Entscheidungsstichwort (Thema)
Einschaltung einer Vertriebsgesellschaft zur Erlangung von Kürzungsansprüchen nach dem BerlinFG
Leitsatz (NV)
1. Zur Zulässigkeit des Antrags auf Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Umsatzsteuervorauszahlungsbescheids.
2. Wenn der Berliner Lieferer dem westdeutschen Abnehmer einen Rabatt in Höhe des Umsatzsteuerkürzungsanspruchs einräumt, reicht dieser Umstand noch nicht zur Annahme einer unangemessenen rechtlichen Gestaltung im Sinne von § 42 AO 1977 aus.
Normenkette
AO 1977 § 42; FGO § 100 Abs. 1 S. 4; BerlinFG § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1; StAnpG § 6
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um Kürzungsansprüche nach § 1 Abs. 1 des Gesetzes zur Förderung der Berliner Wirtschaft i. d. F. vom 29. Oktober 1970 - BerlinFG 1970 - (BGBl I 1970, 1482) für Kaffeelieferungen der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) in den übrigen Geltungsbereich des Berlin FG im Voranmeldungszeitraum Juli 19. . .
Die Klägerin ist eine Berliner Handelsgesellschaft. Sie lieferte Kaffee an die Gesellschaft 1 im übrigen Geltungsbereich des BerlinFG. Diese hatte Kaffee vorher von der mit ihr organschaftlich verbundenen Gesellschaft 2 bezogen, die den Kaffee in Berlin (West) hergestellt hatte. Die Klägerin erwarb den an die Gesellschaft 1 gelieferten Kaffee ganz überwiegend von der Gesellschaft 2. Das FA versagte der Klägerin in dem Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid für Juli 19. . . Kürzungsansprüche nach § 1 Abs. 1 BerlinFG, weil sie der Gesellschaft 1 bis Juli 19. . . den Kaffee ohne, danach mit einem geringen Aufschlag auf den Einkaufspreis verkauft und ihr einen Rabatt von 4,5 v. H. des Verkaufspreises eingeräumt hatte. Zur Begründung führte das FA u. a. aus, die Klägerin sei rechtsmißbräuchlich in den Handelsverkehr zwischen der Gesellschaft 1 und der Gesellschaft 2 eingeschaltet worden, weil die Gesellschaft 1 durch die Einräumung eines der Liefererpräferenz entsprechenden Rabatts wirtschaftlich beide Kürzungsansprüche des BerlinFG erlangt habe.
Das FG wies die Klage ab.
Während des Revisionsverfahrens hat das FA den Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 19. . . erlassen und darin die begehrten Kürzungsansprüche versagt.
Die Klägerin, die die unrichtige Anwendung des § 6 Abs. 1 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) - § 42 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) - rügt, beantragt nunmehr festzustellen, daß der angefochtene Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid rechtswidrig gewesen ist.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg.
Der Antrag der Klägerin auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Umsatzsteuervorauszahlungsbescheids (§ 100 Abs. 1 Satz 4 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) ist zulässig und begründet.
1. Der Antrag ist zulässig.
Der angefochtene Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid hat sich vor der Entscheidung des Senats durch Bekanntgabe des Umsatzsteuerjahresbescheids 19. . . erledigt (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 29. November 1984 V R 146/83, BFHE 143, 101, BStBl II 1985, 370). Die Klägerin durfte im Revisionsverfahren zum Feststellungsbegehren übergehen (vgl. BFH-Urteil vom 18. Dezember 1986 V R 127/80, BFHE 148, 226, BStBl II 1987, 222).
Die Klägerin hat ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Umsatzsteuervorauszahlungsbescheids. Zwar kommt einer gerichtlichen Entscheidung über einen Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid keine rechtliche Bindung im Verfahren über die Anfechtung des Umsatzsteuerjahresbescheids zu, weil die beiden Verfahren nach eigenen Regeln abgewickelt werden. Eine das Vorauszahlungsverfahren betreffende rechtskräftige gerichtliche Entscheidung ist aber für die Beteiligten in einem denselben Vorauszahlungszeitraum umfassenden Veranlagungsverfahren und einem sich daran anschließenden Rechtsbehelfsverfahren bei unverändertem Sachverhalt aus prozeßökonomischen Gründen beachtlich (Urteil in BFHE 148, 226, BStBl II 1987, 222). Dies reicht für die Annahme eines berechtigten Interesses an einer Entscheidung gemäß § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO aus, weil davon auszugehen ist, daß das FA und die Gerichte bei einer erneuten Entscheidung im Rahmen des Veranlagungsverfahrens für den gesamten Besteuerungszeitraum bei unveränderter Sachlage den gleichen Rechtsstandpunkt wie im Vorauszahlungsverfahren einnehmen werden (BFH-Urteil vom 29. Mai 1979 VI R 21/77, BFHE 128, 148, BStBl II 1979, 650).
2. Der Antrag ist begründet.
Der Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid war rechtswidrig.
Der Klägerin standen nach den zwischen ihr und der Gesellschaft 1 vereinbarten und durchgeführten Rechtsbeziehungen für Lieferungen des von der Gesellschaft 2 in Berlin (West) hergestellten Kaffees Kürzungsansprüche als Lieferer nach § 1 Abs. 1 BerlinFG in Höhe von 4,5 v. H. des vereinbarten Entgelts zu. Die Gesellschaft 1 war als Abnehmer nach § 2 Abs. 1 BerlinFG berechtigt, die von ihr geschuldete Umsatzsteuer um 4,2 v. H. des für diese Kaffeelieferungen in Rechnung gestellten Entgelts zu kürzen. Entsprechend der Zielsetzung des BerlinFG standen Kürzungsansprüche für den Lieferer (§ 1 Abs. 1 BerlinFG) und für den Abnehmer (§ 2 Abs. 1 BerlinFG) zwei selbständigen Unternehmern zu.
a) Die vom FG festgestellte bürgerlich-rechtliche Gestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen der Klägerin und der Gesellschaft 1 läßt keinen Mißbrauch i. S. von § 6 Abs. 1 StAnpG (§ 42 Satz 1 AO 1977) erkennen, durch den die Klägerin unberechtigt Steuervergünstigungen erlangen wollte.
Ein Rechtsmißbrauch i. S. von § 6 Abs. 1 StAnpG (§ 42 Satz 1 AO 1977) liegt vor, wenn eine Gestaltung gewählt wird, die im Verhältnis zu dem erstrebten Ziel unangemessen ist (BFH-Beschluß vom 29. November 1982 GrS 1/81, BFHE 137, 433, BStBl II 1983, 272 unter C. III). Das wäre der Fall, wenn für die Einschaltung der Vertriebsgesellschaft keine sachgerechten erwerbswirtschaftlichen oder andere beachtliche außersteuerrechtliche Gründe vorlägen (vgl. das zum Umsatzsteuervergütungsrecht ergangene BFH-Urteil vom 22. Januar 1960 V 52/56 S, BFHE 70, 299, BStBl III 1960, 111).
Ob die vom FG im Bereich der Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung ermittelten Gründe für die Anwendung oder Nichtanwendung des § 6 Abs. 1 StAnpG beachtlich sind oder nicht, kann der BFH selbst entscheiden (BFH-Urteil vom 29. Juli 1976 VIII R 142/73, BFHE 120, 116, BStBl II 1977, 263 unter 1b) bb).
b) Entsprechende Tatsachenfeststellungen sind in folgenden Ausführungen des FG enthalten:
Bis zum Beginn des Jahres 19. . . seien die Warenbewegungen unmittelbar zwischen der produzierenden Tochtergesellschaft (Gesellschaft 2) und der handeltreibenden Muttergesellschaft (Gesellschaft 1) erfolgt. Bei dieser Gestaltung habe der Konzern die Liefererpräferenz und der jeweilige von der Gesellschaft 1 belieferte westdeutsche Unternehmer die Abnehmerpräferenz des BerlinFG beanspruchen können. Durch die Einschaltung der Klägerin habe der Konzern infolge der Einräumung eines der Liefererpräferenz entsprechenden Rabatts durch die Klägerin wirtschaftlich beide Präferenzen erlangt. Die Klägerin könne auch nicht zur Erzielung möglichst günstiger Einkaufspreise für die Gesellschaft 1 in den Vertrieb des Kaffees eingeschaltet worden sein; denn einem günstigeren Einkaufspreis für die Gesellschaft 1 habe ein schlechterer Verkaufspreis für die Gesellschaft 2 gegenübergestanden. Wegen der bestehenden Organschaft mit Ergebnisabführungsvertrag habe die Gesellschaft 2 nur einen entsprechend niedrigeren Gewinn an die Gesellschaft 1 abführen können.
Das FG hat daraus gefolgert, die Klägerin sei nur deshalb in die Kaffeelieferungen der Gesellschaft 2 an die Gesellschaft 1 eingeschaltet worden, um Umsatzsteuerpräferenzen des BerlinFG bei der Gesellschaft 1 wirtschaftlich zu vermehren. Da dies der Zielsetzung des BerlinFG widerspreche, liege in der Beteiligung der Klägerin an dem Lieferungsvorgang ein Mißbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten i. S. von § 6 Abs. 1 StAnpG (§ 42 Satz 1 AO 1977).
c) Die Schlußfolgerungen des FG sind nach den den Senat mangels begründeter Revisionsrügen bindenden tatsächlichen Feststellungen (§ 118 Abs. 2 FGO) nicht gerechtfertigt.
Die vom FG mißbilligte Anhäufung von Umsatzsteuerkürzungsansprüchen ist nicht bei der Klägerin, sondern allenfalls bei der Gesellschaft 1 eingetreten. Ob die Kürzungsansprüche der Gesellschaft 1 nach dem BerlinFG wegen unangemessener rechtlicher Gestaltung nach § 6 StAnpG - § 42 AO 1977 - korrigiert werden müßten, ist hier aber nicht zu entscheiden.
Vom Standpunkt der Klägerin aus (um deren Steuerschuldverhältnis es hier geht) ist nicht ersichtlich, daß ihre Einschaltung als (selbständige) Vertriebsgesellschaft eine den wirtschaftlichen Vorgängen unangemessene rechtliche Gestaltung war. Eine andere - angemessene - Gestaltung unter Einbeziehung der Klägerin ist vorliegend schwerlich vorstellbar. Daß sie sich in das Geschäft nicht hätte einschalten dürfen, kann nach § 6 StAnpG - § 42 AO 1977 - nicht verlangt werden, zumal die Feststellungen des FG nicht ergeben, sie sei nur eine Art von ,,Briefkastenfirma" gewesen.
Die Klägerin darf den Vorteil des ihr nach Erfüllung der rechtlichen Voraussetzungen zustehenden Umsatzsteuerkürzungsanspruchs nach § 1 Abs. 1 BerlinFG aufgrund eigener Entscheidung verwenden. Wenn sie wegen des Umsatzsteuerkürzungsanspruchs in der Lage ist, ihrem westdeutschen Abnehmer einen Rabatt auf den Verkaufspreis einzuräumen, entspricht dies der Zielsetzung des BerlinFG, den Absatz von in Berlin (West) hergestellten Waren durch Berliner Unternehmer an westdeutsche Abnehmer zu fördern. Dieses Ziel wird auch nicht verfehlt, wenn der Berliner Lieferer dem westdeutschen Abnehmer einen Rabatt in Höhe des Umsatzsteuerkürzungsanspruchs einräumt. Vielmehr verstärkt diese Rabattgewährung den schon durch den Umsatzsteuerkürzungsanspruch nach § 2 Abs. 1 BerlinFG für den westdeutschen Abnehmer gegebenen Anreiz, in Berlin (West) hergestellte Gegenstände von Berliner Unternehmern zu beziehen. Schließlich hat die Klägerin ihre Rechtsbeziehungen zu der Gesellschaft 1 auch nicht dadurch mißbräuchlich i. S. von § 6 Abs. 1 StAnpG (§ 42 Satz 1 AO 1977) gestaltet, daß sie ihr den Kaffee im streitigen Voranmeldungszeitraum ohne Aufschlag auf den Einkaufspreis unter Einräumung eines Rabatts in Höhe ihres Kürzungsanspruchs nach § 1 Abs. 1 BerlinFG geliefert hat. Es handelt sich, wie die weiteren Feststellungen des FG ergeben, um Bedingungen, mit denen die Klägerin ,,ins Geschäft kommen" wollte, die kurz darauf für sie verbessert wurden und ihr insgesamt noch einen Gewinn versprachen.
Fundstellen