Leitsatz (amtlich)
1. Das FG verletzt den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör, wenn es bei einem kurz vor der mündlichen Verhandlung stattfindenden, vom Kläger nicht verschuldeten Wechsel des Prozeßbevollmächtigten den Antrag des neuen Prozeßvertreters auf Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung oder Vertagung der in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht nicht einfachen Sache ablehnt.
2. Die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs (1.) ist bereits darin zu erblicken, daß der Kläger nach Ablehnung des Vertagungsantrags durch das FG vor Schließung der mündlichen Verhandlung erneut die Vertagung beantragt.
Normenkette
GG Art. 103 Abs. 1; FGO § 62 Abs. 1, § 119 Nr. 3, § 155; ZPO §§ 227, 295
Tatbestand
Streitig ist in der Sache selbst die Ablehnung eines Antrags auf Stundung von Einkommensteuerabschlußzahlungen. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) hatte die Stundung abgelehnt. Die OFD wies die hiergegen erhobene Beschwerde des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) zurück. Gegen die Beschwerdeentscheidung erhob der Kläger durch seinen Prozeßbevollmächtigten, Rechtsanwalt P, Klage.
Mit Schreiben vom 13. Mai 1974, welches am 14. Mai 1974, mithin einen Tag vor der mündlichen Verhandlung, beim FG einging, teilte Rechtsanwalt P mit, daß er den Kläger nicht mehr vertrete. Am selben Tage meldete sich als neuer Prozeßbevollmächtigter Steuerberater E unter Vorlage seiner vom 13. Mai 1974 datierenden Vollmacht des Klägers. Steuerberater E beantragte am 14. Mai 1974 telefonisch Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung, damit er Zeit habe, sich auf die Sache vorzubereiten. Das FG lehnte die Verlegung ab. Sofort nach Beginn der mündlichen Verhandlung am 15. Mai 1974 beantragte der neue Prozeßbevollmächtigte aus dem gleichen Grunde Vertagung. Das FG lehnte den Antrag durch Beschluß ab. Anschließend wurde zur Sache verhandelt. Zum Schluß der mündlichen Verhandlung beantragte der Steuerberater E nochmals Vertagung. Hilfsweise stellte er die Sachanträge.
Das FG wies die Klage ab. Es führte aus, daß dem Vertagungsantrag nicht habe stattgegeben werden können, da die mündliche Verhandlung schon zweimal auf Antrag des Klägers zur Wahrung seines rechtlichen Gehörs verlegt worden sei. In der mündlichen Verhandlung habe der neue Prozeßbevollmächtigte auf Befragen ausdrücklich erklärt, daß in tatsächlicher Hinsicht nichts Neues vorzutragen sei. Die Streitsache sei in der mündlichen Verhandlung mit den Beteiligten auch rechtlich erörtert worden. In der Ablehnung des Vertagungsantrages liege deshalb keine Verletzung des rechtlichen Gehörs. In der Sache selbst sei ein Ermessensfehler der OFD zu verneinen.
Mit der Revision wird beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und das FA zu verpflichten, die näher bezeichneten Steuerabschlußzahlungen zu stunden. Der Kläger rügt Verweigerung des rechtlichen Gehörs sowie Verletzung sachlichen Rechts. Zur Begründung der Verfahrensrüge trägt er vor, er sei gezwungen gewesen, kurzfristig einen neuen Prozeßbevollmächtigten zu bestellen. Dieser Anwaltswechsel sei von ihm nicht zu vertreten. Das FG hätte dem neuen Prozeßbevollmächtigten ausreichend Zeit zur Einarbeitung geben müssen. Ohne eingehende Befassung mit der rechtlichen Seite des Falles sei es ihm auch nicht möglich gewesen, eine abschließende Erklärung zum Sachverhalt abzugeben.
Das FA beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO), da die mit der Revision erhobene Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 96 Abs. 2 und § 119 Abs. 1 Nr. 3 FGO) in zulässiger Weise erhoben und begründet ist.
1. Der Kläger hat den Verfahrensfehler in schlüssiger Weise gerügt (§ 120 Abs. 2 FGO).
a) Die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs ist nur dann schlüssig, wenn der Prozeßbeteiligte vorgetragen hat, daß er die Rechtsverletzung in der Vorinstanz gerügt habe (vgl. Beschluß des BFH vom 5. Oktober 1967 V B 29/67, BFHE 90, 452, BStBl II 1968, 179, mit weiteren Nachweisen). Da es sich um eine verzichtbare Rüge handelt (§ 295 ZPO i. V. m. § 155 FGO), kommt es darauf an, daß der Kläger auf den Anspruch auf rechtliches Gehör nicht verzichtet hat. Ein solcher Verzicht wird unterstellt, wenn der Berechtigte trotz Kenntnis die Verkürzung seines Rechts nicht schon in der Instanz rügt, in der sie stattgefunden haben soll (BFH-Beschluß V B 29/67). Ein solcher Verzicht liegt hier nicht vor.
b) Der Vorentscheidung ist -übereinstimmend mit dem Inhalt der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem FG - zu entnehmen, daß der Kläger nach der Ablehnung des Vertagungsantrages zum Schluß der mündlichen Verhandlung diesen Antrag wiederholt und die Sachanträge nur hilfsweise gestellt hat. In diesem Verhalten ist die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erblicken. Das FG hat dies offensichtlich auch selbst so aufgefaßt, da es sich in seiner Entscheidung eingehend mit der Frage auseinandergesetzt hat, ob das rechtliche Gehör verletzt sei.
Der Kläger hat in seiner Revisionsbegründung in ausreichender Weise auf die dargestellten Vorgänge Bezug genommen. Die Verfahrensrüge ist damit in zulässiger Weise erhoben.
2. Die Rüge ist auch begründet.
a) Der Anspruch der Verfahrensbeteiligten auf rechtliches Gehör verpflichtet das FG, einen Termin zur mündlichen Verhandlung auf Antrag eines Beteiligten aufzuheben oder zu verlegen, wenn dafür nach den Umständen des Falles, insbesondere nach der Art des Prozeßstoffes oder den persönlichen Verhältnissen des Beteiligten, erhebliche Gründe vorliegen (vgl. BFH-Urteil vom 14. Oktober 1975 VII R 150/71, BFHE 117, 19, BStBl II 1976, 48; Urteil des BGH vom 28. April 1958 III ZR 43/56, BGHZ 27, 163 [169]). Zwar ist bei Termin-, Verlegungs- oder Vertagungsanträgen von Prozeßbevollmächtigten ein strenger Maßstab anzulegen. Andererseits muß das FG berücksichtigen, daß es die einzige Tatsacheninstanz ist.
b) Nach diesen Grundsätzen hätte das FG einen neuen Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumen müssen, um dem Prozeßbevollmächtigten ausreichende Zeit zur Vorbereitung zu gewähren. Der erkennende Senat läßt dabei offen, ob die Verletzung des rechtlichen Gehörs schon darin zu erblicken ist, daß das FG den fernmündlich gestellten Antrag auf Verlegung des Termins ablehnte, oder ob erst die Ablehnung des Vertagungsantrages in der mündlichen Verhandlung den Verfahrensfehler darstellte. Das FG hätte jedenfalls spätestens in der mündlichen Verhandlung dem Antrag des neuen Prozeßbevollmächtigten entsprechen müssen, da die durch den Bevollmächtigtenwechsel entstandene Lage weder von dem Kläger noch von dem neuen Prozeßbevollmächtigten zu vertreten war und das FG außerdem zu berücksichtigen hatte, daß nach den Umständen des Streitfalles eine sachgerechte Vertretung des Klägers nur auf Grund sorgfältiger Vorbereitung möglich war. Dem Umstand, daß das FG bereits zweimal den Termin verlegt hatte, kann hier keine rechtliche bedeutung beigemessen werden.
Im Streitfall kommt hinzu, daß es sich um die Klage gegen eine Ermessensentscheidung der Verwaltung handelt. Ein solcher Rechtsstreit wirft besondere Sach- und Rechtsfragen auf. Zum einen ist zu beachten, daß die angefochtene Ermessensentscheidung gerichtlich nur eingeschränkt nachgeprüft werden kann (§ 102 FGO). Zum anderen kommt es dabei auf den Sachverhalt an, welcher im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung vorlag (vgl. BFH-Urteile vom 26. Juli 1972 I R 158/71, BFHE 106, 489, BStBl II 1972, 919; vom 18. November 1975 VII R 85/74, BFHE 117, 430, BStBl II 1976, 257). Dies bedingt eine rechtliche Trennung innerhalb des einheitlichen Lebenssachverhaltes, auf Grund deren erst eine rechtliche Beurteilung des Rechtsfalles möglich ist. Auch diese in der Eigenart des Streitfalles begründeten Schwierigkeiten der Prozeßvertretung hat das FG zu Unrecht bei seiner Ablehnung des Vertagungsantrages unberücksichtigt gelassen. Der Kläger hatte nach alledem keine ausreichende Gelegenheit, sich zu erklären. Das FG hat somit dem Kläger nicht das rechtliche Gehör gewährt.
Fundstellen
Haufe-Index 72253 |
BStBl II 1977, 348 |
BFHE 1977, 286 |
NJW 1977, 1080 |