Entscheidungsstichwort (Thema)
Abgrenzung der Errichtung eines einheitlichen Gebäudes von Anbaumaßnahmen und nachträglichen Herstellungskosten
Leitsatz (NV)
1. Ob Anbauten an ein bestehendes Gebäude als (eigenständiges, selbständiges) Wirtschaftsgut i. S. des § 30 Abs. 2 Satz 1 UStG 1967/73 oder als bloße Erweiterung des bestehenden Gebäudes anzusehen sind oder dazu führen, daß aufgrund der Wirkung der Anbaumaßnahmen insgesamt ein neues, durch den Anbau geprägtes Gebäude entsteht, ist anhand bautechnischer Kriterien zu beurteilen (statische Standfestigkeit der Bauteile).
Wird ein sog. Anbau zwar aufgrund eines ergänzenden Bauantrags aber in einem Zuge mit dem anderen (aufgrund eigenen Bauantrags begonnenen) Bauteil dergestalt errichtet, daß keine getrennten Fundamente und keine Brandmauern bestehen und daß die letzten Stützpunkte des Bauteils zugleich Auflager für die Dacheindeckung des sog. Anbaus sind (nebst einheitlichen Fußboden und einheitlicher Versorgung), handelt es sich um ein einheitliches Gebäude. Der sog. Anbau kann nicht aufgrund des Umstands, daß bei Trennung nur geringe Kosten anfielen, um ihm eigene Standfestigkeit zu verschaffen, als selbständiges Wirtschaftsgut beurteilt werden.
2. Nachträgliche Anschaffungs- oder Herstellungskosten führen nach § 30 Abs. 2 Satz 2 UStG 1973 nur dann zur Selbstverbrauchsteuer, wenn sie auf Wirtschaftsgüter entfallen, die bereits der Verwendung oder Nutzung zugeführt worden sind, also nicht, wenn das Gebäude erst nach Abschluß auch der ,,nachträglichen" Baumaßnahmen der Nutzung zugeführt wird.
Normenkette
UStG 1973 § 30
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) errichtete im Streitjahr 1973 eine Werkstatthalle mit Verkaufs- und Sozialräumen und führte diese nach Fertigstellung im September/Oktober 1973 einheitlich dem Anlagevermögen zu.
Für die Werkstatthalle hatte der Kläger einen Bauantrag am 29. Januar 1973 gestellt. Der Bauantrag für die Verkaufs- und Sozialräume trägt dagegen den Eingangsstempel vom 11. Mai 1973. Der genaue Eingang des Bauantrags bei der Stadt war vor dem Finanzgericht (FG) zwischen den Beteiligten streitig. Die gesamten Baumaßnahmen wurden in einem Zug von zwei Baufirmen durchgeführt und von diesen später auch einheitlich abgerechnet. Mit den Bauarbeiten für die Werkstatthalle war vor dem Einreichen des Bauantrags für die Verkaufs- und Sozialräume begonnen worden. Der Kläger hatte den Anschlußauftrag an die Baufirmen ebenfalls bereits vor dem Bauantrag für die Verkaufs- und Sozialräume erteilt; die erforderlichen Baumaterialien wurden bereits ab April 1973 geliefert. Werkstatthalle und angrenzende Verkaufs- und Sozialräume erhielten keine getrennten Fundamente. Im anstoßenden Bereich wurden jeweils eine Stütze und ein Binder für beide Bauabschnitte vorgesehen. Eine Brandmauer wurde nicht errichtet. Die letzten Stützpunkte des bereits vorhandenen Werkstattgebäudes waren zugleich Auflager für die Dacheindeckung der Werkstatthalle und der Verkaufs- und Sozialräume. Betonsohle und Fußboden wurden durchgehend für Werkstatthalle und Verkaufs- und Sozialräume erstellt. Je eine Versorgungsleitung für Gas, Strom und Wasser versorgten Werkstatthalle und Verkaufs- und Sozialräume.
Nach einer Außenprüfung unterwarf der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) u. a. die Zuführung der Verkaufs- und Sozialräume der Selbstverbrauchsteuer.
Dagegen wandte der Kläger ein, Werkstatthalle und Verkaufs- und Sozialräume seien als einheitliches Wirtschaftsgut anzusehen. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.
Nach einer Beweisaufnahme kam das FG zu der Überzeugung, der Kläger habe nicht nachgewiesen, daß der Bauantrag für die Verkaufs- und Sozialräume (mit dem Eingangsstempel vom 11. Mai 1973) vor dem 9. Mai 1973 bei der Stadt gestellt worden sei. Es sei vielmehr davon auszugehen, daß der Bauantrag am 9. Mai 1973 abgegeben worden sei und damit in der Zeit, in der daran die Selbstverbrauchsteuer geknüpft gewesen sei.
Das FG ließ offen, ob die Selbstverbrauchsteuer ,,wegen § 30 Abs. 2 Satz 2 UStG" 1973 ohne weitere Prüfung zu erheben gewesen sei; es beurteilte die Verkaufs- und Sozialräume als selbständiges Wirtschaftsgut. Unter Hinweis auf die Urteile des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 18. August 1977 V R 164/75 (BFHE 123, 165, BStBl II 1978, 46), vom 21. Juli 1977 V R 58/75 (BFHE 123, 527, BStBl II 1978, 78) und vom 15. September 1977 V R 14/76 (BFHE 123, 531, BStBl II 1978, 123) verneinte es eine bauliche Verschachtelung mit der Werkstatthalle. Zwar müßten bei einer Trennung der Verkaufs- und Sozialräume von der Werkstatthalle, um die Standfestigkeit der Verkaufs- und Sozialräume in statischer Hinsicht zu gewährleisten, entweder eine Binderreihe mit Fundamenten und Außenverkleidung erstellt oder eine 24 cm starke Wand einschließlich der Streifenfundamente als Dachauflager hochgezogen werden. Die im Fall der Trennung erforderlichen Baumaßnahmen sah das FG aber als nicht erheblich an. Das FG bestätigte damit die Festsetzung der Selbstverbrauchsteuer aufgrund der Tatbestandsmerkmale des § 30 Abs. 2 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1973.
Mit der Revision rügt der Kläger unrichtige Anwendung des § 30 UStG 1973.
Er trägt im wesentlichen vor: Zwar sei die Würdigung des FG, der Bauantrag für die Verkaufs- und Sozialräume sei erst am 9. Mai 1973 gestellt worden, revisionsrechtlich nicht angreifbar. Unzutreffend sei aber die Annahme des FG, die Voraussetzungen des § 30 Abs. 2 UStG 1973 seien erfüllt. Das gesamte Betriebsgebäude (Werkstatthalle, Verkaufs- und Sozialräume) sei ein einheitliches, unteilbares Wirtschaftsgut. Die einzelnen Räume seien keine Wirtschaftsgüter i. S. des § 30 Abs. 2 UStG 1973. Das FG habe die Verschachtelung der Bauteile zu Unrecht verneint. Der Begriff eines Anbaues bzw. der Erweiterung eines Gebäudes setze ein vorhandenes Gebäude voraus. Das sei hier - bei der in einem Zug durchgeführten Gesamtbaumaßnahme - schon begrifflich ausgeschlossen.
Auch wenn das FG die Verkaufs- und Sozialräume als selbst standfest und nicht baulich mit dem anderen Gebäudeteil verschachtelt würdige (i. S. des § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO - bindend), gehöre die Beurteilung als selbständiges Wirtschaftsgut oder als nachträgliche Herstellungskosten zur Rechtsanwendung, nämlich zur Anwendung dieser steuerrechtlichen Begriffe. Diese Rechtsanwendung sei unzutreffend.
Steuerbare nachträgliche Herstellungskosten schieden aus, weil sie nicht zu einem Wirtschaftsgut, das ,,bereits der Verwendung oder Nutzung zugeführt worden" sei, angefallen seien.
Auch von einem abschnittsweise realisierten Bauvorhaben, bei dem jeweils ein gesondert bewertbarer Gebäudeteil dem Anlagevermögen zugeführt werde, könne hier keine Rede sein. Das Gebäude sei in einem Zug errichtet und der Nutzung zugeführt worden.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet.
1. Die Annahme des FG, die angebauten Verkaufs- und Sozialräume seien ein selbständiges Wirtschaftsgut i. S. des § 30 Abs. 2 Satz 1 UStG 1973, das aufgrund von § 27 Abs. 15 Sätze 1 und 5 UStG 1973 der Selbstverbrauchsteuer unterliege, ist durch § 30 Abs. 2 UStG 1973 nicht gedeckt.
Nach § 30 Abs. 2 Satz 1 UStG 1973 liegt Selbstverbrauch vor, wenn ein Unternehmer abnutzbare körperliche Wirtschaftsgüter . . . im Inland der Verwendung oder Nutzung als Anlagevermögen zuführt. Nach Satz 2 der Vorschrift ist Satz 1 für nachträgliche Anschaffungs- oder Herstellungskosten bei Wirtschaftsgütern der in Satz 1 bezeichneten Art sinngemäß anzuwenden.
Ob Anbauten an ein bestehendes Gebäude als (eigenständiges, selbständiges) Wirtschaftsgut i. S. des § 30 Abs. 2 Satz 1 UStG 1967/73 oder als bloße Erweiterung des bestehenden Gebäudes (also eines anderen Wirtschaftsguts) anzusehen sind oder dazu führen, daß aufgrund der Wirkung der Anbaumaßnahmen insgesamt ein neues (durch den Anbau geprägtes) Gebäude bzw. Wirtschaftsgut entsteht, hat der BFH in der bisherigen Rechtsprechung anhand bautechnischer Kriterien beurteilt. Als entscheidend wurden die statische Standfestigkeit der Bauteile und die dazu getroffenen Baumaßnahmen angesehen - wie z. B. eigene, tragende Mauern und eigene Fundamente - (vgl. BFHE 123, 531, BStBl II 1978, 123, und Urteile vom 9. August 1974 V R 11/74, BFHE 114, 569, BStBl II 1975, 342, und vom 5. Dezember 1974 V R 30/74, BFHE 114, 295, BStBl II 1975, 344).
Das FG hat festgestellt, daß für die Verkaufs- und Sozialräume keine getrennten Fundamente und keine Brandmauern errichtet wurden, daß im sog. anstoßenden Bereich die letzten Stützpunkte des Werkstattgebäudes zugleich Auflager für die Dacheindeckung von Werkstatt sowie Verkaufs- und Sozialräumen waren, wobei jeweils eine Stütze und ein Binder für beide Bauabschnitte vorgesehen waren. Ferner waren der Fußboden einheitlich und die Versorgung gemeinschaftlich.
Die Rechtsfolge dieser tatsächlichen Feststellungen kann nach der vorbezeichneten BFH-Rechtsprechung - entgegen dem FG-Urteil - nicht die Annahme eines selbständigen Wirtschaftsguts (Anbau) sein. Bei fehlender Verschachtelung scheiden die Kosten für Bauaufwendungen, die erforderlich sind, um im Fall der Trennung der Gebäudeteile den Anbau standfest zu machen, als maßgebliches Kriterium für ein selbständiges Wirtschaftsgut aus. Das ist keine Frage der tatsächlichen Würdigung. Das FG hat vielmehr die Abgrenzungskriterien fehlerhaft angewendet.
2. Ob es sich bei den Baumaßnahmen des Klägers um die unmittelbar zusammenhängende Herstellung eines einheitlichen Wirtschaftsguts (des Gebäudes aufgrund des Bauantrags vom 29. Januar 1973 mit Ergänzungsantrag vom 9. Mai 1973) handelte oder um sog. nachträgliche Herstellungskosten i. S. von § 30 Abs. 2 Satz 2 UStG 1973, kann offenbleiben. Auch in letzterem Fall scheidet Steuerbarkeit aus.
Nachträgliche Herstellungskosten i. S. des § 30 Abs. 2 Satz 2 UStG 1973 kommen nach den maßgeblichen ertragsteuerrechtlichen Grundsätzen (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 15. September 1977 V R 81/76, BFHE 123, 214, BStBl II 1977, 887) in Betracht, wenn zu einem Wirtschaftsgut neue Teile hinzugefügt werden, also nicht mehr bereits vorhandene Teile erneuert werden (vgl. BFH-Urteil vom 13. Dezember 1984 VIII R 273/81, BFHE 143, 238, BStBl II 1985, 394; Schmidt / Glanegger, Einkommensteuergesetz, 8. Aufl., 1989, § 6 Anm. 43b).
Zwar wurde mit § 30 Abs. 2 Satz 2 UStG 1973 der Selbstverbrauchsteuertatbestand um die nachträglichen Anschaffungs- oder Herstellungskosten erweitert, um grundsätzlich alle Investitionen zu erfassen (vgl. Bericht des Finanzausschusses zum Entwurf des Steueränderungsgesetzes 1973, BTDrucks 7/592, unter II., zu § 1 Nr. 12). Nach § 27 Abs. 15 Satz 4 UStG 1973 erfaßt die Selbstverbrauchsteuer aber nur nachträgliche Anschaffungs- oder Herstellungskosten ,,bei Wirtschaftsgütern, die bereits der Verwendung oder Nutzung zugeführt worden sind" (wenn diese Anschaffungs- oder Herstellungskosten nicht vor dem 9. Mai 1973 bewirkt worden sind - wofür bei Baumaßnahmen auf einen ggf. erforderlichen Antrag auf Baugenehmigung gemäß § 27 Abs. 15 Satz 5 UStG 1973 abzustellen ist - vgl. Tz. 62 des Einführungsschreibens zu § 30 UStG 1973, Schreiben des Bundesministers der Finanzen vom 28. Dezember 1973, BStBl I 1974, 16). Da nach den Feststellungen des FG die Werkstatthalle, der die Aufwendungen für die Verkaufs- und Sozialräume allein als nachträgliche Herstellungskosten zugeordnet werden könnten, nicht bereits der Nutzung zugeführt worden war, als der Bauantrag für den Anbau gestellt wurde, scheidet hier die Steuerbarkeit des Anbaus auch unter der Voraussetzung nachträglicher Herstellungskosten aus.
3. Das mit den wiedergegebenen Rechtsgrundsätzen zu § 30 Abs. 2 UStG 1973 nicht übereinstimmende FG-Urteil war aufzuheben. Der Senat konnte die spruchreife Sache selbst entscheiden. Unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung war die Umsatzsteuer 1973 wie beantragt um 19 250 DM herabzusetzen.
Fundstellen