Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Umsatzsteuerbefreiung für Medizinphysiker
Leitsatz (NV)
Ein Medizinphysiker übt keine einem der in § 4 Nr. 14 UStG 1980 genannten Berufe ähnliche Tätigkeit aus.
Normenkette
UStG 1980 § 4 Nr. 14
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist promovierter Physiker mit einer Zusatzausbildung zum Erwerb der Fachkunde eines Strahlenschutzbeauftragten. Er war im Streitjahr (1981) als Medizinphysiker sowie als Strahlenschutzbeauftragter einer Universität für den physikalisch-technischen Bereich nichtselbständig tätig. Daneben übt er seit Juli 1981 selbständig eine beratende Tätigkeit bei Krankenhäusern und Arztpraxen mit radiotherapeutischer Ausrichtung aus. Seine Aufgaben sind einerseits die vorgeschriebene turnusmäßige Vermessung radiologischer Geräte und andererseits die Beratung und Untersützung des jeweiligen Arztes im Rahmen der Bestrahlungsplanung.
In seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr erklärte er 1982 gegenüber dem seinerzeit zuständigen Finanzamt X u. a. die Einkünfte aus dieser selbständigen Tätigkeit als Einkünfte "aus wissenschaftlicher Nebentätigkeit als beratender Medizinphysiker". Eine Umsatzsteuererklärung gab er nicht ab. Zur Umsatzsteuer wurde er erst durch Bescheid vom 13. Dezember 1988 veranlagt, nachdem der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) für die Besteuerung des Klägers zuständig geworden war. Der Kläger berief sich demgegenüber darauf, eine "ähnliche heilberufliche Tätigkeit" i. S. des § 4 Nr. 14 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 auszuüben und deshalb von der Umsatzsteuerpflicht befreit zu sein.
Einspruch und Klage blieben erfolglos. In seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 1993, 686 wiedergegebenen Urteil führt das Finanzgericht (FG) u. a. aus, daß ein Medizinphysiker ungeachtet der besonderen Qualifikation, die dieser Beruf voraussetze, keinen Heilberuf i. S. des § 4 Nr. 14 UStG 1980 ausübe und diese Tätigkeit einer heilberuflichen Tätigkeit auch nicht ähnlich sei.
Der Kläger stützt seine Revision auf Verletzung materiellen Rechts.
Der Kläger beantragt, das Urteil des FG und den Umsatzsteuerbescheid 1981 in Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. Nach § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG 1980 sind u. a. die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Krankengymnast, Hebamme oder aus einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes steuerfrei. Der Senat hält die Auffassung des FG, ein Medizinphysiker übe keine den in § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG genannten Berufen ähnliche heilberufliche Tätigkeit aus, für richtig.
a) Ein Beruf ist einem Katalogberuf ähnlich, wenn er in wesentlichen Punkten mit ihm verglichen werden kann. Das ist der Fall, wenn das typische Bild des Katalogberufs mit allen seinen wesentlichen Merkmalen dem Gesamtbild des zu beurteilenden Berufs vergleichbar ist. Dazu gehört sowohl die Vergleichbarkeit der jeweils ausgeübten Tätigkeit nach den sie charakterisierenden Merkmalen als auch die Vergleichbarkeit der Ausbildung und der Be dingungen, an die das Gesetz die Ausübung des zu vergleichenden Berufs knüpft (ständige Rechtsprechung; vgl. Bundesfinanzhof -- BFH --, Urteile vom 1. September 1988 V R 195/83, BFH/NV 1989, 201; vom 21. Juni 1990 V R 97/84, BFHE 161, 196, BStBl II 1990, 804, und vom 26. August 1993 V R 45/89, BFHE 172, 223, BStBl II 1993, 887, jeweils m. w. N.).
b) Der Senat hält an dieser Rechtsprechung fest. Nach den dargelegten rechtlichen Anforderungen ist der Beruf des Medizinphysikers mit keinem der im Ge setz genannten Berufe vergleichbar.
aa) Das FG ist davon ausgegangen, daß der Medizinphysiker keinen Heil-, sondern allenfalls einen Heilhilfsberuf ausübe (vgl. zu den Abgrenzungskriterien Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 25. Juni 1970 I C 53/66, BVerwGE 35, 308). Seiner Tätigkeit fehle insbesondere die -- für eine ärztliche Tätigkeit erforderliche und diese kennzeichnende -- eigenverantwortliche und unmittelbare Einwirkung auf den Körper oder die Gesundheit des kranken Menschen. Vielmehr ergänze der Medizinphysiker aufgrund seiner besonderen Fachkenntnisse auf dem Gebiet der Strahlenkunde die eigentliche Behandlung durch den Arzt und werde unter dessen Gesamtverantwortung tätig.
Träfe diese Ansicht zu, kämen als Vergleichsberufe (lediglich) die in § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG 1980 genannten Heilhilfsberufe des Krankengymnasten und der Hebamme in Betracht. Nach der ausgeübten Tätigkeit wäre der Beruf des Medizinphysikers mit diesen Berufen aber in keinem einzigen Tätigkeitsmerkmal vergleichbar.
bb) Der Senat braucht darauf nicht weiter einzugehen. Denn unabhängig davon gehört zu dem maßgeblichen typischen Gesamtbild der in § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG 1980 genannten Katalogberufen nicht nur die jeweils ausgeübte Tätigkeit als solche; es wird durch alle Berufsmerkmale geprägt. Zu diesen Berufsmerkmalen zählt nach ständiger Rechtsprechung des BFH bei Heilberufen auch, daß deren Ausübung einer staatlichen Erlaubnis bedarf und der Überwachung durch die Gesundheitsämter unterliegt, ggf. auch durch die Krankenkasse zugelassen ist (vgl. BFH-Urteile vom 6. Juni 1973 V R 88/72, BFHE 110, 66; vom 30. Januar 1975 V R 102/74, BFHE 115, 292, BStBl II 1975, 523; vom 25. März 1977 V R 144/74, BFHE 122, 181, BStBl II 1977, 579; in BFHE 161, 196, BStBl II 1990, 804; Beschluß vom 1. September 1992 V B 69/92, BFH/NV 1993, 334; s. auch Urteile vom 14. März 1975 IV R 207/72, BFHE 115, 265, BStBl II 1975, 576; vom 7. Juli 1976 I R 218/74, BFHE 119, 274, BStBl II 1976, 621). Der Beruf des Medizinphysikers erfüllte diese Voraussetzungen zumindest im Streitjahr nicht. Soweit es sich im Lande Berlin seit 1987 durch das Gesetz über die Führung der Berufsbezeichnung Medizinphysiker/Medizinphysikerin vom 26. November 1987 (GVBl 1987, 2673) anders verhält, kann es hierauf für den hier zu beurteilenden Zeitraum im Lande Nordrhein-Westfalen nicht ankommen. Ebensowenig kann der Kläger sich in seinem besonderen Fall darauf berufen, daß er eine Zusatzausbildung absolviert hat, um die nach der Verordnung über den Schutz vor Schäden durch ionisierende Strahlen (Strahlenschutzverordnung -- StrlSchVO --) vom 13. Oktober 1976 (BGBl I 1976, 2905) und der zu deren Durchführung vom Bundes minister des Innern erlassenen Richtlinie für den Strahlenschutz bei Verwendung radioaktiver Stoffe und beim Betrieb von Anlagen zur Erzeugung ionisierender Strahlen und Bestrahlungseinrichtungen mit radioaktiven Quellen in der Medizin (Richtlinie Strahlenschutz in der Medizin) vom 18. Oktober 1979 (Gemeinsames Ministerialblatt 1979, 638) für einen Strahlenschutzbeauftragten erforderliche Fachkunde zu erwerben, und dementsprechend als Strahlenschutzbeauftragter für den physikalisch-technischen Bereich einer Universität tätig war. Der Strahlenschutzbeauftragte hat -- unter der Leitung und Beaufsichtigung des Strahlenschutzverantwortlichen (vgl. § 29 Abs. 2 StrlSchVO) -- insbesondere dafür zu sorgen, daß die Strahlenschutzgrundsätze eingehalten werden (vgl. § 31 Abs. 2 StrlSchVO). Die genannten Regelungswerke dienen mithin gewerbeaufsichts-, arbeits- und strahlenschutzrechtlichen Zwecken. Sie stellen aber keine gesetzlichen Zulassungsvoraussetzungen für den Beruf des Medizinphysikers dar und können solche auch nicht ersetzen.
cc) Den gegen die Heranziehung der Berufszulassung und -aufsicht als maßgebliche Entscheidungskriterien vorgebrachten Einwänden des Klägers ist nicht beizupflichten.
Wie der BFH bereits in seinem Urteil in BFHE 161, 196, BStBl II 1990, 804 dargelegt hat, reicht es für die Annahme der Ähnlichkeit der Heilberufe gemäß § 4 Nr. 14 UStG 1980 nicht aus, daß die zu beurteilende tatsächliche Tätigkeit als Ausübung der Heilkunde qualifiziert werden kann. Vielmehr bedarf es der Vergleichbarkeit der entsprechenden Heilberufe. Ein "ähnlicher Beruf" muß in wesentlichen Punkten einem der im Gesetz genannten Berufe entsprechen. Eines der wesentlichen Merkmale eines Berufs ist aber die Regelung der Berufserlaubnis und -aufsicht. Diese Regelungen dienen im Rahmen des § 4 Nr. 14 UStG 1980 dem Zweck, die Qualität einer medizinischen Behandlung zu gewährleisten. Ein Beruf kann dem im Gesetz genannten Beruf nur ähnlich sein, wenn er auch dieses prägende Merkmal aufweist. Die gesetzliche Regelung hat zur Folge, daß neue medizinische Berufe erst in den Genuß der Umsatzsteuerbefreiung gelangen, wenn der Gesetzgeber sie entweder in den Katalog des § 4 Nr. 14 UStG 1980 aufnimmt oder ihnen durch eine Berufsregelung die Ähnlichkeit mit den Katalogberufen gibt. Die Gerichte sind an diese gesetzlichen Vorgaben gebunden und nicht befugt, die Steuerbefreiung auf andere Steuerpflichtige zu erstrecken, wenn die Ähnlichkeit der Berufe verneint werden muß. Um Wiederholungen zu vermeiden, wird insoweit auf das erwähnte BFH-Urteil in BFHE 161, 196, BStBl II 1990, 804 Bezug genommen, dem der Senat folgt.
2. Der Kläger beruft sich des weiteren vergeblich auf den Umstand, daß nach § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG 1980 auch die Tätigkeit des klinischen Chemikers steuerbefreit ist. Die Ausdehnung der Steuerbefreiung auf die Umsätze aus dieser Tätigkeit durch das Umsatzsteuergesetz 1980 ist darauf zurückzuführen, daß die unterschiedliche umsatzsteuerliche Behandlung des Laborarztes einerseits und des klinischen Chemikers andererseits als gleichheitswidrig angesehen wurde (vgl. BTDrucks 8/2827, S. 73). Die gesetzliche Regelung war in Anbetracht dessen erforderlich, weil der klinische Chemiker nicht zu den Heil- und Heilhilfsberufen gehört und es deshalb nicht möglich gewesen wäre, ihm die Steuerbefreiung zu gewähren (vgl. zu der früheren Rechtslage nach dem Umsatzsteuergesetz 1967/1973 BFH-Urteil in BFHE 122, 181, BStBl II 1977, 579; Plückebaum/Malitzky, Umsatzsteuergesetz -- Mehrwertsteuer --, Kommentar, 10. Aufl., § 4 Nr. 14 Rdnr. 13 und 16). Anders als bei den diagnostischen Tätigkeiten des Laborarztes und des klinischen Chemikers, bei denen ein wesentlicher Unterschied nicht besteht, läßt sich die Tätigkeit des Medizinphysikers aber mit keiner ärztlichen oder sonstigen heilberuflichen Tätigkeit vergleichen. Eine Un gleichbehandlung gleichartiger Sachverhalte und damit ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes ist deshalb nicht gegeben. Sie besteht aber auch nicht im Vergleich des klinischen Chemikers zu dem Medizinphysiker. Die Einbeziehung des klinischen Chemikers in die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 UStG 1980 beruht, wie dargestellt, auf der besonderen Vergleichbarkeit dieses Berufs mit Laborärzten. Eine allgemeine Begünstigung von Angehörigen naturwissenschaftlicher Disziplinen, die gänzlich unterschiedliche Leistungen erbringen und die nicht zueinander in Wettbewerb stehen (vgl. dazu Bundesverfassungsgericht, Beschluß vom 26. Oktober 1976 1 BvR 191/74, BVerfGE 43, 58), ist damit jedoch nicht verbunden; für eine Ausdehnung der Steuerbefreiung auch auf Medizinphysiker gibt es sonach keinen Anlaß.
3. Der Kläger ist schließlich zu Unrecht der Auffassung, die Fristen zur Festsetzung der Umsatzsteuer für das Streitjahr seien beim Erlaß des angefochtenen Steuerbescheides abgelaufen gewesen.
Gemäß § 169 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) ist eine Steuerfestsetzung unzulässig, wenn die -- im Streitfall vierjährige (vgl. § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO 1977) -- Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Die Festsetzungsfrist beginnt im Regelfall gemäß § 170 Abs. 1 AO 1977 mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist. Abweichend hiervon beginnt die Festsetzungsfrist jedoch nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 in den Fällen, in denen auf Grund gesetzlicher Vorschrift u. a. eine Steuererklärung einzureichen ist, mit dem Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuererklärung eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist. Die Frist für die Festsetzung der Umsatzsteuer 1981 begann hiernach im Streitfall, weil der Kläger trotz gesetzlicher Verpflichtung (vgl. § 18 UStG 1980) keine entsprechende Steuererklärung eingereicht hat, mit Ablauf des Jahres 1984 (vgl. § 13 UStG 1980) und endete mit Ablauf des Jahres 1988. Der angefochtene Steuerbescheid vom 13. Dezember 1988 konnte noch ergehen.
Dem steht nicht entgegen, daß das seinerzeit für die Besteuerung des Klägers zuständige Finanzamt bereits im Jahre 1982 Kenntnis von dessen Tätigkeit als Medizinphysiker besaß, diesen aber gleichwohl nicht zur Abgabe einer Umsatzsteuererklärung aufgefordert hatte. Die in § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 bestimmte Anlaufhemmung der Fristen ist allein davon abhängig, ob der Steuerpflichtige aufgrund gesetzlicher Vorschrift zur Abgabe einer Steuererklärung verpflichtet ist.
Weitere Einschränkungen und Vorbehalte enthält das Gesetz nicht. Die Anlaufhemmung ist insbesondere unabhängig vom Verhalten der Finanzbehörde (vgl. auch BFH- Urteil vom 17. Februar 1993 II R 83/90, BFHE 170, 305, BStBl II 1993, 580). Es besteht deshalb keine Veranlassung, die Regelung einschränkend auszulegen.
Ob sich eine andere, dem Kläger günstige Entscheidung für den Fall ergeben könnte, daß das Finanzamt ihm verbindlich zugesagt hätte, nicht umsatzsteuerpflichtig zu sein, kann dahinstehen. Der Kläger macht eine derartige verbindliche Zusage nicht geltend. Soweit er sich auf eine "Auskunft" ihm gegenüber beruft, braucht dem nicht weiter nachgegangen zu werden, da einer solchen Auskunft jedenfalls keine Bindungswirkung zugekommen wäre.
Fundstellen
Haufe-Index 420258 |
BFH/NV 1995, 647 |