Entscheidungsstichwort (Thema)
Errichtung und Vermietung einer Arztpraxis durch die Ehefrau des Arztes
Leitsatz (NV)
1. Der Anwendungsbereich des § 42 AO 1977 beginnt erst dort, wo die Auslegungsmöglichkeit der Steuerrechtsnorm endet.
2. Es ist zur Beurteilung der Unternehmereigenschaft der Ehefrau eines Arztes, die Praxisräume errichtet und ihrem Ehemann vermietet, z. B. zu ermitteln, ob die Ehefrau die Zahlung von Mietentgelt erwartet hat, wenn sie die Baukosten nur mit einem dem Ehemann gewährten Kredit bezahlen konnte, wenn der Ehemann die Kreditzinsen zahlte und die Darlehensrückzahlung durch Abschluß einer Lebensversicherung sichergestellt hatte und wenn zwischen den Ehegatten keine Vereinbarungen über Zins- und Rückzahlungen des für die Bezahlung der Baukosten überlassenen Kapitals getroffen worden waren.
Normenkette
UStG 1980 § 15 Abs. 1 Nr. 1; AO 1977 § 42
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) begehrt den Abzug von Vorsteuerbeträgen aus Rechnungen über Bauleistungen zur Herstellung von Räumen für eine Arztpraxis, die sie an ihren Ehemann vermietet hat, der darin beruflich tätig ist.
Sie erwarb mit notariellem Kaufvertrag vom . . . 1977 einen Miteigentumsanteil an dem Hausgrundstück . . .straße . . . in A, das mit dem Sondereigentum (Teileigentum) an nicht Wohnzwecken dienenden Räumen verbunden war. In derselben notariellen Urkunde errichtete sie mit der Verkäuferin eine nach außen nicht tätige Bauherrengemeinschaft zur Herstellung von Eigentumswohnungen und von Teileigentum in dem auszubauenden Gebäude. Ebenfalls am . . . 1977 beauftragte sie den Generalunternehmer mit der Herstellung von Praxisräumen in dem zu sanierenden Gebäude auf dem bezeichneten Grundstück.
Die Klägerin verfügte über kein Einkommen. Ihr Ehemann übernahm ebenfalls in der bezeichneten Urkunde vom . . . 1977 die unbefristete selbstschuldnerische Bürgschaft für die Erfüllung der Verbindlichkeiten der Klägerin aus dem Bauerrichtungsvertrag und aus Vereinbarungen mit dem Architekten zur anteiligen Zahlung der Architekten-, Planungs- und Baugenehmigungskosten.
Zur Finanzierung der Kosten für die Herstellung der Praxisräume und für die Praxisausstattung nahm er ein Darlehen von . . . DM bei einer Bank auf. Die Bank schrieb den Darlehensbetrag nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) dem Baukonto der Klägerin gut. Davon wurden die Kosten für die Herstellung der Praxisräume abgebucht. Die vierteljährlich fälligen Zinsen für das Darlehen wurden dem Girokonto des Ehemannes der Klägerin belastet. Die Rückzahlung des Darlehens sollte 1990 aus dem an die Bank abgetretenen Anspruch aus einer Lebensversicherung des Ehemannes der Klägerin in einer Summe erfolgen. Weitere Sicherheit erhielt die Bank durch Verpfändung einer Spareinlage des Ehemannes, durch Sicherungsübereignung des Praxisinventars und durch Abtretung von zwei Grundschulden über je . . . DM, mit denen das Sondereigentum der Klägerin an den bezeichneten Grundstücken belastet war.
Die Klägerin vermietete die Praxisräume mit einer Nutzfläche von 140 qm auf zehn Jahre zu einer monatlichen Miete von . . . DM an ihren Ehemann. Der Mietvertrag verlängerte sich jeweils um ein Jahr, wenn er nicht fristgemäß zum Ende eines Kalenderjahres gekündigt wurde. Nach § 5 des schriftlichen Mietvertrages verpflichtete sich der Ehemann außerdem, ,,alle Kosten zu tragen, die ursächlich mit dem Mietobjekt in Verbindung stehen".
Die Klägerin optierte für die Steuerpflicht der Mietumsätze und für die Regelbesteuerung und machte in der Umsatzsteuererklärung für 1978 Vorsteuerbeträge von . . . DM aus Herstellungskosten für die Praxisräume geltend. Unter Berücksichtigung eines erklärten Mietumsatzes von . . . DM betrug die erklärte negative Umsatzsteuerschuld für 1978 25 399,02 DM. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) erkannte die Vermietung wegen Gestaltungsmißbrauchs nicht an.
Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das FG, dessen Urteil in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1985, 637 veröffentlicht worden ist, führte zur Begründung der Klageabweisung u. a. aus, die Klägerin sei nicht Unternehmer, weil die Vermietung der Praxisräume wegen Gestaltungsmißbrauchs nicht anzuerkennen sei.
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts durch unzutreffende Anwendung der § 2 Abs. 1, § 15 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1973, § 42 der Abgabenordnung (AO 1977).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist begründet. Das angefochtene Urteil war aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Das FG durfte seine Entscheidung nicht auf § 42 AO 1977 stützen, ohne den tatsächlichen und rechtlich gegebenen Lebenssachverhalt vollständig zu ermitteln und die Anwendung der im Streitfall entscheidungserheblichen Vorschriften (§ 15 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 4 Nr. 12 a, § 9 Satz 1 UStG 1973) zu prüfen. § 42 AO 1977 befreit nicht von der Ermittlung des Sachverhalts und der Prüfung, welche Rechtsfolge das Gesetz dafür bestimmt. § 42 AO 1977 darf erst angewendet werden, wenn sich die durch die Auslegung des Gesetzes und die durch die Subsumtion des Sachverhalts ermittelte Rechtsfolge in Anbetracht der rechtlichen Gestaltung des Sachverhalts - gemessen an dem Gesetzeszweck - als Umgehung des Steuergesetzes darstellt (vgl. dazu Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 19. Mai 1988 V R 115/83, BFHE 154, 173, BStBl II 1988, 916 unter II. 1., und vom 26. November 1987 V R 29/83, BFHE 152, 170, BStBl II 1988, 387 unter 1. a). Der Anwendungsbereich des § 42 AO 1977 beginnt erst dort, wo die Auslegungsmöglichkeit der Steuerrechtsnorm endet (vgl. Urteile des BFH vom 6. Oktober 1976 II R 131/74, BFHE 120, 557, BStBl II 1977, 253; vom 20. November 1982 II R 38/78, BFHE 138, 97, BStBl II 1983, 429; Offerhaus in Hübschmann /Hepp / Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 42 AO 1977 Anm. 6, 14).
Danach hätte das FG zunächst prüfen müssen, ob der von der Klägerin begehrte Vorsteuerabzug schon deshalb nicht gegeben ist, weil die Voraussetzungen dafür nach dem vorhandenen Sachverhalt nicht vorliegen. Erst in einer zweiten Stufe (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 13. Juli 1989 V R 8/86, BFHE 158, 166, BStBl II 1990, 100) wäre zu prüfen gewesen, ob die ermittelte bürgerlich-rechtliche Gestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen der Klägerin und ihrem Ehemann ggf. als Mißbrauch i. S. von § 42 AO 1977 beurteilt werden könnte.
2. Die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz reichen nicht aus, um zu entscheiden, ob im Streitfall die Voraussetzungen für den begehrten Vorsteuerabzug vorliegen.
Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1973 ist Voraussetzung des Vorsteuerabzugs (neben anderen, hier nicht einschlägigen Voraussetzungen), daß an den Unternehmer Lieferungen oder sonstige Leistungen für sein Unternehmen ausgeführt worden sind.
Nach den Feststellungen des FG war die Klägerin Miteigentümerin des Grundstücks und Auftraggeberin der Bauleistungen. Ob ihr Ehemann als wirtschaftlicher Eigentümer (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977) der Praxisräume angesehen und abweichend von den schriftlichen Vereinbarungen als Empfänger der Bauleistungen beurteilt werden müßte, hat das FG nicht ermittelt und nicht entschieden (vgl. dazu BFH-Urteil vom 7. Mai 1987 V R 85/77, BFH / NV 1988, 53, Umsatzsteuer-Rundschau - UR - 1988, 124).
Die vorhandenen Feststellungen lassen auch keine Entscheidung zu, ob die Klägerin etwa von ihr bezogene Bauleistungen als Unternehmer für ihr Unternehmen empfangen hat (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG 1973). Unternehmer i. S. von § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG 1973 war sie nur, wenn sie nachhaltig eine auf Entgelt gerichtete Tätigkeit i. S. von § 2 Abs. 1 Sätze 1, 3 i. V. m. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1973 ausgeführt hat (vgl. BFH in BFHE 154, 173, BStBl II 1988, 916, m. w. N.).
Ob die Klägerin danach Umsätze durch entgeltliche Vermietung der Praxisräume an ihren Ehemann entsprechend dem schriftlichen Mietvertrag ausgeführt hat, ist im einzelnen nicht festgestellt worden. Es ist möglich, daß die schriftliche Vereinbarung auch tatsächlich durchgeführt worden ist. Da das FG aber auch festgestellt hat, daß die Klägerin zur Bezahlung der Baukosten für die Praxisräume nicht in der Lage war, daß die Baukosten mit einem dem Ehemann gewährten Baukredit bezahlt worden sind, daß dieser die Kreditzinsen leistete und die Rückzahlung durch Abschluß einer Lebensversicherung sichergestellt hatte, daß zwischen den Ehegatten keine Vereinbarung über Zins- oder Rückzahlungen des für die Bezahlung der Baukosten überlassenen Kapitals getroffen worden war und daß sich der Ehemann in dem Mietvertrag verpflichtet hatte, alle ursächlich mit dem Mietobjekt verbundenen Kosten zu tragen, ist es nicht ausgeschlossen, daß die Klägerin die Zahlung von Mietentgelt durch ihren Ehemann nicht erwartet und möglicherweise auch nicht erhalten hatte.
3. Erst wenn die nachzuholenden Feststellungen die Beurteilung rechtfertigen sollten, daß die Klägerin die ihr berechneten Steuern als Vorsteuerbeträge abziehen kann, ist das FG berechtigt zu prüfen, ob durch Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts das Steuergesetz umgangen worden ist (§ 42 AO 1977).
Fundstellen
Haufe-Index 417029 |
BFH/NV 1990, 812 |