Leitsatz (amtlich)
Aufwendungen eines Arbeitnehmers zur Beseitigung von Schäden, die durch einen Unfall während einer beruflich veranlaßten Fahrt mit dem eigenen PKW entstanden sind, sind vom Abzug als Werbungskosten jedenfalls dann nicht ausgeschlossen, wenn der Arbeitnehmer den Unfall durch einen nur leicht fahrlässigen Verstoß gegen Verkehrsvorschriften verursacht hat.
Normenkette
EStG § 9; LStDV § 20
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Steuerpflichtige) ist Angestellter einer Versicherungsgesellschaft. Als er am 4. Mai 1966 gegen 9.00 Uhr mit seinem PKW zusammen mit zwei anderen Angestellten der Versicherungsgesellschaft dienstlich durch F. fuhr, war bei der Kreuzung seines Fahrwegs mit der vorfahrtsberechtigten M-Straße die Ampelanlage außer Betrieb. Der Steuerpflichtige hielt zunächst an, ließ dann aber seinen Wagen ein kurzes Stück in die eigentliche Fahrbahnkreuzung vorrollen, um festzustellen, ob er die Straße überqueren konnte. Dabei wurde er von einem von links kommenden Lieferwagen erfaßt. Durch Strafbefehl des Amtsgerichts F. vom 24. Juni 1966 wurde er wegen Übertretung nach §§ 1, 13 der Straßenverkehrsordnung (StVO) und § 21 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) zu einer Geldstrafe von 80 DM, hilfsweise vier Tagen Haft rechtskräftig verurteilt.
Das FA lehnte den Antrag des Steuerpflichtigen, bei Berechnung des auf der Lohnsteuerkarte 1966 einzutragenden Freibetrags die von ihm selbst getragenen Kosten zur Beseitigung des Unfallschadens an seinem PKW in Höhe von 3 127 DM als Werbungskosten zu berücksichtigen, auch im Einspruchsverfahren ab.
Das FG gab der Klage statt. Es äußerte zwar Bedenken gegenüber der Rechtsprechung des BFH, nach der eine Lockerung bzw. Unterbrechung des beruflichen Zusammenhangs gegeben sei, wenn der Arbeitnehmer vorsätzlich oder grob fahrlässig selbst eine Ursache für den Schaden gesetzt hat. Das FG sah jedoch von einer endgültigen Stellungnahme zu dieser Frage ab, weil den Steuerpflichtigen nur eine leichte Fahrlässigkeit treffe, die auch im Rahmen der Rechtsprechung des BFH nicht zu einer Lockerung oder Unterbrechung des beruflichen Zusammenhangs führe.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung des bestehenden Rechts. Es bringt u. a. vor, daß Vorfahrtverletzungen im allgemeinen und die Vorfahrtverletzung des Steuerpflichtigen im besonderen eine grobe Fahrlässigkeit begründeten und damit die Berücksichtigung der Unfallkosten im Sinne der Rechtsprechung des BFH ausschlössen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision kann keinen Erfolg haben.
1. In der Grundsatzentscheidung VI 79/60 S vom 2. März 1962 (BFH 74, 513, BStBl III 1962, 192) hat der Senat anerkannt, daß die Kosten von Unfällen, die sich bei einer dienstlich veranlaßten Fahrt mit einem eigenen Kraftfahrzeug ereignen, Werbungskosten sein können. Der Senat hat jedoch zugleich ausgeführt, daß, wenn ein Steuerpflichtiger vorsätzlich oder grobfahrlässig einen Schaden verursacht, z. B. indem er sich bewußt oder leichtfertig über Verkehrsvorschriften hinwegsetzt, der Zusammenhang mit dem Beruf oder Betrieb so gelockert sein kann, daß die Aufwendungen keine Werbungskosten sind. Die Grundsätze sind in ständiger Rechtsprechung auch für den betrieblichen Bereich (Urteile VI R 307/66 vom 21. Juli 1967, BFH 89, 520, BStBl III 1967, 734, und VI R 113/66 vom 21. Februar 1969, BFH 95, 104, BStBl II 1969, 316) aufrechterhalten worden.
Diese Rechtsprechung ist auf Kritik gestoßen (vgl. die Zusammenstellung von Vangerow in Steuer und Wirtschaft 1970 S. 165 - StuW 1970, 165 -). Obwohl im Streitfall, wie sich aus den Darlegungen zu 2. ergibt, die Revision auch unter Zugrundelegung der bisherigen Rechtsprechung zurückzuweisen ist, die Aufwendungen des Steuerpflichtigen also als Werbungskosten anzuerkennen sind, weist der Senat doch darauf hin, daß er keinen Anlaß sieht, die Rechtsprechung im Grundsatz aufzugeben. Der Werbungskostenbegriff des Einkommensteuerrechts, der als Werbungskosten eines Arbeitnehmers alle Aufwendungen ansieht, die durch das Arbeitsverhältnis veranlaßt sind, ist ebenso wie der Betriebsausgabenbegriff ein steuerrechtlicher Begriff. Der Auslegung dieses Begriffes kann nicht allein durch Heranziehung der im Strafrecht angewendeten Bedingungstheorie oder der im bürgerlichen Recht anerkannten Adäquanztheorie Rechnung getragen werden; vielmehr ist bei einem Schaden, der während einer dienstlichen Fahrt an einem PKW eines Arbeitnehmers durch einen Verkehrsunfall verursacht wird, für die steuerliche Beurteilung selbständig zu prüfen, ob der Schaden beruflich oder betrieblich veranlaßt worden ist.
Wo in dieser Hinsicht Zweifel auftreten, zeigt sich, daß mehrere verschiedene Kausalketten zum Entstehen des Schadens beigetragen haben können. Eine Ursachenkette geht regelmäßig von der Tatsache der dienstlichen Fahrt als solcher aus. Insoweit wäre die berufliche Veranlassung zunächst einmal zu bejahen. Eine weitere Kausalkette kann von einem Drittbeteiligten ausgehen, wenn dieser sich etwa verkehrswidrig verhalten und dadurch den Unfall verursacht hat. Da in einem solchen Falle nicht der Steuerpflichtige für diese Ursachenkette verantwortlich wäre, würde hierdurch, vom Steuerpflichtigen aus gesehen, die berufliche Veranlassung des Schadens nicht berührt werden. Schließlich kann eine weitere Ursachenkette aber auch durch den Steuerpflichtigen selbst in Gang gesetzt werden, indem er selbst sich verkehrswidrig verhalten hat. Es bedarf dann steuerlich der Entscheidung, ob, inwieweit und unter welchen Voraussetzungen auch in einem solchen Falle bei einem Schaden noch die berufliche Veranlassung bejaht werden kann.
Wer auf einer dienstlichen Fahrt mit seinem PKW etwa vorsätzlich den PKW eines anderen aus Rache oder sonstigen persönlichen Gründen beschädigt, kann nicht geltend machen, daß die Aufwendungen zur Beseitigung des Schadens am eigenen und fremden PKW beruflich veranlaßt seien. Hier liegt auf der Hand, daß die berufliche Veranlassung der Fahrt als solcher gegenüber dem nichtberuflich veranlaßten Entschluß, den anderen zu schädigen, zurücktritt und ganz ungewichtig erscheint, da der Schaden nicht in Ausführung der dienstlichen Fahrt, sondern nur gelegentlich einer dienstlichen Fahrt verursacht worden ist. Nicht anders liegt es, wenn jemand auf einer dienstlichen Fahrt einen Bekannten mitnimmt und einen Unfall verursacht, weil er dem Bekannten die Schnelligkeit seines Wagens zeigen wollte oder weil er sich mit ihm zusammen betrunken hatte. Der Senat vermag auch der vom FG geäußerten Auffassung nicht zu folgen, nach der die berufliche Veranlassung immer zu bejahen sein soll, wenn jemand um einer konkreten beruflichen Zielsetzung willen (z. B. um trotz Verspätung noch rechtzeitig zu einer angesetzten Besprechung zu erscheinen) bewußt und leichtfertig gegen Verkehrsvorschriften verstößt, indem er z. B. Vorfahrtsregeln mißachtet oder mit erheblich überhöhter Geschwindigkeit fährt. Abgesehen von den Sonderfällen, in denen Unrechts- oder Schuldausschließungsgründe (z. B. Notstand) die Rechtswidrigkeit der Tat oder die Schuld des Täters ausschließen, wird durch ein derartiges Handeln in der Regel eine nichtberuflich motivierte Ursachenkette in Gang gesetzt und ein sonst gegebener Zusammenhang mit dem Beruf verdrängt, so daß ein etwa entstehender Unfallschaden der Privatsphäre zuzurechnen ist. Eine Berücksichtigung der zur Schadensbeseitigung gemachten Aufwendungen als Werbungskosten (bzw. Betriebsausgaben) und damit deren teilweise Abwälzung auf die Allgemeinheit würde ebensowenig vertretbar erscheinen wie die Berücksichtigung von Strafen oder damit zusammenhängenden Gerichtskosten (BFH-Urteil IR 12/66 vom 6. November 1968, BFH 94, 56, BStBl II 1969, 74). Die steuerliche Rechtsprechung zur Berücksichtigung von Unfallschäden zeigt im übrigen Berührungspunkte mit der zur gesetzlichen Unfallversicherung, zur Kriegsopferversorgung und im Beamtenrecht entwickelten Theorie von der wesentlichen Bedingung (vgl. Urteile des Bundessozialgerichts 2 RU 129/54 vom 31. August 1956, Entscheidungen des Bundessozialgerichts Bd. 3 S. 240 - BSGE 3, 240 -; 10 RV 1199/57 vom 25. November 1958, BSGE 8, 275, und 2 RU 40/67 vom 31. Oktober 1969 in Blätter für Steuerrecht, Sozialversicherung und Arbeitsrecht 1970 S. 91; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts VI C 360/56 vom 20. Mai 1958 in Die öffentliche Verwaltung von 1958 S. 906).
Es ist zuzugeben, daß bei fahrlässigen Delikten die Entscheidung, ob und unter welchen Voraussetzungen die durch das fahrlässige Verhalten in Gang gesetzte Ursachenkette den beruflichen Anlaß der Fahrt zurücktreten läßt, oft schwierig sein kann. Der Senat läßt es dahingestellt, ob die Rechtsprechung in diesem Bereich allgemein oder in einzelnen Beziehungen der Einschränkung oder Präzisierung bedarf, da es im Streitfall darauf nicht ankommt.
2. Auch nach der bisherigen Rechtsprechung führen nur besonders schwere, nämlich grobfahrlässige Verstöße gegen die Verkehrsordnung, die auf einem besonders leichtfertigen und bewußt fahrlässigen Handeln beruhen, zur Versagung des Werbungskostenabzugs. Im Streitfall ist das FG bei der Tatsachenwürdigung zu dem Ergebnis gelangt, daß dem Steuerpflichtigen bei dem Verkehrsunfall nur eine leichte Fahrlässigkeit vorgeworfen werden kann. Diese Feststellung ist nicht zu beanstanden. Ihr steht nicht entgegen, daß der Steuerpflichtige mit einer Geldstrafe von 80 DM, hilfsweise vier Tagen Haft belegt worden ist. Die Tatsache, daß der Steuerpflichtige gegen die Vorfahrtsregeln verstoßen hat und deshalb bestraft worden ist, ist für sich allein weder ein Indiz für leichte noch ein solches für grobe Fahrlässigkeit. Soweit dem BFH-Urteil VI 75/63 vom 28. August 1964 HFR 1965, 21) eine andere Auffassung entnommen werden könnte, hält der Senat hieran nicht fest. Die Tatsache, daß der Steuerpflichtige sein Fahrzeug vor Befahren der vorfahrtsberechtigten Straße zunächst anhielt, zeigt, daß er gewillt und bestrebt war, die Verkehrsvorschriften zu beachten. Wenn er dann sein Fahrzeug etwas vorrollen ließ, um Sicht zu gewinnen, so kann hierin allenfalls ein leichterer, jedenfalls aber nicht ein besonders schwerer und grobfahrlässiger Verstoß gegen die die Vorfahrt regelnden Vorschriften gesehen werden.
Fundstellen
Haufe-Index 69080 |
BStBl II 1970, 662 |
BFHE 1970, 300 |
NJW 1971, 214 |