Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Ermittlung des gemeinen Werts unbebauter Grund-stücke verdient die Wertermittlung durch unmittelbare Ableitung aus Kaufpreisen für vergleichbare Grundstücke den Vor- zug vor der Wertermittlung auf der Grundlage von Durchschnittswerten, sogenannten Richtwerten.
2. Die Ableitung des gemeinen Werts unbebauter Grundstücke unmittelbar aus Kaufpreisen setzt voraus, daß eine ausreichende Zahl von Verkaufsfällen vorliegt, bei denen die Ver- kaufspreise eindeutig als im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zustande gekommen anzusehen sind. Außerdem ist erforderlich, daß die maßgebenden Wertfaktoren der zu vergleichenden Grundstücke im wesentlichen übereinstimmen und die Verkäufe im Hauptfeststellungszeitpunkt oder in zeitlicher Nähe hierzu stattgefunden haben.
Normenkette
BewG 1965 § 9
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) sowie seine Ehefrau, die Beigeladene, waren an dem hier streitigen Stichtag, dem 1. Januar 1964, je zur Hälfte Miteigentümer von mit einer Tankstelle und weiteren fremden Gebäuden bebauten Grundflächen von insgesamt 5 793 m2 in H.
Im Oktober 1963 hatten sie eine Teilfläche von 299 m2 zum Zwecke der Straßenverbreiterung an die Stadt H zum Preis von 60 DM je m2 veräußert.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) behandelte die mit der Tankstelle (1 501 m2) und die mit den anderen fremden Gebäuden bebauten Grundflächen (4 292 m2) jeweils als selbständige wirtschaftliche Einheit und legte der Einheitsbewertung einen anhand von Richtwerten ermittelten Bodenwert von 70 DM je m2 zugrunde.
Nach insoweit erfolglosem Einspruch hielt der Kläger im Klageverfahren an seinem Begehren fest, den Grund und Boden mit 60 DM je m2 zu bewerten.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es führte zur Begründung seiner Entscheidung aus: Die Beweisaufnahme habe ergeben, daß der gemeine Wert der Grundstücksflächen zum 1. Januar 1964 nur 60 DM betragen habe. Zu diesem Wert sei ein vom Gericht bestellter Sachverständiger in einem ausführlich begründeten Gutachten gekommen. Bei der Ermittlung des gemeinen Werts habe sich der Sachverständige auf Preise bezogen, die in den Jahren 1959 mit 1975 bei Verkäufen gewerblich genutzter Grundstücke in der näheren Umgebung der hier streitigen Grundfläche erzielt worden seien. Der Sachverständige habe nur solche Kaufpreise berücksichtigt, bei denen die veräußerten Grundstücke auch von der Nutzungsmöglichkeit her vergleichbar gewesen seien. Die Größe der verglichenen Grundstücke habe zwar nicht in allen Fällen derjenigen der streitigen Grundflächen entsprochen. Der Sachverständige habe jedoch überzeugend dargetan, daß die Größe bei gewerblich genutzten Grundstücken auf die Höhe des gemeinen Werts keinen entscheidenden Einfluß habe. Jedenfalls die Verkaufsfälle aus den Jahren 1961 bis 1966 könnten als zeitnah angesehen werden. Im übrigen habe der Sachverständige alle Vergleichspreise durch eine Vor- und Rückrechnung auf den Bewertungsstichtag umgerechnet. Dieser Berechnung, die zu einem durchschnittlichen Vergleichspreis von rd. 55 DM je m2 geführt habe, gehe von einer jährlichen Preissteigerung von 10 % aus. Ungewöhnliche Umstände im Sinne von § 9 Abs. 2 Satz 2 des Bewertungsgesetzes 1965 (BewG) habe der Sachverständige nicht festgestellt. Das Sachverständigengutachten werde im Ergebnis durch eine schriftliche Auskunft des Liegenschaftsamtes bestätigt. Danach habe die Stadt H für die zur Straßenverbreiterung erworbene Teilfläche von 299 m2 den seinerzeit (Oktober 1963) für die Gegend üblichen Verkehrswert als Kaufpreis bezahlt.
Das FA rügt mit der Revision mangelnde Sachaufklärung, einen Verstoß der Vorentscheidung gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze sowie eine Verletzung des § 9 BewG. Es trägt vor: Den Wertansatz von 70 DM je m2 habe es der Richtwertkarte entnommen, die nach den Richtlinien für die FÄ zur Ermittlung der Bodenwerte - Bodenwertrichtlinien - (BStBl II 1957, 28) aufgestellt sei. Die in der Richtwertkarte ausgewiesenen Werte habe es - das FA - in erster Linie aus Kaufpreisen abgeleitet. Wegen der geringen Zahl von Verkaufsfällen und der erheblichen Unterschiede bei den Kaufpreisen sei außerdem durch Grundstücksvergleich sichergestellt worden, daß für gleichwertige Gegenden entsprechende Werte ausgewiesen würden. Die Richtwerte seien unter Berücksichtigung von Lage und Ausnutzbarkeit ausgewogen und aufeinander abgestimmt worden. Das FG habe im Streitfall nicht nachgewiesen, daß der Richtwert nicht dem gemeinen Wert entspreche.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
1. Sind Gebäude auf fremdem Grund und Boden errichtet worden, so gilt der Grund und Boden, auf dem die Gebäude errichtet sind, als bebautes Grundstück derselben Grundstücksart wie das Gebäude (§ 94 Abs. 1 Satz 3 BewG). Der Wert von mit fremden Gebäuden bebauten Flachen ist gemäß § 94 Abs. 2 BewG nach den für unbebaute Grundstücke geltenden Grundsätzen zu ermitteln. Unbebaute Grundstücke sind mit dem gemeinen Wert zu bewerten (§ 9 BewG i. V. m. § 17 Abs. 3 BewG). Dieser entspricht dem Preis, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit des Grundstücks bei einer Veräußerung zu erzielen wäre (§ 9 Abs. 2 BewG). Dabei sind alle Umstände, die den Preis beeinflussen, zu berücksichtigen. Ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse bleiben außer Betracht (§ 9 Abs. 2 BewG).
Die gebräuchlichsten Verfahren zur Ermittlung des gemeinen Werts von Grundstücken sind nach der herrschenden Meinung im Schrifttum die Wertermittlung durch unmittelbaren Vergleich mit Kaufpreisen für Grundstücke gleicher Verkehrslage, gleichen Erschließungsgrades und gleicher baulicher Nutzungsmöglichkeit und die Wertermittlung auf der Grundlage von Durchschnittswerten, sogenannten Richtwerten (Gürsching/Stenger, Kommentar zum Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, 7. Aufl., § 72 Anm. 17.3; Rössler/Troll/Langner, Kommentar zum Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, 11. Aufl., § 72 BewG Anm. 12: Steinhardt, Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, 6. Aufl., § 72 BewG Anm. 11). Schließlich kommt in Ausnahmefällen eine Bewertung durch Einzelgutachten in Betracht. Wenn auch die Bewertung unbebauter Grundstücke durch Einzelgutachten einer Massenbewertung, wie sie die Einheitsbewertung im allgemeinen ist, nicht gerecht wird, so ist sie doch der Behörde oder dem Gericht zur Klärung von Streitfragen nicht verwehrt.
2. Im allgemeinen wird der Wertermittlung durch den unmittelbaren Vergleich mit Kaufpreisen der Vorrang vor den anderen Wertermittlungsverfahren eingeräumt (Rössler/Troll/Langner, a. a. O.; Gürsching/Stenger, a.a.O., Anm. 18; anderer Ansicht wohl Steinhardt, a. a. O., Anm. 14). Diese Wertermittlungsmethode setzt jedoch nach Auffassung des erkennenden Senats voraus, daß eine ausreichende Zahl von Verkaufsfällen vorliegt, bei denen die Verkaufspreise eindeutig als im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zustande gekommen anzusehen sind. Außerdem müssen die maßgebenden Wertfaktoren der zu vergleichenden Grundstücke im wesentlichen übereinstimmen und die Verkäufe im Hauptfeststellungszeitpunkt oder in zeitlicher Nähe hierzu stattgefunden haben (Gürsching/Stenger, a. a. O., Anm. 18). Letzteres Erfordernis ist begründet aus dem für das Bewertungsrecht maßgebenden Stichtagsprinzip (Gürsching/ Stenger, a. a. O, § 9 BewG, Anm. 11). Dieses verbietet es grundsätzlich, den gemeinen Wert unbebauter Grundstücke unmittelbar aus Verkäufen abzuleiten, die in längeren zeitlichen Abständen von dem Hauptfeststellungszeitpunkt liegen (Rossler/Troll/Langner, a. a. O., § 9 BewG Anm. 4). Diesem Grundsatz entspricht - bei der Anteilsbewertung - die Regelung des § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG in der ab 1. Januar 1974 geltenden Fassung. Nach dieser Vorschrift darf der gemeine Wert von Anteilen an Kapitalgesellschaften nur aus Verkäufen abgeleitet werden, die weniger als ein Jahr vom Stichtag an gerechnet zurückliegen. Der Senat ist der Auffassung, daß es sich bei dieser gesetzlichen Regelung lediglich um eine Verdeutlichung von Folgerungen handelt, die sich aus dem Stichtagsprinzip ergeben, und daß diese Jahresfrist des § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG einen brauchbaren Anhalt dafür bietet, unter welchen Voraussetzungen noch von stichtagsnahen Verkäufen gesprochen werden kann. Hieraus darf zwar nicht gefolgert werden, daß Grundstücksverkäufe, die länger als ein Jahr zurückliegen, als Grundlage zur unmittelbaren Ableitung des gemeinen Werts unbebauter Grundstücke stets auszuscheiden hätten. Die Regelung des § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG 1974 spricht jedoch dafür, daß jedenfalls Grundstücksverkäufe, die eine wesentlich längere Zeit als ein Jahr von dem Hauptfeststellungszeitpunkt entfernt liegen, im allgemeinen keine geeignete Grundlage zur unmittelbaren Ableitung des gemeinen Werts bilden. In Fällen letzterer Art verdient aus Gründen der Gleichmäßigkeit der Besteuerung die Ableitung des gemeinen Werts aus Richtwerten den Vorzug.
3. Der Senat folgt nicht dem FG, das im Streitfall die Voraussetzungen für eine unmittelbare Ableitung des gemeinen Werts aus Verkaufsfällen für gegeben hält.
a) Die Vorinstanz hat sich bei der Ermittlung des gemeinen Werts auf 60 DM je m2 - jedenfalls im Ergebnis - dem Sachverständigengutachten angeschlossen. Diesem liegen indes Preise zugrunde, die bei Verkäufen unbebauter Grundstücke in den Jahren 1959 mit 1975 erzielt wurden. Das FG hat zwar offengelassen, ob die Verkaufsfälle aus den Jahren 1959 mit 1960, sowie 1969 mit 1975 noch als zu dem hier maßgebenden Stichtag 1. Januar 1964 zeitnah angesehen werden können. Nach Auffassung der Vorinstanz sind jedenfalls die Verkäufe aus den Jahren 1961, 1962 (je ein Verkaufsfall) sowie 1966 (drei Verkaufsfälle) noch als zeitnah anzusehen.
Dieser Beurteilung vermag sich der erkennende Senat nicht anzuschließen. Es erscheint bereits bedenklich, wenn das FG einen wesentlichen Teil der vom Gutachter bei der Ermittlung des gemeinen Werts zugrunde gelegten Verkaufsfälle zwar nicht berücksichtigt hat, seiner Bewertung aber gleichwohl den vom Sachverständigen auf der Grundlage sämtlicher Verkaufsfälle ermittelten gemeinen Wert zugrunde gelegt hat. Es kommt hinzu, daß vier von fünf Verkaufsfällen, die das FG als noch zeitnah angesehen hat, in einem zeitlichen Abstand von mehr als zwei Jahren von dem hier maßgeblichen Hauptfeststellungszeitpunkt entfernt liegen und nach Auffassung des erkennenden Senats keine hinreichend zuverlässige Grundlage für die unmittelbare Ableitung des gemeinen Werts aus Verkaufsfällen bilden.
Hieran ändert nichts, daß der Sachverständige alle Vergleichspreise durch eine Vor- und Zurückrechnung auf den Bewertungsstichtag bezogen und so - unter Berücksichtigung einer jährlichen Preissteigerungsrate von 10 % - einen Vergleichspreis von 55 DM ermittelt hat. Abgesehen davon, daß dieser Durchschnittspreis auf Verkaufsfällen aus einer Zeitspanne von 17 Jahren beruht, läßt insbesondere auch die rechnerische Berücksichtigung der Preissteigerung mit durchschnittlich 10 % jährlich die Unsicherheit der hier angewandten Wertermittlungsmethode erkennen.
b) Eine Ableitung des gemeinen Werts aus dem - zeitnahen - Verkauf der Teilfläche von 299 m2 an die Gemeinde zum Zwecke der Straßenverbreiterung scheidet deshalb aus, weil es sich insoweit nicht um einen Verkauf im gewöhnlichen Geschäftsverkehr handelt. Bei der Veräußerung von Grundstücksteilen z. B. zum Grenzausgleich oder für Zwecke der Straßenverbreiterung kommt als Vertragspartner nur ein eng begrenzter Personenkreis in Betracht. Außerdem ist die Gegenleistung einer Gemeinde für Teilflächen, die der Straßenverbreiterung dienen, üblicherweise nach unterschiedlichsten Gesichtspunkten bemessen. Dabei kommt insbesondere der im Enteignungsrecht geltende Grundsatz zum Tragen, wonach sich der Entschädigungsberechtigte Vermögensvorteile aus der Abtretung von Teilflächen für Verkehrszwecke anrechnen lassen muß (vgl. § 93 Abs. 3 des Bundesbaugesetzes - BBauG -).
Nach der Auskunft des Liegenschaftsamts hat die Gemeinde H bei Ankauf der Teilflächen mit dem Kläger zwar auf der Basis von Verkehrswerten verhandelt. In der Stellungnahme des Liegenschaftsamtes ist jedoch weiter ausgeführt, daß der Kaufpreis auch durch die individuelle Interessenlage bestimmt gewesen sei und vom Liegenschaftsamt nicht beurteilt werden könne, ob zum damaligen Zeitpunkt beim Verkauf des Gesamtgrundstücks auf dem freien Markt ein höherer Preis je Quadratmeter hätte erzielt werden können. Wegen dieser Unsicherheiten scheidet der bei der Veräußerung der Teilflächen erzielte Kaufpreis als Grundlage für eine unmittelbare Ableitung des gemeinen Werts aus. Der Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung verbietet es, für den Kläger nur deshalb einen vom Richtwert abweichenden und im Vergleich zu den Nachbargrundstücken niedrigeren gemeinen Wert anzusetzen, weil er eine Teilfläche von 299 m2 zum Preis von 60 DM an die Gemeinde H verkauft hat.
4. Die Vorentscheidung ist aufzuheben, da sie auf einer anderen Rechtsauffassung beruht. Im Streitfall läßt sich der gemeine Wert nicht unmittelbar aus Verkaufspreisen ableiten, da es an stichtagsnahen Veräußerungen im gewöhnlichen Geschäftsverkehr fehlt. Der gemeine Wert ist daher aus Richtwerten abzuleiten.
Die Sache ist nicht entscheidungsreif und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Die Vorentscheidung enthält keine Feststellungen zu der Frage, ob der vom FA mit 70 DM je m2 ermittelte Richtwert angemessen ist. Dies wird das FG im weiteren Verfahren zu prüfen haben. Die Vorinstanz wird weiter aufklären, ob der Richtwert für die Ermittlung des gemeinen Werts der hier streitigen Grundflächen unverändert übernommen werden kann (vgl. hierzu Gürsching/Stenger, a. a. O., § 72 BewG Anm. 21 ff.). Zu der Frage, ob der Kläger verlangen kann, daß das FA die Vergleichsobjekte, die der Ermittlung des Richtwerts zugrunde liegen, zu offenbaren hat, verweist der Senat auf den Beschluß vom 24. September 1976 III B 12/76 (BFHE 120, 270, BStBl II 1977, 196).
Fundstellen
Haufe-Index 413436 |
BStBl II 1981, 153 |
BFHE 1981, 101 |
NJW 1981, 2080 |