Leitsatz (amtlich)
Erleidet ein Arbeitnehmer auf der Fahrt mit dem eigenen PKW von einer Baustelle, auf der er beschäftigt ist und bei der die Möglichkeit zur Einnahme warmer Mahlzeiten fehlt, zu einer nahegelegenen und zumutbaren Gaststätte einen Unfall, so sind die Unfallkosten als Werbungskosten bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit abziehbar.
Normenkette
EStG §§ 9, 12
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist als Techniker tätig; er wohnt in H. Im Streitjahr 1975 war er auf der Baustelle in S (90 km von seinem Wohnsitz entfernt) eingesetzt. An mehreren Wochenenden hatte er auf dieser Baustelle Bereitschaftsdienst. Dabei oblag ihm die Beaufsichtigung der bauausführenden Unternehmen. Der Bereitschaftsdienst begann freitags um 16.30 Uhr und endete samstags oder sonntags. Auf der Baustelle bestand keine Möglichkeit zur Einnahme warmer Mahlzeiten. Bei Bereitschaftsdiensten übernachtete der Kläger in einer Pension in der Nähe der Baustelle; ansonsten fuhr er arbeitstäglich zu der Baustelle und von dort nach H zurück. Während eines Bereitschaftsdienstes am 25. Juli 1975 erlitt der Kläger gegen 19 Uhr auf der Fahrt mit dem privateigenen PKW zum Abendessen zu einer in der Nähe der Baustelle gelegenen Gaststätte einen Unfall. Der Unfall ereignete sich dadurch, daß der Kläger in einer Linkskurve von der Straße abkam und mit seinem PKW in einen Graben geriet. Der Sachschaden am Fahrzeug des Klägers betrug rund 2 800 DM.
In seiner Einkommensteuererklärung für 1975 machte der Kläger die Unfallkosten als Werbungskosten bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) versagte den Werbungskostenabzug. Der Einspruch blieb erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es führte im wesentlichen aus: Abgrenzungsmerkmal für die steuerliche Einordnung von Kfz-Unfallkosten sei die Veranlassung der Fahrt, auf der sich der Unfall ereignet habe. Die Unfallfahrt des Klägers sei beruflich veranlaßt gewesen. Die Fahrt des Klägers zum Zwecke der Einnahme einer Abendmahlzeit dürfe nicht isoliert betrachtet werden. Der Bereitschaftsdienst sei ausschließlich beruflich veranlaßt gewesen. Da sich dieser Dienst über das gesamte Wochenende erstreckt habe, der Kläger keine Möglichkeit zu einer Essenseinnahme gehabt habe und er während des Bereitschaftsdienstes seine Wohnung nicht habe aufsuchen können, stehe die Essenseinnahme in einer Gaststätte in der Nähe der Baustelle in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem aus beruflichen Gründen zu leistenden Bereitschaftsdienst.
Gründe, die auf ein vorsätzliches Verhalten des Klägers bei der Herbeiführung des Unfalls schließen ließen und die den beruflichen Zusammenhang möglicherweise aufhöben, seien nicht ersichtlich. Der Streitfall sei auch nicht mit den Fällen vergleichbar, in denen Steuerpflichtige anläßlich von Mittagsheimfahrten zu ihrer Wohnung einen Unfall erlitten.
Das FA rügt mit der Revision eine Verletzung der §§ 9, 12 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Unfallkosten sind nach § 9 Abs. 1 EStG als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit abziehbar, wenn sich der Unfall während einer Fahrt ereignet hat, die durch das Dienstverhältnis veranlaßt gewesen ist (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 11. Juli 1980 VI R 55/79, BFHE 131, 67, BStBl II 1980, 655). Dies hat das FG für den Streitfall zu Recht bejaht.
Unfallkosten teilen das rechtliche Schicksal der Fahrtkosten. Ist die Fahrt selbst privat veranlaßt, sind die Unfallkosten dem privaten Lebensführungsbereich zuzuordnen. Ist die Fahrt dagegen beruflich veranlaßt, sind die Unfallkosten als Werbungskosten auch dann anzuerkennen, wenn der Unfall auf einem bewußten und leichtfertigen Verstoß gegen die Verkehrsvorschriften beruht (vgl. zuletzt BFHE 131, 67, BStBl II 1980, 655). Der Große Senat des BFH hat im Beschluß vom 28. November 1977 GrS 2-3/77 (BFHE 124, 43, BStBl II 1978, 105) die allgemeinen Abgrenzungsmerkmale zwischen der beruflichen Veranlassung einer Fahrt und ihrer privaten Veranlassung, bei der eventuelle Unfallkosten zu den nach § 12 Nr. 1 EStG nichtabziehbaren Lebenshaltungskosten gehören, zusammenfassend dargelegt. Ob eine Unfallfahrt durch das Dienstverhältnis veranlaßt ist, hängt danach weitgehend von den Umständen des Einzelfalles ab. Wegen des für die steuerrechtliche Beurteilung von Fahrtkosten geltenden Veranlassungsprinzips muß ein objektiver Zusammenhang der Fahrt mit dem Beruf des Steuerpflichtigen bestehen. Ein solcher Zusammenhang ist gegeben, wenn eine Fahrt im Rahmen der beruflichen Zielvorstellungen des Steuerpflichtigen liegt und wenn der Unfall nicht auf eine private, der Lebensführung des Steuerpflichtigen zuzurechnende Veranlassung zurückzuführen ist (BFHE 131, 67, BStBl II 1980, 655). Dieser Zusammenhang ist im Streitfall zu bejahen.
Zwar befand sich der Kläger zum Zeitpunkt des Unfalls nicht auf einer Fahrt zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Der Aufenthalt auf der Baustelle während des Bereitschaftsdienstes stand auch nicht im Zusammenhang mit einer Dienstreise; denn der Kläger übte den Bereitschaftsdienst am Ort seiner regelmäßigen Arbeitsstätte aus (vgl. zum Begriff der Dienstreise BFH-Urteil vom 11. Mai 1979 VI R 129/77, BFHE 127, 546, BStBl II 1979, 474, unter 2.). Gleichwohl war der Aufenthalt des Klägers auf der Baustelle während des Bereitschaftsdienstes beruflich veranlaßt. Der Weg zur Nahrungsaufnahme während dieses beruflich veranlaßten Aufenthalts auf der Baustelle gehört, jedenfalls wenn er nur - wie hier - zu einer nahegelegenen und zumutbaren Gaststätte führt, zu den Verrichtungen, die in notwendigem Zusammenhang mit diesem beruflichen Aufenthalt stehen (ebenso Urteile des Bundessozialgerichts vom 26. Juni 1980 8 a RU 36/79, Urteilssammlung für die gesetzliche Krankenversicherung - USK - 80107; vom 29. April 1980 2 RU 95/79, Betriebs-Berater 1980, S. 1329, USK 8093). Wäre der Kläger nicht auf der Baustelle tätig gewesen, hätte er nicht die nahegelegene Gaststätte zur Essenseinnahme aufsuchen müssen. Aus den gleichen Erwägungen hat der Senat die berufliche Veranlassung für Wochenend-Zwischenheimfahrten eines (ledigen) Steuerpflichtigen während einer länger dauernden Dienstreise anerkannt (vgl. Urteil vom 17. Dezember 1976 VI R 145/74, BFHE 121, 190, BStBl II 1977, 294).
Der Zusammenhang der Unfallfahrt mit der beruflichen Veranlassung ist auch nicht durch private Umstände aufgehoben. Soweit das FA meint, die Einnahme von Mahlzeiten sei immer auch durch die Lebenshaltung veranlaßt und deshalb sei ein Werbungskostenabzug nach § 12 Nr. 1 EStG ausgeschlossen, verkennt es zum einen, daß im Streitfall nicht der Abzug der Aufwendungen für die Mahlzeiten selbst begehrt wird. Vielmehr macht der Kläger nur geltend, daß die Fahrt zur Essenseinnahme beruflich veranlaßt sei. Zum anderen hat die Rechtsprechung aber auch in einer Vielzahl von Fällen die berufliche Veranlassung von Verpflegungsmehraufwendungen anerkannt (vgl. die zusammenfassende Darstellung im Urteil in BFHE 127, 546, BStBl II 1979, 474, unter 1.). Dies zeigt schon, daß sogar die Essenseinnahme selbst in besonderen Fällen als beruflich veranlaßt beurteilt wird. Ebenso wie die berufliche Veranlassung von Verpflegungsmehraufwendungen ist aber auch die berufliche Veranlassung jedenfalls des Weges zur Essenseinnahme anzuerkennen, wenn der Steuerpflichtige während einer beruflich veranlaßten Abwesenheit von seiner Wohnung eine nahegelegene und zumutbare Gaststätte aufsucht, um, da eine Betriebskantine nicht zur Verfügung steht, dort sein Essen zu sich zu nehmen.
Auch die Berufung des FA auf die Rechtsprechung des BFH, nach der Aufwendungen für Mittagsheimfahrten grundsätzlich keine Werbungskosten, sondern Kosten der privaten Lebensgestaltung sind (vgl. z. B. Urteile vom 28. Januar 1966 VI 66/65, BFHE 85, 224, BStBl III 1966, 291; vom 10. April 1970 VI R 250/68, BFHE 99, 359, BStBl II 1970, 680; Beschluß vom 2. April 1976 VI B 85/75, BFHE 118, 465, BStBl II 1976, 452), geht fehl. Die Aufwendungen für Mittagsheimfahrten eines Arbeitnehmers mit seinem eigenen PKW dürfen schon deshalb nicht als Werbungskosten abgezogen werden, weil dem die Spezialregelung des § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG entgegensteht, wonach bei Benutzung eines eigenen PKW höchstens eine Hin- und Rückfahrt zwischen Wohnung und Arbeitsstätte je Arbeitstag mit dem Pauschbetrag von 0,36 DM je Entfernungskilometer berücksichtigt werden kann (BFHE 118, 465, BStBl II 1976, 452; BFHE 131, 67, BStBl II 1980, 655). Ob die Kosten von zweiten Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte dennoch im Einzelfall beruflich veranlaßt sind, ohne indessen als Werbungskosten abgezogen werden zu können, und ob in einem solchen Fall die Kosten zur Beseitigung von Unfallschäden ausnahmsweise beruflich veranlaßt wären und als Werbungskosten anerkannt werden könnten, bedarf hier keiner abschließenden Entscheidung. Denn regelmäßig sind jedenfalls Mittagsheimfahrten schon deshalb nicht beruflich veranlaßt, weil kein notwendiger Zusammenhang zwischen der beruflichen Tätigkeit an der Arbeitsstätte und der Einnahme von Mahlzeiten gerade in der eigenen Wohnung besteht. Der Grund für solche Mittagsheimfahrten dürfte vielmehr in der Regel sein, daß der Arbeitnehmer sein Essen in der eigenen Familie einnehmen möchte, daß er vielleicht zu Hause auch eine Mittagsruhe einzulegen wünscht, daß er glaubt, zu Hause das bessere Essen einnehmen zu können oder daß er aus gesundheitlichen Gründen (z. B. zur Einnahme von Diätkost) zu Hause essen möchte. Alle derartigen Erwägungen sind jedoch privater Art und dementsprechende Fahrten sind also privat veranlaßt. Dagegen ist die Fahrt zu einer der betrieblichen Einsatzstelle, bei der die Möglichkeit zur Einnahme warmer Mahlzeiten fehlt, nahegelegenen und zumutbaren Gaststätte beruflich veranlaßt. Dementsprechend konnte das FG, da private Gründe, die die berufliche Veranlassung der Fahrt aufgehoben hätten, nicht erkennbar waren, die Fahrt des Klägers als beruflich veranlaßt beurteilen und folglich die der Höhe nach unstreitigen Unfallkosten als Werbungskosten zum Abzug zulassen.
Fundstellen
Haufe-Index 74205 |
BStBl II 1982, 261 |
BFHE 1982, 70 |