Entscheidungsstichwort (Thema)
Kaufpreisraten/Veräußerungszeitrente; Zinsfußhöhe; Erfassung des Mehrbetrages aufgrund Wertsicherungsklausel; Verwirkung
Leitsatz (NV)
1. Die Unterscheidung zwischen Kaufpreisraten und Veräußerungszeitrente ist allein bedeutsam für das von der Rechtsprechung und Verwaltung eingeräumte Wahlrecht zwischen Sofort- und Zuflußversteuerung. Ist das Wahlrecht i.S. d. Sofortversteuerung des Veräußerungsgewinns bindend ausgeübt worden, sind Kaufpreisraten und Veräußerungszeitrente hinsichtlich des erst bei Zufluß zu versteuernden Zinsanteils - abgesehen von besonderen Ausnahmefällen - grundsätzlich gleich zu behandeln.
2. Bei der Ermittlung des Barwertes ist grundsätzlich von einem Zinsfuß von 5,5 v.H. auszugehen, sofern die Vertragspartner nicht einen höheren Zinsfuß vereinbart haben.
3. Der aufgrund einer Wertsicherungsklausel zufließende Mehrbetrag ist in voller Höhe den Einnahmen aus Kapitalvermögen zuzurechnen.
4. Verwirkung greift in der Regel nicht bei einem bloßen Untätigbleiben der Finanzbehörde ein. Vielmehr erfordert sie zusätzlich das Vorliegen eines Vertrauenstatbestandes und eine Vertrauensfolge (stg. Rspr.)
Normenkette
RAO § 144 Abs. 1, § 145 Abs. 1, 2 Nr. 1, § 146a Abs. 3, § 210 Abs. 2; AO 1977 § 124 Abs. 2, § 155 Abs. 1 S. 2; EGAO Art.97 § 10; FGO § 96 Abs. 1 S. 2, § 126 Abs. 3 Nr. 1; EStG 1975 § 20 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 Nr. 1
Tatbestand
Die Klägerin zu 1 und Revisionsklägerin (bezüglich des Streitjahres 1975) bzw. Revisionsbeklagte zu 1 (bezüglich der Streitjahre 1971 und 1972) klagt aus eigenem Recht und zugleich als Rechtsnachfolgerin ihres 1983 verstorbenen Ehemannes X. In den Streitjahren wurden die Eheleute zusammenveranlagt. Die Klägerin zu 2 und Revisionsklägerin bzw. Revisionsbeklagte zu 2 ist die gemeinsame Tochter der Eheleute und klagt mit ihrer Mutter ebenfalls als Rechtsnachfolgerin nach ihrem Vater.
Der Vater X war Komplementär einer KG. Einzige Kommanditistin war die Klägerin zu 2. Vater und Tochter waren seit 1. Januar 1968 mit 80:20 v.H. am Gewinn und Verlust beteiligt. X und die Klägerin zu 2 schlossen am 28. März 1969 auf der Grundlage einer schriftlichen Vereinbarung vom 4. März 1969 mit der Firma N-GmbH zwei als Gesellschaftsänderungsverträge bezeichnete notarielle Verträge. In dem Vertrag UR-Nr. . . ./1969 vereinbarten die Partner mit Wirkung auf 1. April 1969, daß die N-GmbH als persönlich haftende Gesellschafterin und die N-GmbH & Co. KG als Kommanditistin in die KG eintreten sollten. X wurde gleichzeitig von der Geschäftsführung und Vertretung ausgeschlossen. Mit weiterem Vertrag UR-Nr. . . ./1969 legten die Partner fest, daß X und die Klägerin zu 2 als ausscheidende Gesellschafter eine ,,Abfindung" in Höhe von 2 Mio DM erhalten sollten (Ziffer 2 a des Vertrages).
Ein Betrag von 1,2 Mio DM wurde noch im Jahr 1969 in drei Teilbeträgen an X ausbezahlt. Einen weiteren Betrag von 800000 DM verrechneten die Partner mit Verbindlichkeiten der KG. Des weiteren war X eine monatliche ,,Rente" von 15000 DM auf die Dauer von 20 Jahren, beginnend am 1. April 1969, zu zahlen (Ziffer 2 b des Vertrages). Die monatlichen Beträge waren nach dem vom Bundesamt für Statistik festgestellten jeweiligen Preisindex für die Lebenshaltung eines Vier-Personen-Arbeitnehmer-Haushalts mittleren Einkommens anzugleichen. Noch ausstehende ,,Abfindungen", insbesondere die ,,Rente", waren an die Erben weiterzuzahlen (Ziffer 2 c des Vertrages). Die ,,Rente" wurde gemäß Ziffer 5 des Vertrages durch eine auf dem Betriebsgrundstück der KG eingetragene Reallast abgesichert.
Eine für die Jahre 1967 bis 1969 durchgeführte Betriebsprüfung bei der KG beurteilte den vollständigen Gesellschafterwechsel wirtschaftlich als Unternehmensveräußerung (Tz.10 des Berichts) und ermittelte einen Veräußerungsgewinn in Höhe von . . . DM. Die monatlichen Zahlungen behandelte die Betriebsprüfung als Kaufpreisraten. Nach Abzinsung errechnete die Betriebsprüfung einen Barwert der Raten von . . . DM. Die Groß-Betriebsprüfungsstelle Z übersandte unter dem 10. Oktober 1972 eine Kontrollmitteilung sowie den Wortlaut der Tz.64 des Betriebsberichts an den Beklagten als Wohnsitz-Finanzamt der Eheleute. Wörtlich heißt es in der Kontrollmitteilung: ,,Wie aus der Darstellung der Anlage hervorgeht, sind die laufenden Zahlungen als Kaufpreisraten gewertet worden. Evtl. erklärte Renteneinkünfte entfallen daher. Die Zahlungen erhält der Steuerpflichtige vom 1.4.1969 bis 1.3.1989."
Der Betriebsprüfungsbericht wurde erst im Jahre 1976 ausgewertet. Das inzwischen zuständig gewordene beklagte Finanzamt (FA) folgte in dem Gewinnfeststellungsbescheid für 1969 vom 22. Oktober 1976 der Rechtsauffassung der Betriebsprüfung. Die nach erfolglosem Einspruch wegen der Behandlung der Zahlungen als Kaufpreisraten erhobene Klage nahm X am 2. Januar 1980 zurück. Das beklagte FA erfaßte bei der Einkommensteuerfestsetzung für die Eheleute für 1969 am 22. Februar 1977 die monatlichen Zahlungen entsprechend der Steuererklärung, jedoch entgegen der Gewinnfeststellung für 1969 als Renteneinkünfte mit einem Ertragsanteil von 27 v.H. Für 1970 hatte das FA am 24. Mai 1974 einen entsprechenden Einkommensteuer-Schätzungsbescheid erlassen.
Für 1971 reichten die Eheleute - wie im Vorjahr - keine Einkommensteuererklärung ein. In dem Schätzungsbescheid vom 31. Juli 1974 erfaßte das FA die monatlichen Zahlungen nicht als Einkünfte. Der Bescheid ist an ,,Herrn und Frau X" gerichtet und als zusammengefaßter Bescheid in nur einer Ausfertigung an die Adressaten bekanntgegeben worden. In der Ur-Verfügung des FA ist unter den ,,sonstigen Einkünften" handschriftlich vermerkt worden ,,vgl. Auszug Bp-Bericht".
Für das Streitjahr 1972 reichte der Steuerberater eine lediglich von ihm mit dem Zusatz ,,i.V." unterzeichnete gemeinsame Einkommensteuererklärung für die Eheleute am 10. Dezember 1974 ein. Unter den ,,Sonstigen Einkünften" waren Renteneinnahmen in Höhe von . . . DM mit einem Ertragsanteil von 27 v.H. erklärt. Bei der Veranlagung am 20. Dezember 1974 strich das FA die Renteneinnahmen in der Steuererklärung und fügte schriftlich hinzu ,,vgl. Bp-Bericht . . .". Der ohne Berücksichtigung der monatlichen Zahlungen erlassene Einkommensteuerbescheid für 1972 vom 1. April 1975 wurde wie der Bescheid für 1971 adressiert und bekanntgegeben.
Für die Jahre 1974 und 1975 erklärten die Eheleute die monatlichen Zahlungen nicht. Das beklagte FA veranlagte die Einkommensteuer 1975 mit Verfügung vom 22. Februar 1977 - am selben Tag wie die Einkommensteuer 1969 - erklärungsgemäß und gab den Bescheid am 9. Mai 1977 bekannt. Die Nichtangabe der laufenden Zahlungen begründen die Klägerinnen wie folgt: ,,Am 27. März 1975 habe ihr Steuerberater einen Telefonanruf der zuständigen Sachbearbeiterin des FA erhalten. Diese habe unter Hinweis auf das Erläuterungswerk von Herrmann/Heuer geäußert, er solle endlich das Deklarieren der Ertragsanteile unterlassen. Offenbar wisse er nicht, daß mit der Versteuerung des Veräußerungsgewinns die Folgezahlungen steuerfrei seien." Das FA hat diesen Sachvortrag nicht bestritten.
Im Jahr 1978 führte die Groß-Betriebsprüfungsstelle Z bei den Eheleuten für die Jahre 1971 bis 1976 eine Betriebsprüfung durch. Sie stellte fest, daß im gesamten Prüfungszeitraum die Zinsanteile der Ratenzahlungen nicht als Einkünfte aus Kapitalvermögen erfaßt worden waren.
Die Betriebsprüfung berechnete den Zinsanteil für monatlich vorschüssig zahlbare Raten mit einem Rechnungszinsfuß von 5,5 v.H.: . . . Außerdem stellte die Betriebsprüfung u.a. für 1975 Einnahmen aus Sparzinsen in Höhe von . . . DM fest.
Der Steuerberater der Eheleute wandte sich mit Schreiben vom 4. Dezember 1978 gegen die im Betriebsprüfungsbericht vorgeschlagene entsprechende Änderung der Einkommensteuerbescheide 1971, 1972 und 1975 an die Oberfinanzdirektion. Diese teilte dem Steuerberater unter dem 2. April 1979 mit, sie habe das beklagte Finanzamt gebeten, die aus der Anteilsveräußerung zugeflossenen einkommensteuerrechtlich relevanten Zahlungen für die Veranlagungszeiträume 1971 bis 1973 nicht anzusetzen, da sie insoweit die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr.1 der Abgabenordnung (AO 1977) als nicht erfüllt ansehe. Die OFD übersandte das Schreiben mit entsprechender Verfügung gleichzeitig an das beklagte FA.
Das FA gelangte demgegenüber zu der Auffassung, mangels wirksamer Bekanntgabe des Schätzungsbescheides 1971 vom 31. Juli 1974 dürfe es noch einen Erstbescheid erlassen. Ohne Hinweis auf diesen rechtlichen Gesichtspunkt erließ es unter dem 19. Dezember 1979 einen an die Eheleute gerichteten zusammengefaßten Einkommensteuerbescheid für 1971, in welchem es den Zinsanteil der Zahlungen als Einnahmen aus Kapitalvermögen ansetzte. In der Erläuterung heißt es: ,,Der Einkommensteuerbescheid für 1971 vom 31.7.1974 ist mangels fehlerhafter Bekanntgabe nicht wirksam. Die Steuerfestsetzung erfolgt unter Berücksichtigung der Feststellungen der Betriebsprüfung." Den Bescheid gab das FA in zwei Ausfertigungen bekannt.
Für 1972 erließ das FA am gleichen Tage einen nach § 174 AO 1977 geänderten Einkommensteuerbescheid ebenfalls unter Hinweis auf den Betriebsprüfungsbericht vom 13. Oktober 1978. Für das Streitjahr 1975 erging am 7. September 1979 ein gemäß § 173 Abs. 1 Nr.1 AO 1977 geänderter Bescheid.
Das Finanzgericht (FG) hob die Einkommensteuerbescheide für 1971 und 1972 vom 19. Dezember 1979 i.d.F. der Einspruchsentscheidung vom 17. Juli 1980 auf und wies die Klage bezüglich des Streitjahres 1975 ab.
Zur Begründung führt das FG im wesentlichen aus, das FA habe zu Recht den Zinsanteil der laufenden Zahlungen nach § 20 Abs. 1 Nr.4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) als Einnahmen aus Kapitalvermögen angesetzt. Die auf die Dauer von 20 Jahren vereinbarten monatlichen Zahlungen stellten unter Würdigung aller Einzelumstände Kaufpreisraten und keine (Veräußerungs-) Zeitrente mit Wagnis- oder Versorgungscharakter dar.
Zu Recht sei der Einkommensteuerbescheid für 1975 vom 9. Mai 1977 gemäß § 173 Abs. 1 Nr.1 AO 1977 geändert worden. Das FA habe von den laufenden Zahlungen erst aufgrund der 1978 durchgeführten Betriebsprüfung erfahren. Einer Änderung stehe auch nicht Treu und Glauben entgegen.
Hingegen hätten die Eheleute auf die Wirksamkeit und Bestandskraft der ursprünglichen Einkommensteuerbescheide für 1971 und 1972 vertrauen dürfen. Das FA habe aufgrund vorausgegangenen Verhaltens, auch ohne konkrete Dispositionen des X, die Befugnis verwirkt, neue Erstbescheide zu erlassen.
Die Klägerinnen zu 1 und 2 haben Revision wegen des Streitjahres 1975 eingelegt. Zu Unrecht habe das FG § 20 anstelle von § 22 EStG auf die wiederkehrenden Bezüge angewendet. Es handle sich um eine betriebliche Veräußerungszeitrente.
Das beklagte FA hat Revision wegen der Streitjahre 1971 und 1972 eingelegt. Zu Unrecht habe das FG Verwirkung hinsichtlich des Erlasses neuer Erstbescheide für 1971 und 1972 trotz Fehlens bestimmter Dispositionen des X angenommen.
Entscheidungsgründe
I. Die Revision der Klägerinnen ist unbegründet.
1. Der Revisionsantrag der Klägerinnen im Schriftsatz vom 13. März 1990, unter Abänderung des angefochtenen Urteils den Einkommensteueränderungsbescheid für 1975 vom 7. September 1979 und die Einspruchsentscheidung vom 8. Juli 1980 aufzuheben, kann mangels einer anderen sachgerechten Auslegungsmöglichkeit nur entsprechend seinem Wortlaut zugrunde gelegt werden.
2. Das FA hat den bestandskräftig gewordenen Einkommensteuererstbescheid für 1975 vom 9. Mai 1977 zu Recht nach § 173 Abs. 1 Nr.1 AO 1977 geändert.
a) Nach den Feststellungen des FG hat das FA erstmals aufgrund der 1978 bei den Eheleuten durchgeführten Betriebsprüfung für die Jahre 1971 bis 1976, und damit nachträglich, Kenntnis davon erhalten, daß X auch im Streitjahr 1975 monatlich laufende Zahlungen im Zuge der 1969 erfolgten Betriebsveräußerung zugeflossen sind.
b) Der Änderung steht, wie das FG zutreffend ausgeführt hat, auch nicht der im Steuerrecht anzuwendende Grundsatz von Treu und Glauben entgegen. Die Revision hat insoweit keine Einwendungen erhoben.
Das FG ist zu dem zutreffenden Ergebnis gelangt, daß der Ermittlungsfehler des FA den Pflichtenverstoß des Steuerpflichtigen bei der Abgabe der Einkommensteuererklärung für 1975 nicht deutlich überwiegt.
c) Eine Bindung des FA durch die Meinungsäußerung der Veranlagungssachbearbeiterin ist auch nicht unter anderen rechtlichen Gesichtspunkten gegeben.
Das FA ist bei der Veranlagung nach dem Grundsatz der Abschnittsbesteuerung an eine bei einer vorhergehenden Veranlagung zugrunde gelegte Rechtsauffassung grundsätzlich nicht gebunden, es sei denn, die Behörde hätte für künftige Steuerabschnitte in der Vergangenheit in einem konkreten Einzelfall eine Zusage oder verbindliche Auskunft gegeben (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. November 1982 I R 142/79, BFHE 137, 202, BStBl II 1983, 280; vom 19. November 1985 VIII R 25/85, BFHE 146, 32, BStBl II 1986, 520).
Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des FG sind diese Voraussetzungen nicht gegeben.
Ebensowenig ist ein auch außerhalb einer Zusage möglicher Vertrauenstatbestand gegeben.
Insbesondere haben die Klägerin zu 1 und X keine konkreten Dispositionen im Vertrauen auf die Äußerung des FA getroffen.
3. Das FA hat zu Recht den Zinsanteil der laufenden Bezüge des Jahres 1975 sowie den sich aus der Anwendung der vereinbarten Wertsicherungsklausel ergebenden Mehrbetrag im Jahr 1975 in voller Höhe als Einnahmen aus Kapitalvermögen erfaßt.
a) Das FG hat sich ausschließlich mit der Abgrenzung zwischen Kaufpreisraten und Veräußerungszeitrente auseinandergesetzt. Nach dem festgestellten und durch beachtliche Rügen auch nicht in Zweifel gezogenen Sachverhalt (vgl. § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) sind die Voraussetzungen für eine Besteuerung der laufenden Bezüge als Leibrente mit dem Ertragsanteil gemäß § 22 Nr.1 Satz 3a EStG nicht gegeben. Die Bezüge sind nicht von der Lebensdauer einer Person abhängig gemacht worden.
Ebensowenig bestehen Anhaltspunkte für eine betriebliche Versorgungsrente, die im Zusammenhang mit der Veräußerung eines Unternehmens bzw. der Übertraguung eines Mitunternehmeranteils überhaupt nur ausnahmsweise anzunehmen ist (vgl. BFH-Urteil vom 12. November 1985 VIII R 286/81, BFHE 145, 62, BStBl II 1986, 55).
b) Der Streitfall gibt entgegen der Auffassung des FG keine Veranlassung, die Abgrenzung von Kaufpreisraten einerseits und Veräußerungszeitrenten andererseits weiter zu klären bzw. konkret zu entscheiden, ob tatsächlich Kaufpreisraten vorliegen; denn in beiden Fällen ist - nur - der in den jährlichen Zahlungen enthaltene Zinsanteil einkommensteuerrechtlich als Einnahme aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 1 Nr.4 EStG 1975 (jetzt § 20 Abs. 1 Nr.7 EStG) anzusetzen.
Die Unterscheidung zwischen Kaufpreisraten und Veräußerungszeitrente ist allein bedeutsam für das von der Rechtsprechung (vgl. BFH-Urteil vom 20. Dezember 1988 VIII R 110/82, BFH/NV 1989, 630, m.w.N.) und von der Verwaltung (vgl. Abschn. 139 Abs. 12 Satz 1 und 12f. der Einkommensteuer-Richtlinien - EStR -) eingeräumte Wahlrecht zwischen Sofort- und Zuflußbesteuerung (vgl. BFH-Urteile vom 20. August 1970 IV 143/64, BFHE 100, 97, BStBl II 1970, 807; vom 25. November 1980 VIII R 71/76, BFHE 132, 422, BStBl II 1981, 358 a.E.; Schmidt, Einkommensteuergesetz, 10. Aufl., § 16 Anm.45, 45a; Reiß in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 16 E 39. Insbesondere findet auf Kaufpreiszeitrenten nicht § 22 Nr.1 Satz 1 EStG Anwendung (Schmidt, a.a.O.; Urteil vom 25. November 1980 VIII R 71/76, a.a.O.).
Ist das Wahlrecht - wie hier - im Sinne der Sofortversteuerung des Veräußerungsgewinns ausgeübt worden, so werden Kaufpreisraten und Veräußerungszeitrenten hinsichtlich des erst bei Zufluß zu versteuernden Zinsanteils gleichbehandelt, sofern es sich nicht um kurzfristige Raten, die sich nicht über mehr als ein Jahr erstrecken, handelt (vgl. BFH-Urteil vom 21. Oktober 1980 VIII R 190/78, BFHE 132, 38, BStBl II 1981, 160) oder der Zeitpunkt der Zahlungen völlig unbestimmt ist (vgl. BFH-Urteil vom 14. Februar 1984 VIII R 41/82, BFHE 141, 121, BStBl II 1984, 550; Biergans, Renten und Raten in Einkommensteuer und Steuerbilanz, 3. Aufl., S. 111).
Beide Ausnahmetatbestände liegen hier nicht vor.
c) X und die Klägerin zu 2 haben das Wahlrecht im Rahmen der einheitlichen Gewinnfeststellung für das Veräußerungsjahr 1969 im Sinne der Sofortversteuerung des Veräußerungsgewinns ausgeübt. In dem Gewinnfeststellungsbescheid für 1969 vom 22. Oktober 1976 ist das FA der Rechtsauffassung der 1972 bei der KG durchgeführten Betriebsprüfung gefolgt, wonach die laufenden Bezüge als Kaufpreisraten mit dem - abgezinsten - Barwert sofort zu versteuern und als Veräußerungsgewinn tarifbegünstigt seien. Die Feststellung u.a. eines Veräußerungsgewinns ist im Rahmen der einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung zu treffen, mit verbindlicher Wirkung für das Veranlagungsverfahren (§ 218 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung - AO - a.F., § 182 Abs. 1 AO 1977; BFH-Urteil vom 11. Juli 1985 IV R 61/83, BFHE 144, 151, BStBl II 1985, 577 a.E.).
Die Gewinnfeststellung für 1969 ist durch Klagerücknahme und damit noch vor Ergehen der Einspruchsentscheidung bezüglich der Einkommensteuer 1975 vom 8. Juli 1980 am 2. Januar 1980 bestandskräftig geworden.
d) Der Senat braucht nicht abschließend zu entscheiden, ob die Kaufpreisforderung bzw. die Rentenansprüche aus der Betriebsveräußerung im Zeitpunkt der Übertragung des Eigentums an den Wirtschaftsgütern des Betriebsvermögens auf den Erwerber notwendig in das Privatvermögen des Veräußerers übergegangen sind (so die bislang ständige höchstrichterliche Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 28. Januar 1981 1 R 234/78, BFHE 133, 30, BStBl II 1981, 464, und die herrschende Meinung im Schrifttum, vgl. Schmidt, a.a.O., § 16 Anm.45a; Reiß, a.a.O., § 16 B 173) oder dem Betriebsvermögen zugeordnet bleiben (so der Beschluß des erkennenden Senats vom 26. März 1991 VIII R 55/86, BFHE 166, 21, zu B I und III 1, mit umfassenden Nachweisen zum Streitstand).
Zwar würde es sich im letzteren Falle um nachträgliche gewerbliche Einkünfte nach § 24 Nr.2 i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 2 EStG und nicht um Einkünfte aus Kapitalvermögen (§ 20 Abs. 1 Nr.4 EStG 1975) handeln. Unabhängig von der rechtlichen Zuordnung wird jedoch der Zinsanteil in beiden Fällen nach finanzmathematischen Regeln errechnet (vgl. Biergans, a.a.O., S. 45 und 111).
e) Die in den jährlichen Zahlungen enthaltenen Zinsanteile werden in der Weise ermittelt, daß von der jährlichen Gesamtleistung die jährliche Barwertminderung (Tilgungsanteil) abgezogen wird. Bei der Ermittlung des Barwertes ist grundsätzlich von einem Zinsfuß von 5,5 v.H. auszugehen (vgl. BFH-Urteile vom 21. Oktober 1980 VIII R 190/78, BFHE 132, 38, BStBl II 1981, 160; vom 29. Oktober 1974 VIII R 131/70, BFHE 114, 79, BStBl II 1975, 173), sofern die Vertragspartner nicht einen höheren Rechnungszinsfuß vereinbart haben. Dies ist im Streitfall nicht geschehen. Unerheblich ist auch, ob bei der Stundung oder Verrentung des Kaufpreises tatsächlich Zinsen berechnet worden sind.
Einen höheren Zinsfuß hat die Rechtsprechung vor allem dann nicht als angemessen erachtet, wenn die Rente - wie hier - mit einer Wertsicherungsklausel ausgestattet worden ist (BFH-Urteile vom 20. November 1969 IV R 22/68, BFHE 98, 28, BStBl II 1970, 309; vom 29. Oktober 1970 IV R 141/67, BFHE 100, 390, BStBl II 1971, 92).
Der im Einzelfall im Rahmen der Ermittlung des Veräußerungsgewinns bei Sofortversteuerung bei der Feststellung des Barwerts der Kaufpreisforderung angewendete Abzinsungssatz ist zugleich maßgebend für die Bestimmung des später zu versteuernden, in den laufenden Zahlungen enthaltenen Zinsanteils (vgl. Schmidt, a.a.O., § 16 Anm.50d).
Die Betriebsprüfung hat den Barwert der laufenden Zahlungen und den jährlichen Zinsanteil mit einem Zinssatz von 5,5 v.H. ermittelt.
Die Beteiligten haben gegen die Berechnung und die diesbezüglichen Feststellungen des FG im übrigen keine Einwendungen erhoben.
f) Im Ergebnis zutreffend hat das FG den aufgrund der Wertsicherungsklausel in dem Streitjahr zugeflossenen Mehrbetrag in voller Höhe den Einnahmen aus Kapitalvermögen zugerechnet. Ausweislich der Anlage 1 des vom FG ausdrücklich in Bezug genommenen Betriebsprüfungs-Berichts vom 13. Oktober 1978 beläuft sich der 1975 angefallene Mehrbetrag auf . . . DM.
Erhöht sich in den dem Veräußerungsjahr nachfolgenden Veranlagungszeiträumen aufgrund einer Wertsicherungsklausel der Jahresbetrag der laufenden Bezüge, so wirkt dies nicht auf die Bemessung des Veräußerungspreises zurück. Die Erhöhungen der laufenden Bezüge sollen vor der Verschlechterung des Geldwertes schützen. Hingegen erhöhen sie nicht den Wert des veräußerten Wirtschaftsgutes (vgl. BFH-Urteil vom 29. November 1981 VIII R 231/80, BFHE 139, 403, BStBl II 1984, 109, und die herrschende Meinung im Schrifttum, vgl. Biergans, a.a.O., S. 228 m. umf. N. in FN 2; Schmidt, a.a.O., § 16 Anm.45a; Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 16 Anm.203; a.M. Theisen in Steuer und Wirtschaft - StuW - 1986, 354, 364; Dötsch, Einkünfte aus Gewerbebetrieb und nach Betriebsaufgabe, 1987, S. 134, m.w.N.).
Bei Kaufpreisraten und gleich zu behandelnden Veräußerungszeitrenten stellen die Mehrbeträge ein zusätzliches Entgelt für den gestundeten, seiner Höhe nach unveränderten Kaufpreis dar. Der BFH hat in diesem Sinne bereits mehrfach in Fällen der Veräußerung von Privatvermögen entschiedenn und die Erhöhungsbeträge als Einnahmen aus Kapitalvermögen nach § 20 Abs. 2 Nr.1 EStG beurteilt (BFH-Urteile vom 25. Juni 1974 VIII R 109/69, BFHE 113, 207, BStBl II 1974, 735; vom 16. Januar 1979 VIII R 38/76, BFHE 127, 30, BStBl II 1979, 334, und vom 29. November 1983 VIII R 231/80, BFHE 139, 403, BStBl II 1984, 109).
Die im Schrifttum teilweise vertretene Ansicht, auch bei anderen wiederkehrenden Bezügen als Leibrenten (vgl. dazu BFH-Urteil vom 29. November 1983 VIII R 231/80, a.a.O.) dürfe nur der in dem Mehrbetrag enthaltene Zinsanteil, nicht aber der gesamte Erhöhungsbetrag als Einnahmen aus Kapitalvermögen angesetzt werden (so Biergans, a.a.O., S. 234; Schmidt, a.a.O., § 16 Anm.45a), trägt nicht dem Umstand Rechnung, daß Wertsicherungsklauseln regelmäßig die besonders lange Kapitalnutzung des Erwerbers bei Stundung des Kaufpreises berücksichtigen sollen (vgl. auch Blümich, Einkommensteuergesetz, 13. Aufl., § 16 Tz.133; Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., § 16 Anm.203).
Mehrbeträge aufgrund einer Wertsicherungsklausel bei laufenden Zahlungen sind nicht anders bei der Veräußerung eines Betriebes bzw. eines Mitunternehmeranteils zu behandeln. Sofern die Kapitalforderung Privatvermögen wird, handelt es sich ebenfalls um Einnahmen aus Kapitalvermögen (vgl. Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., § 16 Anm.203; Schmidt, a.a.O., § 16 Anm.45a; Blümich, a.a.O., § 16 Tz.133).
Der BFH hat im Urteil vom 16. Juli 1964 IV 377/62 U (BFHE 80, 410, BStBl III 1964, 622) allein wegen der Besonderheiten des Falles laufende gewerbliche Einnahmen angenommen.
Im Schrifttum wird teilweise unter Berufung auf dieses Urteil die Auffassung vertreten, die Mehrbeträge aufgrund von Wertsicherungsklauseln im Zusammenhang mit einer Betriebsveräußerung seien generell als nachträgliche gewerbliche Einkünfte zu erfassen (vgl. Grune, Deutsche Steuer-Zeitung/Ausgabe A - DStZ/A - 1976, 13, 15; Wendt, Deutsche Steuer-Rundschau - DStR - 1969, 80; Söffing in Lademann/Söffing/Brockhoff, a.a.O., § 16 Anm.136; dagegen Blümich, a.a.O., § 16 Tz.133; Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., § 16 Anm.203; Schoor, Finanz-Rundschau - FR - 1987, 248, 251).
Wird die Kaufpreisforderung jedoch, wovon die herrschende Meinung noch ausgeht, Privatvermögen, so können sowohl die Zins- als auch die Erhöhungsbeträge nur als Einnahmen aus Kapitalvermögen erfaßt werden; denn mit der Veräußerung des Betriebes endet die betriebliche Tätigkeit, sofern nicht die Zuflußbesteuerung gewählt worden ist (vgl. Friele/Spiegels, DStR 1978, 395, 399; Blümich, a.a.O., § 16 Tz.133).
4. Geht man mit dem Vorlagebeschluß des erkennenden Senats vom 26. März 1991 VIII R 55/86, a.a.O. von der Annahme aus, daß die Kaufpreisforderung im Betriebsvermögen bleibt, so sind zwar die laufenden Bezüge um die auf der Wertsicherungsklausel beruhenden Erhöhungsbeträge den nachträglichen Einnahmen aus Gewerbebetrieb (§ 24 Nr.2 i.V.m. § 15 Abs. 1 Nr.1 Satz 1, Abs. 2 EStG) zuzuordnen. Nach § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO darf der Senat indessen nicht über den Antrag der Klägerinnen hinausgehen. Durch die Umqualifizierung der Einnahmen verlören die Klägerinnen jedoch den Werbungskostenpauschbetrag - im Streitjahr 1975 teilweise - gemäß § 20 Abs. 4 Satz 1, § 9a Nr.2 EStG in Höhe von 200 DM, da die sonstigen Einnahmen aus Kapitalvermögen im Streitjahr nur 168 DM betragen haben. Überdies ginge der gemeinsame Sparer-Freibetrag in Höhe von 600 DM verloren (vgl. § 20 Abs. 4 Satz2 EStG 1975). Da der Senat an einer Schlechterstellung gehindert ist, kann er die steuerrechtliche Qualifizierung der Einnahmen als Einkünfte aus Kapitalvermögen bzw. nachträgliche gewerbliche Einkünfte im Streitfall offenlassen.
Im Ergebnis hat die Revision der Klägerinnen keinen Erfolg und war deshalb als unbegründet zurückzuweisen.
II. Auf die begründete Revision des FA wird die Vorentscheidung hinsichtlich der Streitjahre 1971 und 1972 aufgehoben und die Klage insoweit abgewiesen (§ 126 FGO).
1. Das FA hat zu Recht durch Erstbescheide vom 19. Dezember 1979 die Einkommensteuer für 1971 und 1972 festgesetzt.
a) Die zunächst für 1971 am 31. Juli 1974 sowie für 1972 am 1. April 1975 erlassenen Einkommensteuerbescheide sind durch Übersendung in jeweils nur einer Ausfertigung nicht wirksam bekanntgegeben worden (vgl. § 210 Abs. 2 AO; BFH-Urteil vom 13. August 1970 IV 48/65, BFHE 100, 171, BStBl II 1970, 839; BFH-Beschlüsse vom 20. Januar 1972 I B 51/68, BFHE 104, 45, BStBl II 1972, 287; vom 22. Oktober 1975 I B 38/75, BFHE 117, 205, BStBl II 1976, 136; Urteil vom 16. August 1978 I R 26/78, BFHE 126, 5, BStBl II 1979, 58). Lediglich für den Fall einer gemeinsam von beiden Ehegatten unterschriebenen Steuererklärung wurde eine - stillschweigende - wechselseitige Bevollmächtigung angenommen, mit der Folge, daß die Übersendung nur einer Ausfertigung eines zusammengefaßten Steuerbescheides zur wirksamen Bekanntgabe genügte. Zu Recht hat das FG das Vorliegen dieser Voraussetzungen verneint.Unerheblich ist, ob die Steuerpflichtigen die nicht wirksam bekanntgegebenen Steuerbescheide tatsächlich zur Kenntnis erhalten haben und ob sie diese gegen sich gelten lassen wollen; denn der nicht wirksam bekanntgegebene Verwaltungsakt entfaltet überhaupt keine Rechtswirkungen (vgl. auch § 155 Abs. 1 Satz 2 AO 1977). Erst mit der Bekanntgabe besteht für den Steuerpflichtigen ein gewisser Vertrauens- und Bestandsschutz (vgl. § 124 Abs. 2 AO 1977).
Da der Verwaltungsakt vor seiner Bekanntgabe nicht wirksam ist, kann die Finanzbehörde ihren Willen ohne Rücksicht auf Änderungsvorschriften grundsätzlich bis zur Bekanntgabe ändern. Die Unwirksamkeit ist von Amts wegen zu berücksichtigen und steht nicht zur Disposition der Beteiligten (vgl. BFH-Urteil vom 11. Dezember 1985 I R 31/84, BFHE 146, 196, BStBl II 1986, 474; vom 13. November 1985 VIII R 391/83, BFH/NV 1986, 531).
b) Soweit der Bescheid für 1972 vom 19. Dezember 1979 als nach § 174 Abs. 2 AO 1977 geänderter Einkommensteuerbescheid bezeichnet wird, handelt es sich um eine unzutreffende - auswechselbare - Begründung. Entscheidend ist, daß die Steuerfestsetzung materiell-rechtlich ergehen durfte (vgl. BFH-Urteile vom 28. November 1989 VIII R 83/86, BFHE 159, 418, BStBl II 1990, 458, m.w.N. zur Angabe unzutreffender Änderungsvorschriften; vom 22. Mai 1984 VIII R 60/79, BFHE 141, 211, BStBl II 1984, 697).
In der Einspruchsentscheidung vom 17. Juli 1980 hat das FA überdies ausdrücklich klargestellt, daß es sich um Erstbescheide für 1971 und 1972 handelt.
2. Der erstmaligen Steuerfestsetzung für 1971 und 1972 am 19. Dezember 1979 stand auch nicht die Verjährung der Steueransprüche entgegen.
Gemäß Art.97 § 10 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGOA) 1977 vom 14. Dezember 1976 richtet sich die Verjährung der bis zum 31. Dezember 1976 entstandenen Ansprüche nach den Vorschriften der AO über die Verjährung. Nach § 144 Abs. 1 AO betrug die Verjährungsfrist für die Einkommensteuer fünf Jahre. Laut § 145 Abs. 1 AO begann die Verjährung mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Anspruch entstanden ist, jedoch abweichend davon bei den Steuern vom Einkommen erst mit Ablauf des Jahres, in dem die Steuererklärung für den jeweiligen Veranlagungszeitraum abgegeben wurde, spätestens mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf die Entstehung des Steueranspruchs folgt (§ 145 Abs. 2 Nr.1 AO).
Für beide Jahre ist die Verjährung danach frühestens Ende 1979 abgelaufen.
3. Der Geltendmachung der Einkommensteueransprüche 1971 und 1972 steht entgegen der Annahme des FG nicht das Rechtsinstitut der Verwirkung entgegen.
a) Das Rechtsinstitut der Verwirkung ist Ausfluß des die gesamte Rechtsordnung beherrschenden Grundsatzes von Treu und Glauben und gilt damit gleichermaßen im Steuerrecht. Es ist ein Anwendungsfall des Verbots widersprüchlichen Tuns und greift ein, wenn ein Anspruchsberechtigter durch sein Verhalten beim Verpflichteten einen Vertrauenstatbestand dergestalt geschaffen hat, daß nach Ablauf einer gewissen Zeit die Geltendmachung des Anspruchs wegen Hinzutretens besonderer Umstände als illoyale Rechtsausübung empfunden werden muß. Es handelt sich dann um Rechtsmißbrauch (grundlegend BFH-Urteil vom 14. September 1978 IV R 89/74, BFHE 126, 130, BStBl II 1979, 121, 124; vom 19. Dezember 1979 I R 23/79, BFHE 129, 462, BStBl II 1980, 368; vom 7. Juni 1984 IV R 180/81, BFHE 141, 451, BStBl II 1984, 780; vom 8. Oktober 1986 II R 167/84, BFHE 147, 409, BStBl II 1987, 12).
Ein bloßes Untätigbleiben einer Finanzbehörde reicht in der Regel nicht aus, um einen Steueranspruch als verwirkt anzusehen; denn die zeitliche Grenze für die Festsetzung eines Steueranspruchs hat der Gesetzgeber in den Vorschriften über die Verjährung festgelegt (BFH-Urteile vom 22. April 1986 VIII R 171/83, BFH/NV 1986, 679; vom 22. Mai 1984 VIII R 60/79, BFHE 141, 211, BStBl II 1984, 697, 701).
Der Tatbestand der Verwirkung setzt neben dem bloßen Zeitmoment (zeitweilige Untätigkeit des Anspruchsberechtigten) sowohl ein bestimmtes Verhalten des Anspruchsberechtigten voraus, demzufolge der Verpflichtete bei objektiver Beurteilung darauf vertrauen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (Vertrauenstatbestand) als auch, daß der Anspruchsverpflichtete tatsächlich auf die Nichtgeltendmachung des Anspruchs vertraut und sich hierauf eingerichtet hat (Vertrauensfolge). Gerade deshalb muß die Geltendmachung des Steueranspruchs gegen Treu und Glauben verstoßen. Durch das Rechtsinstitut der Verwirkung soll der Steuerpflichtige davor geschützt werden, daß ihm erhebliche Nachteile entstehen, die nicht entstanden wären, wenn die Finanzbehörde den Steueranspruch rechtzeitig geltend gemacht hätte (vgl. BFH-Urteile vom 8. Oktober 1986 II R 167/84, a.a.O., m.w.N.; vom 21. Juli 1988 V R 97/83, BFH/NV 1989, 356; vom 22. April 1986 VIII R 171/83, BFH/NV 1986, 679).
Der IV. Senat (Urteil vom 14. September 1978 IV R 89/74, a.a.O., S. 125) hebt zu Recht hervor, es müsse schlechthin unverständlich erscheinen, wenn bei einer eindeutigen und verbindlichen Zusage das Vertrauen des Steuerpflichtigen nur geschützt wird, wenn es ursächlich für bestimmte, nicht mehr rückgängig zu machende Vermögensdispositionen gewesen ist, für den gegenüber einer bindenden Zusage jedoch schwächeren Fall, daß der Steuerpflichtige lediglich auf ein bestimmtes Verhalten des FA vertrauen durfte, auf das Erfordernis derartiger Dispositionen aber verzichtet werden könnte. Lediglich in ganz besonderen Ausnahmefällen wird das Merkmal zusätzlicher Dispositionen als entbehrlich angesehen, weil bei der Verwirkung die Umstände des Einzelfalles von ausschlaggebender Bedeutung sind und Billigkeitsgesichtspunkte für die Entscheidung im Widerspruch zwischen Rechtssicherheit und Gerechtigkeit eine besondere Rolle spielen (vgl. BFH-Urteile vom 29. Januar 1974 VII R 69/71, BFHE 111, 293, BStBl II 1974, 308; vom 22. Juni 1977 I R 171/74, BFHE 123, 321, BStBl II 1978, 33; vom 14. September 1978 IV R 89/74, BFHE 126, 130, BStBl II 1979, 121; vom 19. Dezember 1979 I R 23/79, BFHE 129, 462, BStBl II 1980, 368; vom 22. April 1986 VIII R 171/83, BFH/NV 1986, 679; vom 21. Juli 1988 V R 97/83, BFH/NV 1989, 356; Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 26. Januar 19722 BvR 255/67, BStBl II 1972, 306).
b) Der VIII. Senat hat in seinem Urteil vom 22. Mai 1984 (VIII R 60/79, a.a.O.) nicht - wie das FG meint - von der Notwendigkeit einer Vertrauensfolge abgesehene. Vielmehr werden aus den Ausführungen unter Ziffer III 4 gerade die möglichen vermögensmäßigen Auswirkungen deutlich.
c) Bei Anwendung der vorstehenden Grundsätze auf den Streitfall kann die Vorentscheidung nicht bestätigt werden.
Unbeschadet der Frage, ob überhaupt ein Vertrauenstatbestand vorliegt, berechtigt ein Zeitraum von etwas mehr als sieben Monaten zwischen dem Schreiben der OFD vom 2. April 1979 und der erneuten Steuerfestsetzungen für 1971 und 1972 - auch unter Berücksichtigung des Verhaltens der Finanzverwaltung nicht ausnahmsweise - von dem Vorliegen der sog. Vertrauensfolge abzusehen. Soweit in der Rechtsprechung derartige Ausnahmen zugelassen werden, handelt es sich um längere Zeiträume (vgl. z.B. Urteil des BFH vom 14. November 1968 V 191/65, BFHE 94, 168, BStBl II 1969, 120). Auch für den Fall der an sich zeitlich unbegrenzten Verjährungshemmung nach § 146a Abs. 3 AO hat der BFH eine zeitliche Grenze nach Treu und Glauben erst dann für möglich erachtet, wenn ein FA ohne sachlichen Grund übermäßig lange untätig bleibt und die Regelverjährungsfrist durch die Hemmung ihres Ablaufes ungewöhnlich lang hinausgezögert werden würde (vgl. BFH-Urteile vom 22. Juni 1977 I R 171/74, BFHE 123, 321, BStBl II 1978, 33; vom 29. Januar 1974 VII R 69/71, BFHE 111, 293, BStBl II 1974, 308; vom 22. April 1986 VIII R 171/83, BFH/NV 1986, 679).
Nach den Feststellungen des FG (vgl. § 118 Abs. 2 FGO), die von den Klägerinnen auch nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffen worden sind, haben die Steuerpflichtigen keine Dispositionen im Vertrauen auf die Nichtgeltendmachung der Steueransprüche getroffen. Soweit die Revisionsbeklagten sich auf im einzelnen nicht darstellbare Dispositionen berufen und vortragen, sich innerlich auf die Bestandskraft der Entscheidung der OFD eingestellt und eingerichtet zu haben, handelt es sich um unbeachtliches neues tatsächliches Vorbringen, welches überdies selbst im Falle seiner Berücksichtigung rechtlich unerheblich wäre.
4. Materiell-rechtlich hat das FA fehlerfrei den Zinsanteil der laufenden Bezüge für 1971 und für 1972 sowie die Mehrbeträge aufgrund der Wertsicherungsklausel im Jahr 1971 und für 1972 als Einnahmen aus Kapitalvermögen erfaßt.
Das FG hat insoweit zwar, von seinem abweichenden Rechtsstandpunkt aus zu Recht, keine nähere rechtliche Würdigung vorgenommen. Die vom FG festgestellten Tatsachen gestatten dem Senat jedoch eine abschließende rechtliche Beurteilung der Sache, so daß er in der Sache selbst erkennen muß (vgl. § 126 Abs. 3 Nr.1 FGO).
Zur rechtlichen Würdigung im einzelnen wird auf die Ausführungen zur Einkommensteuer 1975 unter I 3 und 4 Bezug genommen mit der Maßgabe, daß für 1971 und 1972 lediglich ein Werbungskosten-Pauschbetrag für Zusammenveranlagte von 300 DM (vgl. § 9a Nr.2 EStG 1971) in Betracht kommt (vgl. I. 4).
Fundstellen
Haufe-Index 64084 |
BFH/NV 1993, 87 |