Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Abschnitt 10 Abs. 2 LStR betreffend Notstandsbeihilfen an Arbeitnehmer privater Arbeitgeber ist als fortgeltender Milderungserlaß aus der Zeit des autoritären Regimes auch von den Steuergerichten zu beachten und auszulegen.
Unter welchen Voraussetzungen sind Erholungsbeihilfen aus einer selbständigen Unterstützungskasse des Betriebs als Notstandsbeihilfen nach Abschnitt 10 Abs. 2 LStR steuerfrei?
Normenkette
EStG § § 19, 38/3, § 38/4
Tatbestand
Die Bfin. unterhält gemeinsam mit zwei ihr nahestehenden anderen Firmen die "Sozialkasse der A.-Betriebe e. V." (abgekürzt: Kasse), die Angehörigen der drei Betriebe Geburtsbeihilfen, Sterbegeld, Unterstützungen in Notfällen und Beihilfen für die Verschickung in Erholungsstätten gewährt. Streitig ist ein Vorgang, durch den die Kasse im Jahre 1958 u. a. an 17 Arbeitnehmer der Bfin. Verschickungsbeilhilfen gab, ohne darauf Lohnsteuer einzubehalten. Das Finanzamt erließ deshalb gegen die Bfin. als Arbeitgeberin einen Haftungsbescheid über 404,60 DM Lohnsteuer, in dem es die Lohnsteuer pauschal mit 20 v. H. berechnet hatte. Die Bfin. hält die Beihilfen als Notstandsunterstützungen im Sinne des Abschnitts 10 LStR und der Urteile des Bundesfinanzhofs IV 303/53 U vom 14. Januar 1954 und IV 178/53 U vom 4. Februar 1954 (BStBl 1954 III S. 86 und S. 111, Slg. Bd. 58 S. 459 und S. 524) für steuerfrei.
Die Sprungberufung hatte nur hinsichtlich der Höhe der Haftungssumme Erfolg; im übrigen trat das Finanzgericht der Auffassung des FA bei. Es führte im wesentlichen aus: Die Zuwendungen die die Arbeitnehmer erhalten hätten, stammten aus Mitteln der Bfin.; die Einschaltung der Kasse sei dabei bedeutungslos. Vor der Bewilligung der Beihilfen sei auch jeweils die Stellungnahme des Abteilungsleiters der Bfin. eingeholt worden; der Vertrag mit der Pension am Erholungsort sei nicht von der Kasse, sondern von der Sozialabteilung der Bfin. geschlossen worden; die Kasse habe die Beträge vorläufig verauslagt und am Jahresschluß von der Bfin. gesondert erstattet bekommen. Nach § 2 Abs. 3 Ziff. 3 LStDV seien Erholungsbeihilfen grundsätzlich Arbeitslohn (Urteile des Bundesfinanzhofs VI 214/58 vom 2. Oktober 1959, "Der Betrieb" 1960 S. 484; VI 345/57 U vom 18. März 1960, BStBl 1960 III S. 237, Slg. Bd. 70 S. 637). Nur in Ausnahmefällen seien sie steuerfrei, z. B. als Aufwendungen zur Verhütung oder Beseitigung typischer Berufskrankheiten (Urteil des Bundesfinanzhofs IV 303/53 U, a. a. O.). Ein solcher Fall liege aber hier nicht vor. Die Zuwendungen seien auch entgegen der Auffassung der Bfin. keine steuerfreien Notstandsunterstützungen im Sinne von Abschnitt 10 Abs. 2 LStR 1957. Das Leistungsverzeichnis der Kasse behandele die Verschickungsbeihilfen nicht in dem Abschnitt "Unterstützung in Notfällen", sondern in einem besonderen Abschnitt. Die Gewährung der Beihilfen sei auch nicht nur in Notfällen möglich; die Angaben in den Antragsvordrucken ließen die Feststellung einer wirtschaftlichen Notlage nicht zu; sie enthielten bei drei verheirateten Antragstellern und bei fünf verheirateten Antragstellerinnen keine Angaben über die Einkünfte des anderen Ehegatten; wenn ältere Kinder vorhanden seien, fehlten Angaben über deren Einkünfte; bei ledigen Arbeitnehmern sei nicht erkennbar, ob sie im Haushalt der Eltern lebten; auch überstundengelder und sonstige besondere Vergütungen seien nicht immer berücksichtigt worden, insbesondere nicht Renteneinkünfte; in mehreren Fällen, in denen Unklarheiten, vor allem hinsichtlich der Einkünfte des anderen Ehegatten, bestünden, fehle die übliche Stellungnahme des Betriebsrats zu den wirtschaftlichen Verhältnissen; bei der Witwe B. spreche der Betriebsrat von Abzahlungsverpflichtungen, während die Antragstellerin selbst in ihren Angaben solche Verpflichtungen verneint habe. Die Jahresbezüge 1958 der Antragsteller einschließlich einmaliger Bezüge (ohne Verschickungsbeihilfen) betrügen zwischen 3.026 DM und 7.118 DM. Trotzdem sei - bis auf zwei Fälle - immer derselbe Beihilfebetrag von 119 DM gezahlt und nicht nach dem Familienstand oder den besonderen Belastungen gestaffelt worden. Daß nicht die wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragsteller ausschlaggebend seien, ergebe sich vor allem daraus, daß der Betriebstechniker Z., der bei drei Kindern ein Gehalt von 24.550 DM und nur unerhebliche Sonderbelastungen gehabt habe, über die den anderen Arbeitnehmern gewährte Beihilfe hinaus zusätzlich 130 DM erhalten habe. Auch bei der Arbeitnehmerin Frau D. habe keine wirtschaftliche Notlage bestanden; sie habe im Antrag ausgeführt, daß sie die Verschickung nur bei unbezahltem Urlaub beantrage; denn sie wolle im Jahresurlaub mit ihrem Ehemann zusammen nochmals Luftveränderung haben. Die ärztlichen Befunde stellten zum Teil nur allgemeine Beschwerden fest; in keinem Fall werde ein Kur angeordnet oder der Verschickungsort nach der Art der Beschwerden gewählt. Im Jahre 1958 hätten von 274 Arbeitnehmern der Bfin. insgesamt 30 und im Jahre 1959 weitere 32 Arbeitnehmer die Beihilfe erhalten. Nach allem handele es sich nicht um wegen wirtschaftlichen Notstands gegebene Erholungsbeihilfen. Die nachgeforderte Lohnsteuer sei aber nicht pauschal zu berechnen; bei der Einzelberechnung ergebe sich nur eine Nachforderung von 279,65 DM.
Entscheidungsgründe
Die Rb., mit der die Bfin. unrichtige Auslegung des Begriffs Arbeitslohn rügt, ist nicht begründet.
Zutreffend rechnet das Finanzgericht Erholungs- und Verschickungsbeihilfen, die ein Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern gibt, grundsätzlich zum steuerpflichtigen Arbeitslohn. Das gilt, wie der Senat in der Entscheidung VI 345/57 U a. a. O. ausgesprochen hat, ohne Unterschied, ob die Beihilfen in Form von Geld, einer kostenlosen oder verbilligten Unterbringung in einem Ferienheim des Arbeitgebers oder in einer anderen Form gewährt werden. Ausnahmen sind, wie das Finanzgericht zutreffend ausführt, nur in engen Grenzen möglich, z. B. wenn die Erholungsbeihilfen als geeignete Maßnahme zur Abwehr typischer Berufskrankheiten oder zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit nach einer typischen Berufskrankheit gegeben werden (Urteil des Bundesfinanzhofs IV 303/53 U a. a. O.). Diesen Ausnahmefall hat das Finanzgericht hier rechtlich einwandfrei ausgeschlossen.
Die Bfin. selbst beansprucht die Steuerfreiheit für die Beihilfen auf Grund von Abschnitt 10 Abs. 2 LStR. Das Finanzgericht hat nicht abschließend entschieden, ob Abschnitt 10 Abs. 2 LStR ein auch von den Steuergerichten zu beachtender fortgeltender Milderungserlaß der Verwaltung aus der Zeit des autoritären Regimes ist, da es auf jeden Fall die sachlichen Voraussetzungen der Verwaltungsanweisung nicht als erfüllt ansah. Der Senat trägt keine Bedenken, auch die Verwaltungsanweisung des Abschnitts 10 Abs. 2 LStR - ähnlich wie den früheren Abschnitt 10 Abs. 4 LStR 1952 (siehe dazu das Urteil des Senats VI 48/57 S vom 21. November 1958, BStBl 1959 III S. 69, Slg. Bd. 68 S. 176) - als vom Reichsminister der Finanzen auf Grund der Ermächtigung des § 13 AO alter Fassung wirksam erlassenen und darum auch heute noch fortgeltenden Milderungserlaß anzusehen, der von den Steuergerichten zu beachten aus auszulegen ist.
Die Ausführungen, mit denen das Finanzgericht die sachlichen Voraussetzungen des Abschnitts 10 Abs. 2 LStR verneint hat, sind frei von Rechtsirrtum. Der in Abschnitt 10 Abs. 2 LStR verwendete Ausdruck "Notstandsbeihilfen" läßt erkennen, daß es sich um Beihilfen des Arbeitgebers zur Abwendung einer wirtschaftlichen Notlage einzelner Arbeitnehmer handeln muß, wobei die Notlage in jedem einzelnen Fall festzustellen ist. Wenn auch an den Begriff "wirtschaftliche Notlage" keine überspannten Anforderungen gestellt werden dürfen, so kann es doch keinesfalls der Zweck der Bestimmung sein, Erholungsbeihilfen, die in einem bestimmten Turnus an alle Arbeitnehmer oder bestimmte Gruppen von Arbeitnehmern eines Betriebs gegeben werden, steuerfrei zu machen. Eine solche Verwaltungsanweisung widerspräche dem Begriff Arbeitslohn, der dem Gesetz (§ 19 EStG, § 2 Abs. 3 Ziff. 3 LStDV) zugrunde liegt; sie wäre, weil sie ohne Ermächtigung das Gesetz änderte, ungültig. Abschnitt 10 Abs. 2 LStR setzt vielmehr, weil er als Billigkeitsmaßnahme der Verwaltung ergangen ist, voraus, daß wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse der einzelnen Empfänger die Erhebung der Lohnsteuer eine unbillige Härte bedeuten würde. Diese Voraussetzung ist bei Verschickungsbeihilfen erfüllt, wenn ein erholungsbedürftiger Arbeitnehmer ohne die Beihilfe und ohne unzumutbare Einschränkung seiner Lebensführung aus eigenen Mitteln nicht in Erholung gehen könnte. Ob seine wirtschaftlichen Verhältnisse einem Arbeitnehmer eine Erholung ohne Beihilfe des Arbeitgebers nicht gestatten, muß im einzelnen Fall unter Berücksichtigung aller Umstände geprüft werden. Es bedeutet entgegen der Auffassung der Bfin. keine überspannung, wenn das Finanzgericht dabei auch das Einkommen des anderen Ehegatten und die Haushaltszuschüsse selbst verdienender haushaltszugehöriger Kinder angemessen berücksichtigen will. Die Anforderung an den Arbeitnehmer, der Kasse und ihren Organen seine wirtschaftlichen Verhältnisse zu offenbaren, ist auch keine unbillige Zumutung; denn es steht in der freien Entscheidung des Arbeitnehmers, ob er eine Beihilfe und die Steuerfreiheit dafür beanspruchen will. Verlangt er die Vergünstigung der Steuerfreiheit, so kann billigerweise von ihm verlangt werden, daß er die Voraussetzungen dartut.
Die tatsächlichen Feststellungen des Finanzgerichts, die die Bfin. nicht im einzelnen angreift, lassen erkennen, daß die Kasse die streitigen Beihilfen nach anderen Grundsätzen gewährte. In den Jahren 1958 und 1959 erhielten jeweils mehr als je 10 v. H. der Belegschaft die Beihilfen, bei denen unstreitig auch die Dauer der Zugehörigkeit zum Betrieb eine Rolle spielte. Die Beihilfepraxis der Bfin. legt die Annahme nahe, daß nicht in erster Linie die wirtschaftliche Lage der Empfänger entscheidend war, sondern das Bestreben der Bfin., verdienten Arbeitnehmern in einem bestimmten Turnus den zusätzlichen Vorteil der Verschickung steuerfrei zuzuwenden. Wenn auch nicht auszuschließen ist, daß bei einzelnen der 17 Arbeitnehmer, die nur ein geringes Einkommen hatten, die Voraussetzungen des Abschnitts 10 Abs. 2 LStR vorgelegen haben könnten, so braucht die Vorentscheidung doch deswegen nicht aufgehoben zu werden, weil die Bfin. dem Finanzgericht solche Fälle nicht bezeichnete und nach den unzureichenden Unterlagen, die ihr zur Verfügung standen, wahrscheinlich auch nicht bezeichnen konnte.
Ohne Rechtsverstoß hat das Finanzgericht auch die Bfin. als Arbeitgeberin behandelt, obgleich die Beihilfen nicht unmittelbar von ihr, sondern von der Kasse gezahlt wurden. Die Mittel für die Beihilfen wurden aber der Kasse von der Bfin. ersetzt; die Bfin. hatte auch maßgebenden Einfluß bei der Verteilung. Diese enge Beziehung rechtfertigt es anzunehmen, daß die Kasse nur als Organ der Bfin. tätig geworden ist und die Bfin. durch die Zwischenschaltung der Kasse nicht von der Pflicht befreit wurde, als Arbeitgeberin die Lohnsteuer einzubehalten (Urteil des Senats VI 233/56 S vom 28. März 1958, BStBl 1958 III S. 268, Slg. Bd. 66 S. 701; siehe auch Abschnitt 10 Abs. 3 LStR).
Die Bfin. meint, daß Zuwendungen an Unterstützungskassen, die - wie im Streitfall - im Rahmen des Gesetzes über die Behandlung von Zuwendungen an betriebliche Pensionskassen und Unterstützungskassen bei den Steuern vom Einkommen und Ertrag vom 26. März 1952 (BGBl 1952 I S. 206, BStBl 1952 I S. 227) bei der Arbeitgeberin als Betriebsausgaben abgesetzt worden sind, auch bei der Verausgabung an die Arbeitnehmer als soziale Maßnahmen großzügig behandelt werden müßten. Die Bfin. verkennt dabei den Zweck des Zuwendungsgesetzes, die steuerliche Auswirkung der Zuwendungen an Unterstützungskassen bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer der Firmen der Höhe nach zu begrenzen. Die Frage, ob die Zuwendungen an die Arbeitnehmer aus einer Unterstützungskasse steuerpflichtiger Arbeitslohn sind, hat grundsätzlich damit, wie die Zuwendungen des Arbeitgebers an die Kasse bei seiner Einkommen- und Körperschaftsteuer behandelt werden, nichts zu tun.
Fundstellen
Haufe-Index 409960 |
BStBl III 1961, 167 |
BFHE 1961, 456 |
BFHE 72, 456 |