. Aus den vorstehenden Ausführungen folgt, daß der gegen den Kläger ergangene Haftungsbescheid nicht aus formellen Gründen rechtsfehlerhaft ist und der Haftungsanspruch auch hinsichtlich der auf den Kläger entfallenden Lohnsteuer geltend gemacht werden kann. Da das FG insoweit von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen ist, war sein Urteil aufzuheben. Der Senat kann nicht abschließend entscheiden, weil das FG - von seinem Standpunkt aus zu Recht - keine ausreichenden Feststellungen zur Erfüllung des Haftungstatbestands (§§ 69, 34 AO 1977) und zur Ermessensausübung des FA (§ 191 Abs. 1 AO 1977) getroffen hat.
Bei seiner erneuten Entscheidung wird das FG zu beachten haben, daß eine schuldhafte Pflichtverletzung des Klägers jedenfalls von dem Zeitpunkt ab zweifelhaft erscheint, zu dem der Kläger in Untersuchungshaft genommen worden ist und er für die GmbH nicht mehr tätig werden konnte. Das FG wird auch den Einwendungen des Klägers nachgehen müssen, es sei kein Lohn mehr an ihn ausgezahlt worden. In diesem Zusammenhang werden die Bestandskraft der gegen die GmbH ergangenen Bescheide und die vom Kläger selbst bis einschließlich September 1980 nachgereichten Lohnsteueranmeldungen zu würdigen sein.
Fundstellen
Haufe-Index 62371 |
BFH/NV 1989, 549 |