Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Der eine autorisierte Volkswagen-Werkstatt betreibende Volkswagen-Händler darf für die in den sogenannten Kundendienst- Scheckheften bezeichneten Leistungen (Inspektionen), die er voraussichtlich nach Ablauf des Wirtschaftsjahres für solche Kunden, die bei ihm einen neuen Wagen gekauft haben, unter den Selbstkosten wird durchführen müssen, keine Rückstellung bilden; das gilt auch für die sogenannten Freiinspektionen.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 1, §§ 5, 6/1/3
Tatbestand
Streitig ist, ob die steuerpflichtigen Eheleute für sogenannte Kundendienstleistungen (Scheckheftzusatzkosten) Rückstellungen vornehmen dürfen.
Der steuerpflichtige Ehemann (Steuerpflichtiger - Stpfl. - ) schloß mit einem Volkswagen-Großhändler einen Volkswagen- Händlervertrag, auf Grund dessen er u. a. zum Verkauf von Volkswagen im eigenen Namen und auf eigene Rechnung gegen Provision berechtigt ist und in dem er sich verpflichtet, durch seinen Kundendienst die Volkswagen-Besitzer in der vom Volkswagen- Werk angeregten und vorgeschriebenen Weise zu betreuen. Der Stpfl. händigte wie jeder andere Volkswagen-Händler dem Käufer eines fabrikneuen Wagens ein Kundendienst-Scheckheft für die ersten 50 000 Km aus, nach dessen Verbrauch ein weiteres gleichartiges Scheckheft bis zu 100 000 Km ausgegeben wird. Im Vorwort dieses Scheckhefts wünscht das Volkswagen-Werk dem Käufer viel Freude an seinem Wagen; es wird weiter erklärt, daß der Käufer die im Scheckheft bezeichneten Kundendienstleistungen bei jeder autorisierten Volkswagen-Werkstatt des Inlandes oder Auslandes zu den vom Werk vorgeschriebenen Preisen in Anspruch nehmen könne.
Der Stpfl. ist der Auffassung, daß die vom Werk für die Kundendienstleistungen vorgeschriebenen Vergütungen seine Selbstkosten nicht deckten. Er verlangt deshalb die Anerkennung von Rückstellungen in seinen Bilanzen für die Kalenderjahre 1957 bis 1959. Die seinen Käufern gegenüber von ihm übernommenen Kundendienstleistungen wirkten sich erst in Zukunft als Aufwand aus, der unmittelbar mit der Veräußerung jedes einzelnen Volkswagens in Zusammenhang stehe und der die durch den Verkauf des Wagens verdiente Provision mindere. Die Rückstellungen seien nach dem Aufwand für diejenigen Kundendienstleistungen zu berechnen, die von den Kunden, die vor dem Bilanzstichtag Volkswagen erworben hätten, voraussichtlich in Anspruch genommen werden würden.
Das Finanzamt ließ die Rückstellungen nicht zu, weil es den wirtschaftlichen Zusammenhang zwischen dem Verkauf der Wagen und den Kundendienstleistungen verneinte und die Kundendienstleistungen als eine sich aus dem Händlervertrag ergebende Verpflichtung ansah.
Der Einspruch des Stpfl. blieb in diesem Punkt ohne Erfolg.
Die Berufung des Stpfl. hatte Erfolg. Das Finanzgericht erließ eine Zwischenentscheidung, in der es die vom Stpfl. begehrten Rückstellungen dem Grunde nach für berechtigt erklärte. Sie ergebe sich, so führte das Finanzgericht dazu noch aus, schon aus der im Händlervertrag allgemein übernommenen Verpflichtung, Kundendienstleistungen zu bestimmten Preisen vorzunehmen. Wenn die vom Werk vorgeschriebenen Preise für die im Kundendienstheft vorgesehenen Leistungen tatsächlich unter den Selbstkosten lägen, so sei bedeutsam, daß der dem Stpfl. damit aufgebürdete Verlust nur bei älteren Fahrzeugen durch den Verkauf von Ersatzteilen oder durch Ausführung sonstiger Arbeiten ausgeglichen werde. Das aber sei bei Neuwagen nicht der Fall, weil in den ersten Jahren nach dem Verkauf kaum Reparaturen anfielen. Die bezeichneten Verluste aus den Kundendienstleistungen müßten aus den Provisionen der veräußerten Wagen gedeckt werden. Die Provisionen seien deshalb solange nicht voll verdient, als an den veräußerten Wagen die Kundendienstleistungen auszuführen seien. Daraus ergebe sich das Recht des Stpfl. zu Rückstellungen.
Entscheidungsgründe
Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts ist begründet.
Rückstellungen können für ungewisse Schuldverbindlichkeiten, für drohende Verluste oder für selbständig bewertungsfähige Lasten gebildet werden. Kann ihre Höhe nur geschätzt werden, so hängt die Zulässigkeit der Rückstellung davon ab, daß die Schätzung des Kaufmanns in einem objektiv nachprüfbaren Rahmen liegt und sich die für die Berechnung der Höhe der Rückstellung notwendigen tatsächlichen Unterlagen am Bilanzstichtag in etwa übersehen lassen (vgl. z. B. Urteile des Bundesfinanzhofs IV 142/53 U vom 19. November 1953, BStBl 1954 III S. 16, Slg. Bd. 58 S. 264, und I 137/59 U vom 29. November 1960, BStBl 1961 III S. 154, Slg. Bd. 72 S. 416). Müssen im Rahmen eines Vertrages noch nach Ablauf des Wirtschaftsjahres kostenlose oder die Selbstkosten nicht deckende Nacharbeiten, Ersatzlieferungen oder Reparaturen vorgenommen werden, so handelt es sich um Erlösschmälerungen, die zur Vermeidung eines zu günstigen Bilanzbildes durch eine Rückstellung berücksichtigt werden müssen, wenn das volle, sich aus dem Vertrag ergebende Leistungsentgelt bereits als Bruttoertrag des abgelaufenen Wirtschaftsjahres ausgewiesen ist (Urteil des Bundesfinanzhofs IV 165/59 S vom 17. Januar 1963, BStBl 1963 III S. 237, Slg. Bd. 76 S. 651).
Für die Beurteilung der Frage, ob und in welchem Umfang im vorliegenden Fall künftige Kundendienstleistungen als Schmälerungen von Erlösen aus am Bilanzstichtag abgeschlossenen Verträgen oder als eine sonstige vertragliche, das abgelaufene Wirtschaftsjahr betreffende Last betrachtet werden können, kommt es zunächst darauf an, mit welchen vertraglichen Vereinbarungen diese künftigen Kundendienstleistungen im wirtschaftlichen Zusammenhang stehen, ob mit dem zwischen dem Volkswagen-Werk und Großhändlern oder Großhändlern und sonstigen Händlern abgeschlossenen Händlervertrag oder mit den den Anlaß zur Aushändigung der Scheckhefte gebenden Kaufverträgen. Es ist dem Finanzgericht zwar darin zuzustimmen, daß die entscheidende rechtliche und wirtschaftliche Grundlage für die Vornahme künftiger Kundendienstleistungen nicht in den einzelnen Kaufverträgen, sondern in dem allgemeinen Händlervertrag auch in den Fällen zu sehen ist, in denen die Kundendienstleistungen dem Käufer eines Neuwagens zugute kommen. Nicht zutreffend ist aber, daß für die sich aus dem Händlervertrag ergebende Verpflichtung zur Vornahme der im Scheckheft bezeichneten künftigen Leistungen eine Rückstellung gebildet werden dürfe, die im übrigen vom Standpunkt des Finanzgerichts aus nicht auf Leistungen gegenüber solchen Kunden beschränkt werden könnte, die vor dem Bilanzstichtag beim Händler einen Neuwagen gekauft haben.
Es kann dahingestellt bleiben, ob der Käufer des Volkswagens nur gegen den Veräußerer, also gegen den Händler, einen Anspruch auf die Kundendienstleistungen des Scheckhefts hat oder ob nicht insoweit die Vereinbarungen des Volkswagen-Werks mit den Großhändlern oder der Großhändler mit den Händlern Verträge zugunsten Dritter, nämlich der Käufer, darstellen, aus denen die Käufer unmittelbare Rechte herleiten können. Wichtig ist vielmehr für die Entscheidung der Frage, ob die Kundendienstleistungen im engen wirtschaftlichen Zusammenhang mit den einzelnen Kaufverträgen und mit den durch diese Verträge erzielten Gewinnen oder mit den Händlerverträgen stehen, daß jede autorisierte Volkswagen-Werkstatt die Kundendienstleistungen zu den vorgesehenen Preisen unabhängig davon, wo der Kunde den Wagen gekauft hat, tatsächlich ausführt und daß diese Leistungen von Kunden im großen Umfang auch tatsächlich dort in Anspruch genommen werden, wo sie ihren Wagen nicht gekauft haben; es kommt hinzu, daß, wie man auch die Aushändigung des Scheckhefts an den Wagenkäufer durch den Veräußerer hinsichtlich der Verpflichtung zur Durchführung der Kundendienstleistungen bürgerlich-rechtlich beurteilen mag, jedenfalls so viel feststeht, daß sich die Verpflichtung des eine autorisierte Werkstatt unterhaltenden Händlers zur Vornahme solcher Kundendienstleistungen nicht allein aus den Veräußerungsverträgen, sondern auch aus dem Händlervertrag ergibt. Dabei kann es dahingestellt bleiben, ob und gegen wen der einzelne Kunde einen unmittelbaren Anspruch auf die Kundendienstleistungen hat. Aus dieser Betrachtung der Sach- und Rechtslage ergibt sich, daß die Kundendienstleistungen durch die autorisierte Werkstatt des Händlers in so engem wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem Händlervertrag stehen, daß ein daneben in bestimmten Fällen denkbarer wirtschaftlicher Zusammenhang mit den Wagenverkäufen in den Hintergrund tritt und für die steuerliche Beurteilung keine Bedeutung hat. Die steuerliche Beurteilung ist also auf Grund der entscheidenden Tatsache, daß der Händler die künftigen Kundendienstleistungen gegenüber jedem Auftraggeber unabhängig davon, ob er der Käufer eines Neuwagens ist, in gleicher Weise erbringen muß, daß diese Verpflichtung in allen Fällen maßgebend als auf dem Händlervertrag beruhend anzusehen ist und daß die wirtschaftliche Belastung des abgelaufenen Wirtschaftsjahrs durch erst noch in Auftrag zu gebende Kundendienstleistungen nicht von der Eigenschaft des Auftraggebers als Käufer eines Neuwagens abhängig sein kann, auf die Prüfung der Frage zu beschränken, ob der Händlervertrag eine ausreichende Grundlage für die Rückstellung bildet. Das ist zu verneinen.
Der Händlervertrag ist ein einheitlicher, sich auf viele Jahre erstreckender gegenseitiger Vertrag zwischen dem Großhändler und dem Volkswagen-Werk oder dem Großhändler und anderen Händlern, der zahlreiche Verpflichtungen und Rechte der beiden Beteiligten umfaßt und bei dem sich grundsätzlich die auf ein Wirtschaftsjahr bezogenen Leistungen und Gegenleistungen ausgleichen. Bei der Beurteilung dieses Ausgleiches ist die Gesamtheit aller Leistungen und aller Gegenleistungen gegenüberzustellen. Dabei ist der Kundendienst nur eine Teilleistung des Großhändlers oder des Händlers, die hinsichtlich ihrer Belastung nicht für sich allein betrachtet werden kann und deshalb auch nicht insoweit die Grundlage einer Rückstellung bilden darf, als sich künftige Kundendienstleistungen mehr oder weniger zufällig auf vom Inhaber der Werkstatt in Vorjahren verkaufte Volkswagen beziehen werden. Der Kundendienst des laufenden Wirtschaftsjahres ist deshalb in vollem Umfang eine sich in erster Linie aus dem Händlervertrag ergebende Verpflichtung, die sich auf die Vornahme laufender, dem Gesamtumsatz zugute kommender und dem Werbeaufwand ähnlicher Maßnahmen bezieht und eine Gemeinschaftsaufgabe der Händlerorganisation nicht zuletzt in ihrem eigenen Interesse darstellt. Soweit Kundendienstleistungen tatsächlich unter den Selbstkosten ausgeführt werden müssen, sind sie laufender Aufwand des Jahres der Vornahme im Rahmen des Händlervertrages.
Sowohl die vorstehenden rechtlichen als auch die tatsächlichen, zur Ablehnung von Rückstellungen führenden Erwägungen gelten in gleicher Weise für die sogenannten Freiinspektionen, die kurz nach dem Verlauf eines Neuwagens bei einem bestimmten km-Stand unentgeltlich von jeder autorisierten Werkstatt durchgeführt werden. Denn wenn zwischen den sonstigen Inspektionen und dem Kaufvorgang kein steuerlich bedeutsamer wirtschaftlicher Zusammenhang besteht, sich der Kundendienst vielmehr in vollem Umfang und entscheidend als eine auf dem Händlervertrag beruhende, werbeähnliche Maßnahme darstellt, so muß das für alle Kundendienstleistungen unabhängig davon gelten, ob sie für sich allein betrachtet unter einem die Selbstkosten nicht deckenden Preis oder unentgeltlich durchgeführt werden. Auch in tatsächlicher Beziehung läßt sich weder für den einzelnen Verkauf noch für die Gesamtheit der kurz vor dem Bilanzstichtag durchgeführten Verkäufe, bei denen möglicherweise im folgenden Wirtschaftsjahr vom Veräußerer eine Freiinspektion durchzuführen ist, mit ausreichender Sicherheit sagen, daß der Einzelauftrag oder die Summe dieser Aufträge zu einem Verlust führen werde. Denn erfahrungsgemäß werden auch mit Freiinspektionen in vielen Fällen Leistungen oder Lieferungen, z. B. von Schonbezügen oder Zusatzteilen, verbunden, die den Aufwand der Freiinspektion mindestens ausgleichen.
Der vorstehenden Entscheidung haben der I. und VI. Senat des Bundesfinanzhofs zugestimmt.
Fundstellen
Haufe-Index 410918 |
BStBl III 1963, 560 |
BFHE 1964, 655 |
BFHE 77, 655 |
BB 1963, 1365 |
DB 1963, 1664 |
DStR 1962/63, 732 |
StRK, EStG:5 R 382 |
FR 1963, 593 (LS) |
NJW 1964, 372 |
NWB, F. 17A S.1010 Nr. 11 |
BFH-N, (K) Nr. 1048 |
NWB/BBK, F. 17 S.631 |