Leitsatz (amtlich)
1. Benutzt ein Angehöriger des öffentlichen Dienstes auf einer Dienstreise seinen eigenen Kraftwagen, so kann er die dadurch entstehenden Kosten abzüglich der ihm von seiner Behörde ersetzten Fahrtkosten als Werbungskosten geltend machen, sofern ihm der Dienstherr die Benutzung des Wagens nicht untersagt hatte. - Der Senat hält insoweit an der entgegenstehenden Rechtsprechung des RFH und des BFH wegen der inzwischen eingetretenen Änderung der Verhältnisse nicht fest.
2. Die Kraftfahrzeugkosten können in allen Fällen bis zum Satz von 0,25 DM je Kilometer ohne Einzelnachweis als Werbungskosten anerkannt werden.
Normenkette
StAnpG § 1; EStG §§ 9, 9a; LStDV 1959/1962 § 20 Abs. 2 S. 2; LStR 1960 Abschn. 21 Abs. 5, 9
Tatbestand
Der Stpfl. war in den Jahren 1961 und 1962 Betriebsprüfer der Finanzverwaltung. Er fuhr zu den bis zu 120 km entfernten Prüfungsorten mit seinem eigenen Kraftwagen. Er erhielt für die angeordneten Dienstreisen Kostenersatz nach den Bestimmungen des Reisekostengesetzes. Seine Behörde ersetzte ihm 0,16 DM je Kilometer, soweit sie ihm die Benutzung des Pkw ausdrücklich gestattet hatte; im übrigen erstattete sie die vergleichbaren Kosten für die Benutzung der Bundesbahn I. Klasse.
Der Stpfl. machte im Lohnsteuerjahresausgleich 1961 und 1962 den Unterschied zwischen den Kraftfahrzeugkosten, die er mit 0,25 DM je Fahrtkilometer geschätzt hatte, und dem gewährten Fahrtkostenersatz als Werbungskosten nach folgender Berechnung geltend:
Dienstliche Kraftfahr- Fahrtkosten- Werbungs-
Fahrtkilometer zeugkosten ersatz kosten
1961 6 004 km 1 501 DM 612,20 DM = 888,80 DM
1962 5 712 km 1 428 DM 726,88 DM = 701,12 DM
Das FA erkannte die Werbungskosten nicht an, weil der dienstliche Aufwand des Stpfl. durch die Entschädigungen nach dem Reisekostengesetz voll gedeckt sei.
Das FG gab mit dem in EFG 1965, 132 veröffentlichten Urteil der Berufung in bewußtem Widerspruch zur Rechtsprechung des BFH statt.
Mit der Revision rügt das FA unrichtige Anwendung von Bundesrecht.
Auf Ersuchen des Senats ist der BdF dem Verfahren gemäß § 122 Abs. 2 FGO beigetreten und hat im wesentlichen ausgeführt, nach seiner Auffassung könnten die vom Stpfl. geltend gemachten Beträge nicht als Werbungskosten behandelt werden; die Kraftfahrzeugkosten, die der Stpfl. über den ihm nach dem Reisekostengesetz gewährten Ersatz hinaus aufgewandt habe, seien Kosten der Lebenshaltung. Mit den Vergütungen nach den Bestimmungen des Reisekostenrechts werde bei Angehörigen des öffentlichen Dienstes der volle Aufwand, soweit er dienstlich veranlaßt sei, abgegolten.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision des FA konnte keinen Erfolg haben.
Die Rechtsprechung des RFH und BFH hat bisher Kosten für ein eigenes Kraftfahrzeug, das Angehörige des öffentlichen Dienstes auf Dienstfahrten benutzten, nicht als Werbungskosten anerkannt. Die Rechtsprechung ging davon aus, daß der den Angehörigen des öffentlichen Dienstes bei Dienstreisen entstehende Aufwand, besonders auch die Fahrtauslagen, vom öffentlichen Dienstherrn voll ersetzt würden; wenn der Arbeitnehmer Aufwendungen mache, die der Dienstherr nach Prüfung nicht nach den Reisekostengesetzen ersetzen könne, so stehe fest, daß der Mehraufwand nicht dienstlich veranlaßt sei und deshalb im Besteuerungsverfahren auch nicht als Werbungskosten geltend gemacht werden könne (vgl. z. B. die RFH-Urteile VI A 1715/32 vom 20. September 1933, RStBl 1933, 1255; IV 317/37 vom 7. Juli 1938, RStBl 1938, 892; IV 105/43 vom 28. Oktober 1943, RStBl 1944, 44, und die BFH-Urteile IV 215/53 U vom 17. Dezember 1953, BFH 58, 428, BStBl III 1954, 76; VI 24/58 U vom 18. April 1958, BFH 67, 73, BStBl III 1958, 300; VI 9/59 U vom 29. Januar 1960, BFH 70, 435, BStBl III 1960, 163; VI 264/62 S vom 22. November 1963, BFH 78, 364, BStBl III 1964, 141; VI 38/62 U vom 22. November 1963, BFH 78, 360, BStBl III 1964, 139).
Die Rechtsprechung des Senats ist im Schrifttum zum Teil auf Widerspruch gestoßen (vgl. z. B. Labus in BB 1964 S. 251; Clooth in Steuerwarte 1964 S. 120; Vangerow in Steuer und Wirtschaft - StuW - 1964 Sp. 766 und Deutsches Steuerrecht - DStR - 1964 S. 140). Mehrere Finanzgerichte haben sich der Rechtsprechung des BFH bewußt nicht angeschlossen, z. B. das FG Kassel in EFG 1958, 414, 1962, 490 und 1965, 131; das FG Kiel in EFG 1964, 35; das FG Münster in EFG 1967, 556; das FG Düsseldorf in EFG 1963, 474, und das FG Hannover in der vorliegenden Streitsache.
Nach erneuter Prüfung hält der Senat an der bisherigen Auslegung angesichts der Entwicklung der Verhältnisse nicht fest.
1. Werbungskosten sind alle Aufwendungen eines Arbeitnehmers, "die die Ausübung des Dienstes mit sich bringt, soweit sie nicht nach der Verkehrsauffassung durch die allgemeine Lebensführung bedingt sind". Diese in § 20 Abs. 2 Satz 2 LStDV 1959/1962 verwandte Definition enthält, wie der Senat in der Grundsatzentscheidung VI 79/60 S vom 2. März 1962 (BFH 74, 513, BStBl III 1962, 192) dargelegt hat, eine zutreffende Auslegung des § 9 EStG.
Die Begriffe "Werbungskosten" bei Arbeitsverhältnissen und "Betriebsausgaben" (§ 4 Abs. 4 EStG) bei Unternehmern fallen also weitgehend zusammen. Werbungskosten und Betriebsausgaben sind in gleicher Weise Aufwendungen zur Erzielung von Einkünften und sind abzugrenzen gegen die Kosten der allgemeinen Lebensführung (§ 12 EStG), die Ausgaben zur Verwendung des erzielten Einkommens sind.
Grundsätzlich steht es Arbeitnehmern wie Unternehmern frei zu entscheiden, welche Aufwendungen sie im beruflichen Interesse machen wollen. Es kommt nicht darauf an, ob die Aufwendungen objektiv notwendig waren (vgl. z. B. die Urteile des Senats VI 117/56 U vom 10. Mai 1957, BFH 64, 613, BStBl III 1957, 230; VI 39/56 U vom 5. Juli 1957, BFH 65, 246, BStBl III 1957, 328 usw.).
Eine gewisse Abweichung ergibt sich allerdings aus der Natur des Dienstverhältnisses. Im bürgerlich-rechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis unterliegt nämlich der Arbeitnehmer hinsichtlich der Ausführung des Dienstes grundsätzlich den Weisungen des Dienstherrn, soweit die Weisungen einen vernünftigen Sinn haben und nicht einen Mißbrauch der Stellung des Arbeitgebers darstellen. In diesen Grenzen kann sich das Weisungsrecht des Dienstherrn auch auf die Art der Erledigung der Dienstgeschäfte und die dabei zu machenden Aufwendungen des Arbeitnehmers beziehen. Setzt sich der Arbeitnehmer über solche Weisungen des Arbeitgebers hinweg und macht er dabei Ausgaben, so sind diese nicht "durch" das Arbeitsverhältnis bedingt, sondern beruhen auf einem Entschluß des Arbeitnehmers außerhalb des Arbeitsverhältnisses oder gar entgegen dem Arbeitsverhältnis. Bestehen aber solche Weisungen des Arbeitgebers nicht, sondern überläßt es der Arbeitgeber ausdrücklich oder stillschweigend dem Arbeitnehmer, in welcher Weise er das angeordnete Dienstgeschäft ausführen will, so gehört der bei der Erledigung des Dienstgeschäfts gemachte Aufwand des Arbeitnehmers zu den Werbungskosten, soweit der Arbeitgeber ihm den Aufwand nicht ersetzt.
2. Dieser Gedanke, den der Senat bei der Beurteilung von Kraftfahrzeugkosten, die private Arbeitnehmer auf Dienstfahrten machen, in der zur amtlichen Veröffentlichung bestimmten Entscheidung VI R 202/67 vom 15. Dezember 1967 erneut herausgearbeitet hat, muß grundsätzlich auch bei Arbeitnehmern im öffentlichen Dienst angewandt werden. Machen solche Arbeitnehmer auf Anordnung ihres Dienstvorgesetzten eine Dienstreise, so sind die Ausgaben, die ihnen durch die Dienstreise entstehen, Werbungskosten, soweit sie nicht die private Lebensführung angehen und der öffentliche Dienstherr die Ausgaben nicht ersetzt.
3. Die Rechtsprechung hat bisher angenommen, daß Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst, die auf Dienstreisen ihre privaten Kraftwagen benutzen, auch wenn sie nach den Reisekostenvorschriften keinen Ersatz dafür verlangen können, das aus privaten Überlegungen tun, vor allem aus Gründen der Bequemlichkeit oder weil ihnen das Autofahren Freude macht.
Ob eine Ausgabe den Beruf oder die private Lebensführung angeht, ist nicht ein für allemal zu entscheiden, sondern kann je nach der Entwicklung der Verhältnisse verschieden zu beurteilen sein. Wandlungen in der Verkehrsauffassung sowie in den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnissen muß die Rechtsprechung nach § 1 Abs. 2 StAnpG bei der Auslegung der Steuergesetze laufend Rechnung tragen. Der Senat hat diesen Grundsatz z. B. betont, als er in der Grundsatzentscheidung VI 219/64 vom 18. Februar 1966 (BFH 86, 39, BStBl III 1966, 386) wegen der Änderung der Wohngewohnheiten der Arbeitnehmer und der fortschreitenden Motorisierung die Kosten für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte sowie für Familienheimfahrten in wesentlich weiterem Umfang als Werbungskosten zuließ.
Gerade auf dem Gebiet der Motorisierung ist die Entwicklung in den letzten Jahren sprunghaft vorangeschritten. Das Auto ist kein Luxusgegenstand mehr, den nur wenige bevorzugte und wohlhabende Personen erwerben können, sondern es ist fast zum Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens und ein ebenso normales Beförderungsmittel geworden wie die öffentlichen Verkehrsmittel. Nach den Übersichten in Abschn. XV der Statistischen Jahrbücher besaßen am 1. Juli 1957 von 1,187 Millionen Beamten 125 344 (= 10,5 %), von 5,215 Millionen Angestellten 370 198 (= 7,1 %) und von 13,39 Millionen Arbeitern 313 635 (= 2,3 %) einen eigenen Wagen. Die Zahl der Kraftwagenbesitzer erhöhte sich zum 1. Juli des Jahres
1958 1959 1960
bei Beamten auf 175 770 239 372 303 991
bei Angestellten auf 479 178 621 494 810 392
bei Arbeitern auf 477 877 691 019 997 214
1961 1962 1966
bei Beamten auf 365 512 440 679 843 779
bei Angestellten auf 999 489 1 233 353 2 335 484
bei Arbeitern auf 1 346 479 1 760 289 3 426 514
Der Anteil der Kraftwagenbesitzer stieg damit im Jahr
1957 1961 1962 1966
bei Beamten von 10,5 % auf 29,3 % 34,4 % 62,3 %
bei Angestellten von 7,1 % auf 15,4 % 18,9 % 32,2 %
bei Arbeitern von 2,3 % auf 10,4 % 13,4 % 26,4 %
Entsprechend der allgemein gestiegenen Autonutzung ist es auch weithin üblich geworden, daß Beamte bei Dienstreisen ihren eigenen Kraftwagen benutzen, weil sie dadurch Zeit und Anstrengungen sparen und ihre Dienstgeschäfte bequemer und schneller erledigen können. Freude am Autofahren, persönliche Annehmlichkeit und Bequemlichkeit spielen bei dem Entschluß, das ohnehin vorhandene Auto auf Dienstreisen zu benutzen, keine größere Rolle als bei anderen Fahrten. Bei der Überlastung der Straßen wird das Autofahren heute von vielen sogar schon eher als Last denn als Vergnügen empfunden.
4. Ob der öffentliche Dienstherr dem Arbeitnehmer die Benutzung seines Kraftwagens auf einer angeordneten Dienstreise gestattet, ist steuerlich nicht ausschlaggebend, sondern ist nur für das öffentliche Dienstrecht, z. B. für den Umfang des Ersatzes der Reisekosten, die Haftung des Arbeitgebers für Dienstunfälle usw. von Bedeutung. Bei der Abgrenzung der Werbungskosten von den Kosten der Lebenshaltung kann es darum darauf nicht ankommen. Hier ist, wie zu Ziff. 1 dargelegt, nur entscheidend, ob der Dienstherr dem Arbeitnehmer aus vernünftigen Gründen die Benutzung des eigenen Kraftwagens untersagt hat oder ob er es ausdrücklich oder stillschweigend der Entscheidung des Arbeitnehmers überlassen hat, ob er für angeordnete Dienstfahrten den Kraftwagen benutzen will, auch wenn er nach den öffentlich-rechtlichen Reisekostenvorschriften mit einem Ersatz der Kraftfahrzeugkosten nicht rechnen kann.
5. Dem Stpfl. war es nicht untersagt, seinen Kraftwagen auch auf Dienstreisen zu benutzen. Er kann deshalb den Mehraufwand, den er durch die Benutzung des Kraftfahrzeuges gegenüber den ihm von seinem Dienstherrn ersetzten Kosten gehabt hat, als Werbungskosten geltend machen, wie das FG zutreffend angenommen hat.
6. Auch gegen die Höhe der Werbungskosten bestehen keine Bedenken. Die Sätze, die die Behörde ihren Bediensteten bei genehmigter Benutzung eigener Kraftwagen vergütet - im Streitjahr 0,16 DM - sind kein Schätzungsanhalt für die den Arbeitnehmern tatsächlich entstandenen Aufwendungen; denn die Behörde will den Arbeitnehmern nicht die vollen Kosten für die Dienstfahrten ersetzen. Sie geht vielmehr davon aus, daß die Bediensteten den Wagen privat besitzen und die allgemeinen Kosten daraus ohnehin zu tragen haben. Mit den Kilometersätzen will die Behörde nur die Mehrkosten für die dienstliche Benutzung des Wagens ersetzen und einen Zuschuß zu den allgemeinen Kosten geben. Steuerlich müssen dagegen die gesamten festen und beweglichen Kosten für die Haltung und Benutzung des Kraftwagens auf die dienstliche und außerdienstliche Benutzung des Kraftwagens aufgeteilt werden (Urteil des BFH IV 453/53 U vom 3. März 1955, BFH 60, 268, BStBl III 1955, 104; auch Urteil des Senats VI 133/64 vom 16. Dezember 1966, BFH 87, 622, BStBl III 1967, 249).
Solange der Arbeitnehmer keine höheren Kosten als 0,25 DM je dienstlichen Fahrtkilometer (vgl. Abschn. 21 Abs. 9 LStR 1960) geltend macht und nachweist, hat der Senat keine Bedenken, diesen Satz anzuerkennen, weil er auf einer vertretbaren Schätzung beruht, der Vereinfachung dient und die Gleichbehandlung der Steuerpflichtigen fördert (vgl. das Urteil des Senats VI R 268/67 vom 15. Dezember 1967, BStBl II 1968, S. 126). Auch in diesem Punkt hat also das FG das Recht zutreffend angewendet.
Fundstellen
Haufe-Index 425901 |
BStBl II 1968, 150 |
BFHE 1968, 493 |
DVBl. 1968, 993 |