Entscheidungsstichwort (Thema)
Umsatzsteuer
Leitsatz (amtlich)
Zur Unterscheidung zwischen über- bzw. Unterordnung (Organschaft) und Nebenordnung (Unternehmereinheit) zweier Gesellschaften: Laufen die Waren auf nur einem Wege, auf dessen einzelnen Abschnitten die beiden Gesellschaften nacheinander tätig werden, so wird in der Regel eine der beiden Gesellschaften der anderen untergeordnet sein; laufen die Waren parallel zueinander auf verschiedenen Wegen und betätigt sich jede der beiden Gesellschaften ausschließlich auf einem dieser Wege, so wird regelmäßig ein Nebenordnungsverhältnis bestehen.
Normenkette
UStG § 2/2/2, § 2 Abs. 1
Tatbestand
Die Bfin., an der drei Geschwister als Gesellschafter und deren Kinder als atypische stille Gesellschafter beteiligt sind, betreibt einen Großhandel mit Textilien (Stoffe, Kurz-, Weiß- und Wollwaren). Bis Juni 1949 stellte sie außerdem in geringem Umfange Wäsche und Berufskleidung (Hemden, Schlafanzüge, Arbeitskleidung und dergleichen) selbst her. Im September 1949 gründeten die drei Geschwister die Firma A.- GmbH, Wäsche- und Berufskleiderfabrik (im folgenden: GmbH), die die bisher von der Bfin. betriebene Eigenproduktion von Wäsche und Berufskleidung übernahm und diese Waren in eigenem Namen und für eigene Rechnung im Großhandel vertrieb. Im März 1950 übertrugen die Gesellschafter ihre gesamten GmbH-Geschäftsanteile an die Bfin., die damit Alleingesellschafterin der GmbH wurde. Zwei der Geschwister sind in Personalunion geschäftsführende Gesellschafter der Bfin. und Geschäftsführer der GmbH.
Die Bfin. und die GmbH hatten zunächst getrennt gemietete Räume in einem Geschäftshaus inne, das einer Erbengemeinschaft gehörte. Kunden, die unmittelbar in diesem Geschäftshause einkauften, konnten mangels entsprechender Hinweisschilder nicht erkennen, daß hier zwei verschiedene Firmen ihre Waren verkauften. Im Jahre 1955 verlegte die GmbH ihren Fabrikationsbetrieb in ein neuerworbenes, eigenes Gebäude. Beide Gesellschaften beliefern teilweise die gleichen Kunden, zumeist ländliche Textilgeschäfte. Die GmbH besitzt keine eigene Verkaufsorganisation, sondern bedient sich der Vertreter und Verkäufer sowie der Expedition der Bfin. Die Waren beider Firmen werden zusammen in Lieferwagen der Bfin. angeliefert, und zwar, sofern es die Art der Waren zuläßt, in einem Paket. Der Kunde erhält für die Waren der Bfin. und der GmbH getrennte, auf den Namen der verkaufenden Firma lautende Rechnungen. Beträgt sein Wareneinkauf bei einer der Firmen oder bei beiden Firmen zusammen mindestens 10.000 DM, so hat der Kunde Anspruch auf einen Umsatzbonus, der ausschließlich zu Lasten der Bfin. verbucht wird. Das Fehlen einer eigenen Verkaufsorganisation ermöglichte es der GmbH, die Zahl ihrer Angestellten trotz erheblicher Umsätze sehr niedrig zu halten. Für die übernahme fast der gesamten Vertriebs- und Verwaltungsarbeit (sog. "Generalia") hat die GmbH an die Bfin. etwa 2,8 v. H. ihres Umsatzes gezahlt.
Bei einer im Jahre 1956 durchgeführten Betriebsprüfung vertrat der Betriebsprüfer die Auffassung, daß bei der geschilderten Sachlage zwischen der Bfin. und der GmbH ein Organschaftsverhältnis bestehe und mit Rücksicht auf den damals noch in Kraft befindlichen Artikel II des Kontrollratgesetzes (KRG) Nr. 15 die Vertriebs- und Verwaltungskosten zur Umsatzsteuer heranzuziehen seien.
Hiergegen wendet sich die Bfin. mit der Begründung, zwischen ihr und der GmbH bestehe kein Organschaftsverhältnis, sondern Unternehmereinheit, weil beide Firmen einander nebengeordnet seien. Die entgeltliche überlassung ihrer Vertriebsorganisation durch die Bfin. an die GmbH stelle daher einen nicht steuerbaren Innenumsatz dar. Die Sprungberufung der Bfin. blieb ohne Erfolg.
Entscheidungsgründe
Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Zutreffend geht das Finanzgericht davon aus, daß die ersten drei Voraussetzungen der Unternehmereinheit (gleiche Gesellschafter, gleiche anteilsmäßige Beteiligung dieser Gesellschafter an jeder Gesellschaft, einheitliche Willensbildung für alle Gesellschaften) im Verhältnis zwischen der Bfin. und der GmbH vorliegen. Es hält aber die vierte Voraussetzung, die Nebenordnung der Gesellschaften, nicht für gegeben. Dagegen ist nach Ansicht des Finanzgerichts nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse die GmbH in die Bfin. finanziell, organisatorisch und wirtschaftlich eingegliedert, so daß zwischen ihnen ein Organschaftsverhältnis mit der Bfin. als Muttergesellschaft und der GmbH als Tochtergesellschaft anzunehmen sei.
Es kommt öfters vor, daß sich die Merkmale der Organschaft und der Unternehmereinheit teilweise überschneiden. Das ist besonders dann der Fall, wenn - wie im Streitfalle - eine Kapitalgesellschaft durch Betriebsaufspaltung aus einer Personengesellschaft hervorgegangen ist und diese zu 100 % die Anteile der Kapitalgesellschaft besitzt. In einem solchen Falle werden oft die ersten drei Voraussetzungen der Unternehmereinheit und zwei Voraussetzungen der Organschaft, nämlich die finanzielle und organisatorische Eingliederung, gleichzeitig zutage treten. Die Entscheidung hängt davon ab, ob die Gesellschaften zueinander in einem über- und Unterordnungsverhältnis (= Organschaft) oder in einem Nebenordnungsverhältnis (= Unternehmereinheit) stehen.
Der Senat hat im Urteil V 66/57 U vom 23. April 1959 (BStBl 1959 III S. 256, Slg. Bd. 68 S. 677) zur Unterscheidung zwischen Unternehmereinheit und Organschaft folgendes ausgeführt: "Bei der Unternehmereinheit handelt es sich um mehrere voneinander unabhängige und deshalb nebengeordnete Betriebe in der Form bürgerlich-rechtlich selbständiger Gesellschaften, von denen jeder eine eigene, nach den wirtschaftlichen Gegebenheiten des Betriebes sich richtende, wenn auch für alle in Betracht kommenden Betriebe einheitlich erfolgende Willensbildung des gleichen Unternehmers erfordert. Bei der Organschaft sind nicht mehrere voneinander unabhängige Betriebe (Gesellschaften) mit jeweils eigener Willensbildung vorhanden, sondern von zwei oder mehreren Gesellschaften habe eine oder mehrere keinen eigenen Willen, weil sie der übergeordneten Gesellschaft gehorchen müssen, in die sie ohne eigenen Willen eingegliedert sind."
Man kann das Problem auch so veranschaulichen: Laufen Waren auf nur einem Wege, auf dessen einzelnen Abschnitten zwei Gesellschaften nacheinander tätig werden, so wird in der Regel eine der beiden Gesellschaften der anderen untergeordnet sein (z. B. eine Vertriebsgesellschaft einer Produktionsgesellschaft oder umgekehrt); laufen Waren (in der Regel unterschiedlicher Art) parallel zueinander auf verschiedenen Wegen und betätigt sich jede der beiden Gesellschaften ausschließlich auf einem dieser Wege, so wird regelmäßig ein Nebenordnungsverhältnis bestehen.
Im Streitfall laufen die Waren parallel zueinander auf verschiedenen Wegen. Die GmbH ist der Bfin. nicht vor- oder nachgeschaltet, sondern ihr nebengeschaltet. Die Annahme des Finanzgerichts, die GmbH sei lediglich eine Fertigungsabteilung der Bfin., geht fehl. Die GmbH liefert die von ihr hergestellten Spezialtextilien (Hemden, Schlafanzüge, Berufskleidung und dergleichen) nicht an die Bfin., sondern in eigenem Namen und für eigene Rechnung an Dritte. Daß die Dritten zum großen Teil gleichzeitig Kunden der Bfin. sind, ist für die Streitfrage ebensowenig von Bedeutung wie der Umstand, daß beide Firmen die Waren bzw. Rohstoffe von denselben Lieferanten beziehen und daß ihre Geschäfts- und Lagerräume zeitweilig im gleichen Gebäude lagen.
Im Einkauf und in der Fabrikation ist die GmbH an keine Weisungen der Bfin. gebunden. Aus der Tatsache, daß beide Gesellschaften dieselben Geschäftsführer haben, ergibt sich - entgegen der Ansicht des Finanzgerichts - keineswegs, daß die Entschlüsse der GmbH zugleich diejenigen der Bfin. sein müssen. Vielmehr trifft jede der beiden Firmen über die personengleichen Geschäftsführer als ausführende Organe ihre eigenen geschäftlichen Dispositionen, die sich jeweils nach den wirtschaftlichen Gegebenheiten der einzelnen Firma richten. Die Annahme des Finanzamts und des Finanzgerichts, infolge der Personengleichheit der Geschäftsführer seien die Entschlüsse der GmbH gleichzeitig Entschlüsse der Bfin., ist ebenso unzutreffend wie die Entschlüsse der Bfin., die Identität der Geschäftsführer habe die Nebenordnung der Gesellschaften zur Folge, weil ein und dieselbe Person nicht sich selbst über- bzw. untergeordnet sein könne. Die Betrachtung hat nicht von den geschäftsführenden Gesellschaftern, sondern von den Gesellschaften selbst in ihrer jeweils in Erscheinung tretenden bürgerlich-rechtlichen Gestalt auszugehen. Entscheidend ist allein, ob zwischen den Gesellschaften als solchen ein Verhältnis der Nebenordnung oder der über- bzw. Unterordnung besteht (Entscheidung des Bundesfinanzhofs V 40/58 vom 21. Juli 1960, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Umsatzsteuergesetz § 2 Abs. 1 Rechtsspruch 64).
Die GmbH ist nicht nur - wie oben dargestellt - beim Einkauf der Rohstoffe und bei der Fabrikation der Wäschestücke und Berufskleider, sondern auch beim Vertrieb der von ihr hergestellten Waren von der Bfin. unabhängig. Das zeigt sich deutlich darin, daß die GmbH ihre Verkaufsabschlüsse in eigenem Namen und für eigene Rechnung tätigt. Es werden für die Verkäufe der Bfin. und der GmbH getrennte Rechnungen ausgestellt. Beide Firmen führen getrennte Bücher; ihre Einnahmen und Ausgaben laufen über eigene Konten und Kassen und berühren nur das eigene Geschäftsergebnis. Daß die Umsatzboni schon dann gewährt werden, wenn die Warenbezüge der Kunden bei beiden Firmen zusammengerechnet die 10.000-DM-Grenze erreichen, und daß sämtliche Boni zu Lasten der Bfin. gehen, beweist zwar die engen gegenseitigen Beziehungen der Gesellschaften, nicht aber das Bestehen eines über- und Unterordnungsverhältnisses.
Die Besonderheit des Falles besteht darin, daß die GmbH keinen eigenen Vertriebsapparat besitzt, sondern sich beim Absatz ihrer Waren des Verkäufer- und Vertreterstabes sowie der Expedition der Bfin. bedient. Das bedeutet aber keine rechtliche, sondern nur eine technische Eigenart des Geschäftsgebarens. Der Zweck ist, Kosten einzusparen. Auch ein Einzelkaufmann, der mehrere einander nebengeordnete Betriebe hat, wird bestrebt sein, nach Möglichkeit mit einer Verkaufsorganisation auszukommen. Die Einheit seines Unternehmens (§ 2 Abs. 1 Satz 2 UStG) wird dadurch nicht berührt.
Der Fall der Aufspaltung eines einheitlichen Unternehmens in zwei nebeneinander laufende Betriebe (Großhandel mit Textilien - Fabrikation und Vertrieb von Spezialtextilien) ist mit dem Falle einer Betriebsaufspaltung in eine Besitz-Personengesellschaft und in eine Betriebs-Kapitalgesellschaft nicht zu vergleichen, in dem der Senat ein Organschaftsverhältnis angenommen hat. Das Eigentum an dem verpachteten Betriebsvermögen gewährt der Besitzgesellschaft infolge der Möglichkeit, der Betriebsgesellschaft durch Kündigung des Pachtverhältnisses ihre wirtschaftliche Grundlage zu entziehen, eine ungleich größere Macht als die Zurverfügungstellung einer Verkaufsorganisation seitens der einen Betriebsgesellschaft an eine andere. Die Annahme, durch die Inanspruchnahme der Verkaufsorganisation "unterwerfe" sich die GmbH der Bfin. und habe ihr zu "gehorchen", entspricht nicht der Wirklichkeit. Es wird dadurch keine wirtschaftliche Eingliederung der GmbH in die Bfin. im Sinne einer Organschaft vollzogen. Die beiden Gesellschaften bleiben vielmehr einander nebengeordnet und bilden somit eine Unternehmereinheit. Die Zurverfügungstellung der Verkaufsorganisation der Bfin. an die GmbH ist daher ein innerbetrieblicher Vorgang, der eine Umsatzsteuer nicht auslöst. ...
Fundstellen
Haufe-Index 410985 |
BStBl III 1964, 222 |
BFHE 1964, 587 |
BFHE 78, 587 |