Entscheidungsstichwort (Thema)
Tod eines Verlobten nach Aufgebot kein Billigkeitsgrund für abweichende Steuerfestsetzung
Leitsatz (NV)
1. Das FA ist nicht verpflichtet, die Erbschaftsteuer bei einer Verlobten des Erblassers nur deshalb aus Billigkeitsgründen nach einer günstigeren Steuerklasse als gesetzlich vorgeschrieben festzusetzen, weil der Erbfall nach der Bestellung des Aufgebots oder der förmlichen Befreiung vom Aufgebot eingetreten ist.
2. Der Umstand, daß die Verlobten in nichtehelicher Lebensgemeinschaft zusammengelebt hatten, führt zu keiner anderen Beurteilung.
Normenkette
AO 1977 § 163; ErbStG 1974 § 15 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist kraft letztwilliger Verfügung Alleinerbin des am 10. November 1990 im 67. Lebensjahr verstorbenen M. Sie hatte den Erblasser etwa 1 Jahre vor dessen Tod kennengelernt und war Anfang 1990 zu ihm gezogen. Laut einer Bescheinigung des Standesamts wollten beide am 13. November 1990 heiraten. Dafür war ihnen am 12. Juni 1990 Befreiung vom Aufgebot erteilt worden.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) zog die Klägerin durch mehrfach geänderten Bescheid nach der Steuerklasse IV zur Erbschaftsteuer heran. Durch den letzten, vom 22. November 1996 datierenden Bescheid ist die Steuer bei einem Nachlaßwert von ... DM und einem Freibetrag von 3 000 DM gemäß §16 Abs. 1 Nr. 5 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG 1974) in der bis zum Inkrafttreten des Jahressteuergesetzes 1997 geltenden Fassung auf ... DM festgesetzt worden.
Noch während des Steuerfestsetzungsverfahrens hatte die Klägerin beantragt, die Erbschaftsteuer aus sachlichen Billigkeitsgründen nach Steuerklasse I festzusetzen. Dies lehnte das FA durch Verfügung und auf Beschwerde der Klägerin hin die Oberfinanzdirektion mit Entscheidung ab. Die Klage, mit der die Klägerin nur noch eine Besteuerung nach Steuerklasse III im Billigkeitswege verlangte, blieb erfolglos. In dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1996, 480 veröffentlichten Urteil vertrat das Finanzgericht (FG) die Ansicht, aus der am bürgerlichen Recht orientierten Zusammensetzung der Steuerklassen in §15 ErbStG 1974 ergebe sich, daß keine Regelungslücke des Gesetzes vorliege. Hätte der Gesetzgeber eine Lücke gesehen, hätte er nach Ergehen des Urteils des FG Baden-Württemberg vom 4. Oktober 1984 IX 345/82 (EFG 1985, 249) mehrfach Gelegenheit gehabt, sie zu schließen. Im übrigen ergäben sich bei einer Berücksichtigung des Aufgebots in der vom FG Baden-Württemberg vertretenen Weise dann neue Härtefälle, wenn einer der Partner kurz vor der beabsichtigten Bestellung des Aufgebots versterbe.
Mit der vom FG zugelassenen Revision macht die Klägerin geltend, sei bereits das Aufgebot bestellt gewesen, müsse die geplante künftige Ehe aus Billigkeitsgründen einer geschiedenen Ehe gleichgestellt werden. Für den Gesetzgeber habe nach Ergehen des genannten Urteils des FG Baden-Württemberg kein Handlungsbedarf bestanden, weil die wenigen Einzelfälle von der Rechtsprechung sachgerechter als Härtefälle bewältigt werden könnten, als dies eine allgemeine Regelung vermöchte. Der Erblasser habe sich kurzfristig einer Operation unterziehen müssen, bei der Probleme aufgetaucht seien. In den darauffolgenden Tagen habe alle Aufmerksamkeit dem Leben des Erblassers gegolten, so daß nicht an eine Notheirat gedacht worden sei.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, unter Aufhebung der Vorentscheidung sowie der Ablehnungsverfügung und der Beschwerdeentscheidung das FA zu verpflichten, die Erbschaftsteuer für den Erwerb nach M im Billigkeitswege nach Steuerklasse III festzusetzen.
Das FA ist der Revision entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist als unbegründet zurückzuweisen ( §126 Abs. 2 FGO). Eine sachliche Härte der Steuererhebung dergestalt, daß sich das Ermessen der Steuerbehörden auf die begehrte Billigkeitsmaßnahme als einzig rechtmäßige Entscheidung verengt hätte, liegt nicht vor.
1. Gemäß §163 der Abgabenordnung (AO 1977) können Steuern niedriger festgesetzt werden, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Dabei handelt es sich um eine Ermessensentscheidung, bei der Inhalt und Grenzen des Ermessens durch den Begriff der Unbilligkeit bestimmt werden (vgl. Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603). Die Entscheidung darf gemäß §102 FGO gerichtlich (nur) daraufhin überprüft werden, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Soll sich die Unbilligkeit aus sachlichen Gründen ergeben, muß die Einziehung der Steuer zwar dem Gesetz entsprechen, aber infolge eines Gesetzesüberhangs den Wertungen des Gesetzgebers derart zuwiderlaufen, daß sie unbillig erscheint (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 26. Mai 1994 IV R 51/93, BFHE 174, 482, BStBl II 1994, 833, sowie vom 26. Oktober 1994 X R 104/92, BFHE 176, 3, BStBl II 1995, 297 unter II. 3.). Dies setzt voraus, daß der Gesetzgeber die mit der Erhebung der Steuer verbundene Härte nicht bewußt in Kauf genommen hat. §163 AO 1977 stellt keine Ermächtigung zur Korrektur des Gesetzes dar. Die Billigkeitsmaßnahme darf nicht auf Erwägungen gestützt werden, die die vorgesehene Besteuerung allgemein außer Kraft setzen würde (vgl. BFH-Urteil vom 5. Oktober 1966 II 111/64, BFHE 88, 382, BStBl III 1967, 415). Eine niedrigere Steuerfestsetzung wegen sachlicher Unbilligkeit ist daher nur insoweit durch die Ermächtigungsnorm des §163 AO 1977 gedeckt, als angenommen werden kann, der Gesetzgeber würde die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage -- hätte er sie geregelt -- im Sinne der vorgesehenen Billigkeitsmaßnahme entscheiden (BFH-Urteil vom 27. März 1958 Vz 181/57 U, BFHE 66, 647, BStBl III 1958, 248).
Entspricht die Einziehung der Steuer zwar dem zum Ausdruck gebrachten Willen des Gesetzgebers, hält dieser aber einer an den Grundrechten ausgerichteten verfassungsrechtlichen Überprüfung nicht stand, ist bereits das Gesetz als solches verfassungswidrig. Dies kann aber nur in den dafür vorgesehenen Verfahren geltend gemacht werden und rechtfertigt keinen Billigkeitserlaß (vgl. BFH-Urteil vom 23. November 1994 X R 124/92, BFHE 177, 246, BStBl II 1995, 824). Zur Wahrung der Grundrechte kann jedoch bei generalisierenden und typisierenden Steuertatbeständen ein Billigkeitserlaß wegen sachlicher Härte geboten sein, wenn die Regelungen nur deshalb einer verfassungsrechtlichen Prüfung standhalten, weil im Einzelfall oder in Gruppen von Einzelfällen die Möglichkeit besteht, auftretenden Härten durch Billigkeitsmaßnahmen Rechnung zu tragen (so Beschluß des Bundesverfassungsgerichts -- BVerfG -- vom 5. April 1978 1 BvR 117/73, BVerfGE 48, 102, BStBl II 1978, 441, 445, m. w. N.).
2. Gemäß diesen Grundsätzen war das FA im Streitfall zu keiner Billigkeitsmaßnahme verpflichtet. Nach den Wertungen des Gesetzgebers, wie sie in den §§9, 11, 15 und 16 ErbStG 1974 zum Ausdruck kommen, sollen vor allem familiäre Beziehungen zwischen dem Erblasser und dem Erben im Zeitpunkt des Todes über die Höhe der Steuer entscheiden (vgl. Moench, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, §15 Anm. 1). Die Erben, die zu diesem Zeitpunkt mit dem Erblasser verwandt oder verschwägert waren, werden in abgestufter Weise gegenüber Erben ohne diese Eigenschaft begünstigt. Dabei handelt es sich um eine rein formale Anknüpfung. Persönliche Vertrautheit, gemeinsames Zusammenleben oder langjährige Fürsorge spielen keine Rolle (so Meincke, Erbschaftsteuergesetz, 11. Aufl. 1997, §15 Anm. 2). Darüber hinaus werden auch geschiedene Ehegatten bevorzugt. Demgegenüber gehören Verlobte des Erblassers bewußt nicht zu den solchermaßen begünstigten Erben, und zwar auch dann nicht, wenn die Erbeinsetzung mit Rücksicht auf die bevorstehende Eheschließung erfolgt (vgl. für den Fall einer Schenkung Urteil des Reichsfinanzhofs -- RFH -- vom 12. April 1927 VeA 93/27, Deutsche Verkehrsteuer-Rundschau 1927, 110; anders nur bei Schenkung unter aufschiebender Bedingung der Eheschließung RFH-Urteil vom 25. April 1940 III e 3/40, RStBl 1940, 615). Dabei gehört es zum Wesen des Verlöbnisses, daß es -- abgesehen von einer vorzeitigen Auflösung, aus welchen Gründen auch immer -- erst mit der Eheschließung endet. Daher bewirkte die Einordnung der Verlobten in die ungünstigste Steuerklasse für den Gesetzgeber erkennbar, daß auch solche Erbfälle betroffen sind, die sich kurz vor einem festgelegten Heiratstermin ereignen.
Diese Einordnung der Verlobten in die ungünstigste Steuerklasse ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Das Verlöbnis fällt nicht etwa als Vorstufe der Ehe unter den Schutz von Ehe und Familie gemäß Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG). Aus der Tatsache, daß zwar geschiedene Ehegatten, nicht aber Verlobte einer günstigeren Steuerklasse zugeordnet worden sind, ergibt sich auch kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Die beiden Personengruppen sind nicht vergleichbar. Anders als zwischen Verlobten besteht zwischen geschiedenen Ehegatten ein besonderes Pflichtverhältnis, zu dem etwa die Unterhaltsregelung gehört (vgl. Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 3. Aufl. 1995, Art. 6 Anm. 3). Diese Folgewirkungen einer geschiedenen Ehe sind ebenfalls durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützt (so BVerfG-Entscheidung vom 10. Januar 1984 1 BvL 5/83, BVerfGE 66, 84, 93) und erlauben eine Besserstellung beispielsweise gegenüber Verlobten.
Die gesetzlich vorgeschriebene Erhebung der Erbschaftsteuer bei einem Verlobten nach der ungünstigsten Steuerklasse führt auch dann zu keiner unbilligen sachlichen Härte, wenn der Erbfall nach der Bestellung des Aufgebots bzw. einer förmlichen Befreiung vom Aufgebot eingetreten ist. Die Tatsache der Bestellung des Aufgebots nach §12 des Ehegesetzes (EheG) bzw. der förmlichen Befreiung vom Aufgebot vermag für sich allein eine sachliche Unbilligkeit der Steuererhebung nicht zu begründen. Sinn und Zweck des Aufgebots ist entgegen der Ansicht des FG Baden-Württemberg (Urteil in EFG 1985, 249) nämlich nicht, die persönlichen Bande zwischen den Verlobten rechtlich enger zu knüpfen und ihren Beziehungen eine andere, in die Ehe überleitende Qualität zu verleihen; vielmehr dient das Aufgebot lediglich der Überprüfung der Ehefähigkeit sowie dazu, öffentlich bekannt zu machen, die Ehe eingehen zu wollen (Müller-Gindullis in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, §12 EheG Anm. 1). Abgesehen davon wäre mit solch einer Sonderbehandlung der Verlobten, die bereits das Aufgebot bestellt hatten, die Trennlinie zwischen der ungünstigsten und der günstigeren Steuerklasse nur vorverlegt; an ihrer systemimmanenten Schärfe änderte sich dagegen nichts.
Der Verlust des der Klägerin nahestehenden Erblassers durch Tod rechtfertigt als solcher keine Billigkeitsmaßnahme. Er ist als schicksalhafter Umstand für den gemäß §1 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG 1974 der Steuer unterliegenden Tatbestand des Erwerbs von Todes wegen schlechthin konstitutiv und kann daher nicht gegenüber der daran nach §9 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes anknüpfenden Steuer als Milderungsgrund geltend gemacht werden. Auch der Umstand, daß die Klägerin mit dem Erblasser seit Beginn des Todesjahres eine nichteheliche Lebensgemeinschaft bildete, ist unbeachtlich. Das ErbStG begünstigt nichteheliche Lebensgemeinschaften nicht, ohne daß dies verfassungswidrig wäre (Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 6 Anm. 15 a). Der Gesetzgeber kann eheliche und nichteheliche Lebensgemeinschaften unterschiedlich behandeln, weil und insoweit es sich um unterschiedliche Lebensformen handelt (so Urteil des Bundessozialgerichts vom 6. August 1992 10 RKg 7/91, Neue Juristische Wochenschrift 1993, 1149). Daher kann die nichteheliche Lebensgemeinschaft unter erbschaftsteuerlichen Gesichtspunkten auch dem Verlöbnis keine besondere Qualität verleihen. Da sowohl die Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft als auch Verlobte der ungünstigsten Steuerklasse angehören, ist nicht ersichtlich, weshalb beides zusammen eine bessere Eingruppierung erzwingen soll.
3. Ein anderweitiger Ermessensfehlgebrauch der Steuerbehörden läßt sich nicht feststellen. Sie haben weder die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten noch von ihrem Ermessen in einer dem Zweck des Gesetzes nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht.
Fundstellen
Haufe-Index 67595 |
BFH/NV 1998, 1098 |
NJW-RR 1999, 1 |