Leitsatz (amtlich)
Läßt ein Unternehmer, der einen landwirtschaftlichen Betrieb (Baumschule) unterhält, Sämlinge aufgrund eines Kostvertrages in einem anderen landwirtschaftlichen Betrieb aufziehen, so kann er für die Veräußerung der aufgezogenen Kostpflanzen die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 19 UStG 1951 in Anspruch nehmen. Dies gilt auch dann, wenn er die in Kost gegebenen Sämlinge nicht selbst gezogen, sondern hinzugekauft hat.
Normenkette
UStG 1951 § 4 Nr. 19; UStDB 1951 § 46
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt eine Baumschule. Sie nahm für die Lieferung bestimmter Gärtnereierzeugnisse im Rahmen jhrer Umsatzsteuer-Jahreserklärung 1967 die Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 19 UStG 1951 in Anspruch.
Bei einer im Sommer 1968 durchgeführten Betriebsprüfung stellte das FA fest, daß die Klägerin die gelieferten Gärtnereierzeugnisse (Rosen, Ziersträucher, Obstbäume und anderes Laubgehölz) zum Teil nicht in ihrer eigenen Baumschule in A aufgezogen, sondern aufgrund sog. Kostverträge anderen Baumschulbesitzern in Schleswig-Holstein zur Aufzucht gegeben und nach zwei bis drei Jahren abgerufen hatte. Die Klägerin hatte die sog. Sämlinge (junge aus Samen gezogene Pflanzen) zuvor von schleswig-holsteinischen Baumschulbesitzern gekauft und den anderen Baumschulbesitzern in Schleswig-Holstein wegen der besseren Eignung des dort vorhandenen Sandbodens und der dort günstigeren klimatischen Verhältnisse aufgrund von Kostverträgen zur Aufzucht gegeben. Außer den Kostverträgen hatte die Klägerin mit den sog. Kostnehmern noch Pachtverträge über diejenigen Grundstücksteile abgeschlossen, auf denen die von ihr zur Verfügung gestellten Sämlinge dann in den folgenden Jahren aufgezogen wurden. Die hier streitgegenständlichen Kostpflanzen hat die Klägerin dann im Jahre 1967 abgerufen und von A aus veräußert.
In Übereinstimmung mit dem Betriebsprüfungsbericht vertrat der Beklagte und Revisionsbeklagte (das FA) die Auffassung, daß die in anderen Betrieben in Schleswig-Holstein für die Klägerin aufgezogenen Pflanzen von dieser nicht selbst erzeugt, sondern von anderen Baumschulbetrieben erworben seien. Deshalb lehnte es die Anwendung der Befreiungsvorschrift des § 4 Nr. 19 UStG 1951 für diese Umsätze in Höhe einer Bemessungsgrundlage von 144 617 DM ab. Es erhöhte die im Gesamtbetrag der Entgelte enthaltenen Umsätze an Handelsware um 144 617 DM auf 548 140 DM und setzte als steuerfreie Umsätze i. S. des § 4 Nr. 19 UStG 1951 801 003 DM an. Die Umsatzsteuer für 1967 wurde durch erstmaligen Bescheid vom 19. Juni 1969 entsprechend festgesetzt.
Die Klägerin hat beantragt, die Umsatzsteuer 1967 abweichend von diesem Bescheid um 5 784,70 DM (= 4 % aus 144 617 DM) auf 16 140,90 DM herabzusetzen.
Das FG hat die mit Einverständnis des FA gegen den Umsatzsteuerbescheid für 1967 gemäß § 45 FGO unmittelbar erhobene Klage abgewiesen.
Zur Begründung hat das FG ausgeführt, daß die Klägerin für die hier streitigen Lieferungen nicht die Befreiungsvorschrift des § 4 Nr. 19 UStG 1951 in Anspruch nehmen könne, weil sie die gelieferten Pflanzen insoweit nicht, wie die angegebene Befreiungsvorschrift und die zu ihrer Durchführung ergangene Vorschrift des § 46 UStDB 1951 voraussetzten, innerhalb eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs selbst erzeugt habe. Wenn die Klägerin die von ihr erworbenen Sämlinge bei einem Kostnehmer lediglich in Kost gegeben hätte, hätte sie die Befreiungsvorschrift jedenfalls nicht in Anspruch nehmen können. Hieran ändere sich im vorliegenden Fall dadurch nichts, daß die Klägerin die zur Aufzucht der Sämlinge erforderlichen Bodenflächen hinzugepachtet habe. Damit würden die in fremden Baumschulen aufgezogenen Sämlinge nicht zu Eigenerzeugnissen der Klägerin. Denn der Abschluß der Pachtverträge stelle einen Mißbrauch von Formen und Gestaltungsmöglichkeiten des bürgerlichen Rechts i. S. des § 6 Abs. 1 StAnpG dar und müsse daher bei der umsatzsteuerrechtlichen Beurteilung außer Betracht bleiben. Es wäre allein angemessen gewesen, wenn die Klägerin mit den Kostnehmern lediglich Kostverträge des üblichen Inhalts abgeschlossen hätte (vgl. Urteil des BFH vom 19. Juli 1962 V 145/59 U, BFHE 75, 762, BStBl III 1962, 543).
Mit der Revision begehrt die Klägerin die Aufhebung des FG-Urteils und verfolgt ihren Klageantrag weiter.
Sie wendet sich insbesondere gegen die Rechtsauffassung des FG, in dem Abschluß der Pachtverträge läge ein unangemessenes und durch andere als steuerrechtliche Gründe nicht zu rechtfertigendes Vorgehen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
Die Klägerin kann für die von ihr bewirkten Umsätze der sog. Kostpflanzen die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 19 UStG 1951 in Anspruch nehmen.
Bei einer Baumschule handelt es sich um einen landwirtschaftlichen Betrieb i. S. des § 4 Nr. 19 UStG 1951 (vgl. jetzt die ausdrückliche Erwähnung der Baumschulen in § 24 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1967). Die von der Klägerin veräußerten Pflanzen (Rosen, Ziersträucher, Obstbäume und anderes Laubgehölz) sind Erzeugnisse eines landwirtschaftlichen Betriebs, weil diese Gegenstände im Rahmen eines Baumschulbetriebes gewonnen worden sind (§ 46 Abs. 3 UStDB 1951). Es ist nicht erforderlich, daß die Ausgangsprodukte der gelieferten landwirtschaftlichen Enderzeugnisse - nämlich die Sämlinge - im eigenen landwirtschaftlichen Betrieb erzeugt worden sind; vielmehr dürfen sie auch, ohne daß sich dadurch etwas an dem Erfordernis der Eigenerzeugung ändert, durch einen landwirtschaftlichen Betrieb hinzugekauft worden sein. Entscheidend ist, daß das spätere End produkt im eigenen landwirtschaftlichen Betrieb bearbeitet oder erzeugt worden ist.
An dem Erfordernis der Eigenerzeugung gemäß § 4 Nr. 19 UStG 1951 und § 46 Abs. 3 UStDB 1951 ändert sich anerkanntermaßen dadurch nichts, daß seitens eines landwirtschaftlichen Betriebes einem anderen Unternehmer Sämlinge zur Aufzucht auf dessen Grundstück aufgrund sog. Kostverträge überlassen werden (vgl. Abschn. 134 Abs. 1 EStR 1956/57). Nach Auffassung des Senats kann es für die Beurteilung, ob die in Kost bei anderen Unternehmern gegebenen Pflänzlinge noch als im eigenen landwirtschaftlichen Betrieb des Kostgebers erzeugt gelten oder nicht, nicht auf die Frage ankommen, ob die Pflänzlinge ursprünglich im eigenen landwirtschaftlichen Betrieb des Kostgebers erzeugt worden sind oder nicht, wenn - wie hier - der Kostgeber selbst einen landwirtschaftlichen Betrieb unterhält und die Aufzucht der Pflänzlinge wegen des beim Kostgeber verbleibenden Aufzuchtrisikos diesem wirtschaftlich zuzurechnen ist. Hier müssen dieselben Grundsätze gelten wie bei der Eigenaufzucht im eigenen landwirtschaftlichen Betrieb. Bei Kostverträgen dieser Art wird durch die Gewährung der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 19 UStG 1951 der Grundgedanke einer Förderung landwirtschaftlicher Betriebe nicht in Frage gestellt.
Für die Annahme eines Kostvertrages ist vielmehr lediglich erforderlich, daß der Kostnehmer vom Kostgeber die Sämlinge überlassen bekommt, damit dieser sie auf seinem Grundstück einpflanzt, aufzieht und dem Pflanzenzüchter (Kostgeber) auf Abruf nach einer gewissen Zeit wieder zurückgibt. Unter diesen Voraussetzungen hat der Senat auch die Hingabe der Sämlinge durch den Kostgeber an den Kostnehmer nicht als umsatzsteuerbaren Vorgang behandelt (BFH-Urteil V 145/59 U). Nach dieser Entscheidung erlangt der Kostnehmer keine Verfügungsmacht über die Pflänzlinge; vielmehr ist er aufgrund der vertraglichen Vereinbarungen verpflichtet, die Pflanzen nach der vereinbarten Aufzucht auf Abruf dem Kostgeber herauszugeben. Der Senat hat bereits in dem Urteil V 145/59 U darauf hingewiesen, daß der Kostnehmer auch dann keine Verfügungsmacht über die ihm überlassenen Pflanzen erhält, falls diese mit dem Einpflanzen in das Grundstück des Kostnehmers nach § 946 BGB in dessen Eigentum übergegangen sein sollten, weil diesem Umstand umsatzsteuerrechtlich keine ausschlaggebende Bedeutung beigemessen werden kann. Abgesehen davon werden, wie der vorliegende Fall zeigt, die Kostpflanzen lediglich zu einem vorübergehenden Zwekke mit dem Grund und Boden des Kostnehmers verbunden, so daß sie nicht zu Bestandteilen des Grundstücks i. S. des § 95 Abs. 1 Satz 1 BGB werden (vgl. dazu auch Urteil des Reichsgerichts vom 4. Oktober 1922 V 611/21, RGZ 105, 213, 215). Die Anwendung des § 946 BGB scheidet daher in Fällen der vorliegenden Art ohnehin aus.
Im Gegensatz zu der nicht näher begründeten Rechtsauffassung des FG, wonach die Pflanzenaufzucht in einem fremden Betrieb aufgrund eines Kostvertrages zur Unanwendbarkeit der Befreiungsvorschrift des § 4 Nr. 19 UStG 1951 führt, ist daher davon auszugehen, daß Kostpflanzen eigene Erzeugnisse des Kostgebers bleiben und als in seinem Betrieb gewonnen anzusehen sind.
Für die Annahme, Kostpflanzen seien Eigenerzeugnisse des Kostgebers i. S. des § 46 Abs. 3 UStDB 1951, ist es unerheblich, daß der Kostgeber noch zusätzlich den für die Aufzucht beim Kostnehmer erforderlichen Grund und Boden hinzupachtet. Daraus folgt, daß es auf die vom FG für entscheidend gehaltene Frage, ob der Abschluß derartiger Pachtverträge im Hinblick auf die Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 19 UStG 1951 einen Mißbrauchstatbestand i. S. des § 6 Abs. 1 StAnpG erfüllt, nicht ankommt.
Demnach sind die aus den Veräußerungen der Kostpflanzen im Jahre 1967 erzielten Erlöse von 144 617 DM gemäß § 4 Nr. 19 UStG 1951 i. V. m. § 46 UStDB 1951 steuerfrei. Entsprechend dem Klageantrag war daher die Umsatzsteuer für 1967 um 5 784,70 DM (= 4 % aus 144 617 DM) auf 16 140,90 DM unter Aufhebung der Vorentscheidung herabzusetzen (§§ 126 Abs. 3 Nr. 1, 121 i. V. m. § 100 Abs. 2 Satz 1 FGO).
Fundstellen
BStBl II 1977, 272 |
BFHE 1977, 102 |